Schlagwort-Archive: Polizei

Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“

StGB II: Polizei-SS-Vergleich als Bildmontage bei FB, oder: Verfassungswidrige Kennzeichen/Beleidigung

Bild von Firmbee auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung im heutigen Kontext dann das OLG Hamm, Urt. v. 27.06.2023 – 4 ORs 46/23.

Das AG hat den Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt.  Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das LG mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie verurteilt worden ist.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 19.11.2020 gegen 20:24 Uhr in A auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite eine Bildmontage, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Diese Bildmontage ist überschrieben mit „…“wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, war so, ist so, und bleibt auch so! … Ich führe nur [es folgt die Bildmontage, Anm. des Unterzeichners] Befehle aus“. Außerdem beinhaltet dieser Post zwischen den Worten „Ich führe nur“ und „Befehle aus“ eine Bildmontage, welche halbseitig ein Foto des SS-Obersturmbandführers J. H. in Uniform, mit „Totenkopfemblem“ an der Mütze und mit der „Doppel -Siegrune“ auf dem Kragen und auf der anderen Seite den uniformierten Adhäsionskläger und Zeugen Polizeihauptmeister B. zeigt. Der Angeklagte, der diese Fotomontage aus dem Internet entnommen hat, hat dabei die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass der Zeuge B. keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildnisses erteilt hat und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf.

Nachdem dem Angeklagten bekannt wurde, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses Posts geführt werden, hat er den Post am 14.10.2021 gelöscht und ein Entschuldigungsschreiben auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Das in diesem Beitrag von mir geteilte Bild (aus Unkenntnis der Rechtslage), verstößt gegen den § 86a StGB […] Bedauerlicherweise wurde es von Facebook gelöscht, daher entferne ich es heute am 14. Oktober 2021 selber“. („Auslassungen“ durch den Unterzeichner).“

Dagegen die Revision der StA und auch des Angeklagten. Nur die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Das OLG führt zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB aus:

„a) Das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB verneint.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der auf dem Kragen des halbseitig abgebildeten SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Sig-Rune in ihrer doppelten Darstellung um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 12. September 2005 – 1 Ss 58/05; OLG Bamberg, Urteil v. 18. September 2007 – 2 Ss 43/07; Paffgen/Klesczewski in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB, § 86a, Rn. 10). Dieser Doppel Sig-Rune hat sich die „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP bedient und sie verkörpert die Zugehörigkeit zu dieser Organisation.

Auch bei dem auf der Mütze des SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Totenkopf handelt es sich um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a StGB. Mit seinem stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständig großen Zahnreihen sowie den Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase stellt er das spezifische Totenkopfsymbol, das Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP und damit ein verfassungswidriges Kennzeichen dar (vgl. OLG Jena, Urteil v. 1. Juni 2006 – 1 Ss 79/06 in BeckRS 2006, 9085).

Durch das „Posten“ auf seinem Facebook-Profil, das nach den – nicht zu beanstandenden – Feststellungen des Landgerichts öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat der Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts unterfällt die verwendete Fotomontage auch dem Schutzzweck des § 86a StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich die Vorschrift des § 86a StGB gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06 in NJW 2007,1602). § 86a StGB soll auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08; BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris). Dies ist für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14. Februar 1973 – 3 StR 3/72 in NJW 1973, 766 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08 in NStZ 2009, 88 ff.).

Unter Zugrundelegung dessen handelt es sich vorliegend nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung verbotener Kennzeichen.

Aus Sicht eines objektiven Betrachters ist die Fotomontage in Form einer halbseitigen Abbildung des Adhäsionsklägers in Uniform und einer halbseitigen Abbildung des SS-Obersturmbandführers J. H. mit der Überschrift „Ich führe nur Befehle aus“ als Protest gegen das polizeiliche Handeln zu verstehen. Durch die Zusammenfügung der beiden Fotos zu einem Foto wird zum Ausdruck gebracht, dass das Handeln der heutigen Polizei an die Methoden der SS erinnere und das Vorgehen der Polizei mit den Methoden des NS-Staats vergleichbar sei.

Zweck der Fotomontage war eine Kritik an der Polizei. Es ging demnach nicht um eine Kritik an der verbotenen Vereinigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen jedoch nur solche Handlungen nicht vom Tatbestand des § 86a StGB erfasst werden, in denen das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt wird. Dies ist – wie ausgeführt – vorliegend nicht der Fall.

