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OWi II: Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs, oder: Beschränkung auf die Höhe der Geldbuße

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Die zweite Entscheidung, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.02.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 28/22 – behandelt eine verfahrensrechtliche Problematik, und zwar die Frage: Kann der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wirksam auf die Höhe der Geldbuße beschränkt werden? Das OLG meint, ja:

„1. Die vom Senat aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 15. November 2019 in der Hauptverhandlung vom 09. Juli 2020 wirksam auf die Höhe der Geldbuße beschränkt hat, so dass die tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldbescheids zum Schuldspruch sowie das weiterhin verhängte Fahrverbot von zwei Monaten unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG in Rechtskraft erwachsen sind.

a) Gemäß § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Die Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung setzt zusätzlich voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung im Übrigen erforderlich zu machen, und dass die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 09. Oktober 2018 – KRB 10/17 – m.w.N.).

Zwar ist von der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Beschränkung eines Einspruchs auf die Anordnung eines Fahrverbots wegen der Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße unwirksam ist. Eine Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe der Geldbuße wird indes für möglich erachtet, denn die der Beschränkung auf die Fahrverbotsanordnung entgegenstehende Wechselwirkung von Geldbuße und Fahrverbot ist bei einer Beschränkung auf die Höhe der Geldbuße gerade nicht gegeben, da eine Herabsetzung der Geldbuße keinen Grund darstellt, ein im Bußgeldbescheid zudem angeordnetes Regelfahrverbot zu verlängern, zu verkürzen oder wegfallen zu lassen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. Januar 2012 – III-2 RBs 141/11 –; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. November 2016 – IV-2 RBs 157/16 –; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, S. 457, § 19 Rn. 6; ders. in: DAR 2012, 218; Seitz in: Göhler, OWiG, 18. Aufl., 2021, § 67 Rn. 34g m.w.N.; van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 1. Aufl., § 67 OWiG (Stand: 28.08.2020), Rn. 42; Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., OWiG – Bezüge zum Straßenverkehrsrecht (Stand: 01.12.2021); Krenberger, jurisPR-VerkR 18/2012, jurisPR-VerkR 3/2017). Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat an.

b) Der Bußgeldbescheid entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG. Zwar sind ihm keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform zu entnehmen. Dies steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung indes nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass der Regelsatz des Bußgeldkatalogs verhängt worden ist, ist vielmehr zu folgern, dass dem Bußgeldbescheid die Annahme einer fahrlässigen Tatbegehung zugrunde liegt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; KG Berlin, Beschlüsse vom 26. August 2020 – 3 Ws (B) 163/20 –, vom 6. November 2019 – 3 Ws (B) 334/19 – und 6. März 2018 – 3 Ws (B) 73/18 –).

c) Mit zutreffenden Erwägungen ist der Bußgeldrichter von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe der Geldbuße ausgegangen, da diese weder widersprüchlich noch auslegungsbedürftig ist. Die Einspruchsbeschränkung wurde sowohl vom Betroffenen als auch von der Verteidigerin in der Hauptverhandlung erklärt und die entsprechende Protokollierung von beiden nach lautem Vorlesen bestätigt. Insbesondere spricht die Tatsache, dass der Betroffene ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 09. Juli 2020 vor der Einspruchsbeschränkung erklärt hat, er habe die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht wahrgenommen, nicht dafür, dass der Betroffene sich auch gegen das verhängte Fahrverbot wenden wollte, denn nicht jedes behauptete Augenblicksversagen führt zwangsläufig zu einem Wegfall des Fahrverbots. Eine derartige Einlassung kann nämlich auch dazu dienen, Einfluss auf die Höhe der Geldbuße zu nehmen, weshalb ein widersprüchliches Verhalten des Betroffenen insoweit nicht erkennbar ist. Dass der Betroffene im Zusammenhang mit der vorgenommenen Einspruchsbeschränkung Erklärungen abgegeben hat, aus denen erkennbar wäre, dass es dem Betroffenen nicht allein um die Reduzierung der im Bußgeldbescheid angeordneten Geldbuße geht, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 3 Ss OWi 1206/17 –).

