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Verkehrssicherungspflicht für „Aufsitz-Mäharbeiten“, oder: Herumfliegende Metallteile

Am Karsamstag gibt es hier dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen, eine landgerichtliche und eine vom BGH.

Ich beginne mit der landgerichtlichen Entscheidung. Dabei handelt es sich um das LG Duisburg, Urt. v. 16.01.2025 – 13 O 114/20. Das LG hat in dem Urteil zur Verkehrssicherungspflicht bei Mäharbeiten Stellung genommen.

Gestritten worden ist um Ansprüche aus einem Vorfall vom 16.04.2020, bei dem das Fahrzeug des Klägers – was zwischen den Parteien streitig ist – durch ein in den Fahrzeuginnenraum fliegendes Metallstück beschädigt worden ist. Am Mittag des 16.04.2020, um 14:10 Uhr, befuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug die Werkstraße 100 auf dem Werksgelände der Hüttenwerke Mannesmann GmbH in Duisburg. Angrenzend an die Werkstraße befinden sich auf beiden Seiten Grünflächen. Auf einer der Grünflächen war am 16.04.2020 in etwa 3 m Entfernung vom Straßenrand eine Reihe von Bauzäunen aufgestellt. Der Beklagte zu 2. war von dem Werksunternehmen mit der Pflege der Grünflächen beauftragt. In Ausführung dieses Auftrags mähte der Beklagte zu 1., der bei dem Beklagten zu 2. angestellt ist, am Mittag des 16.04.2020 die Grünfläche mit einem Aufsitzrasenmäher – Typ P525D Husqvarna. Der Kläger hat den ihm durch das Metallstück entstandenen Schaden auf insgesamt rund 5.5.00 EUR beziffert.

Das LG hat verurteilt und führt zur Verkehrssicherungspflicht aus:

„Welche Schutzmaßnahmen bei der Ausführung von Mäharbeiten zu treffen sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Gegebenheiten, der Größe der zu mähenden Fläche sowie dem konkret verwendeten Mähgerät und den mit diesem verbundenen Gefahren, insbesondere unter Berücksichtigung der an dem Gerät bereits vorinstallierten Sicherungsvorkehrungen, ab. So wurde in der Rechtsprechung teilweise bei kleineren, überschaubaren, unmittelbar an Parkplätze grenzenden Flächen, die mit Handrasenmähern gemäht wurden, das Absuchen der Flächen, die Aufstellung von Schutzplanen und gegebenenfalls sogar der Verzicht auf entsprechende motorgetriebene Freischneidegeräte für erforderlich gehalten (BGH, Urt. v. 28.11.2002 – III ZR 122/02, juris), während bei umfangreicheren Mäharbeiten, etwa entlang von Straßen im Hinblick auf den erheblichen Aufwand, teilweise – abhängig von dem verwendeten Mähgerät – geringere Schutzvorkehrungen für ausreichend erachtet worden sind (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 03.07.2015 – 1-11 U 169/14, juris; s. aber auch BGH, Urt. v. 04.07.2013 – III ZR 250/12, juris bei der Verwendung von Freischneidern). In Bezug auf die Verwendung eines Aufsitzrasenmähers wurde jedenfalls für erforderlich gehalten, die anwesenden Eigentümer der in der Nähe der Mäharbeiten parkenden Fahrzeuge anzusprechen und auf die Gefahren aufmerksam zu machen (OLG Frankfurt, Urt. v. 31.08.2021 – 26 U 4/21, juris), teilweise aber auch die vorhandenen Sicherungseinrichtungen am Mähwerk und das Absuchen der Fläche vor Ausführung der Mäharbeiten für ausreichend gehalten (LG Dortmund, Urt. v. 29.05.2015 – 21 0 97/14, juris).

Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte zu 1. hier nicht die nach den Umständen erforderlichen und ihm zumutbaren Sicherungsvorkehrungen getroffen.