Zudem wird durch den Vergleich der heutigen Polizei mit der SS das von der SS begangene Unrecht relativiert, weil Organisation und Handlungen der Polizei in keiner Weise mit denjenigen des verbrecherischen Nazi-Regimes und insbesondere auch der SS vergleichbar sind. Das Handeln der SS, welches untrennbar mit der Massenvernichtung von Juden verbunden ist, wird durch den Vergleich mit dem Handeln der Polizei verharmlost und das von der SS begangene schwerste Unrecht in keiner Weise als solches anerkannt.

Da vorliegend keine der von dem Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen der Tatbestandsrestriktion eingreift, ist der Tatbestand des § 86a StGB erfüllt. Die vorliegende Verwendung der Kennzeichnung ist gerade das, was die Vorschrift des § 86a StGB verhindern soll, denn sie soll einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“).“

Das OLG hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bejaht. Insoweit und wegen der Revision des Angeklagten verweise ich auf den Volltext.

StGB II: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, oder: Anlassloses plötzliches Abbremsen im Straßenverkehr

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Auch die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 4 StR 607/19 – ist schon etwas älter. Das LG hatte den Angeklagten u.a. auch wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Wenn ich den BGH-Beschluss richtig verstehe, hatte der Angeklagte wohl im Straßenverkehr anlasslos plötzlich abgebremst, weshalb ein nachfahrendes (den Angeklagten verfolgendes [?]) Polizefahrzeug aufgefahren war. Dazu führt der BGH aus:

„2. Der Senat kann offenlassen, ob im Fall II.2 der Urteilsgründe das durch das anlasslose plötzliche Abbremsen des Beschuldigten mit bedingtem Vorsatz herbeigeführte Auffahren des Polizeifahrzeugs auf das Fahrzeug des Beschuldigten entsprechend der rechtlichen Wertung des Landgerichts einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte darstellt und damit der Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB tateinheitlich verwirklicht ist. Er neigt jedoch dazu, die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 StGB in diesem Fall zu bejahen.

Ein tätlicher Angriff im Sinne von § 114 Abs. 1 StGB setzt eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung voraus (RGSt 41, 181, 182; RGSt 59, 264, 265 jeweils zu § 113 Abs. 1 StGB aF; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2019 – 4 RVs 9/19 Rn. 12; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 114 Rn. 5; SSW-StGB/Fahl, 4. Aufl., § 114 Rn. 5; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 114 Rn. 2; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 114 Rn. 4; Leipziger Kommentar/Rosenau, 12. Aufl., § 113 Rn. 26). An diesem Begriffsverständnis hat sich durch die Einfügung der Vorschrift des § 114 StGB durch das Zweiundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 23. Mai 2017 (BGBl. I 2017, 1226) nichts geändert. Vielmehr wurde der tätliche Angriff lediglich aus § 113 Abs. 1 Alternative 2 StGB herausgelöst und in § 114 Abs. 1 StGB neu gefasst, ohne dass hierbei eine inhaltliche Änderung des Begriffsverständnisses beabsichtigt gewesen wäre (vgl. BT-Drucks. 18/11161, S. 12; OLG Hamm, Urteil vom 10. Dezember 2019 – III-4 RVs 88/19 Rn. 17 ff.; SSW, aaO Rn. 1; Leipold/Tsambikakis/Zöller-Barton, Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl., § 114 Rn. 7 mwN).

Zwar wirkte der Beschuldigte durch das Hindernisbereiten direkt nur auf das auffahrende Polizeifahrzeug ein. Indes liegt es in einer derartigen Fallkonstellation nahe, von einer unmittelbar auf die Körper der im Fahrzeug befindlichen Polizeibeamten zielenden Einwirkung auszugehen, weil sich die Kraftentfaltung wegen der äußerst engen Verbindung mit dem Fahrzeug zwangsläufig und (nahezu) gleichzeitig auf die Körper der Insassen auswirkt.

