Archiv für den Monat: Juni 2013

Den BGH stört u.a. die „Haltlosigkeit der Aufklärungsrüge“ der Staatsanwaltschaft…

M.E. starke Worte hat der 5. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl Urt.v. 15.05.2013 – 5 StR 646/12 – zu einer Aufklärungsrüge der Staatsanwaltschaft, die auch vom GBA vertreten worden ist, gefunden; der Sachrüge hatte sich der GBA nicht angeschlossen (zu seinem Glück; siehe unten).

Die Staatsanwaltschaft hatte in Zusammenhang mit einer Brandstiftung die Verurteilung der Angeklagten in der in § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB bezeichneten Absicht der Ermöglichung einer anderen Straftat (Betrug gegenüber Versicherungsunternehmen) erstrebt. Die Absicht konnte die Strafkammer nicht festzustellen und hat, da auch der Qualifikationstatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB (konkrete Lebensgefahr für einen anderen Menschen) nicht gegeben war, die Angeklagten, lediglich der schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat aber nicht aufgegeben und die Aufklärungsrüge erhoben und beanstandet, dass das LG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Ermöglichungsabsicht nach § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht die gebotenen Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen habe. Dazu dann der 5. Strafsenat – auszugsweise -:

aa) Die Aufklärungsrüge ist bereits nicht zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben.

Die Urteilsgründe befassen sich zentral mit der Frage der Ermöglichungsabsicht (UA S. 20 ff.). In diesem Zusammenhang hat das Landgericht, wozu die Revision freilich nichts vorträgt, außerhalb der Hauptverhandlung gemachte Einlassungen jedenfalls der Angeklagten F. und S. S. in ihre Beweiswürdigung einbezogen und im Einzelnen erörtert (UA S. 22 f.).


bb) Im Übrigen liegt folgendes Verfahrensgeschehen nahe, aus dem sich die Haltlosigkeit der Aufklärungsrüge in der Sache ergibt: ….

Und dann noch zur Sachrüge – im Grunde „einen drauf“:

…Die Überprüfung des Urteils anhand der Sachrüge, die selbstverständlich nicht mit urteilsfremdem Vorbringen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zum Inhalt der Hauptverhandlung begründet werden kann, deckt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das gilt namentlich für die von der Beschwerdeführerin als lückenhaft beanstandete Beweiswürdigung.“

Na, das war aber einer mit dem Hammer. Liest man beim GBA/bei der StA sicher nicht gern: „bereits nicht zulässig“ – „Haltlosigkeit der Aufklärungsrüge“ – „urteilsfremdem Vorbringen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft“.

Schon wieder: Der BGH und die Sachverständigengutachten

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Manche Fragen tauchen in der Rechtsprechung des BGH und/oder der OLG immer wieder auf – für mich dann Dauerbrenner, bei denen man sich fragt, warum in der Instanz darauf nicht geachtet wird (was manchmal ganz einfach ist/wäre). Zu diesen Fragen gehört, welche Anforderungen das tatrichterliche Urteil erfüllen muss, wenn die Verurteilung auf ein Sachverständigengutachten gestützt worden ist. Im Grunde ganz einfach, nämlich: Befundtatsachen, Anknüpfungstatsachen und die tragende fachliche Begründung des Sachverständigen. So auch noch einmal – wie oft eigentlich schon? – der BGH, Beschl. v. 16.04.2013 – 3 StR 67/13.

Da hatte das LG seine Überzeugung von der Täterschaft des u.a. wegen Vergewaltigung verurteilten Angeklagten allein auf ein DNA-Gutachten gestützt. Das hat der BGH nicht beanstandet, aber die Beweiswürdigung die litt an „durchgreifenden Darlegungsmängeln.“

aa) Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen  kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen, den Erkenntnissen der Wissenschaft und den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens möglich sind. Für die Überprüfung durch das Revisionsgericht, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, bedeutet dies, dass das Tatgericht jedenfalls mitteilen muss, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist. Sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist zu-dem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (BGH, aaO mwN).

bb) Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Strafkammer, mit denen sie die Ausführungen der Sachverständigen wiedergegeben hat, nicht: Es wird schon nicht mitgeteilt, ob die untersuchten Merkmale unabhängig voneinander vererbbar sind, wie viele der aus der Speichelprobe des Angeklagten gewonnenen 16 Merkmalssysteme sich in der Tatspur fanden und inwieweit diese übereinstimmten. Im Urteil heißt es nur, dass sich die Mischspur vollständig mit den Merkmalen der Nebenklägerin und des Angeklagten erklären lasse, ohne dass deutlich wird, wie viele Systeme darin untersucht werden konnten. Fünf weitere Tatspuren seien Abstriche, in denen nur mannspezifische DYS-Merkmale festgestellt worden seien, die sich auch in der Stammlinie des Angeklagten fänden. Indes wird weiter ausgeführt, dass sich in zwei Spuren bei jeweils einem unterschiedlichen DYS-System ein zusätzliches Merkmal gefunden habe, das sich für einen Vergleich nicht eigne; näher erläutert wird dies nicht. Zur Frage der Vergleichspopulation verhält sich das Urteil ebenfalls nicht, obwohl es bei dem dunkelhäutigen, aus dem Sudan stammenden Angeklagten nahe liegt, dass er einer fremden Ethnie angehört.“