Das verwendete Mähgerät weist zwar selbst bereits Sicherheitsvorkehrungen auf, die die Gefahr des Herausschleuderns von Steinen oder Gegenständen aus dem Mähwerk reduzieren. Der Aufsitzrasenmäher verfügt ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen Tümmers vorn über ein absenkbares Mähwerk mit drei Schneidmessern. Die Schneidmesser sind jeweils vollständig mit tellerförmigen Abdeckungen geschützt. Die Abdeckung ist – so der Sachverständige – lediglich im hinteren Bereich leicht höher gestaltet, um den Auswurf des Grünschnitts nach hinten zu begünstigen. Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, was für die Kammer auch anhand des Lichtbilds 12 (BI. 16 des Gutachtens vom 16.10.2023) ersichtlich ist, dass, wenn das Mähwerk auf der Stufe wie am Vorfallstag eingestellt ist, diese Abdeckungen beinahe bündig mit der Rasenfläche abschließen. Zu berücksichtigen ist hierbei indes, dass am Schadenstag – was sich aus den den Zustand der Grünfläche am 16.04.2020 zeigenden Lichtbildern (BI. 11 ff. d. A.) ergibt – das Gras auf der Grünfläche trocken war und es sich nicht um eine durchgängig dicht bewachsene Rasenfläche (wie im Sachverständigengutachten) handelte. Weiter ist in Betracht zu ziehen, dass die Abdeckungen keinen sicheren Schutz vor dem Herausschleudern von Gegenständen boten. Aus den Ausführungen des Sachverständigen Tümmers ergibt sich, dass dieser lediglich einige wenige Versuche benötigte, um ein Herausschleudern der Bauzaunschellen unter dem Mähwerk nachzubilden. Dieser hat ausgeführt, dass er zunächst drei Versuche unternommen habe, bei denen er über drei auf dem Boden liegende Bauzaunschellen gefahren sei. Hierbei sei es nicht zu einem Hinausfliegen der Schellen gekommen. Sodann habe er die Schellen auf der Rasenfläche leicht aufgestellt und sei erneut mit dem Rasenmäher über die Schellen gefahren. Hierbei sei eine der Schellen unter dem Mähwerk des Geräts hinausgeschleudert worden.

Die Gefahr herumliegender Einzelteile war hier ferner aufgrund der auf der Grünfläche befindlichen Baustelle erhöht. Der Kläger hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass die Baustelle und der Bauzaun erst kurz vor dem Vorfallstag eingerichtet worden seien. Auch die von ihm vorgelegten Lichtbilder zeigen die Baustellenausstattung, die sich nur in geringer Entfernung von der Straße befindet. Mit Blick hierauf war vorliegend vermehrt mit dem Herumliegen von Gegenständen auf dem an die Baustelle angrenzenden Teil der Grünfläche zu rechnen. Denn im Bereich von Baustellen, auf denen mit Materialien und Werkzeugen gearbeitet wird, die auf die Baustelle verbracht werden müssen, kann es vermehrt zu herumliegenden Gegenständen kommen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Mähärbeiten hier unmittelbar angrenzend an die Werkstraße ausgeführt wurden. Ausweislich der vorgelegten Lichtbilder verfügt die Werkstraße über keinerlei Seitenstreifen, der für einen gewissen Mindestabstand zu den vorbeifahrenden Fahrzeugen sorgen könnte. Der Abstand zu dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite fahrenden Fahrzeug des Klägers betrug hiernach im Zeitpunkt der Schädigung nach den Ausführungen des Sachverständigen lediglich 4,5 m.

Mit Rücksicht auf diese Umstände erachtet die Kammer die an dem Fahrzeug vorhandenen Sicherungsvorkehrungen jedenfalls im Hinblick auf die hier vorliegenden Umstände des Einzelfalls nicht als ausreichend. Es war mit Blick auf die örtlichen Gegebenheiten angezeigt, weitere Sicherungsvorkehrungen zu treffen, jedenfalls die Grünfläche im Bereich der Baustelle vor dem Mähen auf herumliegende Gegenstände hin zu kontrollieren, oder etwa mobile Schutzwände aufzustellen oder für die Ausführung der Arbeiten eine verkehrsärmere Zeit zu wählen. Die bloße Sichtkontrolle während der Ausführung der Mäharbeiten war hingegen nicht hinreichend. Dies gilt auch, weil das Mähwerk sich vorne an dem Rasenmäher befindet. Wenngleich der Fahrer des Rasenmähers eine uneingeschränkte Sicht auf die zu mähende Fläche hat, muss er aufgrund des vor ihm angebrachten Mähwerks die Gegenstände doch aus größerer Entfernung wahrnehmen und sodann – da das Mähwerk zuerst über die Gegenstände fährt -schnell reagieren. Dass insbesondere die Durchführung einer Sichtkontrolle für den Beklagten zu 1. vor der Ausführung der Mäharbeiten hier etwa mit Blick auf die Größe der zu mähenden Fläche unzumutbar gewesen wäre, haben die Beklagten nicht dargelegt. Dies ist auch angesichts der begrenzten Größe des Bereichs vor der Baustelle – nach dem Vortrag des Klägers handelte es sich etwa um zehn nebeneinanderstehende Bauzaunteile, die in einer Entfernung von etwa 3 m, stellenweise auch weniger, zur Straße aufgestellt waren – sonst nicht ersichtlich. Die Durchführung einer entsprechenden Sichtkontrolle wäre hier auch zur Verhinderung des Schadens geeignet gewesen.

