Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Pflichti I: 5 x Beiordnungsgründe, oder: Betreuung, OWi, Ausländer, Gesamtstrafe, Beweisverwertungsverbot

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Heute dann ein Pflichtverteidigungstag. Ich könnte auch schreiben. Heute ist der Tag des LG Kiel :-). Grund: Ein Kollege aus Kiel hat neulich „die Ecken sauber gemacht“ und mir einige Entscheidungen geschickt, die ich dann dann heute vorstelle. Zum Teil sind sie etwas älter, aber ich bringe sie dennoch.

Ich beginne mit insgesamt fünf Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen (§§ 140 ff. StPO). Ich stelle aber – schon aus Platzgründen nur die Leitsätze vor. Den Rest muss man dann bitte selst lesen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Entscheidungen:

Steht der Angeklagte unter umfassender Betreuung, insbesondere auch in Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten, begründet dies erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte selbst verteidigen kann.

    1. Von einer schwierigen Rechtslage ist auszugehen, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird. Hiervon umfasst sind auch Fälle, in denen sich Fallgestaltungen aufdrängen, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.
    2. Etwaige ausländerrechtliche Folgen im Falle einer Verurteilung sind nicht geeignet, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu rechtfertigen.
    3. Dass die Verteidigungsfähigkeit der Beschuldigten aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse eingeschränkt ist, reicht für sich allein genommen nicht aus, um die Beiordnung eines Verteidigers zu rechtfertigen.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall notwendiger Verteidigung auch vor, wenn wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dies ist anzunehmen, wenn eine Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe besteht, wobei es in einem Fall möglicher Gesamtstrafenbildung auf die Höhe der zu erwartenden Gesamtstrafe und nicht auf die Straferwartung hinsichtlich der Einzelstrafe aus einem in die Gesamtstrafenbildung einzubeziehenden Verfahren ankommt.

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge i. S. d. § 140 Abs. 2 StPO ist im Wege einer Gesamtbetrachtung aller ggf. zu erwartenden Rechtsfolgen zu ermitteln. Somit kommt es für die Beurteilung der Gesamtwirkung der Strafe lediglich darauf an, ob im hiesigen Verfahren mit einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung zu rechnen ist.

Kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verurteilung des Betroffenen im (Bußgeld) Verfahren Einfluss bei der Entscheidung über mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen für den Betroffenen haben könnte, ist eine Pflichtverteidigerbeiordnung gerechtfertigt.

StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Arnsberg, Beschl. v. 16.09.2022 – 3 Ns-110 Js 1471/21-92/22 – nimmt das LG zur Frage Stellung, welche Folgen es hat, wenn ein Strafbefehl nicht vom Richter unterschrieben ist. Folge: Das Verfahren wird (im Berufungsverfahren) eingestellt:

„Die Einstellung des Verfahrens beruht auf § 206a Abs. 1 StPO.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass es an der Verfahrensvoraussetzung eines Eröffnungsbeschlusses fehlt. Denn insoweit steht ein vom zuständigen Richter nicht unterzeichneter Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleich.

Das Fehlen der Unterschrift ist ein wesentlicher Mangel, der einen Strafbefehl nicht wirksam werden lässt. Nach Auffassung der Kammer kommt es nicht darauf an, ob aus den Akten festgestellt werden kann, dass dennoch eine der Willensäußerung des Richters entsprechende Entscheidung vorliegt (zum Meinungsstand vgl. Meyer-Goßer/Schmitt, StPO, § 409, RN 13; KK-StPO, § 409 Rn. 13-15). Denn das Erfordernis der Unterzeichnung kann nicht anhand von Umständen aus der Akte, wie beispielsweise eines Namenskürzels bei der Begleitverfügung, fingiert werden. Insoweit ist anerkannt, dass die fehlende Unterzeichnung einer Urteilsurkunde (§ 275 Abs. 2 StPO) nicht durch eine von dem erkennenden Richter unterzeichnete gesonderte Verfügung (der Zustellung) ersetzt werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 19. 7. 2011 – 1 RVs 166/11). Ähnlich wie bei einer Urteilsurkunde kann auch bei einem Strafbefehl nur durch die Unterzeichnung dokumentiert werden, dass der Richter die Verantwortung für den Inhalt des – gemäß § 408 Abs. 3 StPO nicht von ihm herrührenden – Schriftstücks übernehmen wollte. Die vergleichende Betrachtung wird durch § 410 Abs. 3 StPO gestützt.

