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Unterbringung II: Entlassung aus der Unterbringung, oder: Anhörung in Form der Videokonferenz zulässig?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Bremen, Beschl. v. 26.04.2022 – 1 Ws 32/22. Das OLG hat Stellung genommen zur Zulässigkeit der Anhörung eines Verurteilten im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 463e Abs. 1 Satz 3 StPO bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Der Verurteilte ist nach § 63 StGB untergebracht. Im Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige sah eine Vollzugsaussetzung zum derzeitigen Zeitpunkt als verfrüht an. Der Untergebrachte wurde daraufhin zunächst am 26.10.2021 durch die StVK  angehört; der Sachverständige, auf dessen Anhörung der Untergebrachte nicht verzichtet hatte, wurde zu dem Anhörungstermin per Videokonferenz hinzugeschaltet. Es wurde eine ergänzende schriftliche Stellungnahme eingeholt. Am 14.02.2022 wurde der Untergebrachte per Videokonferenz unter Teilnahme seiner Verfahrensbevollmächtigten und des Sachverständigen erneut angehört. Nach dem Protokollvermerk zur Anhörung erklärten sich alle Beteiligten mit deren Durchführung im Wege der Videokonferenz einverstanden. Die Entlassung wurde dann abgelehnt.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Untergebrachten, die Erfolg hatte:

„Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.02.2022 hat die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen als Große Strafvollstreckungskammer im Rahmen der nach § 67e Abs. 1 und 2 StGB gebotenen periodischen Überprüfung während der Vollstreckung einer Unterbringung deren Fortdauer angeordnet und damit zugleich eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 S. 1 StGB wie auch deren Erledigterklärung nach § 67d Abs. 6 S. 1 StGB abgelehnt. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts war aufzuheben, da die Entscheidung der Großen Strafvollstreckungskammer an dem Verfahrensfehler einer nicht ordnungsgemäß erfolgten mündlichen Anhörung des Betroffenen leidet, da die mündliche Anhörung nicht in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten durchgeführt wurde, sondern im Wege einer Videokonferenz. Dies ist nach der seit dem 01.07.2021 geltenden Neuregelung des § 463e StPO im Fall der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen und auch nicht bei Vorliegen einer Zustimmung des Untergebrachten zulässig (siehe unter 2.) und es ist vorliegend kein Grund ersichtlich, wonach ausnahmsweise von der demnach erforderlichen Durchführung der mündlichen Anhörung in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten abgesehen werden durfte (siehe unter 3.).“

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung verweise ich dann auf den verlinkten Volltext. Hier nur noch die Leitsätze der Entscheidung:

    1. In Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO seit dem 1. Juli 2021 die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz grundsätzlich ausgeschlossen.
    2. Der Ausschluss der Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz nach § 463e Abs. 1 S. 3 StPO gilt auch dann, wenn der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.
    3. Die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz kann ungeachtet des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO auch in den dort geregelten Fällen im Interesse bestmöglicher Sachaufklärung ausnahmsweise dann zulässig bleiben, wenn eine Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten nicht erfolgen kann, stattdessen aber zumindest eine Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik möglich ist. Eine solche Ausnahme kann aber nicht bereits mit Erwägungen des Infektionsschutzes in Pandemiezeiten, mit der Vermeidung von Flucht- und sonstigen Sicherheitsrisiken für den Fall einer persönlichen Anhörung oder mit dem Ziel einer effizienteren Verfahrensgestaltung begründet werden.
    4. Die Neuregelung des § 463e StPO ändert nichts daran, dass weiterhin in Ausnahmefällen auch bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik eine Anhörung durch den beauftragten Richter zulässig sein kann.

StPO I: Sachverständigenvernehmung erforderlich?, oder: Entscheidung über Unterbringung

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Heute dann mal ein wenig StPO mit zwei BGH-Entscheidungen und einem Beschluss des KG.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 23.03.2022 – 6 StR 63/22. Der Angeklagte ist wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe verurteilt worden. Dagegen die Revision mit der u.a. ein Verstoß gegen § 246a StPO geltend gemacht worden ist. Die Jugendkammer hatte von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) abgesehen, weil sie sich vom Nichtvorliegen eines Hangs im Sinne der Vorschrift überzeugt hat. Dafür spreche vor allem, dass der nicht einschlägig bestrafte und im Zuge des Verfahrens nicht inhaftierte Angeklagte nach seinen eigenen Angaben seinen vorherigen, teils erheblichen Konsum selbstständig eingestellt und diesen Zustand „über den mittlerweile gegebenen Zeitraum eines halben Jahres“ aufrechterhalten habe. Einen Sachverständigen hat die Jugendkammer nicht hinzugezogen.