Diesen Anforderungen ist der Beklagte zu 1., der die Grünfläche jedenfalls nicht auf herumliegende Gegenstände kontrolliert hat, hier vorwerfbar nicht gerecht geworden. Dies war auch kausal für den eingetretenen Schaden. Soweit der Beklagte zu 1. behauptet hat, die Bauzaunschelle wäre selbst bei entsprechender Kontrolle aufgrund des hohen Grases nicht sichtbar gewesen, folgt die Kammer dem nicht. Zum einen ist schon anhand der vorgelegten Lichtbilder ersichtlich, dass das Gras am Vorfallstag weder besonders dicht, noch besonders hoch stand. Zum anderen handelt es sich bei der 13 cm x 6 cm großen Schelle auch nicht um ein bloßes Kleinteil, das ohne weiteres zu übersehen wäre.“

Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands, oder: LG Duisburg macht es auch falsch….

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Und heute am RVG-Tag zwei „Entwicklungspostings“, d.h. also zwei Beiträge, die Rechtsmittelentscheidungen zu hier vorgestellten Entscheidungen enthalten. Also: Entwicklung der Sache 🙂 . Die eine hat sich zum Guten, die andere zum Schlechten entwickelten. Fangen wir mit der schlechten Entwicklung an.

Dabei handelt es sich um den AG Duisburg-Hamborn, Beschl. v. 12.11.2021 – 14 Ls-293 Js 915/19-23/20, den ich im Februar 2022 hier vorgestellt hatte (vgl. Wenn der Zeugenbeistand wie ein Verteidiger agiert, oder: Dann auch Abrechnung wie ein Verteidiger).  Das war ein m.e. schön begründeter AG-Beschluss, der dargelegt hatte, warum insbesondere in dem Fall, die Tätigkeit eines Zeugenbeistandes wie die eines Verteidigers abgerechnet werden muss. Also Abrechnung nach Teil v Abschnitt1 VV RVG.

Die Frage ist, wie man weiß, ja nun nicht unbestritten. Und die Vertreter der Staatskasse sehen das naturgemäß anders. Zeugenbeistand meinetwegen ja, aber den bloß nicht für seine Tätigkeit gut bezahlen. Daher lassen solche schönen AG-Entscheidungen die Staatskasse natürlich nicht ruhen und man legt Rechtsmittel ein

Und: Man hat damit dann auch noch Erfolg. Das LG Duisburg hat nämlich im LG Duisburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 31 Qs 9/22, 31 Qs 10/22 und 31 Qs 11/22 – den schönen AG-Beschluss aufgehoben. man weiß es mal wieder besser. Das legt man wortreich dar, wobei es kaum eigene Argumente gibt. Man zitiert die (falsche) Auffassung anderer Gerichte. Daher erspare ich mir, den Beschluss hier teilweise einzustellen. Wer mag, kann im verlinkten Volltext nachlesen.

Für mich ist dieser Eiertanz um die Gebühren des Zeugenbeistands nicht nachvollziehbar. Man kann nicht einerseits als Gesetzgeber immer wieder laut „Opferschutz“ schreien, den Zeugenbeistand einführen und seine Stellung stärken, bei den Gebühren dann aber kneifen und ihn mies entlohnen (wollen). Ich räume ja ein, dass der Bundesgesetzgeber immer mal wieder Versuche gemacht hat, das zu ändern, dann aber immer vor den Ländern gekniffen hat, die auf ihre leeren Kassen verwiesen haben. So zuletzt noch durch die Änderung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV. Vielleicht findet sich ja mal eine BMJ, der genügend Mumm hat, sich solcher Dinge anzunehmen. Von dem jetztigen erwarte ich das allerdings nicht.

