Archiv für den Monat: Januar 2010

Weg mit dem Richtervorbehalt… Die Rufe werden lauter

Nun wird es sicherlich nicht mehr lange dauern, bis die Politik sich an eine Änderung des § 81a Abs. 2 StPO machen wird. Denn jetzt hat auch die Presse (immerhin die SZ) das Thema „entdeckt“ und widmet ihm heute eine Meldung (vgl. SZ v. 18.01.2010), worauf mich gerade ein Kollege im Forum bei LexisNexis Strafrecht hingewiesen hat. Die Rufe nach der Abschaffung des Richtervorbehalts werden lauter/häufiger/heftiger. Nach dem Niedersächsischen JM nun auch Töne aus Hamburg und (natürlich) aus Bayern. Offen ist aber immer noch die Frage, warum man sich nicht einfach an die bestehende Gesetzeslage hält und die Polizei entsprechend schult.

Ich habe auch erhebliche Bedenken, den Richtervorbehalt ggf. zu beschränken. Wie soll das gehen? Für Verstöße gegen §§ 316, 315c StGB, 24a Abs. 2 StVG gilt er nicht, sonst aber doch. Was ist aber, wenn ich in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen §§ 316, 315c StGB, 24a Abs. 2 StVG eine Blutprobe entnommen habe, sich dieses dann aber ausweitet: § 315b StGB mit einem Vorwurf auch nach den §§ 212, 211 StGB. Darf dann dort verwertet werden? Das Ganze wird keine Erleichterung bringen, sondern nur noch mehr Wirrwarr.

Gerichte lesen Blogs….jedenfalls das OLG Koblenz

Da soll noch mal einer sagen, Gerichte seien nicht fortschrittlich. Diese Behauptung gilt zumindest nicht für das OLG Koblenz, dass sich jetzt in einem Beschluss mit einem Web-Blog-Eintrag auseinandergesetzt hat, in dem zu dem (neuen) Messverfahren ESO 3.0 Stellung genommen worden war. Das OLG Koblenz führt dazu in seinem Beschl. v. 16.10.2009 – 1 SsRs 71/09, den mir der Kollege RiOLG Summa hat zukommen lassen aus:

„Mit seiner Beweisbehauptung, es fehlte „die seit dem 15.04.2008 erforderliche Eichung des Auswerteprogramms“, hat der Betroffene bzw. sein Verteidiger wohl einen missverständlich formulierten und von ihm falsch verstandenen Webblogbeitrag vom  20. August 2008 (http://blog.beck.de/2008/08/19/neue-messtechnik-haben-sie-erfahrungen-mit-es-30 ) aufgegriffen. Richtig ist vielmehr, dass Anwender-Auswerteprogramme wie eso-Digitales II weder eich- noch zulassungspflichtig sind. Mit derartigen Programmen werden an handelsüblichen Computern aus den vom Messgerät gespeicherten fahrzeugbezogenen Falldaten die Beweisfotos hergestellt, die Eingang in die Bußgeldakte finden. Von einem Anwender-Auswerteprogramm zu unterscheiden ist das bei der PTB im Original hinterlegte und mit dem 2. Nachtrag zur Bauartzulassung des Gerätes ES3.0 zugelassene Referenz-Auswerteprogramm esoDigitales II viewer, Version 22.2.5.3. Mit Hilfe dieses Programms, von dem auch eine Kopie bei einer vertrauenswürdigen Stelle (z. B. der Eichbehörde) im Umfeld der Auswertestelle vorhanden sein sollte, kann beispielsweise ein Sachverständiger im Zweifelsfall eine Falldatendatei auf Authentizität und Integrität überprüfen, also die Möglichkeit einer Manipulation zwischen der Speicherung der Falldaten im Messgerät und dem Ausdruck der Beweisfotos in der Auswertestelle verifizieren oder ausschließen. Das Programm wurde am 20. Dezember 2007 von der PTB zertifiziert (PTB-1.32-4031190); die Bekanntmachung erfolgte am 15. April 2008“.

Einfach ist das alles nicht :-).

OLG Hamm: „Neu“ bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist nur das, was nachträglich erkennbar geworden ist.

