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Pflichti I: 6 x Beiordnungsgründe, oder: u.a. AufentG, Waffengleichheit, Steuerhinterziehung, BVV, KiPo

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Heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Die Flut von Entscheidungen, die mir  Kollegen schicken, reißt nicht ab.

Ich starte mit Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

1. Verändert ein Zeuge im Verlaufe des Verfahrens seine Aussage und ist damit zu rechnen, dass Vorhalte notwendig werden, die Kenntnis vom Akteninhalt erfordern, ist die Mitwirkung eines Verteidigers geboten.

2. Die Mitwirkung eines Verteidigers kann über den Wortlaut des § 140 Abs 2 StPO hinaus unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens geboten sein, wenn der Nebenkläger anwaltlich beraten ist.

Wird der Beschuldigte wegen Steuerhinterziehung beim Kindergeldbezug verfolgt und kommt es für den Kindergeldanspruch wegen des grenzüberschreitenden Sachverhalts auf eine Koordinierung der Ansprüche nach Art. 68 Verordnung (EG) 883/2004 an, liegt regelmäßig ein Fall notwendiger Verteidigung vor.

Zur verneinten Annahme der Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers, obwohl nur Polizeizeugen zur Verfügung stehen, die zur Last gelegte Tat unter BtM-Einfluss begangen wurde und ein Beweisverwertungsverbot zu erörtern ist.

Die Entscheidung ist m.E. falsch. In Osnabrück hat man offenbar noch nie etwas von einem „Beiordnungsgründebündel“ gehört.

Wenn die öffentlich-rechtliche Pflicht der Angeklagten zum Erscheinen vor Gericht mit der durch Ausweisung und Abschiebung begründeten — strafbewehrten — Pflicht, sich von dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten, kollidiert und die Angeklagte für die Teilnahme an der Hauptverhandlung eine besondere Betretenserlaubnis durch die Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG und zudem die Verteidigungsmöglichkeiten wegen fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache, aber auch wegen der nicht vorhandenen Kenntnis des deutschen Ausländerrechts eingeschränkt sind, ist die Sach – und Rechtslage schwierig i.S. des § 140 Abs. 2 StPO.

Die Frage, ob ein Verteidiger beizuordnen ist, kann auch in einem Gesamtstrafenfall nicht losgelöst von allen in Betracht zu ziehenden Umständen des Einzelfalls entschieden werden.

In einem Verfahren wegen Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften ist die Sach- und Rechtslage schwierig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO, da neben der Problematik der Inaugenscheinnahme der pornografischen Bilder ggf. ein Großteil der Beweismittel lediglich in englischer Sprache abgefasst vorliegen.

Teilnahme an einer Videovernehmung, oder: Vernehmungsterminsgebühr?

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Die zweite RVG-Entscheidung stammt heute vom LG Osnabrück. Das hat im LG Osnabrück, Beschl. v. 17.06.2021 – 2 Qs 34/21 – eine Frage entschieden, zu der bisher keine Rechtsprechung vorgelegen hat. Nämlich die Frage, ob die Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG auch dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt „nur“ an einer Videovernehmung teilgenommen hat. So war es hier. Der Rechtsanwalt hat sich während der richterlichen Vernehmung in einem Nebenraum aufgehalten, in dem eine Videoübertragung der Vernehmung gezeigt wurde. Das LG hat das Entstehen der Gebühr bejaht:

„Die vom Amtsgericht ausdrücklich zugelassene Beschwerde ist begründet.

Die Gebühr nach Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG ist angefallen. Nach Nr. 4102 Ziff. 1 VV RVG entsteht die Gebühr für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen. Unerheblich ist dabei, in welcher Funktion der Rechtsanwalt an der richterlichen Vernehmung teilnimmt, ob als Vertreter des Beschuldigten oder als Beistand eines Zeugen und auch, ob der Verteidiger an der Vernehmung aktiv teilgenommen hat, also z.B. Fragen gestellt oder sonst auf den Gang der Vernehmung Einfluss genommen hat. Zwar ergibt sich die Anwesenheit des Verteidigers nicht aus dem Protokoll. Indessen hat der Beschwerdeführer durch seine eigene anwaltliche Versicherung, insbesondere durch die anwaltliche Versicherung von Frau Rechtsanwältin pp. hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beschwerdeführer bei dem Vernehmungstermin in einem Nebenraum, in dem eine Videoübertragung der Vernehmung gezeigt wurde, zumindest zeitweise – zum Ende der Vernehmung hin -anwesend war. Dem steht die vage dienstliche Stellungnahme der vernehmenden Richterin — die sich zum anwaltlich versicherten späteren Erscheinen des Verteidigers nur allgemein äußert — nicht entgegen. Entsprechend waren die geltend gemachten Gebühren und die Umsatzsteuer — der Höhe nach begrenzt auf den Festsetzungsantrag —abweichend in der beantragten Höhe festzusetzen.“