Dazu der BGH:

„2. Die Revision beanstandet dies im Wege einer Verfahrensrüge im Ergebnis mit Recht.

a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Zwar weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass der Beschwerdeführer die Vortragserfordernisse (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) für die von ihm erhobene Beweisantrags- bzw. Aufklärungsrüge in mehrfacher Hinsicht verfehlt hat. Jedoch ist seinem Vorbringen eindeutig zu entnehmen, dass er die Nichtvernehmung eines Sachverständigen zu den medizinischen Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angreifen will. Die Rügen sind deshalb als Beanstandung einer Verletzung des in § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO enthaltenen Gebotes zu verstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 352 Rn. 5 mwN). Insoweit hat der Beschwerdeführer die erforderlichen Tatsachen mitgeteilt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 – 2 StR 255/13, NStZ 2013, 670). Dass er die einschlägige Vorschrift nicht benannt hat, ist unschädlich (vgl. § 352 Abs. 2 StPO).

b) Die Rüge ist auch begründet.

aa) Allerdings vertritt der Senat über die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinaus (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463) die Auffassung, dass das Tatgericht von einer Begutachtung auch dann absehen darf, wenn es eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung zieht, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen auf der Hand liegt (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 25, 16/1344, S. 17). Dies gilt nicht nur für Fälle offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht (dazu BT-Drucks. 16/1110, 16/1344, jeweils aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 246a Rn. 3; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 108; KK-StPO, Krehl, 8. Aufl., § 246a Rn. 2; aM BT-Drucks. 16/5137, S. 11; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 246a Rn. 8; Schneider, NStZ 2008, 68, 70; offengelassen von BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, aaO), sondern auch für Konstellationen evident fehlenden Hangs. Verschafft sich das Tatgericht etwa die sichere Überzeugung, dass der Angeklagte unter dem Eindruck des Strafverfahrens den Drogenkonsum vollständig eingestellt hat und nach längerem Zeitablauf im maßgebenden Zeitpunkt des Urteils (MüKo-StGB/van Gemmeren, aaO, § 64 Rn. 76 mwN) weiterhin abstinent lebt (einschränkend für Abstinenzphasen während Haftzeiten BGH, Beschluss vom 22. September 2021 – 1 StR 131/21 Rn. 19), so bedarf es keiner Hilfe durch einen Sachverständigen mehr. Wortlaut und Wortsinn der Vorschrift lassen diese Auslegung ohne Weiteres zu (insoweit auch LR-StPO/Becker, aaO). Sie entspricht dem legitimen Anliegen, überflüssige Begutachtungen durch forensisch erfahrene Sachverständige zu vermeiden (vgl. MüKo-StGB/van Gemmeren, aaO, § 64 Rn. 108). Die gegenteiligen Ausführungen im Bericht des federführenden Bundestagsausschusses (vgl. BT-Drucks. 16/5137, S. 11), die dazu führen, dass der Regelung des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO kaum noch ein sinnvoller Anwendungsbereich verbleibt (vgl. LR-StPO/Becker, aaO), finden in der maßgebenden Gesetzesfassung keinen Niederschlag.

bb) Die Entscheidung des Landgerichts, von der Vernehmung eines Sachverständigen abzusehen, hält gleichwohl rechtlicher Überprüfung nicht stand. …..“

Vollzug II: Gutachten zur Unterbringungsaussetzung, oder: Postlaufzeit

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Die zweite Entscheidung zum Vollzug betrifft den Maßregelvollzug, und zwar eine sofortige Beschwerde gegen die Aussetzung der Unterbringung. Auch hier nur die Leitsätze. Das OLG Celle nimmt im OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2021 – 2 Ws 194/21 – zu zwei Fragen Stellung, und zwar:

Zunächste geht es um eine Wiedereinsetzungproblematik, da die sofortige Beschwerde des Untergebrachten verspätet war. Dazu das OLG:

Ein Beschwerdeführer darf darauf vertrauen, dass sein Beschwerdeschreiben innerhalb der üblichen Postlaufzeit – das heißt am Werktag nach der rechtzeitigen Einlieferung bei der Post – beim Empfänger eingeht; die rechtzeitige Einlieferung ist nachgewiesen, wenn der Brief am Tag vor Fristablauf im Briefzentrum gestempelt wurde.

