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Auch wenn der Verteidiger stumm bleibt, spricht das allein nicht gegen seinen Vertretungswillen…

Wir hatten vor einigen Tagen über die Vertretung des ausgebliebenen Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung im  Strafbefehlverfahren und die dafür erforderliche Vertretungsvollmacht des (Pflicht)Verteidigers berichtet (vgl. hier und hier).

Dazu passt ganz gut die mir jetzt übersandte Entscheidung des KG vom 07.07.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), in der das KG zur Art und Weise der Vertretung des Angeklagten Stellung genommen hat. Danach reicht zur Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin die Anwesenheit des bevollmächtigten Verteidigers aus. Aus dessen bloßem Schweigen und dem Absehen von einer Antragstellung darf nicht geschlossen werden, er sei vertretungsunwillig. Hierfür bedarf es vielmehr eindeutiger Indizien.

Die ausdrückliche Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme…

… muss ausdrücklich erklärt werden :-), so das OLG Oldenburg im Beschl. v. 02.07.2010 – 1 Ws 303/10. Nicht ausreichend dafür ist es, wenn der Angeklagte nur auf ein Schreiben des Verteidigers schweigt, in dem eine von diesem vorgeschlagene Rechtsmittelrücknahme für den Fall angekündigt wird, dass der Angeklagte nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht. Das Schweigen reicht nicht aus, um den Verteidiger wirksam zur Rücknahme des Rechtsmittels zu ermächtigen.

Die Frage der Ermächtigung kann vor allem dann eine Rolle spielen, wenn ein neu beauftragter Verteidiger die Frage prüft, ob die von einem Vorverteidiger erklärte Rechtsmittelrücknahme wirksam ist oder ob ggf. das Verfahren fortgesetzt werden kann. Dann kann es sich empfehlen, mal einen Blick auf die Ermächtigung des Vorverteidigers zu werfen. Liegt die nicht vor, reicht dann einfach der Antrag, das Verfahren fortzusetzen. Dann muss sich das (Berufungs)Gericht Gedanken über die Wirksamkeit der Rücknahme machen. Die Ermächtigung benötigt übrigens auch der Pflichtverteidiger.

Manchmal ist man fassungslos, oder: KG muss Tatrichter an die Auswirkungen des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ erinnern

Gestern habe ich mal wieder einen Schwung Entscheidungen vom KG bekommen. Darunter auch eine – Beschl. v. 11.06.2010 – 3 Ws (B) 270/10 – , vor der man im Grunde fassungslos steht. Nicht wegen der Entscheidung des KG, sondern wegen der zugrunde liegenden amtsgerichtlichen Entscheidung. Da führt der Amtsrichter in seinen Urteilsgründen doch allen Ernstes zum prozessualen Verhalten des Betroffenen aus, dass sein

Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.

Das KG dazu:

Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der ‑ auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen ‑ Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.“

Ergebnis: Natürlich Aufhebung. Und: Das KG hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen; offenbar ging es davon aus, dass bei dem Tatrichter der bloße Hinweis auf den Rechtsfehler mit der Bitte um Beachtung in zukünftigen Fällen nicht ausreichen würde.

Si tacuisses – vermutlich wäre dann überhaupt nichts passiert

Es gibt ja doch skurile Entscheidungen bzw. Verfahrenssituationen. Der Angeklagte wird bei einer „Trunkenheitsfahrt“ erwischt und räumt dann im Verfahren ein, dass er fahruntüchtig war. Die entnommene Blutprobe sieht das LG aber als unerwertbar an, weil ein Verstoß gegen § 81a StPO vorgelegen hat. Das LG kommt aber dennoch zu § 316 StGB und stützt sich dabei u.a. auf das Geständnis des Angeklagten – sowie auf Angaben der Polizeibeamten, die den Angeklagten angetroffen haben (nur nach § 325 StPO verlesen). Es wäre sicherlich besser gewesen, den Angeklagten schweigen zu lassen. Dann wäre das Indiz für Fahruntüchtigkeit weg gewesen. Nachzulesen im Urt. des LG Dresden v. 13.01.2010 – 10 Ns 704 Js 14903/09. Und das ist kein Aprilscherz 🙂