M.E. richtig. So auch <<Werbemodus an >> Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4102 VV Rn. 11, zur Bestellung hier. <<Werbemodus aus>>

Verkehrsrecht III: Beginn des Fahrverbots (§ 44 StGB), oder: Ich habe keine Fahrerlaubnis

Und dann noch einmal das LG Osnabrück. Das hat im LG Osnabrück, Beschl. v. 06.11.2020 – 10 Qs 58/20 – zu der Frage Stellung genommen, wann das Fahrverbot nach § 44 StGB beginnt, wenn der Verurteilte nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist. Das LG meint:

„3. Durch die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB durch Art. 1 Nr. 1 b) des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. 08.2017 mit Wirkung zum 24.08.2017 (BGBl. I 2017, 3202) ist die ausdrückliche Regelung, dass das Fahrverbot mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird, entfallen und nach dem Wortlaut der Neufassung wird das Fahrverbot wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft.

a) Ein mit der früheren Rechtslage übereinstimmender Regelungsgehalt des § 44 StGB wird für Betroffene, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, auch für die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB in der Kommentarliteratur vertreten (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 44 Rn. 38 und MünchKommStGB/v. Heintschel-Heinegg /Huber, 4. Aufl., § 44 Rn. 26 insoweit ohne Begründung; Schönke-Schröder StGB, 30. Aufl., § 44 Rn. 21 a.E. und Leipold u.a., Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., § 44 Rn. 61 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10.10.2013 – 2 StR 377/13, wobei sich dieser Beschluss aber auf die frühere Gesetzesfassung mit einem von der Neufassung gerade abweichendem Wortlaut bezieht; ferner König in: Leipziger Kommentar, 13. Aufl., § 44 Rn. 63 mit Nachweisen zur früheren Gesetzesfassung).

b) Diese Auslegung findet jedoch weder im Wortlaut noch in den Gesetzesmaterialien oder dem Zweck der Neuregelung eine Stütze.

aa) Nach dem Wortlaut der Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB wird das Fahrverbot spätestens mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam, soweit nicht zuvor der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt ist. Eine Regelungslücke enthält das Gesetz seinem Wortlaut nach nicht. Denn für Verurteilte, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, bedeutet diese Regelung zwingend, dass das Fahrverbot mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird, weil sie naturgemäß keinen Führerschein in amtliche Verwahrung geben können. Durch diese Gesetzesfassung wird eine Ausnahme von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz formuliert, dass eine Rechtsfolge – hier das Fahrverbot – regelmäßig mit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird.

bb) Gegenteiliges lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.

Die jetzige Gesetzesfassung intendierte – über das ursprünglich im Gesetzentwurf allein vorgesehene Hinausschieben der Wirksamkeit des Fahrverbots auf einen Zeitpunkt von einem Monat nach Rechtskraft hinaus – die Schaffung einer Dispositionsmöglichkeit für den Betroffenen, dem die Option eines früheren Eintretens der Wirksamkeit des Fahrverbots eröffnet werden sollte. Zu den Folgen dieser Dispositionsbefugnis in Fällen, in denen die Abgabe des Führerscheins durch den Verurteilten nicht möglich ist, wurde auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 25 Abs. 2a StVG verwiesen (BT-Drucksache 18/12785, S. 45).

Dieser Verweis auf das Ordnungswidrigkeitenrecht führt jedoch für die hier verfahrensgegenständliche Rechtsfrage der Berechnung des Beginns eines strafrechtlichen Fahrverbotes nicht weiter. Denn der Vergleich der Regelungsmechanismen von § 44 StGB einerseits und § 25 StVG andererseits ergibt, dass § 25 StVG in Absatz 2 eine generelle Regelung wie § 44 Abs. 2 StGB a.F. enthält, dass nämlich das Fahrverbot mit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam wird, wobei Bußgeldbehörde bzw. Gericht gemäß § 25 Abs. 2a StVG die Befugnis eingeräumt wird, unter den dort genannten Voraussetzungen dem Betroffenen eine Dispositionsbefugnis einzuräumen. Wird dem Betroffenen eine Dispositionsentscheidung eingeräumt und stehen nach Bestimmung der Frist über das Wirksamwerden des Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 2a StVG einer Führerscheinabgabe rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen, hat dies auf das Wirksamwerden des Fahrverbots und den Fristbeginn nach Maßgabe der getroffenen Bestimmung („spätestens mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft“) keinen Einfluss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., Rn 30 zu § 25 StVG).

