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Zur Haftungsverteilung nach einem Rotlichtverstoß, oder: Betriebsgefahr tritt zurück

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Im „Kessel Buntes“ heute seit längerem mal wieder zwei Entscheidungen zur Haftung bei/nach Verkehrsunfällen.

Zunächst stelle ich das OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.04.2023 – 3 U 11/23 – vor. Der Kläger macht in dem Verfahren gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 6.11.2019 in Saarbrücken ereignet hat. Der Kläger befuhr mit seinem eine Straße, auf der baustellenbedingt die rechte der beiden Fahrspuren gesperrt und eine Behelfsampel eingerichtet war, die der Kläger bei Rotlicht überfuhr. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Pkw der (Erstbeklagte), als diese bei für sie angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt eines Parkhauses auf die Straße einfuhr.

Das LG ist von einer Haftung der Klägers zu 75 % ausgegangen. Dagegen richten sich die Berufungen der Parteien. Die der Beklagten hatte Erfolg:

„2. Die hiernach gebotene Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2022 – VI ZR 344/21 –, Rn. 11, juris). Anders als das Landgericht angenommen hat, hat der Kläger danach für die Unfallfolgen alleine einzustehen.

a) Ohne Erfolg wendet sich die Zweitberufung dagegen, dass das Landgericht auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 8 Abs.2 StVO i.V.m. 37 Abs. 1 StVO berücksichtigt hat.

Soweit der Kläger geltend macht, sein Rotlichtverstoß sei nicht kausal für den Unfall geworden, da die Ampel auch der Einfahrt in das Parkhaus diene und die Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren Schutzbereich des Rotlichts unterfalle, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar regelt jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung oder Einmündung, an der sie angebracht ist (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl. 2023, § 37 Rn. 8 m.w.N.); die Entscheidung über den durch das Rotlicht geschützten Bereich ist aber stets einzelfallabhängig anhand der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu treffen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 7. November 2002 – Ss (OWi) 508/02 –, Rn. 8, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 19; NK-GVR/Felix Koehl, 3. Aufl. 2021, StVO § 37 Rn. 13). Danach war hier zweifelsfrei auch die Parkhausausfahrt durch das Rotlicht geschützt. Denn die Behelfsampel ersetzte während der Bauarbeiten die ansonsten an der Unfallstelle vorhandene Lichtzeichenanlage und erfüllte – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt – deren Funktionen. Die üblicherweise vorhandene Lichtzeichenanlage – die sich, anders als die Zweitberufung meint, in Bezug auf die Behelfsampel nicht 14 Meter weiter entfernt, sondern näher an der Parkhausausfahrt befindet – regelt den jeweiligen Vorrang zwischen dem Verkehr auf der Kaiserstraße einschließlich der dort verkehrenden Saarbahn sowie den aus dem Parkhaus auf die Kaiserstraße einfahrenden Verkehrsteilnehmern und dient daher gerade dem Schutz des aus der Parkhausausfahrt auf die Kaiserstraße einmündenden Verkehrs. Dass es nach den Feststellungen des Sachverständigen M. erst rund 31 Meter hinter der Behelfsampel zur Kollision kam, stellt die Unfallursächlichkeit des Rotlichtverstoßes des Klägers damit nicht infrage, weil diese sich im insofern maßgeblichen, unmittelbaren Einmündungsbereich der Parkhausausfahrt ereignet hat.

b) Das Landgericht hat auf Klägerseite ferner einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO in die Abwägung mit einbezogen, da der Kläger auf das herannahende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert hatte, obschon sich dieses bereits ab der Ausfahrt aus dem Parkhaus in seinem Blickfeld befand und er mit dessen Einfahren auf die Kaiserstraße rechnen musste. Auch dies begegnet keinen Bedenken und wird von der Zweitberufung nicht angegriffen.

c) Auf Beklagtenseite ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Sorgfaltspflichten der Erstbeklagten nicht nach § 10 StVO richteten. Denn das Grünlicht der für die Erstbeklagte geltenden Lichtzeichenanlage gemäß § 37 Satz 1 StVO geht den Vorrangregeln des § 10 Satz 1 StVO vor (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO § 37 Rn. 5). Gleiches gilt in Bezug auf das an der Ausfahrt vor dem Übergang zu den Saarbahngleisen angebrachten, den Vorrang regelnden Verkehrszeichen 205 („Vorfahrt gewähren“).

d) Die Erstbeklagte brauchte bei für sie angezeigtem Grünlicht grundsätzlich auch nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in den Einmündungs-/Kreuzungsbereich einfährt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 98/91 –, Rn. 13, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2018 – 1 U 112/17 –, Rn. 51, juris). Da auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die aus Sicht der Erstbeklagten Vorsicht geboten, spricht manches dafür, dass die Erstbeklagte – anders als dies das Landgericht angenommen hat – trotz der baustellenbedingten Verlagerung der Lichtzeichenanlage nicht gehalten war, sich gleichwohl nach von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern zu vergewissern.