Soweit sich in der Hauptverhandlung vom 27. September 2021 Verteidigungsvorbringen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung richtete, war dies nicht geeignet, die Wirksamkeit der zuvor erfolgten Beschränkung des Einspruchs in Zweifel zu ziehen, denn ein einmal wirksam erklärter Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 302 Rn. 9 m.w.N.). Nachträgliches Verteidigungsvorbringen in einer weiteren Hauptverhandlung gibt dem Gericht jedenfalls keinen Anlass, die Wirksamkeit einer zuvor als wirksam angesehenen Rechtsmittelbeschränkung einer erneuten Prüfung zu unterziehen.

Der Schuldspruch und die Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung und der Rechtsfolgenausspruch bzgl. des im Bußgeldbescheid verhängten Fahrverbots sind somit in Rechtskraft erwachsen.“

Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln.

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So, heute ist Freitag, also an sich Gebührentag. Aber heute gibt es ein Vorprogramm, nämlich ein Beschluss aus dem Bußgeldverfahren. Grund: M.E. ist der Beschluss von Bedeutung – ich bin gerade in dieser Woche zweimal nach der Problematik gefragt worden – und mein nächster OWi-Tag dauert. Daher jetzt außer der Reihe.

In dem AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, den ich hier jetzt vorstelle und auf den ich bei Beck-Online gestoßen bin, geht es um diese Frage, ob nämlich der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 67 OWiG nach dem 1.1.2022 per elektronischem Dokument eingelegt werden muss. Das ist in der Literatur umstritten und wird auch, wie ich inzwischen lesen durfte, von den Bußgeldbehörden unterschiedlich gesehen. M.E. muss er nicht, da der Wortlaut der Regelung des § 110c OWiG i.V.m. § 32d StPO eindeutig ist.

So auch das AG. Der Betroffene hatte in dem vom AG entschiedenen Fall gegen den am 04.01.2022 zugestellten Bußgeldbescheid am selben Tag Einspruch eingelegt. Diesen, per Telefax eingelegten, Einspruch hat die Verwaltungsbehörde mit Bescheid vom 18.01.2022 als unzulässig verworfen, da sie die Ansicht vertreten hat, diese Verfahrenshandlung bedürfe seit dem 01.01.2022 der Übermittlung per elektronischem Dokument. Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der Erfolg hatte:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache Erfolg.

Die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid per Telefax widerspricht nicht der gesetzlichen Form, insbesondere nicht der nach § 110 c S. 1 OWiG i.V.m. § 32 d S. 2 StPO vorgeschrieben Übermittlung per elektronischem Dokument.

Gem. § 32 d S. 2 StPO haben Verteidiger und Rechtsanwälte seit dem 01.01.2022 „die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage“ als elektronisches Dokument zu übermitteln. § 110 c S. 1 OWiG erklärt diese Vorschrift für das Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar.

Der Umfang der entsprechenden Anwendung ist – soweit ersichtlich – obergerichtlich noch nicht entschieden.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass sich die entsprechende Anwendung des § 32 d S. 2 StPO unter Berücksichtigung des § 110 a IV OWiG im Bußgeldverfahren auf den Einspruch und seine Begründung sowie die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung erstreckt (Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110 c Rn. 13, BeckOK StVR/Krenberger, 13. Ed. 15.10.2021, OWiG, § 110 c Rn. 13). Diese Auslegung entspräche auch der grundsätzlich vom Gesetzgeber intendierten strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs, die für solche schriftlichen Erklärungen bestehen soll, bei denen es – wie hier im Falle der Einspruchseinlegung – ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation, in der zudem die für eine elektronische Kommunikation erforderliche Infrastruktur fehlen kann, abzugeben sind (BT-Drs. 18/9416, 50 f.).

Dieser extensiven Auslegung des § 110 c S. 1 OWiG kann jedoch nicht gefolgt werden, da sie mit der Systematik und dem Wortlaut des § 32 d S. 2 StPO unvereinbar ist.

§ 32 d S. 2 StPO beinhaltet eine abschließende Aufzählung von zwingend formbedürftigen Verfahrenshandlungen, die den „Einspruch und die Einspruchsbegründung“ ausdrücklich auslassen und damit insoweit auch keine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorsehen.

Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 67 OWiG) entspricht in der Strafprozessordnung dem Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 StPO), der jedoch in § 32 d S. 2 StPO nicht genannt ist. Vielmehr werden dort lediglich (bestimmte) Rechtsmittel aus dem 3. Buch sowie (bestimmte) Beteiligungsrechte aus dem 5. Buch der StPO genannt. Die der Berufung bzw. Revision entsprechenden Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitengesetz sind jedoch im fünften Abschnitt unter III. aufgeführt und erfassen lediglich die Rechtsbeschwerde und deren Zulassung (§§ 79, 80 OWiG), nicht hingegen den Einspruch aus § 67 OWiG, der im separaten Unterabschnitt „I. Einspruch“ steht und zudem einen Rechtsbefehl „eigener Art“ darstellt (vgl. Göhler, Kurzkommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 18. Auflage 2021, Vorbem. zu § 67 OWiG, Rn. 1).

Die hier vertretene Auslegung widerspricht auch nicht der Intention des Gesetzgebers, durch zwingend vorgeschriebene Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs einen Medienwechsel herbeiführen zu wollen (BT-Drs. 18/9416, 1). Der Gesetzgeber hat von vornherein die Möglichkeit der obligatorisch elektronisch vorzunehmenden Verfahrenshandlungen in § 32 d S. 2 StPO ausdrücklich auf lediglich einzelne ausgewählte schriftliche Erklärungen beschränkt, obwohl auch andere schriftliche Erklärungen denkbar wären, in denen eine besonders eilbedürftige Situation auszuschließen ist, wie beispielsweise der zweiwöchig mögliche Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 I StPO). Dem Gesetzgeber bleibt unbenommen, weitere schriftliche Erklärungen der zwingenden elektronischen Form zu unterwerfen oder die Vorschrift des § 110 c StPO derart zu konkretisieren, dass sie sich auf die Einspruchseinlegung gemäß § 67 OWiG erstreckt.“

M.E. zutreffend. Die Verwaltungsbehörde hat bei der „Anhörung“ durch das Gericht erklärt, „dass sie den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichts nicht entgegentrete.“ Ehrt sie.

Im Übrigen:Ich würde dennoch auch bei der Einspruchseinlegung die Form des § 32d StPO beachten, bis obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Sicher ist sicher.

Einspruch gegen Versäumnisurteil per Fax eingelegt, oder: Geht nicht mehr, nur noch durch beA

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Heute „Kessel-Buntes_Tag“ – wie immer am Samstag. Und ich stelle dann noch einmal zwei Entscheidungen zur aktiven Nutzungspflicht und/oder dem elektronischen Dokument vor. Die eine stammt aus einem Zivilverfahren, die andere ist im Strafverfahren ergangen.

Zunächst hier die Entscheidung aus dem Zivilverfahren. Das LG Köln nimmt im LG Köln, Urt. v. 22.02.2022 – 14 O 395/21 – kurz und zackig zur Zulässigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil Stellung. Das LG hat den Einspruch des Beklagten als unzulässig verworfem.

„Der Einspruch war zu verwerfen, weil er nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden ist (§ 341 ZPO).

Der Einspruch wird gemäß § 340 Abs. 1 ZPO durch Einreichung der Einspruchsschrift bei dem Prozessgericht eingelegt. Seit Beginn des Jahres 2022 gilt § 130d ZPO, wonach „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt […] eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Insoweit ergeben sich die Einzelheiten aus § 130a ZPO. Auch die Einspruchsschrift nach einem Versäumnisurteil fällt als bestimmender Schriftsatz unter die Pflicht nach §§ 130a, 130d ZPO.

Vorliegend ist der Einspruch vom 13.01.2022 durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich per Fax am 14.01.2022 beim Landgericht Köln eingegangen. Dies genügt nicht den Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO. Die Einspruchsschrift ist auch nach dem Faxeingang nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden.

Auch nach Hinweis des Gerichts vom 28.01.2022 auf diesen Umstand ist die Einspruchsschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden. Eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nach § 130d S. 2 ZPO ist nicht dargelegt worden.

Die Erhebung des Einspruchs per Fax als Prozesshandlung ist folglich unwirksam und nicht zu beachten. Angesichts des Zeitablaufs seit Zustellung des Versäumnisurteils war der formnichtige Einspruch zu verwerfen.“

Ich verstehe nicht, warum man als Prozessbevommächtigte nicht auf den Hinweis des Gerichts reagiert und versucht zu retten, was noch zu retten ist.