Und: Die sofortige Beschwerde hatte dann auch Erfolg, denn:

Das gemäß § 463 Abs. 4 StPO zur Prüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einzuholende Gutachten ist regelmäßig von einem Arzt für Psychiatrie zu erstellen, wenn bei dem Betroffenen eine paranoide Schizophrenie vorliegt.

StPO I: Die vereinbarte/abgesprochene Unterbringung, oder: Die Unterbringung kann man nicht „vereinbaren“

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So, dann noch einmal in diesem Jahr StPO-Entscheidungen.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 03.12.2020 – 4 StR 541/19 – zum zulässigen Inhalt einer Verständigung (§ 257c StPO). Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat das LG die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und auch insoweit die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Zur Begründung der erhobenen Verfahrensrüge bezieht sich der Angeklagte auf folgendes Verfahrensgeschehen:

„Am ersten Hauptverhandlungstag kam es auf Initiative des Verteidigers zu einem Rechtsgespräch, bei dem das Landgericht nach kammerinterner Beratung für den Fall eines Geständnisses der Angeklagten folgenden Vorschlag unterbreitete: „Sollte sich die Angeklagte zu einem Adhäsionsvergleich mit der Geschädigten über einen Betrag von 4.000,00 Euro bereit erklären, sowie einer stationären Therapie mit engen Auflagen über Beginn, Andauern, Medikation und Beendigung der Therapie nur aufgrund ärztlicher Entscheidung, könnte unter Anordnung einer Bewährungszeit und einer Zeit der Führungsaufsicht über jeweils 4 Jahre sich das Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe bis maximal 2 Jahre mit Strafaussetzung zur Bewährung sowie Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB, eine Aussetzung auf [richtig wohl: auch] letzterer Maßregel zur Bewährung, vorstellen. Weitere Geldauflagen kämen bei einer derartigen Gesamtwürdigung nicht in Betracht.“ Die Angeklagte lehnte den Vorschlag zunächst ab, stimmte in der Folge dann einer stationären Therapie und dem Verständigungsvorschlag zu; auch der Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärten ihre Zustimmung.“

Der BGH hebt auf:

„b) Die zulässig erhobene Rüge ist begründet. Die Verständigung verstößt gegen § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO, weil die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus zum Gegenstand der Verständigung gemacht worden ist.

Nach § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO dürfen der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht Gegenstand einer Verständigung sein. Über die bisherige Rechtsprechung hinaus hat der Gesetzgeber nicht nur die Sicherungsverwahrung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 – 4 StR 325/04, NStZ-RR 2005, 39; Beschluss vom 18. Juni 2008 – 1 StR 204/08, NStZ 2008, 620), sondern sämtliche Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne von § 61 StGB aus den vereinbarungsfähigen Rechtsfolgen herausgenommen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 257c Rn. 9; Jahn/Kudlich in: MüKo-StPO, 1. Aufl., § 257c Rn. 114).

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus war vorliegend Inhalt der Verständigung. Der Wortlaut des der Verfahrensabsprache zugrundeliegenden gerichtlichen Vorschlags lässt insoweit keine Zweifel aufkommen. So hat sich das Landgericht selbst auf die „Gesamtwürdigung“ seines Vorschlags berufen und damit unmissverständlich einen Bezug zwischen den von der Angeklagten erwarteten Prozesshandlungen – dem Abschluss eines Vergleichs im Rahmen des Adhäsionsverfahrens und ihrer Zustimmung zu einer Therapieauflage – einerseits und den im einzelnen dargestellten Rechtsfolgen in ihrer Gesamtheit – also einschließlich einer Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB – andererseits hergestellt. Angesichts dieser in dem gerichtlichen Vorschlag eindeutig hergestellten Verknüpfung besteht kein Raum für die Annahme, dass das Landgericht hinsichtlich der Maßregelanordnung lediglich eine vom Prozessverhalten der Angeklagten unabhängige vorläufige Bewertung der Rechtsfolgen abgeben oder – wie der Generalbundesanwalt meint – eine bloße Information über die Rechtsfolgenerwartung erteilen wollte. Vielmehr wurde die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch ihre Zustimmung zu dem unterbreiteten Vorschlag und ihr nachfolgendes verständigungsbasiertes Verhalten bedingt. Dies ergibt sich auch aus einem Vermerk im Protokoll über den zweiten Hauptverhandlungstag. Danach wurden in dem Verständigungsgespräch sowohl die Dauer der Bewährungszeit als auch diejenige der (bei Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kraft Gesetzes eintretenden) Führungsaufsicht „in Aussicht genommen“. Nachdem sich insoweit aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen eine Änderung ergeben hatte, erklärten sich der Verteidiger, die Angeklagte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft „hiermit einverstanden und äußerten, an der Verständigung festzuhalten“.

