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StPO II: Unverzügliche/rechtzeitige Ablehnung, oder: Verspätung lässt sich aufholen

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In diesem zweiten Posting geht es dann auch noch einmal um Ablehnung, und zwar um den „richtigen“ = nicht zu späten Ablehnungszeitpunkt. Dazu habe ich zwei BGH-Entscheidungen, und zwar:

  • BGH, Beschl. v. 18.02.2025 – 1 StR 543/24:

    1. Die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Befangenheitsantrags beanstandet, ist zwar zulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Sie ist aber bereits deswegen unbegründet, weil der Angeklagte entgegen § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO die Ablehnung im Unterbrechungszeitraum ab dem 26. April 2024 nicht unverzüglich geltend gemacht hat. Denn er hat drei Werktage verstreichen lassen. Am 16. Mai 2024 war er in der Lage, sich mit seinem Pflichtverteidiger über die weitere Vorgehensweise abzustimmen, nachdem er an diesem Tag von den Äußerungen der Vorsitzenden und einer Beisitzerin vom 26. April 2024 erfahren hatte. Dies folgt aus der – nicht angegriffenen – Einschätzung des Sachverständigen W. , der die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu begutachten hatte. Am 17. Mai 2024 besprach sich der Angeklagte zudem mit seiner Pflichtverteidigerin (vgl. zum Ganzen die Stellungnahme der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft vom 28. Mai 2024; Seite 67 der Revisionsbegründung). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte ab diesem Tag sogar wieder verhandlungsfähig war. Damit durfte er aufgrund des an das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ anzulegenden strengen Maßstabs nicht bis zum 23. Mai 2024 mit dem Anbringen des Ablehnungsantrags abwarten (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14 Rn. 46; Beschluss vom 10. Juni 2008 – 5 StR 24/08 unter a)). Nach alledem kann offenbleiben, wie die beanstandeten Äußerungen der Vorsitzenden und der Beisitzerin in der Sache zu beurteilen gewesen wären.“

  • BGH, Beschl. v. 21.09.2024 – AnwSt (B) 3/21:

„a) Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 16. Juni 2023 zum Ablehnungsgesuch des Klägers vom 8. Mai 2023 ausgeführt hat, ist die Regelung des § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO, nach der eine Ablehnung nach dem letzten Wort des Angeklagten unzulässig ist, auf Verfahren, in denen die abschließende Entscheidung ohne Hauptverhandlung im Beschlusswege ergeht (wie etwa bei Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO), sinngemäß anzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. August 1993 – 3 StR 277/93, NStZ 1993, 600; vom 13. Februar 2007 – 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416, 417; vom 7. August 2007 – 4 StR 142/07, NStZ 2008, 55 und vom 15. November 2012 – 3 StR 239/12, juris Rn. 4). Demnach ist eine Ablehnung der beschließenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit jedenfalls nach Erlass der Abschlussentscheidung nicht mehr zulässig. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einer Anhörungsrüge nach § 356a StPO verbunden wird, die sich jedoch deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass nicht mehr in eine neue Sachprüfung einzutreten ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2006 – 1 StR 180/06, JR 2007, 172; vom 13. Februar 2007 – 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416, 417; vom 7. August 2007 – 4 StR 142/07, NStZ 2008, 55 und vom 15. November 2012 – 3 StR 239/12, juris Rn. 4).

b) Danach ist das Ablehnungsgesuch des Antragstellers vom 29. Juli 2024 nach § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO verspätet. Das anwaltsgerichtliche Verfahren gegen den Antragsteller war gemäß § 145 Abs. 5 Satz 3 BRAO bereits mit dem Beschluss des Senats vom 12. Juli 2021, mit dem die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 145 Abs. 5 Satz 1 und 2 BRAO verworfen wurde, rechtskräftig abgeschlossen. Damit war bereits ab diesem Zeitpunkt ein Ablehnungsgesuch des Antragstellers nicht mehr zulässig, selbst wenn er es mit seiner Anhörungsrüge vom 1. September 2021 verbunden hätte, da diese nicht nur unzulässig, sondern – wie im Beschluss vom 29. Oktober 2021 ergänzend ausgeführt – mangels entscheidungserheblicher Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auch unbegründet war. Für das nunmehr erst mehrere Jahre nach dem Beschluss des Senats vom 29. Oktober 2021 gestellte Ablehnungsgesuch des Antragstellers vom 29. Juli 2023 gilt das erst recht.“