Zustellung/Wiedereinsetzung II: ZU-Bevollmächtigter, oder: Einspruch/Postlaufzeit aus dem EU-Ausland

entnommen wikimedia.org

In der zweiten Entscheidung, dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.08.2021 – 12 Qs 57/21 – geht es um die Wirksamkeit der Zustellung eines Strafbefehls an einen polnischen Staatsbürger mit Wohnsitz Polen.  Der Strafbefehl samt Übersetzung in die polnische Sprache wurde am 03.03.2021 an den vom Angeklagten benannten Zustellungsbevollmächtigten, einen PHK , zugestellt. Der Angeklagte selbst erhielt den Strafbefehl am 05.03.2021. Mit Schreiben vom 17.03., beim AG eingegangen am 23.03.2021, legte der Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Noch am selben Tag verwarf das AG den Einspruch als unzulässig, weil verspätet. Die Einspruchsfrist sei am 17.03. um 24.00 Uhr abgelaufen.

Zum 01.04.2021 trat der PHK in den Ruhestand. Am 15.04.2021 wurde die an ihn adressierte polnische Übersetzung des Verwerfungsbeschlusses an PHM zugestellt. Das AG gewährte keine Wiedereinsetzung und hat der sofortigen Beschwerde auch nicht abgeholfen.

Das LG Nürnberg-Fürth hat die sofortige Beschwerde als begründet angesehen. Es nimmt in seinem beschluss zur Wirksamkeit der Zustellung Stellung, wenn der zustellungsbevollmächtigte Polizeibeamte vor Zugang in den Ruhestand tritt und sein Nachfolger das Schriftstück entgegennimmt. Insoweit bitte selbst lesen.

Zum Wiedereinsetzungsantrag führt es aus:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der zweiwöchigen Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl gehindert war (§ 44 Satz 1 StPO).

a) Der Angeklagte hat die Einspruchsfrist versäumt. Er gibt in seinem Einspruchsreiben vom 17. März 2021 selbst an, den Strafbefehl am 5. März 2021 erhalten zu haben. Das ist zwar mit der von der Kammer eingeholten Auskunft der Polizeiinspektion F. kaum zu vereinbaren, wonach PHK P. den Strafbefehl am 5. März 2021 zur Post an den Angeklagten gegeben habe. Es ist aber mangels besserer Erkenntnis von der Kammer so hinzunehmen. Damit ist der beim Amtsgericht Fürth erst am 23. März 2021 eingegangene Einspruch verfristet.

b) Diese Verspätung war aber nicht verschuldet i.S.d. § 44 Satz 1 StPO. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 – C-216/14, juris Rn. 52 ff.) ist der in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Adressat eines Strafbefehls bei Zustellungsbevollmächtigung so zu stellen, dass ihm die volle Frist für den Einspruch zur Verfügung steht, gegebenenfalls durch die Gewährung einer Wiedereinsetzung (EuGH, Urteil vom 22. März 2017 – C-124/16 u.a., juris Rn. 51). Nachdem der Angeklagte den Strafbefehl am 5. März 2021 erhalten hatte, konnte er grundsätzlich bis zum 19. März 2021 den Einspruch einlegen. Das ist zwar nicht geschehen, gleichwohl war dem Angeklagten nach Lage des Falles Wiedereinsetzung zu gewähren.

aa) Sein fehlendes Verschulden kann der Angeklagte allerdings nicht darauf stützen, dass er von einer unzutreffenden Rechtslage ausging. Er berief sich darauf, dass nach dem Recht seines Heimatlandes die rechtzeitige Aufgabe eines Schriftstücks bei der Post die Frist wahre. Entsprechend dieser Vorstellung habe er sich auch verhalten, indem er seinen Einspruch am 17. März 2021 bei der polnischen Post aufgegeben habe. Tatsächlich gilt nach Art. 124 der polnischen Strafprozessordnung die Frist als gewahrt, wenn das Schriftstück vor dem Ablauf der Frist bei einem Postdienstleister aufgegeben worden ist, der Zustellungen auf dem Gebiet der Europäischen Union vornimmt. Hier lag dem Strafbefehl aber ausweislich der Zustellungsurkunde eine polnische Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung bei, aus der sich ausdrücklich ergibt, dass die Frist nur als gewahrt gilt, wenn der Einspruch vor Fristablauf bei Gericht eingeht. In einer solchen Situation kann sich ein Beschuldigter nicht mit Erfolg auf abweichende Regelungen in seiner heimatlichen Rechtsordnung berufen.

bb) Die Wiedereinsetzung war aber zur Vermeidung einer europarechtlich unzulässigen Diskriminierung zu gewähren.