Der Senat braucht diese Rechtsfrage nicht zu entscheiden. Denn das plötzliche Abbremsen erfüllt jedenfalls die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Widerstandleisten mit Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 Alternative 1 StGB, da insoweit der Einsatz von körperlich wirkender Kraft gegen Sachen ausreicht, wenn er mittelbar gegen die Person wirkt (BGH, Urteil vom 16. November 1962 – 4 StR 337/62, BGHSt 18, 133, 134; BGH, Beschluss vom 21. September 1983 . 3 StR 224/83; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 113 Rn. 23). Der Senat schließt aus, dass sich die rechtliche Wertung des Tatgeschehens als tateinheitlich begangener tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auf die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausgewirkt hat.“

Interessantes „Widerstandleisten“ 🙂 .

Wenn die Polizei bei einem Fußballspiel twittert, oder: Darf sie das?

entnommen wikimedia.org
Urheber Dede2

Die zweite Entscheidung des Tages, das VG Düsseldorf, Urt. v. 06.06.2019 – 18 K 16606/17, passt ganz gut zur gerade begonnenen Fußballbundesligasaison (2019/2010). In ihm hat sich das VG nämlich mit der Frage befasst: Darf die Polizei – in Zusammenhang mit einem Fußballspiel, über Twitter Postings mit Fotos veröffentlichen?

Hintergrund ist, dass die Polizei in Düsseldorf in Zusammenhang mit einem Meisterschaftsspiel der 3. Liga zwischen dem MSV Duisburg und dem 1. FC Magdeburg, das wegen der verfeindeten Fans als Spiel mit erhöhtem Risiko eingestuft worden war, Folgendes bei Twitter gepostet hatte:

„“#MSVFCM Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern.“

Dem Posting beigefügt war ein Foto, das zum Großteil mit Regencapes bekleidete Fans an den Eingangsschleusen des Gästebereichs des Fussball-Stadios zeigte.  Auf dem Foto war auch die Klägerin zu sehen. Sie hat Klage erhoben und geltend gemacht, sie sei durch die Veröffentlichung in ihren Rechten verletzt, da sie einer der abgelichteten Personen sei  und der Eindruck erweckt werde, sie widersetze sich polizeilichen Maßnahmen.

Das VG hat die Klage abgewiesen:

„Die Einstellung des beanstandeten Tweets war rechtmäßig und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Bei der Maßnahme handelt es sich um das Zugänglichmachen einer Information für die Öffentlichkeit, also um ein staatliches Informationshandeln. Auf dessen Zulässigkeit hat die Wahl des zeitgemäßen Mediums Twitter grundsätzlich keinen Einfluss. Eine Aufgabenzuweisung berechtigt zu staatlicher Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, selbst wenn dadurch mittelbar-faktisch Grundrechtsbeeinträchtigungen herbeigeführt werden, ohne dass eine darüber hinausgehende Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 -, juris Rn 76.

Die Ermächtigung für den Beklagten zur Erteilung derartiger Informationen ergibt sich vorliegend aus der der Polizei zugewiesenen Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Polizeigesetz NRW –PolG NRW–). Von der Gefahrenabwehr erfasst ist auch die Gefahrenvorsorge im Vorfeld konkreter Gefahren, um die Entstehung von Gefahren zu verhindern und eine wirksame Bekämpfung sich später realisierender Gefahren zu ermöglichen. Erst wenn sich die Maßnahme nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechteingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist, verlangt der Vorbehalt des Gesetzes eine besondere Ermächtigungsgrundlage

vgl. BVerfG Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 -, juris a.a.O.

In der Veröffentlichung des Textes in Verbindung mit der Bildaufnahme auf der Kommunikationsplattform Twitter liegt kein solches funktionales Äquivalent eines Eingriffs in ein Grundrecht der Klägerin

Aus den oben im Rahmen der Zulässigkeitserwägungen genannten Gründen kommt eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG mangels Vorliegen einer Versammlung bereits nicht in Betracht.

Die Klägerin ist auch nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt worden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe der auf ihn bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten. Vorliegend ist der Text des verfahrensgegenständlichen Tweets derart unbestimmt und allgemein gehalten, dass er für sich genommen keinen Rückschluss auf konkrete Personen zulässt. Im Falle einer Bildaufnahme ist ein Eingriff mangels personenbezogener, individualisierbarer Daten ausgeschlossen, wenn sie die Identifizierung der betroffenen Person nicht ermöglicht,

BVerfG, Beschluss vom 12. August 2010 – 2 BvR 1447/10 -, juris, Rn 16f; Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Öffentlichkeitsarbeit von Polizeibehörden in sozialen Medien, WD 3 – 3000 – 157/17 v. 21. Juli 2015, S. 14.