Reise I: Enteisung des Flugzeugs vor dem Start, oder: Nicht immer ein „außergewöhnlicher Umstand“

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Und im „Kessel Buntes“ heute dann „Reiserecht“, also zwei Entscheidungen, die sich mit Rechtsfragen rund um die Reise befassen.

Ich stelle zunächst das BGH, Urt. v. 27.08.2024 – X ZR 146/23 – zur Ausgleichzahlung wegen einer Flugverspätung aufgrund einer erforderlichen Enteisung des Flugzeugs vor dem Start.

Dazu folgender Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die Zedentin verfügte über eine bestätigte Buchung für einen Flug von Minneapolis über Amsterdam nach Düsseldorf. Der von der Beklagten durchgeführte Flug von Minneapolis nach Amsterdam sollte planmäßig am 05.12.2021 um 21:20 Uhr (Ortszeit) starten und am Tag darauf um 12:15 Uhr (Ortszeit) landen. Wegen einer erforderlichen Enteisung in Minneapolis startete das Flugzeug verspätet und erreichte Amsterdam um 12:51 Uhr (Ortszeit). Die Zedentin versäumte ihren Anschlussflug und erreichte Düsseldorf mit einer Verspätung von 3 Stunden und 51 Minuten.

Die Klägerin hat die Beklagte außergerichtlich zur Zahlung einer Ausgleichsleistung aufgefordert. Die Beklagte berief sich auf außergewöhnliche Umstände i.S. von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO und lehnte eine Zahlung ab. Die Klägerin hat dann ursprünglich auf Zahlung von 600 EUR nebst Zinsen geklagt. In ihrer Klageerwiderung hat sich die Beklagte ergänzend auf eine Kürzung um 50 % nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. c FluggastrechteVO berufen. Daraufhin erklärten die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von 300 EUR für in der Hauptsache erledigt.

Das AG hat die Beklagte nach Beweisaufnahme zur Zahlung von 600 EUR nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, da die Beklagte sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO berufen könne. Die eine Enteisung erforderlich machende Wetterlage am 5.12.2021 gehöre zu den nicht mit der Durchführung des betreffenden Fluges zu vereinbarenden Wetterbedingungen im Sinne von Erwägungsgrund 14 der Verordnung und stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar. Mit ihrer (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch in Höhe von 300 EUR nebst Zinsen weiter. Insoweit hatte das Rechtsmittel Erfolg:

2.    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts begründet die Notwendigkeit der Enteisung im Streitfall keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.

a)    Als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Vorkommnisse anzusehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist von Fall zu Fall zu beurteilen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 23. März 2021 – C-28/20, NJW-RR 2021, 560 Rn. 23 – Airhelp; Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 20 – SATA International – Azores Airlines).

b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands danach nicht aus, dass ein Problem aufgetreten ist, welches nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen hat.

Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass außergewöhnliche Umstände auch im Hinblick auf solche Vorgänge vorliegen können, die grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehören, etwa das Betanken des Flugzeugs oder die Verladung von Gepäck, wenn dabei ein Problem auftritt, das auf außergewöhnlichen Umständen beruht, wie etwa auf einem allgemeinen Ausfall des Versorgungssystems oder einem allgemeinen Mangel an Personal, das vom Betreiber des Flughafens verwaltet wird (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 22 f. – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 23 f. – Touristic Aviation Services Ltd).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands in solchen Fällen jedoch nicht aus, dass eine Vielzahl von Flugzeugen von dem in Rede stehenden Problem betroffen ist. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass es sich um ein tatsächlich nicht beherrschbares externes Ereignis handelt. Unter diesen Begriff fallen Ereignisse, die vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd).

