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Kostenentscheidung im Bußgeldverfahren, oder: Schweigerecht des Betroffenen

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Am RVG-Tag heute zwei Kostenentscheidungen, und zwar beide aus dem Bußgeldverfahren.

Zunächst hier der schon etwas ältere AG Wangen, Beschl. v. 25.03.2021- 3 OWi 13 Js19702/21, den mir der Kollege, der ihn erstritten hat, aber erst vor kurzem geschickt hat. Folgender Sachverhalt und folgende Gründe:

„Mit Bußgeldbescheid vom 16. März 2020 verhängte die Stadt Wangen als Bußgeldbehörde gegen den Betroffenen wegen der ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld in Höhe von 80 Euro. Auf den Einspruch des beauftragten Verteidigers hin nahm die Bußgeldbehörde – offensichtlich aufgrund zweifelhafter Fahrereigenschaft des Betroffenen – den Bußgeldbescheid mit Einstellungsverfügung vom 4. Mai 2020 zurück und stellte das Verfahren nach §§ 46 OWiG in Verbindung mit 170 Abs. 2 StPO ein. Eine Kostenentscheidung erging nicht. Nachdem der Verteidiger der Staatskasse seine Kosten in Rechnung gestellt hatte, erließ die Stadt Wangen am 9. Juni 2020 einen als „Bußgeldbescheid“ bezeichneten Bescheid, mit dem sie den Bußgeldbescheid vom 16. März 2020 nochmals zurücknahm und bestimmte, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene über seinen Verteidiger am 23. Juli 2020 „Einspruch“ ein. Ohne hierüber zu entscheiden, legte die Stadt Wangen die Akten über die Staatsanwaltschaft Ravensburg dem Gericht zur Entscheidung nach § 62 StPO vor und vermerkte zugleich, sie helfe „dem Antrag“ nicht ab.

II.

Das Gericht ist zu einer Entscheidung nach § 62 StPO berufen. Zwar ist die Verwaltungsbehörde nach § 62 Abs. 1 OWiG nicht antragsberechtigt. Die Verwaltungsbehörde hat indes aber durch Abgabeverfügung an das Gericht deutlich gemacht, sie werde dem Einspruch des Betroffenen gegen die Kostenentscheidung nicht abhelfen. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 4. März 2021 gegenüber dem Gericht zudem beantragt, durch Beschluss über seinen Einspruch gegen die Kostenentscheidung zu entscheiden, was als Antrag des Betroffenen nach § 62 Abs. 1 OWiG auszulegen ist.

In der Sache waren die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung richtet sich nach Rücknahme des Bußgeldbescheids nach §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 467a Abs. 1 StPO, wonach die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt. Eine Ausnahme hiervon ist im vorliegenden Fall nicht zu machen, zumal der Betroffene den Verteidiger erst nach Erlass des Bußgeldbescheids vom 16. März 2020 beauftragte. Die Regelungen des § 467 Abs. 2 bis 5 StPO (i.V.m. § 467 Abs. 1 S. 2 StPO) rechtfertigen es ebenfalls nicht, dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen aufzubürden. Soweit die Verwaltungsbehörde damit argumentierte, der Betroffene hätte schon in der Anhörung vor Erlass des Bußgeldbescheids seine Fahrereigenschaft abstreiten können, verkennt sie, dass der Betroffene zu einer Äußerung nicht verpflichtet war und vielmehr ersichtlich nur von seinem Schweigerecht Gebrauch machte. Er hat durch sein Verhalten also nicht vorwerfbar Anlass zum Erlass des Bußgeldbescheids gegeben.“

(Kein) Nachteil für den Angeklagten, wenn er in der Hauptverhandlung schweigt

© Corgarashu – Fotolia.com

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In den Blogs laufen immer wieder Postings zu den Satz: „Reden ist Silber, schweigen ist Gold“ und der darauf gestützten Rat an den Beschuldigten/Angeklagten: Im Zweifel sollte man den Mund halten und sich nicht unnötig zum Beweismittel gegen sich selbst machen lassen. Das kann ggf. natürlich auch an der ein oder anderen Stelle Nachteile haben, weil sich bei einem schweigenden Angeklagten entlastende und/positive Umstände nur schwer oder schwerer ins Verfahren einführen lassen.

Etwas Entlastung bringt an der Stelle jetzt noch einmal der BGH, Beschl. v. 03.07.2014 – 4 StR 137/14. Da war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, den Geschädigten im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Messerstich in die Brust getötet zu haben. Zu diesem Vorwurf äußerte er sich lediglich im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Das LG hat den Angeklagten freigesprochen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt hat, weil er in einem von ihm nicht provozierten Kampf in eine unterlegene Position geriet, aus der er sich nur durch die ihm zuzurechnenden Stiche befreien konnte. Entsprechende Einlassungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren seien nicht widerlegt.

Zur von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Beweiswürdigung heißt es:

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht zu überzeugen vermag, ist dies vom Revisionsgericht in der Regel  hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswür-digung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern (Widersprüche, Unklarheiten, Lücken, Verstöße gegen Denkgesetze, zu hohe Anforderungen an die Über-zeugungsbildung, unrichtige Anwendung des Zweifelssatzes) beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 1 StR 655/13, Rn. 20; Urteil vom 23. Januar 2014 – 3 StR 373/13; Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 8 mwN). Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, kann das Revisionsgericht in die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann nicht eingreifen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146, 147 mwN).