Die Erkennbarkeit des Abgebildeten muss sich nicht zwingend aus der Abbildung als solcher ergeben. Es genügt, wenn begleitende Umstände die Erkennbarkeit zur Folge haben; insbesondere reicht es aus, wenn sich diese aus dem zum Bild gehörenden Text ergibt. Die Klägerin ist auf dem im Tweet eingebundenen Bild nicht erkennbar. Sowohl die von ihr eingereichten Fotos der Bildschirmansicht des Tweets wie auch der vergrößerte Bildausschnitt einer Person im weißen Regencape, bei der es sich nach dem Vortrag der Klägerin um sie selbst handelt, lassen keinen Schluss auf ihre Person zu. Sämtliche Fotos enthalten nur unscharfe Konturen; selbst durch das Heranzoomen sind weder Gesichtszüge noch sonstige nur der Klägerin zukommende Merkmale erkennbar geworden. Mit Sicherheit lässt sich nicht einmal bei dem vergrößerten Bildausschnitt sagen, ob es sich bei der durch einen roten Kreis gekennzeichneten Person um einen Mann oder eine Frau handelt. Allein durch schlichtes Fokussieren ist mithin keine Erkennbarkeit gegeben. Darauf, ob eine Individualisierung durch die abstrakte Möglichkeit einer technischen Bearbeitung des in den Tweet eingebundenen Fotos erfolgen kann, kommt es nicht an. Allein der unsubstantiierte Vortrag der Klägerin, sie sei von zahlreichen Personen auf den Tweet angesprochen worden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch im Zusammenhang mit dem Text des Tweets ergeben sich keine Hinweise, die zu einer Individualisierung der Klägerin hätten führen können.

Aus dem oben Genannten ergibt sich zugleich, dass auch das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art 2 Abs. 1 GG umfasste Recht am eigenen Bild der Klägerin mangels Erkennbarkeit ihrer Person nicht beeinträchtigt worden ist.

Die Einstellung des Tweets im sozialen Netzwerk Twitter verletzt auch keine sonstigen subjektiven Rechte der Klägerin.

Aufgrund der Aufgabenzuweisungsnorm in § 1 PolG NRW, die den Beklagten auch zur Gefahrenvorsorge ermächtigt, durfte er den streitgegenständlichen Tweet absetzen. Der Tweet wies auf den Stau am Gästeeingang hin und war als Form der schnellen und weitreichenden Kommunikation darauf gerichtet, insbesondere die wartenden Fans weiter hinten in der Schlange zu erreichen, um sie über die Umstände und die Ursachen der eingetretenen Stockung zu informieren. Die Aufklärung sollte dazu dienen, die Gästefans von einem Drängen nach vorne abzuhalten und dem Entstehen von Unruhe aufgrund der ungewissen Einlasssituation vorzubeugen. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin liegt auch kein Kompetenzverstoß vor. Die von ihr hierzu zur Begründung herangezogenen Vorschrift des § 43 Landesbeamtengesetz NRW regelt lediglich die Zuständigkeitsfrage bei Erteilung von Auskünften, etwa nach § 4 PresseG NRW, an die Öffentlichkeit. Im Übrigen ist vorliegend die Entscheidung über die Einstellung des Tweets unwidersprochen durch den zuständigen Pressesprecher der einsatzbegleitenden Einheit „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ des Beklagten getroffen worden.

Amtliche Äußerungen haben sich, auch wenn sie mangels Grundrechtseingriffs über die Aufgabenzuweisung hinaus keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedürfen, an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren. Daraus leiten sich die Gebote der Richtigkeit und Sachlichkeit ab,

vgl. BVerfG Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 -, 1 BvR 1438/91 -, juris Rn 59 ff; OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 – 13 B 127/12 -, juris Rn 16.

Vorliegend ist ein Verstoß gegen die inhaltliche Richtigkeit nicht gegeben.