Das Amtsgericht hat das Verfahrenshindernis bei Urteilserlass offenbar übersehen, so dass die Einstellung des Verfahrens durch das Berufungsgericht zugleich die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge hat (vgl. OLG Koblenz, NZV 2010, 368). Die Einstellung steht einer neuen Anklageerhebung jedoch nicht entgegen.“

Und nur, um weiteren unsinnigen Anfragen von Nichtjuristen vorzubeugen: Der hier vorgestellte Beschluss ist kein – ich wiederhole: kein – Beweis für die immer wieder aufgestellte „These“/Behauptung und sich daruf stützende Anfragen, es liege kein Urteil/Beschluss vor, weil die Unterschrift fehle. Dazu: Ja, ein Urteil/Beschluss muss unterschrieben werden. Unterschrieben wird aber (nur) das Original in der Akte, nicht die Ausfertigung, die zugestellt wird. Alles andere ist Nonsens. Also: Bitte keine Anfragen zu der Problematik, die keine ist, mehr.

StPO I: Ist das Schreiben an die StA eine „Beschwerde“?, oder: Wo ist der Anfechtungswille?

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Heute machen wir dann mal wieder ein wenig StPO, und zwar mit zwei LG- und einer AG-Entscheidung.

Ich beginne mit dem LG Hechingen, Beschl. v. 28.03.2022 – 3 Qs 7/22. Der Beschluss ist schon etwas älter, er ist mir leider immer wieder „durchgegangen“. Heute dann aber endlich.

In der Entscheidung geht es um die Auslegung eines Schreiben des Beschuldigten an die Staatsanwaltschaft, dass dieser, nachdem ihm einem Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr vom AG nach § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden war, an die Staatsanwaltsschaft gerichtet hat. In der Adresszeile des Schreibens heißt es „Herr Leitenden Oberstaatsanwalt G.“. Im Schreiben trägt der Beschuldigte im Wesentlichen vor, dass nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung relativer Fahrunsicherheit bestehen. Jedenfalls dürfte das Übersehen eines Fußgängers an einem Zebrastreifen kein konkreter, alkoholtypischer Fahrfehler sein. Insofern solle es insgesamt bei einer Ordnungswidrigkeit verbleiben. Die StA wertet das Schreiben als „Beschwerde“, legt die Ermittlungsakte dem AG vor und beantragt, der „Beschwerde …. nicht abzuhelfen und die Akte unmittelbar dem LG, wo beantragt werde, die „Beschwerde“ aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zu verwerfen.

Das LG hat die Sache ohne Sachentscheidung zurück gegeben:

„Bei dem Schriftsatz des Beschuldigten vom 11. Februar 2022 handelt es sich nicht um eine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20. Januar 2022.

Eine Erklärung kann nur als Rechtsmittel ausgelegt werden, wenn aus ihr ein Anfechtungswille hervorgeht (Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 5; KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2). Der Anfechtungswille beschreibt hierbei den Willen, ein zulässiges Rechtsmittel gegen eine bestimmte Entscheidung einzulegen (Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 4). Aus der abgegebenen Erklärung muss also deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Erklärende sich mit einer ihn beschwerenden gerichtlichen Entscheidung nicht abfinden wolle (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 4. April 2013 – 2 Ws 86/13, BeckRS 2013, 15473; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. September 2016 – 3 OLG 7 Ss 78/16, BeckRS 2016, 111077). Maßgebend sind stets der Gesamtinhalt der Verfahrenserklärungen und die Erklärungsumstände (BGH, Beschluss vom 25. Januar 1952 – 2 StR 3/52, BGHSt 2, 41 (43)), wobei jedoch nur solche Erklärungen relevant sind, die innerhalb der Anfechtungsfrist abgegeben werden (BeckOK/Cirener, StPO, 42. Ed. 1. Januar 2022, § 300 Rn. 2; Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 8). Für die Auslegung der Erklärung sind zudem die Rechtskenntnisse des Erklärenden beachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 5 StR 499/18, BeckRS 2019, 1966). Ein Anfechtungswille wird indes nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die sprachliche Form der abgegebenen Erklärung ihrerseits missverständlich oder uneindeutig ist (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24. Juni 2021 – 12 Qs 39/21, BeckRS 2021, 15647). Bleibt auch nach der Auslegung der Erklärung der Anfechtungswille unklar, sind verbleibende Zweifel durch eine Nachfrage zu klären (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1951 — 3 StR 691/51, BGHSt 2, 63 (67); BayObLG, Beschluss vom 28. November 1994 – 2 St RR 221/94, NJW 1995, 1230; KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2).