Wenn der Zeugenbeistand wie ein Verteidiger agiert, oder: Dann auch Abrechnung wie ein Verteidiger

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Ich habe hier im Rahmen der Berichterstattung zum RVG ja auch schon zahlreiche Entscheidungen zur Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands eingestellt. Meist in der letzten Zeit leider falsche, wie z.B. zuletzt den OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2021 – 6 Ws 42/21 – (vgl. dazu Tätigkeit des Zeugenbeistands ist Einzeltätigkeit, oder: Danke BMJV für die Vorlage).

Aber gelegentlich gibt es zu der Problematik ja auch mal Lichtblicke. Und hier habe ich dann einen, nämlich den AG Duisburg-Hamborn, Beschl. v. 12.11.2021 – 14 Ls-293 Js 915/19-23/20. Das hat – so weit man das aus dem Beschluss entnehmen kann – nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG festgesetzt. Und das begründet das AG auch sehr schön:

Zur Frage der Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit als Zeugenbeistand werden mit guten Argumenten und unterschiedlichen Interessen verschiedene Rechtsauffassungen vertreten. Der Gesetzgeber hat es leider versäumt, eine eindeutige Regelung zu treffen. Die einzige im hiesigen Bezirk bekannt gewordene Entscheidung des Landgerichts vom 15.05.2014 (33 QS 208 Js 67/13 – 23/14) lässt die Frage, ob lediglich Nr. 4301 Ziffer 4 W RVG zur Anwendung kommt, weil es um eine Einzeltätigkeit handelt, oder ob der Zeugenbeistand vergleichbar mit einem Verteidiger im Strafverfahren zu vergüten ist, offen. Richtigerweise kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung an. Im vorliegenden Fall ging die Wahrnehmung der Aufgabe des Zeugenbeistandes weit über das übliche Maß hinaus.

Bei den Zeugen handelte es sich um Jugendliche, die im Verdacht standen, an der Straftat beteiligt gewesen zu sein oder an anderen Straftaten, die mit der hier verhandelten Straftat Verbindungen aufwiesen. Die Wahrnehmung der Aufgabe umfasste damit nicht nur rein rechtliche, sondern auch jugenderzieherische Aspekte. Um es deutlich zu sagen, den Zeugen wurde Beistände bestellt, weil das Gericht sich von ihren Aussagen nach Aktenlage wichtige Erkenntnisse erhoffte, die auf andere Weise nicht in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können. Den Zeugen sollte vermittelt werden, dass sie sich durch eine Aussage, die sie selbst in die Gefahr der Strafverfolgung bringt, auch Vorteile für das eigene Verfahren verschaffen können, weil sie durch Aufklärungsbereitschaft Einsicht und Reue zeigen. Insofern kam die Tätigkeit der Anwältinnen als Zeugenbeistand einer Verteidigertätigkeit im Jugendstrafverfahren gleich, weil sie mit den Jugendlichen die Auswirkung ihres Aussageverhaltens auf das mögliche eigene Strafverfahren gründlich zu erörtern hatten. Hinzu kommt, dass die Rechtsanwältinnen pp. und pp. in der Sache zwei Termine wahrnehmen mussten, weil die Hauptverhandlung wegen eines gestellten Befangenheitsantrag unterbrochen werden musste. Es ist auch nicht richtig, dass die Tätigkeit von Rechtsanwältin pp. für zwei Mandanten in dem Verfahren nur mit einer Erhöhungsgebühr abzugelten ist, weil sie das Mandat für pp. erst übernehmen konnte, nachdem die Vernehmung des Zeugen pp. vollständig abgeschlossen war.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind die durch die Rechtspflegerin festgesetzten Gebühren richtig und angemessen.“

Der Beschluss ist rechtskräftig. Dazu hier der LG Duisburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 31 Qs-293 Js 915/19-74/21, 31 Qs 75/21 und 31 Qs 76/21. Mal sehen, ob der Bezirksrevisor das schluckt.

