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Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Viermal topp, zweimal hopp

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Im zweiten Posting dann der Dauerbrenner im Recht der Pflichtverteidigung, nämlich die Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers nach Erledigung des Verfahrens. Wie immer zwei Gruppen, „gute“ und „schlechte“ Entscheidungen:

Zunächst hier die „guten“ Entscheidungen, und zwar.

1. Eine nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann ausnahmsweise zulässig sein, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. Insofern sieht das geltende Recht zur effektiven Ausgestaltung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand vor, dass ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen ist. Um eine Untergrabung dieses Rechts zu verhindern, kann dem Beschuldigten bei Missachtung dieser Abläufe – der ansonsten richtige – Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegengehalten werden, wenn das konkrete Verteidigungsbedürfnis nach dieser angemessenen Entscheidungszeit wegfällt. Es ist in solchen Fällen dann regelmäßig auf die Begründetheit des Antrags vor Wegfall – etwa durch Verfahrenseinstellung – abzustellen.
2. Eine Pflichtverteidigerbestellung hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte selbst nicht hinreichend verteidigen kann. Zwar genügt die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Die Verteidigungsfähigkeit bemisst sich nach den geistigen Fähigkeiten, dem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Einzelfalles. Eine Beiordnung ist indes bereits regelmäßig angezeigt, wenn an der Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten erhebliche Zweifel bestehen.

Rückwirkende Pflichtverteidigerbestellungen sind im Falle rechtzeitig gestellter Beiordnungsanträge auch noch nach Erledigung des Verfahrens – schon zur Verwirklichung des Rechts auf ein faires Verfahren – geboten.

Zur (bejahten) Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers.

Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist dann angebracht, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde. die Voraussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Und dann hier die „schlechten“ Entscheidungen, nämlich:

Die rückwirkende Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist nicht zulässig.

Pflichti I: Etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: U-Haft im Ausland, Höhe der Strafe, Strafvollstreckung

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Heute stelle ich dann Pflichtverteidigungsentscheidungen vor. Es haben sich wieder einige angesammelt. Herzlichen Dank allen Kollegen für die Einsendung.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zu Beiordnungsgründen. Hier sind die Leitsätze zu:

1. Zur Anwendung des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO, wenn zwar gegen den Beschuldigten im Ausland Untersuchungshaft vollstreckt worden ist, dem Beschuldigten aber bei einer Auslieferung nach Deutschland wegen des Spezialitätsgrundsatzes keine Untersuchungshaft droht.
2. Daher gilt, nicht schon jede zu erwartende Freiheitsstrafe, sondern erst eine Straferwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe, sollte in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers geben
3. Zur verneinten Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage.

    1. Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.
    2. Die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist im Vollstreckungsverfahren nicht anwendbar; insofern richtet sich die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO analog.

Verteidiger beauftragt Dolmetscher mit Übersetzung, oder: Wer ist für die Bezahlung zuständig?

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In der zweiten Entscheidung geht es es dann um Auslagen des Verteidigers, und zwar um Auslagen für Dolmetscherleistungen. Die dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.02.2023 – 20 KLs 358 Js 11338/21– zugrunde liegende Konstellation ist in der Praxis gar nicht so selten, und zwar:

Das AG hat gegen den Angeklagten einen nationalen Haftbefehl sowie einen Europäischen Haftbefehl erlassen. Der Beschuldigte wurde dann im Ausland festgenommen und in der Folge ins Inland überstellt. Im Verfahren hat das AG festgestellt, „dass d. Beschuldigte nach Maßgabe des § 187 Absatz 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte Strafverfahren, insbesondere für Gespräche und Schriftverkehr mit der Verteidigung sowie für die Überwachung der Besuche durch die Strafverfolgungsbehörden, die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers auf Kosten der Staatskasse beanspruchen kann (§ 114b Absatz 2 Satz 3 StPO; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.10.2003, Aktenzeichen: 2 BvR 2118/01).“

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage zum LG erhoben. Das LG hat dann den Angeklagten mit Urteil vom 10.02.2023 wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Im Verlauf des Verfahrens beauftragte der Wahlverteidiger eine Dolmetscherin mehrfach als Dolmetscherin sowie Übersetzerin. Diese hat ihre Rechnungen zur Begleichung an die StA adressiert. Die StA erachtet sich als nicht zuständig. Die Kostenbeamtin beim Ermittlungsrichter hat geltend gemacht, dass eine dortige Zuständigkeit nur insoweit vorliege, als vom Ermittlungsrichter selbst die Beauftragung erfolgt sei, im Übrigen vor Anklageerhebung die StA, nach Anklageerhebung das zuständige Gericht der Hauptsache zur Entscheidung berufen sei. Das LG hat auf Vorlage der Akten festgestellt, dass es zur Entscheidung über die Kostenerstattung nicht zuständig sei:

„II. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist für die Entscheidung über die geltend gemachten Anweisungen zur etwaigen Kostenerstattung unmittelbar an die Dolmetscherin/Übersetzerin nicht zuständig.