cc) Dieses Ergebnis entspricht auch am ehesten dem Gesetzeszweck. Die um einen Monat herausgeschobene Frist des Wirksamwerdens des Fahrverbots soll nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers der Vermeidung nicht beabsichtigter Härten dienen sowie auch einer möglichen vermehrten Einlegung taktischer Rechtsmittel zur Hinauszögerung des Fahrverbots entgegenwirken und es so dem Verurteilten ermöglichen, sich auf die Zeit des Fahrverbots einzustellen und Vorkehrungen zu treffen, dass er beruflichen und familiären Verpflichtungen auch ohne Fahrerlaubnis nachkommen kann (BT-Drucksache 18/11272, S.18). Diesem Zweck kann eher mit einer – großzügigen – weiteren Monatsfrist Rechnung getragen werden als mit einer Wochenfrist, die nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers in der Vergangenheit Anlass zu taktischen Rechtsmitteln gegeben hat.“

 

StPO I: Rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers, oder: Eine kleine Rechtsprechungsübersicht

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Ich stelle heute dann StPO-Entscheidungen vor, und zwar vornehmlich Pflichtverteidigungsentscheidungen vor. Da hat sich in den letzten Wochen einiges angesammelt, was mir die Kollegen geschickt haben. Allen besten Dank.

Zunächst kommen Entscheidungen zur Frage der rückwirkenden Beiordnung. Da es so viel ist, mache ich hier mal nur eine kleine Rechtsprechungsübersicht. Unterteilt in: „Pro“ und „Contra“.

Ja, inzwischen gibt es einige Entscheidungen, die entgegen der wohl h.M. die rückwirkende Bestellung ablehnen. Teilweise hat man zumindest den Versuch einer Begründung unternommn, die sich aber letztlich immer nur auf das Argument: „Pflichtverteidigung dient nicht dem Kosteninteresse des Verteidigers“ zurückzieht. Und dann wird häufig auch nur alte Rechtsprechung bzw. Rechtsprechung zum neuen Recht zitiert, die sich selbst dann nur auf alte Rechtsprechung bezieht. Nicht so toll. Wenn man schon ablehnt, sollte man es vielleicht mal mit neuen Argumenten versuchen und nicht nur das Mantra der OLG zum alten Recht wiederholen.

Hier dann also:

Pro rückwirkende Bestellung

Contra rückwirkende Bestellung

Entfernen vom Unfallort, oder: Arglistige Obliegenheitsverletzung im Sinne des VVG

Bild von Roland Schwerdhöfer auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, das LG Osnabrück, Urt. v. 26.03.2020 – 9 S 166/19 – ist auch schon nicht mehr „ganz jung“. Es hängt schon etwas länger in meinem Blogordner, Heute dann aber endlich 🙂 .

Das LG hat sich zu den Voraussetzungen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung i.S. von § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort geäußert..

Gestritten worden ist über das Bestehen eines Zahlungsanspruches aus einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Für das Fahrzeug des Beklagten bestand bei derm eine Haftpflichtversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung zugrunde. Der Beklagte war mit dem vorbenannten Fahrzeug am 25.10.2017 in O. in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei diesem Verkehrsunfall wurde ein weiteres Fahrzeug der Marke Toyota,  welches von Herrn P. geführt wurde, beschädigt. Herr P. zeigte gegen Mittag des 25. 10.2017 den Vorfall bei der Polizei an. Gegen Spätnachmittag/ Abend nahm die Polizei Kontakt mit dem Beklagten auf. Der Beklagte wurde am 26.03.2018 vom AG Osnabrück  wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie einer Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldzahlung verurteilt.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagte eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, da er sich unerlaubt vom Unfallort entfernte und erst 11 Stunden nach dem Unfall als Täter ermittelt werden konnte. Das AG hat die Klage nach Anhörung des Beklagten sowie Vernehmung der Zeugen P., M., J. und S. abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass der Beklagte nicht zu ihrer Überzeugung eine Obliegenheitsverletzung arglistig begangen habe. Dem Beklagten sei der Kausalitätsgegenbeweis gelungen. Die Obliegenheitsverletzung habe die Regulierung nicht nachteilig beeinflusst.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Die hatte beim LG Erfolg:.