3.    Bei Anlegung dieses Maßstabs beruht die Verspätung im Streitfall nicht auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.

a)    Wie die Revision zu Recht geltend macht und auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, gehört die Enteisung eines Flugzeugs bei winterlichen Temperaturen grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.

Die Enteisung eines Flugzeugs vor dem Start dient der Gewährleistung eines technisch einwandfreien und betriebssicheren Zustands des Flugzeugs (BGHS Wien, Urteil vom 12. Oktober 2015 – 16 C 194/15v-12, BeckRS 2016, 81341 Rn. 28; Schmid (Anm.), RRa 2011, 241, 244; Führich, RRa 2012, 166, 169; Marti, Fluggastrechte gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, 2016, 212). Ein solcher Vorgang ist jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit winterlichen Temperaturen zu rechnen ist, nicht außergewöhnlich.

b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stellen Verzögerungen bei der Enteisung nicht schon dann einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn eine Vielzahl von Flugzeugen davon betroffen ist und das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss auf den Enteisungsvorgang hat.

Wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, kommt eine Einordnung als externes Ereignis im oben genannten Sinne allerdings auch bei Vorgängen in Betracht, die häufig auftreten (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd; BGH, Urteil vom 24. September 2013 – X ZR 160/12, NJW 2014, 861 Rn. 16). Als Naturereignis oder als Handlung eines Dritten, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreift, können solche Vorgänge aber nur dann angesehen werden, wenn sie – ungeachtet der Häufigkeit, mit der sie auftreten können – einen Umstand bilden, der außerhalb dessen liegt, was als normale Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens anzusehen ist. Winterliche Flugbedingungen sind danach jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit solchen Bedingungen typischerweise zu rechnen ist, nicht als Naturereignis anzusehen.

c)    Im Streitfall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass ein Flugzeug, das im Dezember von Minneapolis aus startet, nicht immer enteist werden muss. Die Notwendigkeit einer Enteisung hängt vielmehr vom jeweiligen Wetter und von der Entscheidung des Piloten ab.

Daraus ergibt sich, dass die Notwendigkeit einer Enteisung unter den für den Streitfall maßgeblichen Umständen einen Umstand darstellt, mit dem typischerweise zu rechnen war. Folglich liegt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vor.“

OWi II: Verspätung wegen Vergessen des Impfpasses, oder: Genügende Entschuldigung

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Die zweite Entscsheidung des Tages kommt mit dem KG, Beschl. v. 10.03.2022 – 3 Ws (B) 56/22 – auch noch einmal aus Berlin. Es geht um die Frage der genügenden Entschuldigung und/oder die Frage der Zulässigkeit der Verwerfung des Einspruchs. Also um die Frage: War der Betroffene im Termin unentschuldigt ausgeblieben.

Folgender Sachverhalt: Zur Hauptverhandlung war der Betroffene nicht erschienen. Grund hierfür ist gewesen, dass der Betroffene keinen Einlass in das Gerichtsgebäude erhalten hatte, weil er weder ein Impfzertfikat noch einen Genesenen- oder Testnachweis bei sich hatte. Das AG hat den Einspruch daraufhin mit der Begründung verworfen, der Betroffene fehle unentschuldigt.

Mit der Rechtsbeschwerde ist dann vorgetragen worden, dass Betroffene 20 bis 30 Minuten vor Terminsbeginn um 10.30 Uhr an der Pforte des AG gewesen sei, dort jedoch mangels Impfnachweises abgewiesen worden. Daraufhin sei er umgekehrt und habe das Zertifikat holen wollen. Fünf Minuten vor Terminsbeginn sei er von seinem Verteidiger angerufen worden; diesem habe er den Sachverhalt geschildert und mitgeteilt, er werde zwischen 10.45 Uhr und 10.55 Uhr erscheinen. Der Verteidiger habe daraufhin dem Gericht mitgeteilt, er, der Betroffene, werde sich geringfügig verspäten. Um 10.45 Uhr habe das AG den Einspruch verworfen.