Der erste Teil des Textes „Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen“ schildert die objektive Situation und gibt das tatsächliche Geschehen zutreffend wieder. Auch die weitere Information „um die Durchsuchung zu verhindern“ war aus Sicht der eingesetzten Beamten inhaltlich zutreffend. Der Beklagte musste und durfte berücksichtigen, dass das Fußballspiel als Risikospiel eingestuft war und ca. 400 sog. Problemfans der oberen Risikogruppen B (leicht erhöhtes Risiko) und ca. 120 Problemfans der Risikogruppe C (erhöhtes Risiko) der Gastmannschaft erwartet wurden. Zudem bestand die Gefahr des Einsatzes von Pyrotechnik durch Fans aus dem Gästelager. Dieser Hintergrund sowie die objektiven Gegebenheiten vor Ort ließen den Schluss auf das Vorliegen der benannten Absicht bei einigen Fans zu. Der Beklagte konnte sicher davon ausgehen, dass das Überziehen der Regencapes nicht dem Schutz vor Nässe dienen sollte, denn das Wetter war zum Zeitpunkt des Anziehens der Capes niederschlagsfrei. Dies wird durch die vom Beklagten vorgelegte Amtliche Auskunft des Deutschen Wetterdienstes vom 21. November 2017 bestätigt. Gegenteiliges hat die Klägerin für den maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht vorgetragen. Aus der Tatsache, dass die Fans die Regencapes noch vor der Einlasskontrolle angezogen hatten, durfte der Beklagte darauf schließen, dass das Anlegen des Regenschutzes nicht lediglich der Durchführung einer Choreographie im Stadion, die im Übrigen nicht angemeldet war, dienen sollte. Wäre dies der einzige Zweck gewesen, hätte es ausgereicht, die Regencapes nach Passieren der Eingangskontrolle erst im Stadion überzuzuziehen. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob die Aufforderung der Polizei an die Fans, die Capes abzulegen, vor oder – wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet hat – nach der Einstellung des streitgegenständlichen Tweets erfolgt ist. Ungeachtet der Frage, ob die diesbezügliche Lautsprecherdurchsage wirklich um 17.47 Uhr erfolgt ist, hatten die Fans die Regencapes jedenfalls auch um 17.55 Uhr noch nicht abgelegt. Denn ausweislich der Verwaltungsvorgänge wurde zu diesem Zeitpunkt eine polizeiliche Sperrlinie vor dem Gästeeingang gezogen, um das Weitergehen der mit Capes bekleideten Fans zu unterbinden. Die Polizei musste auch davon ausgehen, dass zumindest einige Fans die Capes dazu nutzen wollten, eine Durchsuchung zu behindern oder sogar zu verhindern. Die Regencapes waren undurchsichtig und ohne Öffnungsmöglichkeit, sodass Gegenstände wie z. B. pyrotechnische Mittel darunter leicht zu verbergen waren. Wirkungsvolle visuelle Vorkontrollen, die nach Angaben des Beklagten geplant waren, ließen sich nicht durchführen. Eine Durchsuchung und ein individuelles Abtasten der einzelnen Personen blieb zwar, wie die Klägerin geltend macht, möglich und wurde durch das Überziehen der Capes im Einzelfall nicht verhindert, sondern lediglich erschwert. Jedoch war es nahliegend, dass es wegen der nicht möglichen visuellen Vorbegutachtung und der Erschwerung der einzelnen Durchsuchungen zu erheblichen Verzögerungen kommen würde und möglicherweise nicht alle Personen würden überprüft werden können. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Einsatz von Pyrotechnik, der ins Stadion mitgeführt werden musste, erwartet wurde, lag der Schluss auf die Absicht zumindest einiger Fans, die Durchsuchung im Einzelfall zu verhindern, nahe.

Es liegt auch kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot vor. Eine behördliche Information darf auch bei zutreffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzend formuliert sein und muss mit angemessener Zurückhaltung erfolgen,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 -, juris Rn 61.