Ausgehend hiervon war der Kammer bei Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden unklar, ob sich der Beschuldigte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20. Januar 2022 mittels einer Beschwerde erwehren wollte, ob also ein Anfechtungswille vorlag. Hierfür könnte zwar auf den ersten Blick sprechen, dass der Beschuldigte in seinem Schriftsatz betont, dass nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung relativer Fahrunsicherheit bestünden und es jedenfalls an einem Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis feh-le. Insoweit wollte er zum Ausdruck bringen, dass er die Sach- und Rechtslage anders als das Amtsgericht Hechingen mit seinem Beschluss vom 20. Januar 2022 bewertet. Bei näherer Betrachtung der schriftsätzlichen Erklärung war das Anliegen des Beschuldigten jedoch dahingehend gerichtet, lediglich zur Sach- und Rechtslage gegenüber der Staatsanwaltschaft Hechingen Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Angabe der Staatsanwaltschaft Hechingen in der Adresszeile und der konkret gewählte Anrede („Sehr geehrter Herr Leitender Oberstaatsanwalt Gruhl“). Zum anderen verwendet der Beschuldigte in dem gesamten Schriftsatz das Wort „Beschwerde“ oder einen entsprechenden Begriff, der auf die Einlegung eines Rechtsmittels hindeuten könnte, nicht. Es fehlt zudem an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die amtsgerichtliche Entscheidung vom 20. Januar 2022. Unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse des erklärenden Verteidigers ist dem gewählten Wortlaut insoweit auch eine entscheidende Bedeutung beizumessen (vgl. KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2). Verbleibende Zweifel über das Vorliegen eines Anfechtungswillens konnten schließlich durch Nachfrage seitens des Amtsgerichts Hechingen mit Verfügung vom 3. März 2022 und hierauf erfolgter schriftsätzlicher Antwort des Beschuldigten vom 23. März 2022 ausgeräumt werden.

Nach alledem war eine Sachentscheidung der Kammer nicht veranlasst.“

StPO II: Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Boot, oder: Gilt das Verbot der Mehrfachverteidigung?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Karlsruhe, Beschl. v. 05.09.2022 – 16 Qs 65/22, 16 Qs 66/22 – hat das Mehrfachverteidigungsverbot (§ 146 StPO) zum Gegenstand. Das LG nimmt in seinem Beschluss in einem „obiter dictum“ zu der Frage Stellung, ob § 146 StPO Anwendung findet bei der Verteidigung mehrerer Beschuldigter derselben Tat durch angestellte Rechtsanwälte und ihren Arbeitgeber.

Hier die Leitsätze zu der Problmatik – die Ausführungen des LG findet man ganz am Ende des Beschlusses:

