Archiv für den Monat: Juni 2010

Absprache und Verschlechterungsverbot, oder die „Vertragsgrundlage“ im Strafverfahren

Es ist deutlich zu merken, dass die Neuregelung des § 257c StPO (Verständigung) bei den Instanzgerichten und damit auch beim BGH angekommen ist. Denn die Entscheidungen zur Neuregelung nehmen zu. Es gibt zwar m.E. noch keinen richtigen Knaller – so z.B. zur Frage des Scheiterns einer Absprache (was sind neue Umstände usw), aber immerhin viele kleine „Anmerkungen“ des BGH. So auch eine im Beschl. v. 24.02.2010 – 5 StR 38/10. Dort ist nach einer Verständigung ein Geständnis abgegeben worden, das aber die Anklage wohl nicht erschöpfte. Der BGH hat das landgerichtliche Urteil – Verstoß gegen BtM-Gesetz – aufgehoben, weil keine ausreichenden Feststellungen vorgelegen haben, und führt aus:

„Dabei wird das – die Anklage freilich nicht erschöpfende – Geständnis des Angeklagten nicht dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO unterliegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Bei Einhaltung der auch vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung akzeptierten Strafobergrenze führt das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu deren Perpetuierung im weiteren Verfahren. Zudem ist bei dem hier zu Lasten des Angeklagten vom Tatgericht unzutreffend bewerteten Geständnis nach Korrektur des Wertungsfehlers durch das Revisionsgericht zugunsten des Angeklagten die „Vertragsgrundlage“ für das Geständnis nicht entfallen ….“.

M.E. zutreffend, denn es liegt kein Fall des Scheiterns der Verständigung vor. Zutreffend dann auch die bestehenbleibende Bindung an die Verständigung – sehr schön der Begriff der „Vertragsgrundlage“. Im Fall des Scheiterns der Verständigung fällt die natürlich weg. Beide Seiten sind dann wieder frei :-).

Anwaltlicher Beistand für den Gefangenen im Disziplinarverfahren

Das OLG Bamberg hat in einem Beschl. v. 03.05.2010 – 1 Ws 145/10 – jetzt das Recht eines Strafgefangenen bestätigt, sich im Disziplinarverfahren eines anwaltlichen Beistandes zu bedienen. Der Leitsatz lautet:

Aufgrund des strafähnlichen Charakters von Disziplinarmaßnahmen, des mit ihrer Anordnung verbundenen Eingriffs in Freiheitsrechte und ihrer Bedeutung für zu­künftige strafvollzugs- oder strafvoll­streckungsrechtliche Entscheidun­gen folgt unbe­schadet des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung im BayStVollzG für den Gefangenen unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip das Recht, sich bereits vor der nach Art. 113 I 2 BayStVollzG gebotenen Anhörung zur sachkundigen Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte im Disziplinarverfah­ren auf sein Verlangen der Unterstützung eines anwaltlichen Bei­stands zu bedienen, um effektiv auf Gang und Ergebnis des Disziplinarverfahrens Ein­fluss nehmen zu können.“

Das OLG bestätigt damit die Entscheidung des OLG Karlsruhe in NStZ-RR 2002, 29 f.. Dann kommt auch PKH in Betracht. Die war hier aus formellen Gründen gescheitert.

Du bist nicht allein, lieber Kollege Hoenig, …wenn du fährst mit deiner „Wanne“…

„Du bist nicht allein“ hieß der Hit, den Roy Black Ende der 60er Jahre gesungen hat. An ihn, den Hit, erinnerte ich mich, beim Lesen des Artikels „Grünes Licht für Werbegag“ – „Urteil: Ausrangierter Polizei-Bulli darf Schriftzug einer Anwaltskanzlei tragen (in den Westfälischen Nachrichten vom Wochenende, aber auch hier). Ich dachte da sofort: Du bist nicht mehr allein, lieber Kollege Hoenig, denn deine Idee mit der Wanne hat man offenbar woanders aufgegriffen (geklaut? 🙂 oder angeleitet vom Urheber der Idee) und dann auch gleich ein Verwaltungsgericht damit beschäftigt. An anderer Stelle wird von „Spitzenmarketing“ gesprochen. Wenn das Schule macht, tut sich da für die Polizei ein völlig neuer Markt für ausrangierte Fahrzeuge aus. Je nach Alter der Kanzleiinhaber kann man sich aber auch ein Motorrad zulegen :-). Ich würde allerdings zur „Wanne“ tendieren :-))

Muss der Amtsrichter sich eben anstrengen, oder: Man muss nur wollen.

Der Beck-Blog berichtet über den Beschl. des OLG Bamberg v. 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, mit dem das OLG zu den Anforderungen an die tatrichterlichen Urteil Stellung genommen hat, wenn denen ein anthropologisches SV-Gutachten zugrunde gelegen hat.

Das OLG weist darauf hin – entsprechend der h.M. in der Rechtsprechung, insoweit also nichts Neues – dass, dann, wenn sich das Tatgericht zur Identifizierung des Betroffenen auf die Ausführungen eines Sachverständigen stützt, es den sachlich-rechtlichen Darlegungsanforderungen regelmäßig nicht genügt, wenn in den Urteilsgründen im Wesentlichen nur das Ergebnis des erstatteten anthropologischen Identitätsgutachtens mitgeteilt wird. Das gilt für das OLG auch, wenn es sich um ein anthropoloischen SV-Gutachten handelt. Dann sei darzulegen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale sich der Sachverständige im Rahmen seiner nicht standardisierten Untersuchungsmethode bei der Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat. Weiterhin sind Ausführungen dazu notwendig, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde gelegt und wie diese ermittelt wurden. Das OLG hat sich auch insoweit der wohl überwiegenden Meinung angeschlossen.

Der Beck-Blog meint, dass die Anforderungen damit derart hoch geschraubt würden, dass die Anforderungen kaum noch erfüllt werden können. Das meine ich nicht. Der Amtsrichter kann sie erfüllen, man muss nur wollen und den SV in der Hauptverhandlung ausreichend befragen und das Ergebnis dann im Urteil mitteilen. Ist sicherlich mühsam, aber es geht. Wenn man will.

Schnell ist das scharfe Schwert der Verspätung gezückt…

Immer wieder machen die AG im OWi-Verfahren bei der Ablehnung eines Beweisantrages vom scharfen Schwert der Ablehnung wegen Verspätung (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) Gebrauch (es ist ja so einfach :-(), ohne dabei zu bedenken, dass das nur dann sticht, wenn die Hauptverhandlung ausgesetzt – nicht nur unterbrochen – werden muss.

Dass es auf die Aussetzung ankommt, hat das OLG Hamm jetzt gerade einer Amtsrichterin noch einmal ins Stammbuch geschrieben (vgl. Beschl. v. 04.05.2010 – 2 RBs 35/10). Allerdings hat deren Fehler (?) dem Betroffenen nicht viel gebracht. Denn der Verteidiger hatte die Rechtsbeschwerde/Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet. Aus ihr muss sich nämlich ergeben, dass es nicht zur Aussetzung gekommen wäre. Dennoch: Das OLG hat aufgehoben, weil das AG auch den Rechtsfolgenausspruch, vor allem das Fahrverbot nicht genügend begründet hatte. Also: Wenigstens insoweit noch einmal. Und die Uhr tickt…