Schlagwort-Archiv: Unfähigkeit zur Selbstverteidigung

Pflichti I: Etwas zu den (Pflichti)Beiordnungsgründen, oder: Nur Polizeizeugen, Gesamtstrafe, Betreuung

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Im Mittagsposting dann weitere Pflichti-Entscheidungen, und zwar zum Beiordnungsgrund, und zwar:

Schwierigkeit der Sachlage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO liegt vor, wenn sämtliche Zeugen als Polizeibeamte Zugang zu Protokollen früherer Vernehmungen haben und sich daher in weiterem Umfang als sonstige Zeugen auf ihre Aussage vorbereiten können und es zur Aufklärung etwaiger Widersprüche in den Aussagen der Kenntnis des gesamten Akteninhalts bedarf, die nur einem Rechtsanwalt möglich ist.

Hat der Beschuldigte mit der Verhängung einer (Gesamt)Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu rechnen, liegt der Beiordnungsgrund der Schwere der Rechtsfolge i.S. des § 140 Abs. 2 StPO vor.

Zur Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung wegen Aufhebung der Anordnung der Betreuung nach Wegfall der Bestellungsvoraussetzungen.

Nichts grundlegen Neues, aber mit dem LG Braunschweig-Beschluss kann man in der Praxis sicher etwas anfangen. Die Konstellation dürfte häufiger gegeben sein.

Pflichti II: Einiges zu den Beiordnungsgründen, oder: Steuersache, Jugendlicher, Unfähigkeit, OWi-Verfahren

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Im zweiten Posting zu Pflichtverteidigungsfragen heute dann Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen. Ich stelle allerdings aus Platzgründen nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Hier kommen:

Die Rechtslage ist schwierig im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, wenn dem Beschuldigten Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, das es sich beim Steuerstrafrecht um Blankettstrafrecht handelt.

Im Jugendstrafverfahren gelten für die Beurteilung der Pflichtverteidigerbestellung dieselben Grundsätze wie im Strafverfahren gegen Erwachsene. Sind beide Mitangeklagte anwaltlich vertreten, ist bereits aus diesem Grund ein Fall der notwendigen Verteidigung bei einem Erwachsenen anzunehmen. Erst Recht ist daher unter Berücksichtigung einer extensiven Auslegung des § 140 StPO bei Jugendlichen und Heranwachsenden die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei der Beschwerdeführerin geboten.

Die Bestellung nach 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung hat bereits dann zu erfolgen, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen.

Eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren ist nur in Ausnahmefällen geboten. Einem Analphabeten ist aber für die Hauptverhandlung ein Verteidiger zu bestellen, wenn eine sachgerechte Verteidigung Aktenkenntnis erfordert oder eine umfangreiche Beweisaufnahme dem Betroffenen Anlass gibt, sich Notizen über den Verhandlungsablauf und den Inhalt von Aussagen zu machen, weil er sie als Gedächtnisstütze benötigt. In diesem Fall liegt nach § 140 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.

Bei der Gelegenheit ein herzliches „Danke-schön“ an alle, die mir immer wieder Entscheidungen schicken und so mit dafür sorgen, dass die Entscheidungssammlung wächst und aktuell bleibt.

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Unfähigkeit zur Selbstverteidigung, schwere Rechtsfolge, Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigerposting“ dann Beiordnungsgründe, und zwar:

Sowohl der Umstand, dass eine (ausländische) Beschuldigte Analphabetin ist, unter Betreuung steht und bei einem Unterlassungsdelikt (hier: § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, passloser Aufenthalt) wegen psychischer Erkrankung §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen erfordern jeweils selbständig eine Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung. Jedenfalls begründet aber ansonsten die erforderliche Gesamtschau der angeführten Umstände die Bestellung.

Bei Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht in jedem Fall die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich. Indes kann eine schwierige Sachlage vorliegen, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen einen Angeklagten ist.

Zur (verneinten) schwierigen Beweislage.

Hätte man m.E. übrigens auch gut anders entscheiden können. Ausschreitungen bei einem Fußballspiel und dann keine schwierige Beweislage?

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge lässt die Mitwirkung eines Verteidigers nicht geboten erscheinen bei nur einem vergleichsweise geringfügiges Delikt, bei dem auch im Fall der Bildung einer Gesamtstrafe lediglich eine geringfügige, für den Beschuldigten nicht wesentlich ins Gewicht fallende Erhöhung der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen wäre.