Letztlich kann dies dahinstehen. Denn ein etwaiges Mitverschulden der Erstbeklagten wöge gering und träte vollständig hinter das vergleichsweise schwere Verschulden des Klägers zurück. Bereits das Nichtbeachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage ist wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahrlässig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 452/13 –, Rn. 18, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 74). So liegt es auch hier. Soweit der Kläger geltend macht, die rote Ampel sei baustellenbedingt nur schwer erkennbar gewesen, vermag der Senat dem in Ansehung der Aussage des Zeugen G. nicht beizutreten. Dieser hatte in seiner Vernehmung geäußert, er sei verwundert darüber gewesen, dass der Kläger die rote Ampel übersehen konnte. Auch das von dem Kläger eingereichte Lichtbild (Bl. 39 GA) zeigt nicht auf, dass die Ampel für einen Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar gewesen wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass das nebenliegende Gebäude großflächig mit einem roten Schutznetz abgedeckt war. Der Blick auf die gesondert aufgestellte Ampel war damit gerade nicht beeinträchtigt.

Hinzu tritt hier ferner, dass der Kläger im weiteren Verlauf auf das einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagierte, obschon sich der Einfahrvorgang der Erstbeklagten in seinem frontalen Gesichtsfeld abspielte, und – wie das Sachverständigengutachten ergeben hat – in das seitlich vor ihm befindliche Fahrzeug hineinfuhr. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Alleinhaftung des Klägers angemessen.“

Passieren eines im Einsatz befindlichen Müllfahrzeugs, oder: Welche Geschwindigkeit/welcher Abstand?

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Celle. Es handelt sich um das OLG Celle, Urt. v. 15.02.2023 – 4 U 111/22 – betreffend eine Verkehrsunfall aus März 2021. Bei dem wurde eines der Pflegedienstfahrzeuge der Klägering beschädigt. Und zwar war eine Mitarbeiterin der Klägerin an einem Müllfahrzeug des Beklagten zu 2) vorbeigefahren, das mit laufendem Motor, laufender Trommel/Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage auf der Straße stand. Dabei kam es zur Kollision mit einem Müllcontainer, den der Beklagte zu 1) hinter dem Müllfahrzeug quer über die Straße schob.

Auch hier verweise ich wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze des Urteils ein, und zwar:

    1. Beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen im Einsatz muss nicht stets oder in der Regel Schrittgeschwindigkeit oder ein Sicherheitsabstand von 2 m eingehalten werden (a.A. z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 1 U 117/17, juris); maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, u.a. die örtlichen Gegebenheiten und etwaige Wahrnehmungen des Fahrzeugführers. Die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 13 km/h kann ausreichend sein.
    2. Die Privilegierung des § 35 Abs. 6 StVO begründet keine Befreiung vom allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO. Ein Müllwerker, der auf der Fahrbahn einen großen, schweren Müllrollcontainer hinter dem Müllfahrzeug hervorschiebt, ohne auf den Verkehr zu achten, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO.

Auf der Grundlage ist das OLG zu einer Haftung der Beklagten von 75 : 25 zu Lasten des Beklagten zu 2) ausgegangen.

Porsche versus Mercedes beim Rückwärtsausparken, oder: Schadensteilung ist gerecht

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Und heute im „Kessel Buntes“ zwei AG-Urteil zum Verkehrszivilrecht.