Die Rechtsbeschwerde hatte beim KG Erfolg:

„2. Die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte, nachdem es von einer 15 Minuten nicht erheblich überschreitenden Verspätung des Betroffenen wusste, dessen Einspruch nicht ohne weiteres Zuwarten verwerfen dürfen.

a) Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet (vgl. BGHSt 24, 143; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74 Rn. 19). Sie dient dem Zweck, den Rechtsmittelführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Rechtsbeschwerde dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Diese Vermutung entfällt jedoch, wenn der Betroffene noch vor dem Termin oder in der normalen Wartezeit von fünfzehn Minuten (vgl. VerfGH Berlin NJW-RR 2000, 1451) die Gründe seiner (voraussichtlichen) Verspätung mitteilt und sein Erscheinen in angemessener Zeit ankündigt (vgl. OLG Köln VRS 42, 184; BayObLG VRS 47, 303; 60, 304; 67, 438; StV 1985, 6; 1989, 94; NJW 1995, 3134; OLG Stuttgart MDR 1985, 871; OLG Düsseldorf StV 1995, 454; OLG Hamm NZV 1997, 408; ebenso zu den Anforderungen an den Erlass eines Versäumnisurteils wegen Nichterscheinens vor Gericht: OLG Dresden NJW-RR 96, 246 und BGH NJW 1999, 724). Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, einen längeren Zeitraum zuzuwarten (vgl. Senat VRS 123, 291 m. w. N.). Diese über die normale Wartezeit hinausgehende Wartepflicht besteht unabhängig davon, ob den Betroffenen an der Verspätung ein Verschulden trifft, es sei denn, ihm fällt grobe Fahrlässigkeit oder Mutwillen zur Last (vgl. Senat, a. a. O.).

b) So verhielt es sich hier. Nach dem nachvollziehbaren und glaubhaften Rechtsbeschwerdevortrag war die Abteilungsrichterin bereits vor Terminsbeginn darüber unterrichtet, dass sich der Betroffene „geringfügig“, nämlich 15 bis 25 Minuten, verspäten würde. Dass der Betroffene beim ersten Aufruf der Sache um 10.34 Uhr und beim zweiten Aufruf um 10.45 Uhr fehlte, beruhte also, wie das Gericht wusste, nicht darauf, dass der Betroffene kein Interesse an der Rechtsverfolgung hatte. Es ergab sich vielmehr, wie das Amtsgericht im Urteil auch zutreffend feststellt, daraus, dass der Betroffene seine „Obliegenheit“ verletzt hatte, sich über die pandemiebedingten Zugangsregeln zu informieren. Eine solche Pflichtwidrigkeit erfüllt aber jedenfalls dann nicht die Voraussetzungen des in § 74 Abs. 2 OWiG genannten Merkmals der nicht genügenden Entschuldigung, wenn das alsbaldige Erscheinen des Betroffenen angekündigt und tatsächlich zu erwarten ist. Dies war hier der Fall. Auch grobe Fahrlässigkeit oder gar Mutwillen stehen hier schon angesichts der Volatilität der Pandemieregeln nicht in Rede.

c) Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer auf die Verwerfung der Rechtsbeschwerde antragenden Zuschrift die bedenkenswerte Auffassung, es könne dahinstehen, ob das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen bereits nach einer fünfzehnminütigen Wartezeit verwerfen durfte. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf einem solchen – unterstellten – Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG, denn die Rechtsbeschwerde verschweige, ob sich der Betroffene überhaupt wieder zurück zum Gericht begeben habe und wann er dort eingetroffen sei.

Dieser Überlegung ist zuzugeben, dass sich die Rechtsbeschwerde nicht dazu verhält, ob und wann sich der Betroffene tatsächlich verhandlungsbereit vor dem Gerichtssaal eingefunden hat. Weiter ist anzuerkennen, dass die gerichtliche Wartepflicht auch dann nicht unbegrenzt andauert, wenn dem Gericht die Gründe der Verspätung bekannt sind. Daraus lassen sich die Erfordernisse ableiten, dass die Rechtsbeschwerde die Dauer der tatsächlichen oder zu erwarten gewesenen Verspätung beziffern und auch mitteilen muss, dass diese dem Tatrichter unterbreitet worden ist. Denn nur in diesem Fall kann das Rechtsbeschwerdegericht beurteilen, ob dem Amtsgericht ein Zuwarten tatsächlich zumutbar war.