Der fingierte/manipulierte/gestellte Verkehrsunfall, oder: Welche Umstände sprechen dafür?

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Im „Kessel Buntes“ heute dann seit längerer Teit mal wieder ein landgerichtliches Urteil zu den Umständen und Indizien, die für einen manipulierten/fingierten Verkehrsunfall sprechen. Darüber habe ich früher ja schon häufiger berichtet. Hier ist dann mit dem LG Duisburg, Urt. v. 12.10.2021 – 4 O 175/20 – mal wieder eine Entscheidung.

Das LG führt zum „fingierten“ Verkehrsunfall aus:

„1. Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich um einen zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) fingierten Unfall handelt. Dies stellt eine Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Eigentums dar, so dass eine Schadensersatzpflicht aus den §§ 823 BGB, 7, 18 StVG entfällt. Für das Vorliegen dieser Einwilligung sind die Beklagten beweispflichtig (vgl. BGH, VersR 1979, 514; BGHZ 71, 339, OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 95). Der Beweis der Einwilligung in die Fahrzeugbeschädigung kann dann als geführt angesehen werden, wenn sich eine Häufung von Umständen findet, die darauf hindeuten. Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04 m.w.N.)

Dieser Nachweis ist hier erbracht.

a) Zunächst sprechen die am Unfallereignis beteiligten Fahrzeuge für eine Manipulation.

Bei dem PKW des Klägers handelte es sich um ein älteres, hochwertiges Fahrzeug, bei dem in der Regel teurere Schäden zu erwarten sind als bei einem preiswerteren Fahrzeug, mit einer hohen Laufleistung von jedenfalls 160.000 km. Es wies auch erhebliche Vorschäden auf, die der Kläger bei der von ihm veranlassten Bewertung durch den Sachverständigen nicht angegeben hat. Einer dieser, nach Vortrag des Klägers anlässlich eines Urlaubs in der Türkei reparierten, Vorschäden, ist seinerseits bei einem Unfall mit klarer Haftungslage entstanden und auf fiktiver Basis abgerechnet worden.

Auch bei dem von dem Beklagten zu 2) gefahrenen PKW handelt es sich um ein für Unfallfiktionen typischerweise verwendetes Fahrzeug; nämlich um einen Mietwagen, für den eine Vollkasko-Versicherung bestand und für den eine Selbstbeteiligung nicht vereinbart wurde, sodass der Beklagte zu 2) auch nicht fürchten musste, selbst finanziell an der Beseitigung des Schadens beteiligt zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist in der Gesamtschau der Indizien auch zu berücksichtigen, dass die vom Kläger begehrte Abrechnung auf Gutachtenbasis in der Rechtsprechung als Indiz für einen manipulierten Unfall gewertet wird (OLG Frankfurt ZfSch 2004, 501, 503).

b) Hinzu kommt, dass der Kläger seine Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten zu 3) mittels eines erkennbar falschen Gutachtens bezifferte und durchzusetzen versuchte. Zum einen ist im Gutachten ein reparierter Vorschaden im betroffenen Unfallbereich angegeben, den der eigene Privatgutachter des Klägers festgestellt haben will, der Kläger selbst aber bestreitet. Es kann dahinstehen, ob an der Stelle tatsächlich ein Schaden repariert wurde, oder ob der Kläger hiervon ggf. auch nichts wusste, da dies vor seiner Besitzzeit repariert wurde. Jedenfalls hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und bei einmaligem Durchblättern des Gutachtens auffallen müssen, dass das Gutachten diesbezüglich nicht stimmen kann.