Das gilt grds. für alle Urteile und Sachverständigengutachten. Es gilt allerdings nicht bei standardisierten Verfahren…

U-Haft ist ultima ratio – wenn das doch nur immer beachtet würde…

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Zu berichten ist über einen m.E. sehr „schönen“ U-Haft-Beschluss des KG, und zwar den KG, Beschl. v. 07.03.2013 – 4 Ws 35/13.

Die Leitsätze:

1. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft ist nicht zu fragen, ob diese angeordnet werden kann, sondern ob ihre Verhängung – als ultima ratio – wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist.
2. Zur Frage, ob für einen Beschuldigten, der in Kenntnis der seit Jahren anhängigen Ermittlungen, nach Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und in Kennt-nis eines mit der Anklageerhebung angebrachten Haftbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft keine Anstalten gemacht hat, sich dem Verfahren zu entziehen, mit der Eröffnung des Hauptverfahrens und der geplanten zeitnahen Terminierung der Hauptverhandlung eine nachteilige „völlig neue Verfahrenssituation“ eingetreten ist, welche die Bejahung von Fluchtgefahr zu tragen vermag.
3. Zur Bedeutung von Sprachkenntnissen und Auslandsbeziehungen eines Geschäftsmannes, die dieser im Rahmen seiner geschäftlichen Betätigung schon mehrere Jahre vor der Zeit der im vorgeworfenen Taten geknüpft und seither unterhalten hat.

Lesenswerte Entscheidung, die manche Instanzgerichte sich mal zu Gemüte führen sollten.

Nachtrag: Leider sah der Beitrag vorhin etwas anders aus. PC-Absturz im falschen Moment 🙁

RP Kassel locuta, causa finita – gilt nicht

Ein Kollege hat im Forum bei Jurion-Strafrecht über einen Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel in Sachen „Dauerbrenner Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“ berichtet, der ihm vor einigen Tagen aus den Schreibtsich geflattert ist. Der Kollege meint, die Geschichte treibe immer „dollere Blüten“. Ganz Unrecht hat er m.e. nicht.

Zur Sache: Der Kollege beantragt Aktensicht in die Betriebsanleitung des bei einer Geschwindigkeitsmessung verwendeten Messgerätes Traffistar S330. . Er erhält vom Regierungspräsidium Kassel folgende Antwort/Nachricht:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihrem Antrag auf Einsicht in die Betriebsanleitung des verwendeten Messgerätes Treff Star 5330 gebe ich statt.
Sie können die Betriebsanleitung nach vorheriger Terminabsprache in den Räumlichkeiten des PP Nordhesswen, Dir. Verkehrssicherheit/Sonderdienste, Wachpolizei-Radarkommando., Grüner Weg 33 in 34117 Kassel einsehen_
Auch ist es möglich, die Betriebsanleitung vom Hersteller zu erhalten. Dazu wenden Sie sich bitte an den Hersteller unter der nachstehenden E-Mail-Anschrift oder rufen Sie seine Webseite auf:
Firma Jenoptik in Jena/Monheitra (Robot) Fax-Adresse: 0049 3641 424514
Webseite: www.jenoptik.com
Ein Anspruch auf Übersendung besteht dagegen nicht.
Bei der Regelung des § 48 OWiG iVm § 147 Absatz 3 StPO handelt es sich lediglich um eine Sollvorschrift (Meyer-Goßner, StPO, § 147 Rn. 28; Göhler, OWiG, § 60 Rn. 52). Die Mitgabe oder Übersendung liegt im Ermessen der Bußgeldbehörde und soll grundsätzlich gewährt werden, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen, Zur Anfertigung von Kopien ist die Behörde nicht verpflichtet.
Der Übersendung der Betriebsanleitung stehen wichtige Gründe entgegen. Die Unterlagen werden im täglichen Dienstbetrieb benötigt und sind deshalb nicht entbehrlich. So ist gemäß § 6 Absatz 3 der Eichordnung die Betriebsanleitung so beim Gerät aufzubewahren, dass sie jederzeit verfügbar ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. Göhler, OWiG, § 60 Rn. 54a).“

Jetzt lassen wir mal die Fragen zum Umfang und zur Art und Weise der Akteneinsicht außen vor. Lassen wir es auch auf sich beruhen, dass an der Stelle die Diskussion der letzten Monate am Regierungspräsidium wohl vorbei gegangen sein dürfte. Lassen wir auch außen vor, dass die m.E. wohl h.M. in Rechtsprechung und Literatur – zumindest nach dem Cierniak-Beitrag in zfs 2012, 664 – anderer Auffassung sein dürfte.