(1) Ein inländischer Beschuldigter darf für die Einlegung des Einspruchs auf die normalen Postlaufzeiten vertrauen (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1975 – 2 BvR 854/75, juris Rn. 9; OLG Koblenz Beschluss vom 25. März 1983 – 1 Ws 182/83, wistra 1983, 206; KG, Beschluss vom 30. August 2000 – 1 AR 1002/003 Ws 397/00, juris Rn. 3). Nach eigener Angabe der Deutschen Post ist sie in der Lage, 90 % aller nationalen Briefsendungen bereits einen Werktag nach der Einlieferung beim Empfänger auszuliefern (https://www.deutschepost.de/de/q/qualitaet_gelb.html). Hätte der Angeklagte seinen Einspruch daher am 17. März 2021 im Inland bei der Post aufgegeben, hätte er mit einem Eingang bei Gericht bis 19. März 2021 rechnen dürfen. Eine im Betriebsablauf der Post etwa aufgetretene Verzögerung wäre ihm nach der zitierten Rechtsprechung nicht im Sinne eines Verschuldens zuzurechnen.

(2) Dem Angeklagten gereicht es nicht zum Verschulden, dass er den Einspruch am 17. März 2021 im Ausland zur Post aufgegeben hat und er deshalb zu spät bei Gericht einging.

Es wird zwar vertreten, dass bei der Aufgabe der Post im (EU-)Ausland die längere Postlaufzeit vom Absender einkalkuliert werden müsste (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. März 2008 – III-2 Ws 48/08, juris Rn. 1). Die Kammer teilt diese Auffassung für die gegebene Konstellation indes nicht, weil sie höherrangigen Wertungen widerspricht. Der Europäische Gerichtshof stützt nämlich die Notwendigkeit, einem im Ausland wohnenden Beschuldigten die volle Zweiwochenfrist für den Einspruch zu gewähren auch auf das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 – C-615/18, NJW 2020, 1873 Rn. 50), wonach der im EU-Ausland Wohnende nicht schlechter stehen dürfe als ein Inländer. Legt man das zugrunde, so darf die Differenz der Zeiträume zwischen den Postlaufzeiten im Inland einerseits und vom EU-Ausland ins Inland andererseits dem Beschuldigten nicht schaden. Sähe man das anders und müsste ein Beschuldigter den Einspruch im EU-Ausland so rechtzeitig absenden, dass er noch binnen der Zweiwochenfrist beim deutschen Gericht ankommt, hätte er die vom Europäischen Gerichtshof geforderten vollen zwei Wochen Einspruchsfrist nicht zur Verfügung. Die möglichen Postlaufzeiten sind durchaus erheblich. So wird die gewöhnliche Postlaufzeit einer als prioritär eingestuften Briefsendung von Polen nach Deutschland bis zum dritten Werktag nach dem Tag ihrer Aufgabe angegeben (https://www.poczta-polska.pl/paczki-i-listy/przesylki-zagraniczne/listy/list-polecony/). Auch der Europäische Gerichtshof rechnet mit erheblichen Postlaufzeiten innerhalb der Union (zusätzliche pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen gem. Art. 51 VerfO EuGH). Das kann bei der Wiedereinsetzung nicht unberücksichtigt bleiben.“

OWi I: Wirksamkeit des Einspruchs gegen den BGB, oder: Auch ohne Unterschrift wirksam

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Ich habe seit längerem keine OWi-Entscheidungen mehr vorgestellt. Das liegt vor allem daran, dass es an der Stelle derzeit recht ruhig ist. Heute habe ich dann aber mal wieder ein paar Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den LG Stuttgart, Beschl. v. 28.05.2021 – 1 Qs 37/21 – vor. Problematik: Wirksamkeit eines Einspruchs. Das AG hatte einen Einspruch mangels Unterschrift als formunwirksam verworfen. Das hat das LG anders gesehen:

„1. Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid muss gemäß § 67 Abs. 1 OWiG schriftlich oder zur Niederschrift der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, erfolgen. Zur Schriftform gehört dabei nicht zwingend, dass das Einspruchsschreiben persönlich unterschrieben ist. Das Formerfordernis der Schriftlichkeit ist nicht gleichzusetzen mit den Vorgaben des § 126 BGB. Das Gebot der Schriftlichkeit in § 67 OWiG soll sicherstellen, dass der Erklärungsinhalt und die Person, von welcher die Erklärung herrührt, zuverlässig bestimmt werden können. Entscheidend ist, dass in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich wird, von wem die Erklärung herrührt und ob sie endgültig, ernstlich und willentlich in den Rechtsverkehr gebracht wurde (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 67 Rn 19 m. w. N.; Gertler in BeckOK, OWiG, 30. Edition 2021, § 67 Rn. 66 m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19.02.1963 – 1 BvR 610/62 — m. w. N.). Entscheidend sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalles.

