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Bewährung II: 2/3-Entscheidung positiv/negativ?, oder: Genügt bloßes Bekunden von Therapiebereitschaft?

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Im zweiten Posting dann zwei OLG-Entscheidungen. Die eine verhält sich zu den Voraussetzungen einer Zwei-Drittel-Entscheidung, die andere . Ich stelle aber jeweils nur die Leitsätze vor, den Rest bitte in den verlinkten Volltexten selbst lesen:

Neue Straftaten lassen sich für die Verantwortbarkeitsprognose nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auch dann verwerten, wenn sie noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind. Die Entscheidung über die bedingte Reststrafenaussetzung im Rahmen des § 57 Abs. 1 StGB hat andere Voraussetzungen als die Nachtragsentscheidung nach § 56f StGB. Deshalb muss der Gefangene wegen neuer Straftaten, die ihm im Rahmen der Prognoseentscheidung entgegengehalten werden, nicht bereits rechtskräftig verurteilt sein. Für einen Bewährungswiderruf nach § 56f StGB ist grundsätzlich die Feststellung einer neuen Straftat erforderlich. Im Gegensatz dazu ist eine bedingte Reststrafenaussetzung an das Vorliegen einer günstigen Verantwortbarkeitsprognose geknüpft. Die Strafvollstreckungskammer hat die Tat und die Persönlichkeit des Verurteilten unter Berücksichtigung aller sonstiger bekannter Umstände und Gesichtspunkte zu würdigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung gehen Zweifel über das Prognoseurteil zu Lasten des Verurteilten.

1. Die bloße Bekundung einer Einsicht in das begangene Unrecht stellt für sich genommen bei einem vielfach vorbestraften Angeklagten, der bislang Bewährungszeiten nicht durchgestanden und langjährigen Strafvollzug erlitten hat, regelmäßig keinen Gesichtspunkt dar, der die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnte.
2. Die Bereitschaft des Angeklagten, eine Alkoholentwöhungstherapie durchzuführen, ist grundsätzlich für die Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von entscheidender Bedeutung.
3. Die Strafaussetzung zur Bewährung stellt kein Instrument zur Belohnung für ein erwünschtes Verhalten dar.

Verfahrensrüge III: Rechtsbeschwerdebegründungen, oder: Abwesenheitsverhandlung, rechtliches Gehör u.a.

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Und im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Verfahrensrüge im Rechtsbeschwerdeverfahren, allerdings jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen, und zwar:

1. Wird der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder er noch sein Verteidiger an dieser teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus.
2. Anders als bei einer allein auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützten Beanstandung setzt die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO nicht voraus, dass der Beschwerdeführer auch vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises verteidigt hätte, insbesondere was er in diesem Fall konkret geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte im Einzelnen wahrgenommen hätte.

1. Wird im Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung entbundenen und deshalb nicht erschienenen Betroffenen darauf gestützt, dass das Urteil auf einem in der Terminladung nicht benannten, in der Hauptverhandlung erschienenen und in Abwesenheit des Betroffenen vernommenen Zeuge beruht, muss der Betroffene darlegen, wie er sein Fragerecht ausgeübt und welche Fragen er gestellt hätte.
2. Nimmt der Verteidiger an der Hauptverhandlung teil, bedarf es eines Vortrages dazu, ob er die Rechte des Betroffenen als dessen Vertreter mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht – in Ausübung dieser Vollmacht – wahrgenommen hätte.
3. Stellt der Verteidiger im eigenen Namen Beweisanträge, nimmt er seine Befugnisse als Verteidiger, nicht aber die Rechte des Betroffenen in Ausübung seiner Vertretungsvollmacht wahr. Will der Verteidiger in der Hauptverhandlung (auch) als Vertreter des abwesenden Betroffenen auftreten, muss dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

OWi I: Verlesung des Messprotokolls in der HV, oder: Beschränkung des Einspruchs und Einspruch per Mail

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst hier drei verfahrensrechtliche Entscheidungen, und zwar jeweils nur die Leitsätze.

1. Unabhängig von einem in § 77a Abs. 1, 2 und 4 OWiG geregelten Zustimmungserfordernis kann das Messprotokoll auf Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden.

2. Denn das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 StPO, weil sie eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme ist und keine Vernehmung zum Gegenstand hat.

3. Das Messprotokoll gibt im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch Auskunft über repressives Handeln der Polizei. Denn die Geschwindigkeitsüberwachung dient auch der Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen.