Zunächst stelle ich das AG Pfaffenhofen, Urt. v. 23.09.2022 – 1 C 427/21 – vor. Es geht um die Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall. Ereignet hat sich der Verkehrsunfall am 31.03.2021 um 10.45 Uhr auf der B-Straße in R-Stadt auf Höhe der Hausnummer 12 bzw. 17. Die Klägerin parkte ihren Pkw Porsche vor dem Parkplatz des dortigen Geschäfts „Haarkunst“ in der B-Straße in R-Stadt. Zur gleichen Zeit parkte die Beklagte zu 2. mit ihrem Pkw Mercedes auf einer Fläche vor dem Anwesen der B-Straße 12 leicht schräg im Bereich der dortigen Volks- und Raiffeisenbank, etwa gegenüber der Klägerin auf der gegenüberliegenden Seite. Die Klägerin parkte sodann rückwärtsfahrend über die Gegenfahrbahn auf die B-Straße aus. Auch die Beklagte zu 2. parkte rückwärts auf die B-Straße aus allerdings auf die ihr nächstgelegene Fahrbahnseite. Im Bereich der Fahrbahn der Beklagten zu 2. kam es sodann zur Kollision beider Fahrzeuge. Der Unfallhergang war zwischen den Parteien streitig.

Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 2) hat auf den Schaden 50 % gezahlt. Die Klägerin macht mit der Klage die restlichen 50 % geltend. Das AG sagt: Gibt es nicht. Halbe/halbe ist ok, denn der Unfall war für keinen Unfallbeteiligten unabwendbar..

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Ein jeweils anderer Verkehrsteilnehmer im Sinne von §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 1 StVO ist nicht nur der fließende Verkehr, sondern jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Hierzu gehören auch diejenigen, die auf der jeweils anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführen, um in die Fahrbahn einzufahren.
  2. Kommt es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in den fließenden Verkehr zu einer Kollision, spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Einfahrenden.
  3. Die der Rückwärtsfahrt innewohnende besondere Gefährlichkeit kann auch beim rückwärts Ausparken auf die Gegenfahrbahn leicht erhöht werden, da dieser den längeren Fahrweg hat und zusätzlich noch die Gegenfahrbahn überqueren muss.

Obliegenheitsverletzung nach einem Verkehrsunfall, oder: Unerlaubtes Entfernen und/oder Nachtrunk

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Heute dann mal kein beA im „Kessel Buntes“, sondern mal wieder – seit längerem – zivilverkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.02.2022 – 11 U 176/20 -, einem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss. Das OLG nimmt zur Berufung eines Versicherungsnehmers Stellung, der nach einem Verkehrsunfall Ansprüche aus seiner Kaskoversicherung geltend gemacht hat. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von circa 20 km/h gegen eine Laterne gefahren. Er hatte nicht an der Unfallstelle gewartet, sondern sich zu dem nahe gelegenen Haus seiner Eltern begeben. Dort wurde von Polizeibeamten angetroffen. Die von der Polizei circa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe des Klägers wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage begehrte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Der Kläger hat behauptet, nach dem Unfall 0,7 Liter Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Den behaupteten „Nachtrunk“ hat die Versicherung als nicht plausibel angesehen.

Das LG hat die Klage gegen die Versicherung abgewiesen. Das OLG tritt dem in seinem Hinweisbeschluss bei:

„Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz seiner eigenen Reparaturkosten sowie der seitens der Stadt ihm gegenüber geltend gemachten Kosten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. A.1, A.2 AKB nicht zu.

Die Beklagte ist nach E.7.1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei, da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 AKB verletzt hat, indem er nach seinen eigenen Angaben nach dem Unfallgeschehen 0,7 l Wodka zu sich genommen und damit eine zuverlässige Ermittlung seines Blutalkoholgehalts zur Unfallzeit vereitelt hat. Diese Ermittlung hätte es der Beklagten ermöglicht zu prüfen, ob sie sich auf eine Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach A.2.9.1, D.1 AKB hätte berufen können.

a) Was zum Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG gehört, ergibt sich grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 8, juris).

Nach E.1.3 der hier vereinbarten AKB hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dienen kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefasst. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (vgl. dazu: Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31 Aufl., § 31 Rn. 31) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Halbach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., AKB 2015 E., Rn. 5). Ausdrücklich obliegt dem Versicherungsnehmer in diesem Zusammenhang die vertragliche Pflicht, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen z.B. zum Alkohol- und Drogenkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Der Zweck dieser Obliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 11, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