1. Eine Auftragserteilung oder Beiordnung durch die Strafkammer lag zu keinem Zeitpunkt vor. Bereits das reicht hin, um die seitens der Staatsanwaltschaft an das Landgericht Nürnberg-Fürth herangetragene Entscheidungszuständigkeit zu verneinen.

2. Ergänzend weist die Kammer angesichts der vorhandenen Unklarheiten im Geschäftsgang auf Folgendes hin:

a) Die Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sind unzutreffend adressiert, da von dort aus keine Beauftragung ihrer Person stattgefunden hat.

Die Dolmetscherin/Übersetzerin muss sich an Rechtsanwalt A als ihren Auftraggeber halten. Dieser müsste sodann – strafprozessual erforderliche – Translationsleistungen als zu erstattende Aufwendungen gegen die Staatskasse geltend machen.

Es gibt letztlich mehrere Wege, wie ein Dolmetscher/Übersetzer im Strafverfahren hinzugezogen werden kann. Hiervon hängt wiederum der zu beachtende Zahlungsweg ab.

aa) Einerseits kann die Heranziehung/Beiordnung durch das zuständige Gericht erfolgen, § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG. In diesem Falle ist der Dolmetscher/Übersetzer unmittelbar durch das Gericht beauftragt, sodass sich der Zahlungsanspruch gegen das beauftragende Gericht richtet. Eine solche Beiordnung kann von Amts wegen sowie auf Antrag des Beschuldigten respektive seines Verteidigers erfolgen.

Ein vorgeschaltetes Antragsverfahren ist dabei nicht obligatorisch (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2004, 50 (51); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23), jedoch zulässig (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 3). § 187 Abs. 1 GVG gewährt einen expliziten Anspruch des Beschuldigten auf staatsseitige Bestellung eines Dolmetschers/Übersetzers und nicht bloß auf Erstattung von für entsprechende Leistungen aufgewandte eigene Kosten (OLG Celle 09.03.2011 – 1 Ws 102/11, NStZ 2011, 718; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23). Auf diese „Beanspruchung“ zielt § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG ab (KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 187 Rn. 2), nicht hingegen auf eine voraussetzungslose Kostenerstattung für eigene Aufträge. Es handelt sich um einen informierenden Hinweis auf die geltende Rechtslage (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 11). Soll demgemäß seitens der Verteidigung ein unmittelbarer Anspruch des Dolmetschers/Übersetzers gegen die Staatskasse konstruiert werden, ist ein entsprechender vorheriger Antrag mit anschließender gerichtlicher Heranziehung/Bewilligung/Beiordnung zwingend.

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Verfahrensstadium. Im Ermittlungsverfahren ist der Ermittlungsrichter zuständig (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 5), nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht. Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft wird sich nur insoweit ergeben, als ihr originär zugeordnete oder im Wege der Haftüberwachung vom Gericht nach § 119 Abs. 2 Satz 2 StPO übertragene Aufgaben betroffen sind.

Auch insofern kann und ist die Beiordnung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr zu beschränken, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich sind (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl. 2022, § 187 GVG Rn. 1). Denn § 187 GVG begründet nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und seiner Entstehungsgeschichte keinen generellen Übersetzungsanspruch (BGH 18.02.2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283 = NJW 2020, 2041 (2042) Rn. 10).

Der pauschal formulierte Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] stellt ersichtlich keine konkrete Beauftragung dar; er ist auch nicht als generelle, anlasslose Beiordnung misszuverstehen. Eine solche Beiordnung wäre überdies möglichst konkret vorzunehmen (BeckOK-GVG/Allgayer, 17. Ed. 2022, § 187 Rn. 5; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 15) und hätte die soeben bezeichnete, gebotene Beschränkung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte erforderlich sind, zu enthalten (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor).