Allerdings teilt die Rechtsbeschwerde hier mit, dass von einer 15- bis 25-minütigen Verspätung auszugehen gewesen sei und dem Amtsgericht demzufolge eine „geringfügige Verspätung“ angekündigt worden sei. Nach der Auffassung des Senats reicht dies für die Bewertung aus, dass das Amtsgericht nicht bereits nach einer fünfzehnminütigen Wartezeit den Einspruch des Betroffenen verwerfen durfte. Es dürfte die Anforderungen überspannen, würde vom Betroffenen die Mitteilung verlangt, dass und wann er sich im Falle eines bereits verkündeten Verwerfungsurteils tatsächlich verhandlungsbereit an Gerichtsstelle eingefunden hat.“

Die Belastung des Amtsrichters – ist sie groß genug?

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Was für eine Frage: Die Belastung des Amtsrichters – ist sie groß genug? Natürlich werden die mitlesenden Amtsrichter – und wahrscheinlich nicht nur die – sagen. Aber: Die Frage stellt sich nicht in dem allgemeinen Zusammenhang nach der allgemeinen dienstlichen Belastung  der (Amts)Richter, sondern konkret in einem amtsgerichtlichen Verfahren, in dem der Amtsrichter Beweisanträge des Betroffenen  „nach „§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG“ zurückgewiesen [hat], da „die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nach seinem pflichtgemessen Ermessen nicht erforderlich“ sei. Die Anträge seien „ohne verständigen Grund so spät vorgebracht“ worden, „dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde“. Dazu führte das Amtsgericht im angefochtenen Urteil u.a. aus, dass es seinerzeit schon für Ende Januar terminiert habe, bei zwei bis drei Sitzungstagen pro Woche. Aufgrund dieser Belastung sei eine Durchführung eines Fortsetzungstermins innerhalb der Frist der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 229 Abs. 1 StPO nicht möglich.“

Dem OLG Hamm, das auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Frage befasst war, passt das so nicht.Es verweist im OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.2015 – 1 RBs 18/15 – darauf, dass der Ansatz des Amtsrichters, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 228 StPO mit der Folge, dass die Hauptverhandlung neu durchgeführt werden muss, führen würde, im Urteil nicht ausreichend dargetan sei. Die allgemeine Angabe, das Amtsgericht terminiere Straf- und Bußgeldsachen an zwei bzw. drei Hauptverhandlungstagen je Woche und man terminiere derzeit bereits im Januar des Folgejahres, sage darüber nichts aus. So ist weder dargetan, wie umfangreich die jeweiligen Verhandlungstage sind, noch, dass – ohne Vernachlässigung oder Zurückstellung anderer Verfahren – die begehrte Beweisaufnahme, welche einen überschaubaren Umfang hat, nicht gleichwohl noch zusätzlich hätte angesetzt werden können.

Und dann kommt das – was m.E. – die Amtsrichter nicht gerne lesen werden:

Für die Frage, ob die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führt, ist maßgeblich, ob ein seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllender Richter – auch unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitsbelastung, d.h. auch bei angemessener Mehrarbeit gegenüber seiner üblichen wöchentlichen Arbeitsbelastung – den Fortsetzungstermin zur Durchführung der Beweisaufnahme nicht mehr hätte ansetzen können. Dies ist dann der Fall, wenn er – auch bei angemessener Mehrarbeit – den Fortsetzungstermin voraussichtlich nicht ohne Aufhebung anderer Termine oder Vernachlässigung anderer Pflichten (wie etwa sorgfältige Vorbereitung anderer Hauptverhandlungen, Wahrung der Urteilsabsetzungsfristen, Wahrung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen etc.) nicht durchführen kann. Der Senat hält es hingegen nicht für erforderlich, dass die Beweiserhebung zwingend zur Aussetzung der Hauptverhandlung führt, etwa weil bereits feststeht, dass das Beweismittel nicht fristgerecht herbeigeschafft werden kann.

….