1. Eine Beschränkung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch in seiner Gesamtheit ist möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Enthält der Bußgeldbescheid keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform, ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob sich dem Bußgeldbescheid die Schuldform entnehmen lässt. Dabei kann auch Beachtung finden, dass die Zentrale Bußgeldstelle im Bay. Polizeiverwaltungsamt in der Regel im Rahmen der Erhöhung der Regelgeldbuße auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweist.
2. Bei einem wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hat der Tatrichter den Schuldspruch so zu fassen, wie wenn er selbst entschieden hätte; die bloße Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid genügt nicht.

Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.

OWi II: Abweichung von der Bedienungsanleitung, oder: Welche Feststellungen beim Freispruch?

Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 – 202 OBOWi 1291/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einem freisprechenden Urteil Stellung genommen.

Das AG hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf, am 29.04.2020 auf der A-Straße in B. mit einem Kraftfahrzeug fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 34 km/h überschritten zu haben, freigesprochen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde und begründet diese mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht.

Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit einem geeichten Messgerät PoliScanSpeed, Softwareversion 3.2.4., welches zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Messung auf einem Stativ auf einer Rasenfläche neben der Fahr-bahn aufgestellt war. Das Amtsgericht sah es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen an, dass das Messgerät entgegen den Vorgaben in Ziffer 7.1.1 der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt gewesen sei. So habe der als Zeuge vernommene Messbeamte zwar pauschal bestätigt, dass er die Messung entsprechend seiner Schulung und gemäß der Bedienungsanleitung durchgeführt habe, sich aber nicht mit Sicherheit daran erinnern können, dass er auf ausreichend festen Unter-grund bei der Aufstellung des Messgeräts im Stativbetrieb geachtet habe. Zudem habe der hinzugezogene Sachverständige für Geräte zur Verkehrsüberwachung feststellen können, dass sich während der Messung der horizontale Schwenkwinkel des Messgerätes verändert habe, und daraus den Schluss gezogen, dass das Messgerät nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt worden sei und damit ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung vorliege. Das AG ging deshalb nicht vom Vorliegen einer Messung im sog. standardisierten Messverfahren aus. Die damit erforderliche nachträgliche individuelle Überprüfung auf Messfehler sei dem Sachverständigen aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen aber nicht möglich gewesen, da die hierzu von ihm benötigten Daten durch das Gerät nicht gespeichert werden. Daher sei der Betroffene freizusprechen.

Der Betroffene wird sich gefreut haben, aber zu früh. Das BayObLG hat aufgehoben und zurückverwiesen. Ihm reichen die Feststellungen des AG nicht.

Hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Wird bei der Durchführung einer amtlichen Geschwindigkeitsmessung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers abgewichen, gibt dies Anlass zu der Überprüfung, ob das erzielte Messergebnis den Vorgaben eines sog. standardisierten Messverfahrens entspricht.
    2. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist.

Pflichti II: Einiges zu den Beiordnungsgründen, oder: Steuersache, Jugendlicher, Unfähigkeit, OWi-Verfahren

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Im zweiten Posting zu Pflichtverteidigungsfragen heute dann Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen. Ich stelle allerdings aus Platzgründen nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Hier kommen:

Die Rechtslage ist schwierig im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, wenn dem Beschuldigten Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, das es sich beim Steuerstrafrecht um Blankettstrafrecht handelt.

Im Jugendstrafverfahren gelten für die Beurteilung der Pflichtverteidigerbestellung dieselben Grundsätze wie im Strafverfahren gegen Erwachsene. Sind beide Mitangeklagte anwaltlich vertreten, ist bereits aus diesem Grund ein Fall der notwendigen Verteidigung bei einem Erwachsenen anzunehmen. Erst Recht ist daher unter Berücksichtigung einer extensiven Auslegung des § 140 StPO bei Jugendlichen und Heranwachsenden die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei der Beschwerdeführerin geboten.

Die Bestellung nach 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung hat bereits dann zu erfolgen, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen.

Eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren ist nur in Ausnahmefällen geboten. Einem Analphabeten ist aber für die Hauptverhandlung ein Verteidiger zu bestellen, wenn eine sachgerechte Verteidigung Aktenkenntnis erfordert oder eine umfangreiche Beweisaufnahme dem Betroffenen Anlass gibt, sich Notizen über den Verhandlungsablauf und den Inhalt von Aussagen zu machen, weil er sie als Gedächtnisstütze benötigt. In diesem Fall liegt nach § 140 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.

Bei der Gelegenheit ein herzliches „Danke-schön“ an alle, die mir immer wieder Entscheidungen schicken und so mit dafür sorgen, dass die Entscheidungssammlung wächst und aktuell bleibt.