Demgemäß verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit auch durch einen ins Gewicht fallenden Nachtrunk (jeweils zu § 3 Nr. 1, § 7 V AKB a.F.: BGH, Urteil vom 22.05.1970 – IV ZR 1084/68, VersR 1970, 826; Urteil vom 19.10.1967 – II ZR 53/65, juris Rn. 4; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, E. Pflichten im Schadensfall, Tz. 29). Das gilt nicht nur in der Haftpflichtversicherung, sondern auch in der Fahrzeugversicherung, wenn Dritte – wie hier die Stadt – durch den Unfall geschädigt sind, und ergibt sich nicht allein aus den vertraglichen Vereinbarungen, sondern auch aus der durch § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers, die seine Verpflichtung einschließt, sich auch für eine polizeilich angeordnete, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereitzuhalten. In diesen Fällen kann selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Versicherer davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers diese Verpflichtung ebenfalls mit umfasst (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 53, juris; OLG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2000 – 8 U 4357/99, juris Rn. 8; OLG Köln, Urteil vom 30. Juli 1992 – 5 U 44/92 –, Rn. 5, juris; KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.07.2014 – 3 U 66/13, juris Rn. 12), da es für die Sachaufklärung und Verschuldensabwägung zwischen den Unfallbeteiligten entscheidend auch auf eine einwandfreie BAK-Bestimmung ankommt (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris m.w.N.), die bereits bei einem geringen Nachtrunk nicht mehr durchführbar ist. So verletzt ein Versicherungsnehmer seine vertragliche Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts bereits dann, wenn er die genaue Bestimmung des Blutalkoholgehalts erschwert. Die Obliegenheit, eine einwandfreie BAK-Bestimmung zu ermöglichen, wirkt sich als Reflex auch auf das Aufklärungsinteresse des Kaskoversicherers aus, da die im Rahmen der Aufklärung des Haftpflichtschadens durchgeführte Blutentnahme auch dem Versicherer zugute kommt, der die Ermittlungen bei der Abwicklung des Kaskoschadens verwerten kann (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris; OLG Düsseldorf VersR 1993, 45, 46).

b) aa) Von diesen Maßstäben ausgehend, hat der Kläger durch die Einnahme der von ihm selbst vorgetragenen erheblichen Menge Alkohols die ihn nicht nur aufgrund des eingetretenen Fremdschadens, sondern vielmehr auch aufgrund der sich aus E.1.3 AKB ergebenden ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung treffende Obliegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu seinem Alkoholkonsum zu ermöglichen, verletzt und durch den behaupteten Nachtrunk aktiv den berechtigten Interessen der Beklagten entgegengewirkt. Der Kläger hatte vorliegend Ermittlungen der Polizei zur Frage eines etwaigen Alkoholkonsums auch zu erwarten. Er selbst hatte – nach seinem Vortrag – die Polizei gerufen und veranlasst, dass sein Vater sich zur Unfallstelle begab. Im Rahmen solcher Ermittlungen der Polizei – insbesondere angesichts des vom Kläger selbst beschriebenen Unfallverlaufs – stellt die Entnahme einer Blutprobe eine routinemäßige Maßnahme dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom, 30.06.1992 – 4 U 205/91VersR 1993, 1141).

Dass der Nachtrunk der Verschleierung des Sachverhalts – also einer etwaigen tatsächlichen Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt – diente, ist für die Frage der Verwirklichung der Obliegenheitsverletzung nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9 und 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 55, juris; KG, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09, juris Rn. 3). Auch der Umstand, dass hier, da lediglich stehende Objekte beschädigt worden sind, die Frage einer Alkoholisierung des Klägers auf die Haftungsfrage keinen Einfluss haben kann, ist unerheblich (vgl. auch: OLG Köln, Urteil vom 19.01.1999 – Ss 526/98, juris Rn. 15). Der Zweck der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann, so dass aus dem Nachtrunk eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer unabhängig von einem Beweisinteresse des Geschädigten abzuleiten ist (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 – , Rn. 9, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

bb) Der objektive Verstoß gegen die Aufklärungspflicht erfolgte auch vorsätzlich.

Zwar hat die Beklagte den Vorsatz des Klägers als Voraussetzung ihrer Leistungsfreiheit zu beweisen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw. E.7.1 AKB). Bereits aus dem erheblichen und offensichtlichen Schaden an der Straßenlaterne ist aber auf das Bewusstsein des Klägers zu schließen, dass er einen Fremdschaden verursacht hat und er deshalb Feststellungen der von ihm selbst nach seinem Vortrag herbeigerufenen Polizei zum Unfallhergang – auch zum Grad seiner Alkoholisierung – zu erwarten hatte. Angesichts der Menge des von ihm konsumierten Alkohols musste ihm auch bewusst sein, dass er dadurch entsprechende Feststellungen der Polizei zumindest erschweren, wenn nicht vereiteln würde.