Aber, der letzte Satz:  „Diese Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. Göhler, OWiG, § 60 Rn. 54a)“. Der stößt dann doch sauer auf und/oder irritiert. Zunächst mal ist er ein Beweis dafür, dass offenbar das, was im Göhler steht, Gesetz ist bzw. als solches angesehen wird. Darüber komm man ja noch hinweg. Aber der Inhalt dieser Rechtsmittelbelehrung: M.E. falsch, denn so steht es selbst bei Göhler nicht. Vielmehr wird von der auch insoweit wohl h.M. der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zulässig angesehen.

Der Kollege hat das Schreiben kommentiert mit „Na wer sagts denn!“ Nun, die Verwaltungsbehörde selbst jedenfalls nicht. RP Kassel locuta, causa finita – gilt nicht.

 

Akten zurück an die Verwaltungsbehörde –> Verjährung –> Einstellung –> Befriedungsgebühr +

In einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren kommt es zu folgendem Ablauf: Der Verteidiger moniert,  dass er ihm überlassen Unterlagen nicht ausdrucken kann. Der Hauptverhandlungstermin wird aufgehoben, die Akten werden gem. § 69 Abs. 5 OWiG zurück an die Verwaltungsbehörde geschickt. Bis die Akten wieder beim AG ankommen, ist Verjährung eingetreten, das Verfahren wird eingestellt. Der Verteidiger macht dann auch die Befriedungsgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend. Der LG Oldenburg, Beschl. v. 22.05.2013 – 5 Qs 149/13 – sagt: Zu Recht:

„Jedoch war die Entscheidung in Bezug auf die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu ändern. Diese ist angefallen, weil es hierfür lediglich einer Tätigkeit des Verteidigers bedarf, welche die Verfahrenserledigung fördert und dabei keine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 20.01.2011, Az. IX ZR 123/10, juris). Dabei ist auch eine Förderung der Sachaufklärung nicht erforderlich (BGH, ebenda), es genügt ein ursächlicher Beitrag zur Erledigung des Verfahrens (LG Baden-Baden, Beschluss vom 09.08.2000, Az. 1 Qs 111/00, juris), welcher auch in einer Aktivität zwecks Verjährung bestehen kann (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, Nr. 4141 VV RVG Rn. 9). So liegt der Fall hier. Denn das Amtsgericht hat die zuvor einmal terminierte Sache nicht wieder terminiert, nachdem der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.07.2012 mitgeteilt hat, die ihm von dem Landkreis per E-Mail übersandte Bedienungsanleitung für das Messgerät sei lediglich zu öffnen, nicht aber auszudrucken. Auf dieses Schreiben hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.07.2012 gem. § 69 Abs. 5 OWiG mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung im Sinne des § 69 Abs. 5 OWiG an den Landkreis Cloppenburg zurückverwiesen. Nachdem der Landkreis sodann die Bedienungsanleitung an den Verteidiger übersandt und die Akten im Januar 2013 an die Staatsanwaltschaft geleitet hat, ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 11.02.2013 das Verfahren wegen der zwischenzeitig eingetretenen Verjährung eingestellt worden. Die Mitteilung des Verteidigers, die Bedienungsanleitung nicht ausdrucken zu können, ist folglich ursächlich für den Eintritt der Verjährung geworden. Ohne die Mitteilung wäre durch das Amtsgericht nicht gem. § 69 Abs. 5 OWiG verfahren worden. Es ist auch keinesfalls offenkundig, dass unabhängig von der Tätigkeit des Verteidigers das Verfahren sowieso eingestellt worden wäre (dazu: BGH a.a.O.). Schließlich sind keine Gründe für eine Verfahrenseinstellung aus einem anderen Grund erkennbar.“

Insoweit zutreffend. Über die m.E. unzutreffenden Ausführungen des LG betreffend Auslagenpauschale und Festgebühr decken wir das Mäntelchen des Schweigens. Die Frage, ob die Auslagenpauschale doppelt anfällt, wird sich hoffentlich bald erledigt haben. Das 2. KostRMoG trifft in § 17 Nr. 11 RVG eine ausdrückliche Regelung: Ja.