Gleiches gilt für den unstreitig vormals vorhandenen Vorschaden auf der rechten Fahrzeugseite sowie den im Mai 2019 behobenen Wasserschaden, bei dem auch das Tachometer ausgewechselt wurde. Es kann dahinstehen, ob der Kläger diese Schäden gegenüber seinem Gutachter erwähnt und dieser sie fahrlässig nicht aufgenommen hat, wobei der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung zunächst angegeben hat, diese nicht erwähnt zu haben und auf erneute Nachfrage dann angab, dass man „bestimmt“ darüber gesprochen habe. Bezüglich des unrichtigen Tachostandes erscheint dies im Übrigen zweifelhaft, da jedenfalls davon auszugehen ist, dass der Gutachter nicht den abgelesenen Tachostand in das Gutachten aufgenommen hätte, wenn offengelegt worden wäre, dass der richtige Tachostand nicht bekannt ist. Unabhängig davon hat der Kläger aber vor Einreichung des Gutachtens bei der Beklagten zu 3) zwecks Schadensregulierung auch an diesen für ihn offenbaren Unrichtigkeiten – insbesondere, wenn er die Schäden gegenüber dem Gutachter erwähnt hätte, hätte ihm dies auffallen müssen – keinerlei Anstalten gemacht, das Gutachten diesbezüglich berichtigen zu lassen und so in Kauf genommen, dass die Beklagte auf Grundlage eines für sie aufgrund des Weglassens von Vorschäden ggf. nachteiligen Gutachtens reguliert.

c) Der behauptete Unfall fand im Winter abends in einer ruhigen Straße statt, in der zu dieser Zeit mit neutralen Zeugen nicht zu rechnen ist.

d) Zwar ist das an sich weiter heranzuziehende Indiz für eine Unfallmanipulation, das Nichterscheinen der beklagten Partei in der mündlichen Verhandlung, hier nicht gegeben. Der Beklagte zu 2) war nämlich im Termin anwesend und hat Angaben zur Sache gemacht.

Der von Ihm im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegebene Ablauf, der zu seiner Anwesenheit am Unfallort geführt haben soll, ist jedoch unplausibel. So gab er an, kurz zuvor seine Mutter am Düsseldorfer Flughafen abgesetzt und sich nunmehr auf dem Rückweg zu seiner damaligen Wohnung in Oberhausen befunden zu haben. Er sei dann von der Autobahn abgefahren, um in der Umgebung des Unfallorts etwas zu essen und konnte sich auch noch erinnern, dass er einen Döner essen wollte. Auf Nachfrage konnte er weder den Laden benennen, in dem er essen war oder zumindest essen gehen wollte, noch konnte er Restaurants in der Umgebung benennen. Stattdessen gab er – wiederholt – an, dass dort „viele“ Läden seien, wie bereits ausgeführt ohne Nennung derer Namen, und er einen Parkplatz finden wollte, um einen der dort ansässigen Imbisse auszusuchen. Sodann gab er selbst an, dass er die T.-Straße, auf der die Fahrgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist, mit 40 km/h befahren habe. Auf die Frage des Gerichts, warum er denn zu schnell gefahren sei, räumte er dann zwar ein, dass dies nicht richtig sei, konnte jedoch nicht erklären, wieso er mit 40 km/h eine Straße befuhr, in der er nach eigenen Angaben einen Parkplatz suchte, obwohl er bereits nach eigenen Angaben aufgrund der links stehenden Transporter und dem rechts stehenden Fahrzeug des Klägers ohnehin nur einen geringen Spielraum zum Fahren hatte.

Gleichermaßen konnte er nicht erklären, weshalb er in der Umgebung des Unfallorts, die er nach eigenen Angaben nicht kannte, einen Imbiss aufsuchen wollte, den er ebenfalls nicht kannte, und dies nicht in der Nähe seines Wohnorts tat. Die Antwort des Beklagten zu 2), in D. würden die Döner einfach besser schmecken, ist nicht geeignet, um den Hergang plausibel erscheinen zu lassen.

Für den von ihm angegebenen Grund der Anmietung des Fahrzeugs, sein eigenes Fahrzeug habe sich in Reparatur befunden, gibt es, da die Reparatur nach seinen Angaben durch einen Freund ohne Rechnung erfolgte, keinerlei nachvollziehbare objektive Anknüpfungspunkte.

Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2) – auch wenn er glaubhaft erklärt hat, dass er im Vorlauf zum Termin keinen Anwalt beauftragt habe, weil die Versicherung ihm mitgeteilt habe, dies sei nicht notwendig – auch im Nachgang des Termins, in dem ihm ausführlich erklärt wurde, dass die Versicherung ihm einen Betrug vorwirft, keine Schritte unternommen hat, um seine Rechte entsprechend zu verteidigen. Auch in der Verhandlung selbst äußerte er Empörung nicht etwa darüber, dass ihm ein versuchter Betrug vorgeworfen wird, sondern darüber, dass ihm nicht bewusst war, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und 3) nicht seine Interessen vertrete. Obwohl er sodann ausführte, dass er nicht eigens aus Berlin angereist wäre, wenn er gewusst hätte, dass er nicht anwaltlich vertreten ist und damit auch keine Anträge stellen kann, und dies getan hätte, wenn ihm nicht seitens der anderen Beklagten mitgeteilt worden wäre, dass er sich nicht kümmern müssen, beauftragte er auch nach dem Erlass des Versäumnisurteils und der Anberaumung des Einspruchstermins keinen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte.

e) Auch der Schadenshergang spricht für eine Unfallmanipulation. Der Schaden entstand durch das Auffahren des PKW der Beklagten gegen den am Straßenrand geparkten Pkw des Klägers. Dieser Schadenshergang ließ sich leicht steuern. Dabei entstanden für den Beklagten zu 2) keine nennenswerten gesundheitlichen Risiken. Zugleich aber konnte, wie an dem langen Streifschaden am Fahrzeug des Klägers zu sehen ist, ein hoher Schaden verursacht werden. Außerdem brauchte bei der eindeutigen Schuldzuweisung nicht mit einer Anspruchskürzung durch den Einwand von Mitverschulden oder mitwirkende Betriebsgefahr gerechnet zu werden (vgl. OLG Hamm OLG-Report Hamm 2001, 58, 60 und VersR 2002, 700 f.).

Weiterhin begründet die Art des Schadens, ein „lukrativer“ Streifschaden, ein Indiz für eine Unfallmanipulation (vgl. LG Essen, Urt. v. 16.12.2010, 3 O 190/10). Bei dem Schaden an dem auf Klägerseite beteiligten Fahrzeug handelt es sich um einen Streifschaden über eine beachtliche Länge des Fahrzeuges.

f) Bei der genannten auffälligen Häufung manipulationstypischer Indizien wird der sich hieraus ergebende Anscheinsbeweis für einen gestellten Unfall (vgl. OLG Celle OLG-Report Celle 2004, 175 ff.) nicht dadurch erschüttert, dass die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen kompatibel sind (vgl. HansOLG Bremen VersR 2003, 1553, 1554). Es kann hier also dahinstehen, ob die Schäden der Fahrzeuge kompatibel sind und zu der Schadensschilderung passen, was die Beklagten zu 1) und 3) bestreiten. Damit entfällt nämlich nur ein Einzelindiz, ohne dass die Indizienkette aufgrund der übrigen Umstände reißt.

Nach alledem reichen die Indizien aus, um dem Gericht die Überzeugung des Vorliegens eines fingierten Verkehrsunfalls zu verschaffen. Der Umstand, dass ein vorheriger persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) nicht nachgewiesen werden konnte, vermag diese Überzeugung nicht infrage zu stellen, da die nicht erwiesene Bekanntschaft der Beteiligten aufgrund der Beweisschwierigkeiten der KFZ-Versicherer ohnehin nur ein schwaches Indiz darstellt.“

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Unfähigkeit zur Selbstverteidigung, schwere Rechtsfolge, Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigerposting“ dann Beiordnungsgründe, und zwar:

Sowohl der Umstand, dass eine (ausländische) Beschuldigte Analphabetin ist, unter Betreuung steht und bei einem Unterlassungsdelikt (hier: § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, passloser Aufenthalt) wegen psychischer Erkrankung §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen erfordern jeweils selbständig eine Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung. Jedenfalls begründet aber ansonsten die erforderliche Gesamtschau der angeführten Umstände die Bestellung.

Bei Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht in jedem Fall die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich. Indes kann eine schwierige Sachlage vorliegen, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen einen Angeklagten ist.

Zur (verneinten) schwierigen Beweislage.

Hätte man m.E. übrigens auch gut anders entscheiden können. Ausschreitungen bei einem Fußballspiel und dann keine schwierige Beweislage?

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge lässt die Mitwirkung eines Verteidigers nicht geboten erscheinen bei nur einem vergleichsweise geringfügiges Delikt, bei dem auch im Fall der Bildung einer Gesamtstrafe lediglich eine geringfügige, für den Beschuldigten nicht wesentlich ins Gewicht fallende Erhöhung der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen wäre.