Da schon die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einen unzulässigen Verständigungsinhalt darstellt, kann der Senat offenlassen, ob das Verbot des § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO auch für Folgeentscheidungen – wie hier die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung gemäß § 67b StGB – gilt (vgl. zum Streitstand Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 257c Rn. 9 mwN).“

Tja, steht nun mal so im Gesetz.

Verkehrsrecht III: Durchtrennen der Bremsschläuche, oder: Zwar „Beinaheunfall“, aber keine Unterbringung

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Und zum Abschluss des heutigen Tages dann noch eine BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 06.11.2018 – 4 StR 195/18, der zumindest auch mit Verkehrsrecht zu tun hat. Zumindest hat der Beschluss einen „verkehrsrechtlichen Einschlag“. Es geht nämlich vornehmlich nicht um die verkehrsrechtliche Problematik betreffend § 315b StGB, sondern in erster Linie um die Frage der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB.

Das LG hatte u.a. folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„2. Zur Anlasstat hat das Landgericht das Folgende festgestellt:

Am Abend des 20. November 2015 fühlte sich der Angeklagte einsam und verlassen. In seinem psychotischen Erleben machte er dafür die Geschädigten verantwortlich. Von „imperativen Stimmen überwältigt“ glaubte er, „ein Zeichen setzen“ zu müssen. Um dies zu erreichen, durchtrennte er in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem auf der Straße abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter mit einem mitgebrachten Seitenschneider auf beiden Seiten die Bremsschläuche. Dabei war ihm die naheliegende Gefahr bewusst, dass es bei der nächsten Benutzung des Pkw im Straßenverkehr zu einem Verkehrsunfall kommen könnte, falls es nicht gelänge, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Dem Angeklagten war auch klar, dass die Geschädigten hierbei verletzt werden könnten. Dies nahm er „zumindest billigend in Kauf“. Zu einer Steuerung seines Verhaltens war er in diesem Moment krankheitsbedingt nicht in der Lage.

Am Abend des 21. November 2015 traten die Mutter des Angeklagten und deren Lebensgefährte eine Fahrt mit dem Pkw an. Der Geschädigte startete das Fahrzeug und fuhr in eine „leicht abschüssige Straße“ ein. Als er vor der Einmündung zu einer zu diesem Zeitpunkt viel befahrenen bevorrechtigten Hauptstraße bremsen wollte, stellte er fest, dass die Bremsen nicht reagierten. In dieser „konkret bedrohlichen Situation“ zog er die Handbremse an und konnte so das sich bei dieser „Notbremsung“ quer zur Fahrbahn stellende Fahrzeug kurz vor der Hauptstraße anhalten. Dadurch wurde ein Unfall mit dem dortigen fließenden Verkehr gerade noch vermieden.“

Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen – und zwar wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 20 StGB -, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aber abgelehnt. Dagegen die Revision der StA/des GBA, die keinen Erfolg hatte. Dazu der BGH:

„Die gegen das gesamte Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sowohl der Freispruch als auch die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem angehörten Sachverständigen rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen ist und deshalb freizusprechen war. Einwände hiergegen hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Strafkammer auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB nicht vorliegen. Zwar hat der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Bremsschläuche und dem dadurch verursachten „Beinahe-Unfall“ (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begangen, deren Strafbarkeit – anders als die von der Strafkammer zugleich angenommenen versuchten Körperverletzungen (§ 223 Abs. 2 StGB), bei denen es schon an den Verfolgungsvoraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB fehlt – allein an der festgestellten Schuldunfähigkeit scheitert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.), doch kann ihm eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden.

a) Eine Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei muss es sich um Taten handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht…..“