Der Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] erweist sich vielmehr als standardisierter Hinweis nach § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG. Eine Auftragsbeziehung zur Dolmetscherin/Übersetzerin sollte zu keinem Zeitpunkt begründet werden, sonst hätte der Ermittlungsrichter anders formuliert. Der ergänzende Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.10.2003 ist ebenfalls klarstellend im Hinblick auf die Besuchsüberwachung zu verstehen.

bb) Daneben kann der Dolmetscher/Übersetzer auch vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger selbst beauftragt werden, mit nachfolgender Auslagenerstattung, wobei dann die Gefahr besteht, dass bestimmte Teile der Translationskosten wegen Sachfremdheit nicht erstattet werden (OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719 (720); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 22 ff.; Kulhanek, Die Sprach- und Ortsfremdheit von Beschuldigten im Strafverfahren, 2019, S. 54).

Der Dolmetscher/Übersetzer erwirbt in diesen Fällen keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Staatskasse, sondern allein gegen seinen Auftraggeber, welcher sich sodann wiederum gegenüber der Staatskasse schadlos zu halten hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719; LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 134). Es handelt sich um erstattungsfähige Aufwendungen, § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG, die für den Fall ihrer Erforderlichkeit (§ 187 Abs. 1 Satz 1: „soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist“) unabhängig vom Verfahrensausgang von der Staatskasse zu tragen sind (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 24; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 140). Gleiches gilt für den Wahlverteidiger (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); OLG Brandenburg 27.07.2005 – 1 Ws 83/05, StV 2006, 28 (29); OLG Karlsruhe 09.09.2009 – 2 Ws 305/09, StraFo 2009, 527; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23 f.), wie sich gebühren- und auslagenrechtlich aus § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO ergibt (KMR-StPO/Bader, 103. EL 2021, § 464a Rn. 25). Es handelt sich um einen Auslagenerstattungsanspruch sui generis unabhängig von der Art der Verteidigung und der Frage einer Verurteilung.

Wann die Beiziehung insbesondere eines Übersetzers zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist, lässt das Gesetz als unbestimmten Rechtsterminus hingegen im Raum stehen. Das Ergebnis ist einer abstrakt-allgemeinen Kategorisierung nicht zugänglich, sondern abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wobei namentlich Art und Schwere des Tatvorwurfs sowie die Komplexität der zu prüfenden Beweisfragen zu berücksichtigen sind (LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 7; SSW-StPO/Rosenau, 5. Aufl. 2023, § 187 GVG Rn. 4).

Der Verteidiger kann, um diese Unsicherheit zu beseitigen und eine Bindungswirkung für das Feststellungsverfahren herbeizuführen, einen Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 RVG stellen (MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 27; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 136). Es handelt sich mithin um eine Absicherung der späteren Kostenerstattung. Es muss sich dabei um eine bestimmt bezeichnete Aufwendung handeln (OLG Hamm 15.11.2007 – 2 WF 239/07, BeckRS 2008, 1834 Rn. 6; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 46 RVG Rn. 37). Überdies gewährt § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG im Rahmen des Erforderlichen und Angemessenen einen Vorschussanspruch des Verteidigers gegenüber der Staatskasse (LG Neuruppin 15.03.2021 – 11 Ks 22/20, BeckRS 2021, 11895 Rn. 8).

Ein Antrag nach § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG bleibt ohnehin unberührt (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23).

b) Zuständig zur – abschlägigen – Bescheidung der Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin ist daher vorliegend die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth als in Anspruch genommene Rechnungsadressatin (vgl. auch LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602 Rn. 4). Da die Dolmetscherin/Übersetzerin in ihren Rechnungen ausdrücklich darauf hinweist, dass sie um Mitteilung bitte, sollte die Staatsanwaltschaft nicht die richtige Rechnungsadressatin sein, dürfte allerdings auch eine formlose Mitteilung genügen.

aa) Die vorgebrachte Rechtsansicht, wonach auch ohne zugrunde liegende justizielle Beauftragung/Beiordnung bis zur Anklageerhebung stets die Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung stets das mit der Sache befasste Gericht zuständig wäre, geht fehl. Für den – wie ausgeführt nicht gegebenen – Fall einer Beiordnung durch den Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren wäre überdies bis zur Anklageerhebung ebenfalls nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – zuständig. Die Zuständigkeit der Anweisung von Übersetzungskosten folgte insofern der beauftragenden Hinzuziehung.

bb) Die Dolmetscherin/Übersetzerin hat sich sodann an ihren Auftraggeber Rechtsanwalt A zu halten, welcher die Kosten zu verauslagen hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719). Dieser hat sodann im Wege der Auslagenerstattung die von ihm getragenen Dolmetscher-/Übersetzerkosten anzuführen und gegenüber der Staatskasse geltend zu machen, wobei ausdrücklich zu beachten ist, dass diese nur im Rahmen der Erforderlichkeit Erstattung finden dürfen. Dass die Dolmetscherin/Übersetzerin vom Verteidiger ermächtigt worden wäre, den ihm zustehenden Auslagenerstattungsanspruch selbst gegen die Staatskasse geltend zu machen (vgl. OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26), ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.“

Ein m.E. klarer und eindeutiger Weg, wie mit diesen Auslagen umzugehen ist und war wann zahlen muss.