Macht der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch, darf ihm kein Nachteil daraus entstehen, dass er deshalb nicht in der Lage ist, zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117, 119; Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN). In einem solchen Fall ist von der für ihn günstigsten Möglichkeit auszugehen. Dabei sind jedoch nicht alle nur denk-baren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen. Für ihn vorteilhafte Gesche-hensabläufe sind vielmehr erst dann bedeutsam, wenn für ihr Vorliegen reale Anhaltspunkte erbracht sind und sie deshalb nach den gesamten Umständen als möglich in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 20; Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN).“

Fazit: Auf keinen Fall das Schweigerecht voreilig aufgeben.

Augenblicksversagen – ist Schweigen wirklich Gold?

Das OLG Köln, Beschl. v. 04.03.2011 – III-1 RBs 42/11 zeigt m.E. ein Dilemma auf, in dem der Verteidiger/Betroffene im Bußgeldverfahren stecken kann. Es geht um die Frage des Augenblicksversagens – im entschiedenen Fall beim Rotlichtverstoß – und um das ggf. damit begründete Absehen vom Fahrverbot.

Der Betroffene hatte sich nicht zur Sache eingelassen. Das AG hat ein Augenblicksversagen abgelehnt, was mit der Rechtsbeschwerde gerügt worden ist. Dazu das OLG:

„Fährt  der Betroffene nach vorherigem Anhalten noch bei Rotlicht wieder an, begründet es bei Schweigen des  Betroffenen und den Urteilsgründen nicht zu entnehmenden Ursachen für das Fehlverhalten  keine materiell-rechtliche Unvollständigkeit der Gründe, wenn darin keine Erwägungen zu einem bloßen Augenblicksversagen angestellt werden.

Allein die Tatsache, dass der der Betroffene das Rotlicht zunächst beachtet hat, hebt das anschließende Fehlverhalten noch nicht aus dem Regelfall des qualifizierten Rotlichtverstoßes  (Rotlichtphase länger als eine Sekunde) heraus.“

Ist m.E. zutreffend. Denn, wenn keine anderen Beweismittel vorhanden sind, bleibt nur die Einlassung des Betroffenen, um ein Augenblicksversagen begründen zu können. Nur: Wenn der Betroffene schweigt… Manchmal ist eben Schweigen doch nicht so gut.

Zitat zum Thema: Schweigen ist Gold

Ein Kollege hat mir vor einigen Tagen nachstehende Mail zukommen lassen, die ich hier einfach mal so weitergebe – zum Thema „Schweigen oder Reden?“ ist ja schon viel geschrieben worden…

Lieber Kollege Burhoff,
ich übermittle Ihnen mal das nachstehende Zitat aus einem Roman, den ich z.Zt. lese. (Der genannte Hardy ist übrigens im Roman Strafverteidiger in San Fancisco, der seinem vielbeschäftigten – unschuldigen – Mandanten – ein Mediziner – dringend davon abgeraten hatte, ohne Anwalt auch nur der Polizei die Uhrzeit zu sagen.)

„Anscheinend glauben die wirklich, dass ich etwas damit zu tun habe“…
Eine lange Pause entstand, und als sie endete, war Kensing nicht im Geringsten auf Hardys Wutausbruch vorbereitet. „Ach, wirklich, Doktor? Der Leiter des Morddezernats verhört Sie zwei Stunden lang wegen eines Mordes, von dem es täglich auf den Titelseiten heißt, dass er vermutlich mit dem brutalen Abschlachten einer ganzen Familie in Zusammenhang steht. Sie hatten ein Motiv, die Mittel und die Gelegenheit zur Tat. Und jetzt vermuten Sie, dass die Polizei Sie vielleicht, aber wirklich auch nur vielleicht, dieses Verbrechens verdächtigt? Sie haben doch Anatomie studiert, Doktor? Liegt bei allen Menschen das Hirn im Arsch oder nur bei Ihnen?“

aus: Der Schwur von John T. Lescroart

irgendwie lag mir dieses Zitat schon immer auf der Zunge…

Da ich keinen eigenen Blog und keine Zeit dafür habe, aber mich gern bediene – auch zur Unterhaltung – dies Zitat zur gefälligen Verwendung (Urheberrechte als Leser des Roman habe ich natürlich nicht) …

Ich habe es dann nachgelesen. Zitat befindet sich auf S. 172 f.

Wochenspiegel für die 11. KW., oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten – noch immer beherrschte KT zu Guttenberg die Blogs – über:

  1. Die Nachvernehmung.
  2. Über Kachelmann.
  3. Zum Schweigen/Reden im Strafverfahren.
  4. Die Akten mit dem roten Deckel, man kennt sie…
  5. Zum Anfangsverdacht.
  6. Zum versuchten Betrug.
  7. Das naive Phishing.
  8. Der angekündigte Diebstahl.
  9. Zeitpunkt der Entscheidung über einen Beweisantrag.
  10. Und: Das Internet soll vergesslich werden. Schön wär’s.