„Der Beklagte haftet dem Kläger aus § 116 Abs. 1 S. 2 VVG in Verbindung mit Ziffern E.1.2, E.7.1, E.7.2, E.7.3 AKB, § 28 Abs. 3 VVG auf Rückzahlung von 2.162,26 €. Die Forderungshöhe ist von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt worden.

Gemäß § 28 Abs. 3 VVG ist der Versicherer, auch wenn die Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung des Versicherers ursächlich ist, nicht zu Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe nicht den Nachweis erbracht, dass der Beklagte arglistig die Obliegenheit verletzt habe.

Der Vorwurf der Arglist setzt keine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers voraus. Vielmehr genügt bereits das Bestreben, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche zu beseitigen. Arglistig handelt der Versicherungsnehmer schon dann, wenn er die Obliegenheit bewusst begeht und dabei billigend in Kauf nimmt, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann, vgl. BGH VersR 2011, 1121.

Die Kammer teilt die Auffassung, welche in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, wonach nicht jedes unerlaubte Entfernen vom Unfallort pauschal als Arglist im Sinne der versicherungsrechtlichen Regelung zur Obliegenheit angesehen werden kann. Es sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls entscheidend, vgl. BGH, r + s 2013, 61.

Für das Vorliegen von Arglist ist der Versicherer, mithin der Kläger, beweispflichtig.

Ein Beweis ist gemäß § 286 ZPO erbracht, wenn das Gericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Dies erfordert keinen absoluten Grad an Gewissheit. Vielmehr ist ein solcher Grad an Gewissheit ausreichend, der Zweifeln Schweigen gebietet, vgl. Greger in Zöller, 33. Auflage 2020, § 286, Rdnr. 19.

Das Berufungsgericht ist zwar gemäß § 529 ZPO grundsätzlich an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden, es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Vorliegend hat das Amtsgericht die Angaben des Beklagten nicht hinreichend gewürdigt und hinterfragt.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Osnabrück spricht für ein arglistiges Verhalten des Beklagten sein Verhalten gegenüber den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden. Nachdem er zunächst am Unfalltag den Unfall und dessen Bemerken gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt hat, hat er im Rahmen einer anschließenden Aussage vor der Polizei den Vorfall hingegen in Abrede gestellt. Im Rahmen des Strafverfahrens hat der Beklagte zunächst angegeben, dass ihm nichts aufgefallen sei und er seine Fahrt fortgesetzt habe. Erst nach einer Unterbrechung des Verfahrens hat der Beklagte eingeräumt, dass er nervös geworden sei und deswegen weitergefahren sei. Ihm tue sein Fehlverhalten leid. Er habe gemerkt, dass etwas geschürft habe.

Ebenfalls berücksichtigt die Kammer den Fahrweg, den der Kläger nach dem Unfall zur Schule genommen hat. Wie die Kammer im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung über die Berufung nach Anhörung des Klägers mitgeteilt hat, ist ein solcher Streckenverlauf nicht plausibel nachvollziehbar. Nach Ansicht der Kammer belegt die Fahrstrecke vielmehr, dass der Kläger beabsichtigte, seinen Verfolger, den geschädigten Herrn P., abzuhängen. Im Unterschied zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Februar 2018, 20 U 188/17, ist auch nicht ersichtlich, dass der Unfall von einem Dritten bemerkt worden ist und daher eine Verzögerung nicht zu befürchten ist. Darüber hinaus hat der Kläger sich auch nicht unmittelbar nach Schulschluss darum bemüht, seine Beteiligung am Unfallgeschehen gegenüber den Ermittlungsbehörden aus eigenem Antrieb kundzutun.

Schließlich hat der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass er Kontakt mit einem Rechtsanwalt aufgenommen hat. Er war sich mithin seiner Verpflichtung, gegenüber den Strafermittlungsbehörden seine Beteiligung anzugeben, bewusst. Der ihm erteilte Rat, sich nicht zu melden, vermag dieses Fehlverhalten nicht zu entschuldigen.

In einer solchen Situation ist nach Ansicht der Kammer von einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auszugehen. Nach Ansicht der Kammer hat der Beklagte auch billigend in Kauf genommen, dass sein Verhalten die Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Hierbei berücksichtigt die Kammer, dass der Kläger nicht Eigentümer des Fahrzeuges ist. Wie sich aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft O. ergibt, ist Eigentümerin des Fahrzeuges die Großmutter des Beklagten

Der Kläger hat mithin den Nachweis einer arglistigen Obliegenheitsverletzung erbracht.“