1. Ob angestellte Rechtsanwälte und ihr Arbeitgeber als „ein Verteidiger“ im Sinne des § 146 StPO anzusehen sind und damit von der Verteidigung mehrerer Beschuldigter in derselben Sache ausgeschlossen wären, ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden. Mehrere als Verteidiger tätige Mitglieder einer Sozietät sind nicht als „ein Verteidiger“ anzusehen, da die Norm sich schon sprachlich nicht auf Personenvereinigungen bezieht.
2. Angestellte Rechtsanwälte sind indes gerade nicht als Partner oder Mitgesellschafter strukturell gleichberechtigte Mitglieder einer Sozietät, sondern einem Kanzleisozius untergeordnet. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis schließt das bloß als generischer Singular verwendete Tatbestandsmerkmal „ein Verteidiger“ jedenfalls nicht aus, § 146 StPO auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden, bei dem ein Verteidiger auftritt, für den weitere zugelassene Rechtsanwälte als Angestellte tätig sind. Der Gesetzgeber verwendet regelmäßig den generischen Singular, ohne dass die jeweiligen Normen eine Zurechnung weiterer Personen ausschließen.
3. Der Regelungszweck des § 146 StPO liegt darin, dass ein Verteidiger seiner Beistandsfunktion gegenüber mehreren Beschuldigten nicht gerecht werden kann, wenn der eine Beschuldigte, um sich zu entlasten oder eine mildere Strafe zu erhalten, den anderen belastet oder belasten müsste. Dieser Interessenkonflikt besteht auch bei mehreren Beschuldigten, die ein Verteidiger als Arbeitgeber gemeinsam mit seinen separat bevollmächtigten Angestellten vertritt. Angestellte Rechtsanwälte unterliegen jedenfalls im Grundsatz den Weisungen des Arbeitgebers und sämtliche Gebühren für die Verteidigung der Beschuldigten fließen diesem zu. Es erscheint praktisch kaum denkbar, dass ein angestellter Verteidiger sich Vorgaben seines einen Mitbeschuldigten vertretenden Arbeitgebers zu Gunsten eines anderen Beschuldigten entgegenstellt. Verteidiger aller Beschuldigten ist in solchen Fällen faktisch der Arbeitgeber. Dadurch unterscheidet sich eine Vertretung durch angestellte Rechtsanwälte grundlegend von der mit § 146 StPO vereinbaren Vertretung durch gleichberechtigte Sozien oder durch eine Bürogemeinschaft selbständiger Rechtsanwälte.
4. Einen Einfluss auf das Verfahren hat dies jedoch erst, sofern das zuständige Gericht einen Verteidiger wegen Verstoßes gegen § 146 StPO nach § 146a Abs. 1 StPO unanfechtbar zurückweist. Bis zu einer Zurückweisung sind die bisherigen Prozesserklärungen des Verteidigers gem. § 146a Abs. 2 StPO wirksam.

StPO I: BVV wegen verbotener Vernehmungsmethoden, oder: Das Beweisverwertungsverbot gilt absolut

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Heute geht es in den „Regendienstag“ mit StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 07.06.2022 – 5 StR 332/21 – zur Reichweite des Verwertungsverbotes des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO. Der BGh sagt: Das Verwertungsverbot gilt absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Die hatte keinen Erfolg:

„Der näheren Erörterung bedarf nur die Aufklärungsrüge, mit der die Revision beanstandet, das Landgericht habe es unterlassen, über den ihn begünstigenden Inhalt der Angaben des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren Beweis zu erheben, nachdem es deren Unverwertbarkeit auf Antrag der Verteidigung wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 StPO bejaht hatte.

Dieser Beanstandung liegt zugrunde:

Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren eine Einlassung abgegeben. Die Strafkammer hat diese – wie vom Angeklagten beantragt – wegen eines Verstoßes gegen § 136a StPO für unverwertbar gehalten. Soweit seine Einlassung auch Angaben zu anderen Tatbeteiligten enthielt, die möglicherweise eine Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG darstellen könnten, hat sie erwogen, die Einlassung insoweit „vor dem Hintergrund des ‚Fair Trial‘-Grundsatzes“ gleichwohl zu verwerten, sich hieran jedoch aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, NStZ 2008, 706) gehindert gesehen.

