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Gesetze II: Was der Gesetzgeber geschafft hat, oder: Neuregelung der Unterbringung in der Entziehung

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und im zweiten Posting dann auch etwas zu neuen Gesetzen, aber nicht zu Gesetzesvorhaben, sondern zu gesetzlichen Neuregelungen, die die „Ampel“ geschafft hat.

Und zwar: Am 02.08.2023 ist das „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ (BGBl. 2023 I Nr. 203) in Kraft getreten. Das Gesetz bringt zahlreiche Neuregelungen. Kurz gefasst (vor allem):

  • Die in § 64 StGB geregelten Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sind mehrfacher Hinsicht verschärft worden.
  • Überdies ist die in § 67 Abs. 5 Satz 1 a.F. noch gegebene Möglichkeit, im Falle eines erfolgreichen Therapieabschlusses bereits nach Verbüßung der Hälfte der ausgeurteilten Strafe eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung zu erhalten, massiv eingeschränkt bzw. für die allermeisten Verurteilten praktisch abgeschafft worden.

Das Gesetz tritt am 01.10.2023 in Kraft. Bis dahin ist ja noch ein wenig Zeit. Aber: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Und daher hatten wir bereits in der aktuellen Ausgabe des StRR einen Beitrag eines meiner Coautoren aus den Handbüchern Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung RiLG T. Hillenbrand aus Stuttgart mit dem Titel:

Die Neuregelung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Kollege Hillenbrand stellt in dem Beitrag – sicherlich der erste zu der Thematik – die Neuregelungen vor. Und als besonderen Service das ZAP-Verlages, von StRR und vom BOB ist der Volltext hier verlinkt.

Viel Spaß 🙂 beim Lesen.

Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in die Entziehungsanstalt?

FragezeichenDas LG verurteilt den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen und ordnet seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. Eine „Begehung im Rausch“ stellt das LG nicht fest, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Tatzeitraum, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte. Der BGH, Beschl. v. 28. 8.2013 – 4 StR 277/13 verneint auf der Grundlage einen „Hang“ i.S. des § 64 StGB und hebt auf:

Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.

Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil „bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten“ (UA S. 18) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur „Enthemmung“ BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem Konsum von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte...“

Für den Angeklagten war es dann endgültig vorbei, denn:

„2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).“

BGH watscht Strafkammer und Sachverständigen ab: Rechtsprechung aus 1994 sollte man kennen

Im BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 2 StR 442/12 findet der BGH mehr als deutliche Wort zu einem Urteil des LG Frankfurt/Main. Das hatte den Angeklagten wegen Mordes verurteilt und seine Unterbringung  in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Und zu letzterem findet der BGH eben mehr als deutliche Worte, man könnte auch sagen: Ihm springt der Draht aus der Mütze“ oder: Er watscht die Strafkammer ab. Und der Sachverständige bekommt auch gleich noch einen mit. So geht es:

Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat zur Prognose im Sinne von § 64 StGB ausgeführt, die Behandlung sei „nicht völlig aussichtslos“, auch der Sachverständige Dr. B. habe darauf hingewiesen, „dass von einer Aussichtslosigkeit nicht gesprochen werden könne“.

Das ist rechtsfehlerhaft. Bereits im Jahr 1994 hat das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung des § 64 Abs. 1 aF StGB für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 91, 1). In einer großen Vielzahl von Entscheidungen haben danach alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs immer wieder Urteile aufgehoben, die auf einer Anwendung des verfassungswidrigen Kriteriums der „Aussichtslosigkeit“ beruhten. Bei der ab 20. Juli 2007 geltenden Neufassung des § 64 StGB hat der Gesetzgeber auch den Wortlaut des § 64 Satz 2 StGB angepasst und klargestellt, dass es einer „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ bedarf; dies ist mit dem Fehlen von „Aussichtslosigkeit“ ersichtlich nicht gleichbedeutend. Wenn Tatgerichte beinahe 20 Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und mehr als fünf Jahre nach der Gesetzesänderung immer noch auf das vom Bundesgerichtshof vielfach bemängelte verfassungswidrige Kriterium abstellen, mag das auch darauf be-ruhen, dass fehlerhafte, ihrerseits uninformierte Sachverständigengutachten kritiklos übernommen werden. Dies zeigt zunächst – jedenfalls hier – eine die Sachkunde in Frage stellende Unkenntnis des Sachverständigen von den nor-mativen Grundlagen seines Gutachtensauftrags. Verantwortlich ist aber in je-dem Fall das Gericht, das den Sachverständigen anzuleiten und Fehler seines Gutachtens kritisch zu hinterfragen hat.

Vorliegend lässt sich auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass das Landgericht inhaltlich den richtigen Prognosemaßstab angewendet hat. Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden.“

Wie verärgert der BGH ist, kann man m.E. daran erkennen, dass er Belege/andere Entscheidungen erst gar nicht mehr anführt, sondern nur auf eine „große Vielzahl von Entscheidungen“ verweist. So nach dem Motto: Das sollte man wissen….

Ich will in die Unterbringung…

Liest man ja auch nicht so häufig, dass Revision nur eingelegt wird, weil die Unterbringung des Angeklagten in der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht angeordnet worden ist; verstehen kann man es grds., wenn die Unterbringung dem Knast vorgezogen wird. So aber z.B. im BGH, Beschl. v. 29.08.2011 – 5 StR 329/11, vgl. auch noch hier. Dazu, dass das nicht geht, führt der BGH aus:

Das Rechtsmittel ist bereits mangels Beschwer des Angeklagten unzulässig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Angeklagter ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten kann, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f., und vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 7; Beschlüsse vom 13. Juni 1991 – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 7, und vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 459/10, NStZ-RR 2011, 255). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Revisionsschrift entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts neben der ausdrücklich und insoweit aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht ordnungsgemäß nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge auch die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts entnommen werden könnte.“