Der Tweet enthält weder unsachliche Bestandteile oder Formulierungen, die die Fans diffamieren oder verächtlich machen sollen, noch suggestive Formulierungen, die darauf gerichtet sind, die Bürger hinsichtlich der Fans negativ zu beeinflussen. Bei objektiver Betrachtung kann das Wort „einige“ in diesem Zusammenhang nur die Bedeutung haben, dass von den auf dem Foto abgelichteten Personen nicht alle, sondern nur einige die genannte Absicht hatten. Gerade das Abstellen auf lediglich „einige Fans“ entspricht somit auch der gebotenen zurückhaltenden Formulierung.“

U-Haft II: Wenn Polizei/StA/Gerichte viel zu tun habe, oder: U-Haft darf deswegen nicht länger dauern

© Elena Schweitzer – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt vom KG. Sie ist schon etwas älter, passt aber ganz gut zur Diskussion um die Überlastung der Gerichte. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 15.01.2018 – (4) 161 HEs 62/17. Ergangen ist er im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO. Das KG hat den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben. Es verneint die „besondere Schwierigkeit“ der Ermittlungen und verneint dann auch einen „sonstigen wichtigen Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft“:

Dazu führt es u.a. zur Überlastung von Ermittlungsbehörden und Gerichten aus:

aa) Ein solcher Grund ist nur dann gegeben, wenn das Verfahren durch Umstände verzögert worden ist, denen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte durch geeignete Maßnahmen nicht haben entgegen wirken können. Maßgeblich ist insoweit, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (vgl. Senat StV 2015, 45; Meyer-Goßner/Schmitta.O., Rn. 19, 21 m.w.Nachw.). Die in § 121 Abs. 1 StPO bestimmte Sechs-Monats-Frist stellt in diesem Zusammenhang lediglich eine Höchstgrenze dar. Aus der genannten Vorschrift kann nicht etwa der Schluss gezogen werden, dass ein Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots geführt werden müsse (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 18. August 2017 – [4] 161 HEs 33/17 [15/17] –, 9. August 2013 – [4] 141 HEs 44/13 [23/13] – und 13. August 2012 – [4] 141 HEs 63/12 [27/12] – m.w.Nachw.). Vielmehr verlangt der in Art. 2 Abs. 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz, dass die Strafverfolgungs-behörden und Strafgerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits andauert (vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2010 – [4] 1 HEs 7/10 [3-4/10] – m.w.Nachw.). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch eines Beschuldigten und dem öffentlichen Strafverfolgungs-interesse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann (vgl. Senat, Beschluss vom 9. August 2013 – [4] 141 HEs 44/13 [23/13] – m.w.Nachw.). Nicht entscheidend ist dabei, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß annimmt, sondern ob die Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit einen Umfang erreichen, der die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt (vgl. BVerfG StraFo 2009, 375; KG StraFo 2007, 26; Senat StraFo 2013, 506; Beschluss vom 4. Dezember 2009 – 4 Ws 123/09 –; jeweils m.w.Nachw.). Je nach Sachlage kann bereits eine vermeidbare Verfahrensverzögerung von wenigen Wochen mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar sein (vgl. BVerfG StV 2007, 644; OLG Naumburg StV 2007, 364; Senat StraFo 2013, 505; jeweils m.w.Nachw.), wobei zu beachten ist, dass das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung im Jugendstrafverfahren eine noch einmal gesteigerte Ausprägung findet (vgl. KG, Beschluss vom 19. März 2011 – [5] 1 HEs 24/01 [5/01] – [juris]; Senat StraFo 2013, 502; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – [4] 1 HEs 78/11 [60/11] – m.w.Nachw.).

bb) In Bezug auf eingetretene Verzögerungen kommt es nicht auf ein „Verschulden“ der bei den Ermittlungsbehörden oder Gerichten handelnden Amtswalter an, sondern allein darauf, ob die Verzögerungen der Sphäre des Staates zuzurechnen sind oder nicht (vgl. BVerfG StV 2006, 703). Die nicht nur kurzfristige, unvorhersehbare Belastung der mit Untersuchungshaftsachen befassten Spruchkörper infolge Häufung anhängiger Sachen oder unzureichender personeller Ausstattung, der nicht durch alle möglichen gerichtsorganisatorischen Mittel, notfalls unter Heranziehung von Zivilrichtern, begegnet worden ist, stellt grundsätzlich keinen wichtigen Grund dar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitta.O., Rn. 22 mit zahlr. Nachw.; zu überlastungsbedingten Verfahrensverzögerungen nochmals ausführlich: OLG Bremen, Beschluss vom 20. Mai 2016 – 1 HEs 2/16; 1 HEs 3/16 – [juris]; s. auch KG, Beschluss vom 3. Juni 2016 – [5] 141 HEs 41/16 [8/16] –; Senat StV 2017, 450).