Den Fall, dass ein seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllender Richter – auch unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitsbelastung, d.h. auch bei angemessener Mehrarbeit gegenüber seiner üblichen wöchentlichen Arbeitsbelastung – den Fortsetzungstermin zur Durchführung der Beweisaufnahme nicht mehr hätte ansetzen können, sieht der Senat z.B. dann als gegeben an, wenn der Richter mit der Durchführung von Hauptverhandlungen, deren Vor- und Nachbereitung sowie mit seinen sonstigen richterlichen Aufgaben so belastet ist, dass ein Fortsetzungstermin zur Durchführung der beantragten Beweisaufnahme in dem Unterbrechungszeitraum oder eine deshalb zu verschiebende anderweitige Tätigkeit zwangsläufig erst ab den frühen Abendstunden, zu früher Morgenzeit oder am Wochenende durchgeführt werden könnte.

Solches ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Das Amtsgericht hat für den konkreten Fortsetzungszeitraum i.S.v. § 229 StPO weder die konkrete Zahl von Sitzungstagen, noch die Zahl der zu verhandelnden Sachen, noch die hierfür angesetzte Verhandlungsdauer mitgeteilt. Dies hätte womöglich schon ausgereicht, dem Senat, der einschätzen kann, wie viel Vorbereitungs – und Nachbereitungszeit erforderlich ist, einen Eindruck davon zu vermitteln, dass die Auslastung des Tatrichters eine weitere Beweisaufnahme in einem Fortsetzungstermin innerhalb der Unterbrechungsfrist nicht zugelassen hätte.“

Also: So ganz einfach ist das mit der Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verspätung nicht (mehr).

3 Stunden Verspätung – aber dennoch ein Lob für die DB

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Da muss ich die Deutsche Bahn aber mal loben, echt. Wer viel mit der DB fährt, hat viel zu erzählen. So ich auch. Meist aber nur Negatives bzw. Gemecker über Verspätungen, Umleitungen usw. Heute aber dann mal ein Lob – muss dann auch mal sein. Und zwar wegen folgendem Ablauf:

Ich bin auf Tour zu einer Veranstaltung in Weimar. Münster – Hamm – Fulda- Weimar, so ist der Zuglauf. In Münster leichte Verstimmung wegen einer Verspätung, aber den ICE in Hamm habe ich dann doch erreicht. Bis Fulda dann Ruhe = man kann arbeiten. In Fulda muss mir dann beim Aus-/Umsteigen das Handy aus der Tasche gefallen sein. Als ich es merke, ist der ICE natürlich weg. Im Reisezentrum dann aber ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mitarbeiter der DB, der versucht, den Zugchef des ICE, der sich auf dem Weg nach München befindet – mit meinem Handy 🙁 – zu erreichen. Das gelingt auch nach mehrmaligen Versuchen. Da ich noch wusste, wo ich gesessen habe – heute ausnahmsweise mal keine Reservierung – schickt der Mitarbeiter den Zugchef auf Suche. Und – Gott sei Dank – er findet das Handy an „meinem“ Platz.

Dann folgender weiterer Ablauf: Das Handy wird von Nürnberg aus nach Würzburg geschickt, dorthin bin ich dann in der Zwischenzeit gefahren, um es am Infopoint abzuholen. Dann wieder zurück nach Fulda, von dort dann – wie geplant – nach Weimar. Dort komme ich dann nachher mit einer Verspätung von knapp drei Stunden, aber dafür dann wieder mit Handy, an.

Für die Verspätung kann die Bahn aber nun wirklich nichts. Ist meine eigene Schusseligkeit, die so zu Recht bestraft wird. Ein Lob an die DB wegen der unbürokratischen Hilfe. War vor allem deshalb drängend, weil ich ab Montag in Urlaub bin – ohne Handy geht ja gar nicht.

Und ein besonderes Lob und Danke schön an den hilfsbereiten und netten Herrn Müller vom Reisezentrum/Infopoint in Fulda. Wenn doch immer nur alles so glatt ging bei der Deutschen Bahn.

Und: Wenn Handyverlust nur in Fulda und nur, wenn Herr Müller Dienst hat. 🙂 🙂