Soweit vorsätzliches Handeln grundsätzlich auch das Bewusstsein erfordert, gegen eine bestehende Verhaltensnorm zu verstoßen (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 14), genügt es für das Bewusstsein der Obliegenheitsverletzung, dass der Versicherungsnehmer kraft „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 61, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014 – 7 U 121/14 –, Rn. 57, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2015 – 14 U 208/14, juris Rn. 9). Anders ist es jedoch bei elementaren, allgemein bestehenden und bekannten Pflichten, die auch im Versicherungsvertrag ihren Niederschlag gefunden haben. Hier genügt zum Bewusstsein der Rechtswidrigkeit die vorhandene Erkenntnis, gegen das unzweifelhafte, generelle Verbot zu verstoßen. Die weitere Vorstellung, im Besonderen auch dem Versicherer gegenüber zur Beachtung dieses Verbots verpflichtet zu sein, ist dann nicht zu fordern (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 15). Zu diesen allgemeinen Verhaltensregeln nach einem Verkehrsunfall gehört in erster Linie das für jeden Beteiligten gültige Gebot, im Interesse der Aufklärung bis zur Aufnahme des Unfalls durch die verständigte Polizei am Unfallort zu bleiben (BGH, Urteil vom 18. Februar 1970, a.a.O.). Soweit sich der Unfallverursacher nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist vom Unfallort entfernt hat, trifft ihn die Verpflichtung, die erforderlichen Feststellungen – zu welchen auch der Grad seiner Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt gehört – unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger, ungeachtet der Frage, ob er sich überhaupt berechtigt vom Unfallort im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB entfernt hat, vorliegend bewusst verstoßen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Frage einer möglichen Alkoholisierung des Fahrers für die Einstandspflicht des Versicherers in der Kfz-Schadensversicherung von nicht unerheblicher Bedeutung ist.

cc) Der Kläger handelte auch schuldhaft. Ein medizinisch beachtlicher Unfallschock, der Einfluss auf die Schuldfähigkeit hätte haben können, ist nicht dargelegt……“

Wieviel Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall? oder: 10.000 EUR sind nach Mittelfuß-OP genug.

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Und heute dann im vorösterlichen Kessel Buntes seit längerem mal wieder etwas zum Schmerzensgeld, und zwar das OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2022 – 1 U 188/20.

Geklagt hat ein seinerzeit 17-Jähriger, der nach einem Verkehrsunfall, der sich am 07.08.2015 ereignet hat, Schadensersatz und weiteres Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls verlangt hat. Der Kläger befand sich vom 07.08.2015 bis 14.08.2015 in stationärer Behandlung, er wurde u.a. am linken Mittelfuß operiert. Die eingesetzten Drähte wurden am 03.11.2015 entfernt. Ob weitere Verletzungen und Verletzungsfolgen eingetreten sind bzw. drohen, ist zwischen den Parteien umstritten.

Gezalt worden sind vorgerichtlich insgesamt 10.000 € als Schmerzensgeld gezahlt.Und das war nach Auffassung des OLG genug:

„2. Dem Kläger ist aus dem streitgegenständlichen Unfall kein den vorgerichtlich bezahlten Betrag von 10.000 € übersteigendes Schmerzensgeld erwachsen.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen – mehrere Brüche der Großzehe und zweier Mittelfußknochen am linken Fuß sowie Hämatome im Bereich der Beine und des Bauchs sowie eine Schädelprellung und ein HWS-Distorsion – hat der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Dessen Bemessung orientiert sich an der primären Funktion, dem Geschädigten einen Ausgleich für die Einbußen zu verschaffen. Der Verletzte soll durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht worden sind (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2010, Az. 21 U 14/08, Juris). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich der Umfang und die Dauer der Schmerzen, verbleibende Behinderungen und Leiden sowie die durch die unfallbedingten Dauerschäden verursachten Beeinträchtigungen in der Lebensführung (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1994, Az. VI ZR 93/94; BGH, Urteil vom 20.03.2001, Az. VI ZR 325/99; jeweils Juris). Weitere Bemessungskriterien sind etwa die Dauer der stationären Behandlung sowie der Arbeitsunfähigkeit, Operationen und ggfl. die Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes, insbesondere das Bestehenbleiben von dauernden Behinderungen oder Entstellungen (Senatsurteil vom 18.07.2007, Az. 1 U 80/07).