Jetzt hat auch das OLG Hamm in einem brandaktuellen Beschl. v. 05.01.2010 – 4 Ws 348/o9 zur Frage Stellung genommen, was „neue Tatsachen“ i.S. des § 66b StGB sind, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen würden. Auch das OLG Hamm geht – unabhängig von der Entscheidung des BGH in 1 StR 372/09 – davon aus:

„Neu“ in zeitlicher Hinsicht sind deshalb nur solche Tatsachen, die nach der letzten Möglichkeit, Sicherungsverwahrung anzuordnen, erkennbar geworden sind. Dies folgt aus dem Vorrang des Erkenntnisverfahrens (BGH NStZ 2006, 568 (569)). Für die Frage der Neuheit von Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB ist der entscheidende Zeitpunkt somit derjenige der letzten Tatsachenverhandlung, in der eine Entscheidung über die primäre Anordnung von Sicherungsverwahrung hätte erfolgen können (BGH a.a.O., BVerfG, StV 2006, 574 (576) = NStZ 2007, 87). Dazu gehört auch das „Nachverfahren“ über die (nachträgliche) Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, da es Bestandteil des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 275 a Rn. 3). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass nur solche Tatsachen „neu“ im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB sind, die im Verfahren über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 2 StGB nicht erkennbar waren oder gewesen wären. Andernfalls würde über § 66 b Abs. 1 StGB die Möglichkeit eröffnet, die Versäumung der zwingenden Frist des § 66 a Abs. 2 StGB über das Verfahren nach § 66 b Abs. 1 StGB zu umgehen, was nach den oben angeführten Grundsätzen in keinem Fall zu rechtfertigen wäre.“

Zu dieser Rechtsprechung passt dann abschließend die Meldung in der heutigen Tageszeitung, wonach die Bundesregierung eine Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung plane.

Notwendige Auslagen: Bei rund 16.000 € kommt die Staatskasse schon mal ins Grübeln….

Auch die notwendigen Auslagen des Pflichtverteidigers sind häufig nach Abschluss des Strafverfahrens ein heftig umkämpftes Terrain. Und je höher die Auslagen sind, desto heftiger wird gekämpft/gekürzt. So auch in dem Fall, der der Entscheidung des  OLG Köln im Beschl. v. 11.12.09 – 2 Ws 496/09 – zugrunde gelegen hat.

Der Rechtsanwalt war in einem Umfangsverfahren dem Angeklagten als sog. Sicherungsverteidiger neben einem anderen Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Er hat dann rund 105.000 Ablichtungen aus den Verfahrensakten erstellt und dafür gem. Ziff. 7000 VV RVG netto rund 16.000 € zum Ausgleich angemeldet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat davon einen Betrag in Höhe von rund 10.500 € abgesetzt. Im Rechtsmittelverfahren sind dem Rechtsanwalt aber die gesamten Fotokopiekosten gewährt worden. Auch die Beschwerde des Bezirksrevisors hatte keinen Erfolg. Zutreffend hat das OLG Köln in der lesenswerten Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Pflichtverteidiger wohl nur dann auf ggf. vorliegende digitalisierte Ablichtungen verwiesen werden könnte, wenn diese vollständig vorliegen. Ausweislich eines Vermerks des Vorsitzenden der Strafkammer war das hier jedoch nicht der Fall, sondern es standen zum Zeitpunkt der Anklageerhebung nur ein Teil der anklagerelevanten Fallakten in digitalisierter Form zur Verfügung. Die restlichen anklagerelevanten Fallakten wurden erst einige Monate nach Beginn der Hauptverhandlung in digitalisierte Form überführt.

Ich meine, dass ist zutreffend, denn der Verteidiger hat einen Anspruch darauf hat, mit einer vollständigen Ablichtung der Akten zu arbeiten. Darauf zu achten ist auch, dass dem Verteidiger auch nicht zugemutet werden kann, ggf. selbst einen „Abgleich“ daraufhin vorzunehmen, welche Aktenseiten bei einer Digitalisierung möglicherweise übersprungen worden sind, um nur diese abzulichten. Das wäre ein unzumutbarer Arbeitsaufwand. Schließlich hat auch jeder Verteidiger Anspruch auf einen „eigenen“ Aktenauszug und muss sich nicht auf die von einem anderen Verteidiger gefertigten Kopien und Ablichtungen verweisen lassen. Auch darauf hat das OLG zutreffend hingewiesen.

Fazit: Lesenswert und zutreffend.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Was sind neue Tatsachen i.S. von § 66b Abs. 2 StGB??? Der BGH gibt die Antwort

Der BGH hat mit Urteil vom heutigen Tag in 3 StR 372/09 zum Begriff der „neuen Tatsache“ i.S. von § 66b Abs. 2 StGB Stellung genommen und ein Urteil des LG München I bestätigt (vgl. dazu die PM des BGH). „Neu“ sind danach Tatsachen dann nicht, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder – wie im entschiedenen Fall– sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Das ist hier der Fall. Deshalb muss die auf gleicher Tatsachengrundlage bloß veränderte Bewertung von Hang und Gefährlichkeit als neue Tatsache ausscheiden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Die Entscheidung ist m.E. nicht nur für die SV von Interesse, sondern auch für die Absprache. Denn auch da erlauben nur „neue Tatsachen“ nach § 257c Abs. 4 S. 1 StPO; dass sich das Gericht von der Bindungswirkung der Absprache löst.