Schlagwort-Archive: U-Haft

Der BGH zum Quasi umgekehrten Doppelverwertungsverbot

Wir alle kennen das sog. Doppelverwertungverbot des § 46 Abs. 2 StGB, das verbietet, Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, (strafschärfend) zu berücksichtigen. Es gibt aber auch den quasi umgekehrten Fall, dass nämlich Umstände, die schon von Gesetzes wegen zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigen finden, nicht im Rahmen der Strafzumessung noch einmal bewertet werden dürfen. Dazu gehört die Länge der U-Haft.

Dazu hat der BGH im Urt. v. 19.05.2010 – 2 StR 102/10 – ausgeführt:

Die Strafkammer hat darüber hinaus fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er sich bereits länger als sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Vollzug der Untersuchungshaft an sich darf jedoch nicht mildernd berücksichtigt werden (vgl. Senat BGH NJW 2006, 2645 m.w.N.; BGH 5 StR 456/08, insoweit in NStZ 2009, 202 nicht abgedr.). Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung der Freiheitsstrafe regelmäßig ohne Bedeutung, da die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird…“

Etwas anderes gilt natürlich, wenn zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft festzustellen sind/vorliegen.

OLG Düsseldorf: Erstes Obergericht zu den neuen §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 142 Abs. 1 StPO: Wenn Vorschrift nicht beachtet, ist Pflichtverteidiger auszuwechseln

Durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.07.2009 ist § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO neu eingeführt worden. Nach der Neuregelung ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn gegen ihn U-Haft nach den §§ 112, 112a StPO oder einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO oder nach § 275a Abs. 5 StPO vollstreckt wird.

Zu dieser für die Praxis wesentlichen Änderung liegt jetzt erste obergerichtliche Rechtsprechung vor.  Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.04.2010 – III-4 Ws 163/10) und das LG Frankfurt/Oder (StV 2010, 235) haben zum Beiordnungsverfahren Stellung genommen. Das OLG Düsseldorf weist insbesondere darauf hin, dass auch im Beiordnungsverfahren nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO zu beachten sei, also eine ordnungsgemäße Fristsetzung i.S. des § 142 Abs.1 StPO erfolgen müsse, wobei das OLG die Frage, wie lang die Frist sein kann bzw. muss, allerdings offen gelassen hat. Das LG Frankfurt/Oder (a.a.O.) verlangt die Belehrung des Beschuldigten darüber, dass er innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger benennen kann.

Schön das weitere Vorgehen: Ist eine ordnungsgemäße Fristsetzung bzw. Belehrung nicht erfolgt, ist die Beiordnung eines vom Beschuldigten nicht gewünschten Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger auf die Beschwerde hin aufzuheben. Das nimmt m.E. der in Verteidigerkreisen immer wieder zu hörende Befürchtung, die neue Vorschrift könne dazu missbraucht werden, nicht beliebte Verteidiger aus den Verfahren heraus zu halten, zumindest teilweise die Relevanz.

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Änderungen im U-Haftrecht zum 01.01.2010 kommen in der Rechtsprechung an

Zum 01.01.2010 sind ja bekanntlich die Änderungen im U-Haftrecht in Kraft getreten, vgl. dazu hier. Inzwischen liegen zu den Änderungen erste Entscheidungen von (Ober)Gerichten vor (vgl. u.a. auch den Kollegen Hoenig zu „Ausantwortungen„). Mit der Neufassung des § 119 StPO hat sich inzwischen auch das OLG Hamm befasst. Es hat in seinem Beschluss 3 Ws 45/10 zu den Beschränkungsanordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass diese jetzt jeweils im Einzelfall begründet/angeordnet werden müssen. Also keine pauschalen Beschränkungen mehr.

Für alle, die mit U-Haft zu tun haben: Lesenswert!

Keine Außervollzugsetzung des Haftbefehls in Werferfällen

Die sog. Werferfälle beschäftigen die Rechtsprechung immer wieder, allerdings meist mit Problemen, die im Bereich des Tatbestandes des § 315b StGB angesiedelt sind. Um so interessanter daher eine Haftentscheidung des OLG Oldenburg vom 11.03.2010 – 1 Ws 116/10, in der das OLG die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls durch das LG „kassiert“ hat. In der Entscheidung führt das OLG aus, dass derjenige, der wiederholt mit bedingtem Tötungsvorsatz „aus Jux“ Leitpfosten von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn wirft (§§ 211, 315b, 21, 22 StGB), nicht vernunftgesteuert handelt. Deshalb könne eine weitere Tatwiederholung nicht sicher ausgeschlossen werden, so dass eine Verschonung von der mit dem Haftgrund der schweren Tat (§ 112 Abs. 3 StPO) begründeten Untersuchungshaft gegen Auflagen nicht in Betracht komme.

Ganz interessant zu lesen.