 

Das BVerfG hat sich hierzu zuletzt (StV 2015, 39 = JR 2014, 488 mit zust. Anm. Schäfer) nochmals in aller Klarheit wie folgt geäußert: „Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>). (…) Kann dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht Rechnung getragen werden, weil der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nicht nachkommt, haben die mit der Haftprüfung betrauten Fachgerichte die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen, indem sie die Haftentscheidung aufheben; ansonsten verfehlen sie die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen (vgl. BVerfGK 6, 384 <397>)“.

Diese Grundsätze haben gleichermaßen für die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen zu gelten. Auch die – nicht nur kurzfristige, auf unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse zurückgehende – Überlastung der Ermittlungsbehörden infolge einer Häufung anhängiger Untersuchungshaftsachen und/oder unzureichender personeller Ausstattung kann nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO anerkannt werden. Deren Überlastung fällt, wie die eines Gerichts (vgl. BVerfG a.a.O.), in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Der Beschuldigte darf nicht länger als im o.g. Sinne verfahrensangemessen in Untersuchungshaft gehalten werden, nur weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht, (auch) die Ermittlungsbehörden personell und sachlich so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben bei der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten in angemessener Zeit nachkommen können, zu genügen.“

Und dann wird nichts „gesund gebetet“, sondern:

cc) Bei Anwendung der dargestellten Rechtsgrundsätze zeigt sich, dass die Sachbehandlung im Ermittlungsverfahren den einzuhaltenden Anforderungen an die besondere Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht genügt hat.

…….

dd) Die mit der späten Anklageerhebung verbundene Verfahrensverzögerung von zwei Monaten kann die nunmehr mit der Sache befasste Jugendkammer nicht mehr hinreichend ausgleichen.

Zwar genügt die Sachbehandlung im gerichtlichen Verfahren für sich genommen dem Gebot besonderer Verfahrensbeschleunigung. Die Prüfung der Anklageschrift ist schnell geschehen und das Zwischenverfahren umgehend eingeleitet worden. Mit Verfügung der Anklagezustellung am 8. Dezember 2017 ist eine – angesichts des Aktenumfangs und Verfahrensstoffs sicher nicht unangemessen lange – Frist zur Stellungnahme von (nur) zehn Tagen bestimmt worden, mit deren Ablauf frühestens in der 51. Kalenderwoche 2017 Eröffnungsreife eintreten konnte. Mit dem geplanten Beginn der Hauptverhandlung am 1. März 2018 hält sich die Kammer deutlich innerhalb der nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Wahrung des Beschleunigungsgebots in der Regel einzuhaltenden Frist von drei Monaten zwischen Eröffnungsreife und Beginn der Hauptverhandlung (vgl. BVerfG StV 2008, 421; Senat, Beschluss vom 5. August 2011 – [4] 1 HEs 39/11 [30-31/11] – jeweils m.w.Nachw.) und des von den Strafsenaten des Kammergerichts regelmäßig noch für hinnehmbar erachteten Zeitraums von vier Monaten zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung (vgl. etwa Senat StraFo 2010, 26 m.w.Nachw.). Auch die von der Kammer vorgesehene weitere Gestaltung der Hauptverhandlung erfüllt die Anforderungen an die in Haftsachen gebotene konzentrierte Durchführung der Hauptverhandlung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (zur Notwendigkeit einer genügenden Verhandlungsplanung und Verhandlungsdichte vgl. BVerfG StV 2008, 198, 199; Senat, Beschluss vom 17. September 2010 – 4 Ws 93/10 –, jeweils m.w.Nachw.).

Ein hinreichender Ausgleich der im Ermittlungsverfahren eingetretenen Verzögerung, der bei einem – unabhängig von der Auslastung der Kammer mit anderen beschleunigungsbedürftigen Haft- und Unterbringungssachen schon im Hinblick auf den umfangreichen Verfahrensstoff und die im Zwischen- und Hauptverfahren einzuhaltenden Fristen unrealistisch erscheinenden – Beginn der Hauptverhandlung vor Ende Januar 2018 hätte angenommen werden können, ist der Jugendkammer aber auch bei Ausschöpfung aller ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht möglich.