1. Die Verfahrensrüge erweist sich als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil jeglicher Vortrag dazu fehlt, wie sich im Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten die Erkenntnislage hinsichtlich der von ihm belasteten Tatbeteiligten für die Ermittlungsbehörden darstellte. Da eine zulässige Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge voraussetzt, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1993 – 5 StR 180/93, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6 mwN; vom 13. Dezember 2016 – 3 StR 193/16, NStZ-RR 2017, 119; Urteile vom 18. Juli 2019 – 5 StR 649/18 Rn. 12; vom 29. Juni 2021 – 1 StR 287/20 Rn. 14), wären hier solche Angaben erforderlich gewesen. Denn nur so konnte beurteilt werden, ob durch die Angaben des Angeklagten überhaupt ein für die Anwendung des § 31 BtMG erforderlicher wesentlicher Aufklärungserfolg hätte herbeigeführt werden können. War ein solcher nicht feststellbar, bedurfte es einer weiteren inhaltlichen Aufklärung der Angaben des Angeklagten schon deshalb nicht, weil das Landgericht aufgrund der Aussage eines Tatbeteiligten ohnehin die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe bejaht und betreffend die nicht verwertbaren Angaben des Angeklagten bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten Aufklärungsbemühungen berücksichtigt hat.

2. Es bedarf deshalb keines vertieften Eingehens auf die von der Revision unter Berufung auf Literaturmeinungen vertretene Auffassung, nach der auch im Fall eines Beweisverwertungsverbots gemäß § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO die entlastenden Angaben des Beschuldigten gleichwohl verwertbar sein sollen (vgl. dazu etwa Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 655; Roxin, StV 2009, 113; MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn. 90 mwN; vgl. auch KMR/Kulhanek, StPO, 105. EL, § 136a Rn. 52: zur Vermeidung der Verurteilung von Unschuldigen; offen gelassen von LR/Gleß, StPO, 27. Aufl., § 136a Rn. 71a; aA BGH, Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, NStZ 2008, 706; SSW-StPO/Eschelbach, § 136a Rn. 63; Radtke/Hohmann/Kretschmer, StPO; § 136a Rn. 40; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 136a Rn. 105, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn. 27; BeckOK-StPO/Monka, 43. Ed., § 136a Rn. 29; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 136a Rn. 38). Die in diesem Zusammenhang beiläufig vertretene Auffassung der Verteidigung, dass die – zu den Schuldspruch betreffenden Entlastungsbeweisen entwickelten – Grundsätze der Mindermeinung gleichermaßen Geltung beanspruchten, wenn – wie hier – nur der Rechtsfolgenausspruch betroffen ist, nimmt jedenfalls die Besonderheiten, die mit der Anwendung des § 31 BtMG verbunden sind, nicht hinreichend in den Blick:

Der gesetzliche Milderungsgrund kommt nur zur Anwendung, wenn das Gericht sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass die Darstellung des Täters über die Beteiligung anderer an der Tat zutrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 – 3 StR 561/08, NStZ 2009, 394 mwN), er mithin über den eigenen Tatbeitrag hinaus einen erheblichen Aufklärungsbeitrag geleistet hat. Der Zweifelsgrundsatz kommt ihm dabei nicht zugute (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 StR 154/88, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 7; Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 StR 309/02, NStZ 2003, 162; vom 27. November 2014 – 2 StR 311/14, NStZ-RR 2015, 77, 78). Wie aber ein Gericht unter (teilweiser) Verwertung einer an sich unverwertbaren Einlassung zu einer vollen tatgerichtlichen Überzeugung von deren Richtigkeit gelangen soll, soweit sie allein weitere Tatbeteiligte betrifft, erschließt sich nicht. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1970 – 2 StR 239/70; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 136a Rn. 33; HK-GS/Jäger, 5. Aufl., StPO § 136a Rn. 43) gilt, sodass selbst bei einer den Angeklagten begünstigenden Berücksichtigung seiner Angaben ein Aufklärungserfolg im Sinne des § 31 BtMG über den eigenen Tatbeitrag hinaus grundsätzlich nicht bewirkt werden könnte. Auch die von der Verteidigung zitierte Literatur geht davon aus, dass mit unverwertbaren Beweismitteln kein „positiver Nachweis“ zu führen sei und sie nur die Überzeugungskraft anderer (belastender) Beweismittel erschüttern können sollen (MüKo-StPO/Schuhr, § 136a Rn. 90). Dann sind in solchen Fällen aber regelmäßig allenfalls Aufklärungsbemühungen strafmildernd zu berücksichtigen; genau dies hat die Strafkammer getan.“