Im Übrigen hat das LG auch noch zur Erforderlichkeit der geltend gemachten Leistungen Stellung genommen. Insoweit verweise ich auf dne verlinkten Volltext.

„Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Unschönes“ aus Ludwigshafen

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Als zweite Entscheidung dann der „unschöne“ – und falsche – AG Ludwigshafen, Beschl. v. 03.03.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22. Das AG hat zu der Frage Stellung genommen, welche Gebühren der nur für den „Hafttermin“ beigeordnete Pflichtverteidiger erhält. Das AG meint: Nur die Grundgebühr:

„Der Entscheidung zugrunde liegt folgender Sachverhalt:

Der mittlerweile verurteilte pp. wurde am 22.12.2021 vorläufig festgenommen und am 23.12.2021 dem Haftrichter des Amtsgerichts Mannheim vorgeführt, der Haftbefehl gegen den diesen erlassen hat. Laut Protokoll des Amtsgerichts Mannheim vom 23.12.2021 war Rechtsanwältin Pp1 „- als Vertreterin für RA pp2 anwesend. Der damals Beschuldigte erklärte im Termin laut Protokoll: „Ich möchte, dass mir RAin Pp1 nur für den Termin als Pflichtverteidigerin beigeordnet wird. RA pp2 soll mir für das gesamte Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet werden“. Sodann wurde folgender Be-schluss erlassen:

„1. Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 1 Nr.4 StPO i.V.m. § 142 StPO Rechtsanwältin pp1 ausschließlich für die Haftbefehlseröffnung als Pflichtverteidigerin bestellt.

2. Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 1 Nr.4 StPO i.V.m. § 142 StPO Rechtsanwalt pp2 als Pflichtverteidiger für das gesamte Verfahren bestellt.“

Seit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 ist die Vorführung des Beschuldigten nach §§ 115, 115a StPO zur Entscheidung über Haft ein Fall der notwendigen Verteidigung, mithin die Mitwirkung eines Verteidigers zwingend. Eine in diesem Rahmen erfolgende Beiordnung als Pflichtverteidiger ist grundsätzlich eine umfassende Beiordnung und nicht nur eine Beiordnung für den Termin, so dass regelmäßig auch davon auszugehen ist, dass die Grund- und Verfahrensgebühr mit der Beiordnung anfällt. Der Tatsache, dass entsprechende Vorführungen regelmäßig innerhalb kurzer Zeit nach vorläufiger Festnahme oder Ergreifung erfolgen müssen und der Betroffene damit nur kurze Zeit hat von seinem Wahlrecht Ge-brauch zu machen, trägt das Gesetz durch die Möglichkeit des Verteidigerwechsels nach § 143 a Abs.2 Nr.1 StPO Rechnung.

Im vorliegenden Verfahren hatte der Beschuldigte bereits im Vorfeld der Vorführung von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Gemäß der Beschuldigtenvernehmung des pp. vom 22.12.2021 (BI. 21 d.A.) hat dieser nach entsprechender Belehrung angegeben, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Hierauf wurde Rechtsanwalt pp2 in Kenntnis gesetzt, der auch vor Ort erschien. Vermerkt ist weiter, dass sich Rechtsanwalt da er zum Termin beim Haftrichter nicht anwesend sein könne, um Ersatz kümmern werde. Es ist insofern davon auszugehen, dass Rechtsanwältin Pp1 durch Rechtsanwalt pp.2  gebeten wurde, den Termin beim Haftrichter für ihn wahrzunehmen. Damit handelte es sich, wie auch im Protokoll vom 23.12.2021 vermerkt und mit dem erfolgten Beiordnungsbeschluss dokumentiert, um eine Terminsvertretung durch Rechtsanwältin Pp1.