Die Höhe der Entschädigung darf dabei den aus der Rechtsprechung ersichtlichen Rahmen nicht sprengen, zumal die Belastung letztlich von der Gemeinschaft aller Versicherten zu tragen ist (Senatsurteile vom 18.07.2007, Az. 1 U 80/07, und vom 01.12.1999, Az. 1 U 94/98). Daher muss sich die Höhe des Schmerzensgeldes in das Gesamtsystem der Schmerzensgeldjudikatur einfügen. Aus Gründen der rechtlichen Gleichbehandlung soll die Größenordnung dem Betragsrahmen entsprechen, der in vergleichbaren Fällen zugrunde gelegt worden ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2010, Az. 21 U 14/08, Juris Rn. 62). Hiervon ist bei den vorgerichtlich gezahlten 10.000 € auszugehen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 03.12.1996, Az. 5 U 104/96; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.05.2012, Az. 16 U 169/11; OLG Hamm, Urteil vom 09.11.1998, Az. 32 U 137/98; jeweils Juris). Berücksichtigt ist dabei, dass der Kläger wegen der Fußverletzung mehrfach jeweils für einige Tage stationär behandelt werden musste und er neben den Fußverletzungen auch weitere, offenbar aber folgenlos verheilte Verletzungen am Leib und am Kopf erlitten hatte. Der Sachverständige hat hinsichtlich der bleibenden Beeinträchtigungen des Klägers ausführlich und nachvollziehbar ausgeführt, dass nach der Korrektur der Brüche mittels Kirschner-Drähten nur eine geringgradige Bewegungseinschränkung der beiden betroffenen Zehen verblieben ist, die als solche die Lebensführung des Klägers nicht messbar beeinträchtigt. Die Einlagen für die Schuhe sind zur Behebung einer unfallunabhängigen, vorbestehenden Fußfehlstellung, die inzwischen zu Beschwerden im Bewegungsablauf geführt haben, erforderlich geworden. Prof. Dr. pp. hat zudem darauf hingewiesen, dass eine unfallbedingte Arthrose – zumindest in den Gelenken der betroffenen Zehen – extrem unwahrscheinlich ist. Das grundsätzlich für jedes Gelenk bestehende Arthroserisiko wurde unfallbedingt nicht signifikant erhöht, selbst wenn nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass sich wegen der verbliebenen Fehlhaltung künftig doch in diesen oder anderen Gelenken des Bewegungsapparates unfallbedingt entzündliche Verschleißerscheinungen (Arthrosen) bilden können.

Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Landgerichts München vom 7.11.2002 (19 O 15423/00), betrifft einen nicht vergleichbaren Fall. Der dortige Verletzte hatte einen Trümmerbruch am linken Fuß und eine Fraktur der linken Großzehe erlitten. Festgestellt war, dass sich der Zustand des Geschädigten verschlimmern werde und mit orthopädischen Hilfsmitteln sowie mit Korrektur- bzw. Versteifungsoperationen gerechnet werden müsse. Hinzu kam, dass der Verletzte bei seiner Berufsausübung die Unfallfolgen zunehmend spürte, ohne dies kompensieren zu können. Im Streitfall hingegen hat der Sachverständige nicht nur konstatiert, dass ein gutes Heilungsergebnis vorliegt, sondern auch, dass keine Beschwerden mehr auftreten. Bewegungsgedingte Schmerzen konnten bei seiner Untersuchung (5 Jahre nach dem Unfall) nicht mehr ausgelöst werden. Er ist weder einen Muskelrückgang zu verzeichnen noch sind Zehen versteift; ebenso wenig leidet der Kläger an Narbenschmerzen oder anderen Empfindungsstörungen. Seine Fußfehlstellung basiert nach Prof. Dr. pp. nicht auf dem Unfall, sondern war vorher schon dezent ausgeprägt und nötigt in weit größerem Ausmaß als die leicht deformierte Fehlstellung der großen und der 2. Zehe am linken Fuß zum Tragen von Einlagen, um Fehlbelastungen – die Gelenkschäden und Schmerzen zur Folge haben könnten – vorzubeugen.“