2. Vorliegend lässt sich bei Bewertung des in der Akte dokumentierten Einspruchsschreibens unter Würdigung der Gesamtumstände sowohl die Person des Erklärenden zuverlässig und sicher feststellen als auch sicher feststellen, dass die Erklärung als gewollt rechtserheblich an die Bußgeldbehörde versandt wurde.

Das Schreiben vom 28. Dezember 2020 nennt oben rechts neben dem Namen des Betroffenen seine vollständige und zutreffende Adresse. Neben dem zutreffenden Aktenzeichen des Bußgeldbescheides wird im genannten Einspruchsschreiben zudem die Sachbearbeiterin, wie sie im Bußgeldbescheid bezeichnet wird, persönlich angesprochen. Zuletzt hat der Erklärende nach der abschließenden Grußformel seines Schreibens neben seinem vollständigen Namen auch seine Mobilfunknummer angegeben. Aus dem Schreiben vom 28.12.2020 ergibt sich zudem aufgrund eines Stempels / Vermerks oberhalb der Adresszeile, dass dieses mittels Einwurfeinschreiben an die Landeshauptstadt Stuttgart, konkret unter Nennung der zuständigen Sachbearbeiterin nebst deren zutreffender Zimmernummer, versandt wurde. Lediglich die handschriftliche Unterschrift des Betroffenen fehlt auf dem Einspruchsschreiben.

Unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, dass der Bußgeldbescheid dem Betroffenen am 23. Dezember 2020, dem letzten Werktag vor den Weihnachtsfeiertagen, zugestellt wurde und das Schreiben am 28. Dezember 2020, dem ersten Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen, gefertigt wurde, lässt sich daher bereits aus dem Einspruchsschreiben (welches sich lediglich unblattiert in der Akte findet) selbst ohne Zweifel erkennen, dass der Betroffene persönlich der Urheber der Erklärung ist und diese auch mit seinem Willen, trotz fehlender Unterschrift, abgesandt wurde. Immerhin hat der Absender das Schreiben ausgedruckt und offensichtlich willentlich zur Post gebracht, um dieses mittels Einschreiben der Bußgeldbehörde zukommen zu lassen.

Eine Vergleichbarkeit der vorliegenden Sachlage mit Schreiben eines Anwaltes oder einer Behörde, welchem die Unterschrift fehlt, und bei welchen ggf. aus dem Briefkopf, einem Vermerk oder einem Stempel Rückschlüsse auf Urheberschaft und Ernsthaftigkeit der Erklärung gezogen werden müssten, liegt nicht vor. Der Betroffene ist eine Privatperson. Es liegt fern, bei Eingang eines in tatsächlicher Schriftform eingereichten Einspruches einer Privatperson, welcher zudem per Einschreiben versandt wurde, davon auszugehen, dieser könnte von einer dritten Person stammen oder lediglich als Entwurf gemeint gewesen sein. Anders als bei einem Verteidiger oder einer Behörde, welche sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben Personals bedienen und ggf. auch eine Vertretung des Erklärenden in Betracht kommen kann, ist dies bei einer Privatperson i. d. R. ausgeschlossen.

Zudem war für den Betroffenen weder aus der Rechtsbehelfsbelehrung im Bußgeldbescheid noch nachträglich aus einer Äußerung der Verwaltungsbehörde ersichtlich, dass sein schriftlich verfasstes Schreiben eigenhändig unterschrieben werden hätte müssen und sein Einspruch als unwirksam angesehen werden könnte. Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid eröffnet dem Betroffenen den ersten Zugang zum Gericht. Dem Betroffenen als Privatperson unter den konkreten Umständen aufgrund eines (potentiell) formellen Fehlers sein Recht auf materielle Überprüfung seiner Einwände gegen den Bußgeldbescheid zu beschneiden, besteht unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens keine Veranlassung.“