Die kostenrechtliche Folge einer solchen Terminsvertretung ist umstritten. Teilweise wird von einem doppelten Anfall der Grund- und Verfahrensgebühr ausgegangen, teilweise wird dies abgelehnt. Soweit hinsichtlich der jeweiligen Ansichten sowohl von der Erinnerungsführerin als auch der Bezirksrevisorin Entscheidungen zitiert wurden, treffen diese jeweils nicht den konkret hier vorliegenden Fall. Zwar wird bei einem einvernehmlichen Pflichtverteidigerwechsel im laufenden Verfahren regelmäßig ein entsprechender Verzicht auf die Geltendmachung der entsprechenden Gebühren durch einen Verteidiger erwartet, um mehrfache Gebührenentstehungen zu vermeiden, vorliegend ist jedoch aufgrund der entsprechenden gesetzlichen Regelung zwingend eine Verteidigung im Termin notwendig und aufgrund des Erfordernisses einer zeitnah nach der Festnahme zu erfolgenden Vorführung vor den Haftrichter eine Teilnahme des gewünschten Verteidigers häufig nicht möglich. Aufgrund dieser zeitlichen Komponente weicht der Fall auch von Terminsvertretungen im Rahmen von Hauptverhandlungen ab, bei denen sowohl Gericht als auch Verteidigung in der Regel einen weit größeren Spielraum haben, Termine zu finden, die vom (Pflicht-)verteidiger wahrgenommen werden können und eine Vertretung damit nicht erforderlich machen. Erfolgt eine Terminsvertretung gleichwohl wegen Terminskollisionen des Verteidigers mag es in so gelagerten Fällen sachgerecht sein, dass sich dies gebührenrechtlich zu Lasten der Verteidiger auswirkt. Weshalb die vom Gesetzgeber durch die Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung getroffene Entscheidung zur Notwendigkeit der Verteidigung dagegen kostenrechtlich zu Lasten des die Verteidigung im Vorführungstermin übernehmenden Verteidigers oder des vom Betroffenen innerhalb der drei Wochenfrist gewählten Verteidigers erfolgen soll, ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht so, dass die Grundgebühr im Verfahren nur einmal anfallen kann, da diese personenbezogen (auf den Verteidiger) ist. Insoweit ist anzumerken, dass in der von der Bezirksrevisorin zum einverständliche Pflichtverteidigerwechsel angeführten Kommentierung (Anlage 6) wiederum nur Bezug genommen wird auf Entscheidungen, die vor der Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, insbesondere der Regelung des § 143 a Abs. 2 Nr. 1 StPO, ergangen sind.

Regelmäßig werden Grund- und Verfahrensgebühr zusammen treffen, allerdings haben beide einen eigenen Abgeltungsbereich. Die Grundgebühr entsteht grundsätzlich bei Übernahme des Mandats und erfasst eine erstmalige Einarbeitung u.a. auch das erste Gespräch mit dem Mandanten. Diese ist damit auch im vorliegenden Fall entstanden.

Die Verfahrensgebühr entsteht dagegen mit der ersten Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Auftrags, die Verteidigung im Ganzen zu übernehmen, erbringt. Eine solche Übernahme ist vorliegend jedoch gerade nicht erfolgt.“

Nun ja, ganz falsch ist der Beschluss nicht. Denn richtig ist zumindest, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird. Aber: Es entstehen auch in dem Fall alle Gebühren, also Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr. Und wenn man die Grundgebühr bejaht, muss man auch die Verfahrensgebühr bewilligen. Denn Grundgebühr und Verfahrensgebühr entstehen immer (!!) nebeneinander. Das war gerade der Sinn der Neuregelung an der Stelle vor einigen Jahren.

Pflichti III: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: Bestellung im Bußgeldverfahren

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Und dann zum Schluss noch zwei Entscheidungen zu den Beiordungsgründen. Beide Entscheidungen betreffen nicht das „normale“ Erkenntnisverfahren, sondern einmal das Bußgeldverfahren und einmal die Strafvollstreckung, und zwar:

Liegt bei dem Verurteilten eine leichte Intelligenzminderung vor und ist ein Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeit des Verurteilten erstattet, ist ihm im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Dem Betroffenen ist auch im Bußgeldverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls das erfordern. Das ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn bereits eine erste Verurteilung des Betroffenen ist auf seine Rechtsbeschwerde vom OLG hin aufgehoben worden ist und die durchzuführende Hauptverhandlung sich maßgeblich an den Ausführungen des OLG zu orientieren hat, wobei die insoweit gebotene Auseinandersetzung mit den optischen Fehlerquellen einer Messung namentlich unter Berücksichtigung der Sichtverhältnisse und die juristische Bewertung der Messmethode von einem juristischen Laien nicht erwartet werden kann.