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Abbieger versus Überholer, oder: Quote?

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Die zweite Entscheidung kommt heute vom LG Wuppertal, und zwar ist es das (ebenfalls) schon etwas ältere LG Wuppertal, Urt. v. 05.07.2018 – 5 O 124/15. Auch hier liegt eine häufigere Verkehrssituattion zugrunde. Geltend gemacht werden von der Klägerin nämlich Schadensersatzansprüche aus einem Abbiegeunfall, bei dem das (Leasing)Fahrzeug der Klägering mit dem überholenden Pkw des Beklagten kollidiert ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte die Kollision, als das klägerische Fahrzeug bereits vor dem Abbiegevorgang längere Zeit zur Mittellinie hin eingeordnet mit links gesetzten Blinker gestanden hat und dann in den Abbiegevorgang gesteuert wurde. Das Abbiegen selber wurde in einen Zufahrtsweg vorgenommen, der von dem fließenden Verkehr baulich abgetrennt gewesen ist und später zu verschiedenen Grundstücken geführt hat, ohne dass der abbiegende Bereich bereits selber von einem Grundstück erfasst worden wäre.

Gestritten worden ist ua. über die zu bildende Haftungsquote und auch über die Höhe der Ersatzansprüche, letzteres lasse ich hier aber mal außen vor. Das LG Wuppertal hat der Klage lediglich in Höhe von 40 % stattgegeben. Zu Lasten der Beklagtenseite wäre ein Überholen in einer unklaren Verkehrslage nach dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO anzunehmen, da aufgrund der Einordnung des klägerischen Fahrzeuges zur Fahrbahnmitte hin bei einem links gesetzten Blinker ein Überholvorgang nicht hätte stattfinden dürfen. Gegen die Klägerseite würde dagegen der Beweis des ersten Anscheins im Hinblick auf einen schuldhaften Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO sprechen. Darüber hinaus wäre nach Auffassung auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO wegen des Abbiegens vom fließenden in den ruhenden Verkehr anzunehmen, bei dem die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hätte ausgeschlossen werden müssen. Maßgeblich dafür sei der vorzugswürdige funktionale Begriff eines „Grundstücks“ im Sinne dieser Vorschrift, wonach – unabhängig von einer Zuordnung zu einem einzelnen Grundstück – insgesamt der Bereich des ruhenden Verkehrs mit dem Ziel des Abbiegemanövers erreicht werden solle.

Die Kernaussagen/Leitsätze der Entscheidungen:

  • Gegen den abbiegenden Fahrzeugführer spricht der Beweis des ersten Anscheins wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang die Kollision mit einem überholenden Fahrzeug geschieht.
  • Biegt er vom fließenden in einen Bereich des ruhenden Verkehrs ab, der erkennbar nicht dem fließenden Verkehr zuzuordnen ist, spricht der Anscheinsbeweis auch für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO – dies unabhängig davon, ob tatsächlich in ein Grundstück oder einen anderen Bereich des ruhenden Verkehrs abgebogen wird.
  • Aufgrund des Verstoßens gegen § 9 Abs. 5 StVO trifft den abbiegenden Fahrzeugführer wegen der damit verbundenen höheren Betriebsgefahr eine Mithaftung in Höhe von 60 % gegenüber dem Überhohler, der bei dem Überholen in einer unklaren Verkehrslage bei einem gut erkennbar eingeleiteten Abbiegevorgang eines zuvor gestoppten Fahrzeuges zu 40 % mithaftet.

Abbiegeunfall im beampelten Kreuzungsbereich, oder: Wer haftet wie?

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Der Kollege Nugel aus Essen hat mir das LG Essen, Urt. v. 20.09.2018 – 3 O 75/17 – übersandt. Thematik:  Haftungsquote bei einem Unfall im beampelten Kreuzungsbereich.

Im Verfahren macht die Klägerin Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls geltend, bei welchem ihr Mitarbeiter als Fahrzeugführer mit dem entgegenkommenden Fahrzeug der Beklagtenseite in einem reuzungsbereich kollidiert ist. Der vor dem klägerischen Fahrzeug befindliche Fahrzeugführer hatte seinerseits bei einer auf gelb umspringenden Lichtzeichenanlage sein Fahrzeug im Kreuzungsbereich rechtzeitig zum Stillstand gebracht, sodass auf der einzigen Geradeausspur keine weiterfahrt möglich gewesen ist. Dies nahm der bei der Beklagten versicherte Fahrzeugführer zum Anlass, seinerseits nach links über die Fahrbahn im Gegenverkehr abzubiegen. In diesem Moment führte der Mitarbeiter der Klägerin von hinten kommend an dem vor ihm haltenden Fahrzeug ein Überholmanöver in der Form durch, dass er die Geradeausspur verlassen hat, die links daneben befindliche Abbiegespur überfuhr und von dort aus dieser auf die Geradeausspur zurückschwenkte, um den Kreuzungsbereich zu überqueren. Er kollidierte mit dem vor ihm abbiegenden Fahrzeug der Beklagten, deren Fahrzeugführer von diesem Fahrmanöver vollkommen überrascht gewesen ist. Die Parteien streiten über die zu Grunde zu liegende Haftungsquote, wobei die Beklagten zusätzlich den Einwand eines Rotlichtverstoßes und einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erhoben hat.

Das LG hat u.a. ein Sachverständigengutachten eingeholt, in welchem zumindest ein Gelblichtverstoß des klägerischen Fahrzeugführers festgestellt wird, der anders als der von ihm befindliche Fahrzeugführer vor der auf gelb umspringenden Lichtzeichenanlage nicht angehalten hat. Er fuhr vielmehr mit 43 km/h in den Kreuzungsbereich ein, ohne dass ihm allerdings eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit frei von Zweifeln nachgewiesen werden konnte. Bei diesem überraschenden Fahrmanöver konnte aus technischer Sicht nicht festgestellt werden, dass der auf der Beklagtenseite versicherte Fahrzeugführer hierauf rechtzeitig bei dem erst einmal aus seiner Sicht bei der Annährung verdeckten Fahrzeug der Klägerseite reagieren konnte, um eine Kollision zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund ist das des LG von der alleinigen Haftung des Klägerin ausgegangen. Zum einen sei insoweit ein Gelblichtverstoß zu berücksichtigen, da der klägerische Fahrzeugführer nicht vor der gelben Lichtzeichenanlage angehalten hat. Zum anderen hätte er in grob verkehrswidriger Weise gegen das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er ein waghalsiges Überholmanöver unter Missachtung des Abbiegestreifens mit einer anschließenden besonders gefahrenträchtigen Geradeausfahrt vorgenommen hätte. Bei dem Beklagten würde es dagegen an einem Verstoß gegen die StVO und insbesondere § 9 Abs. 3 StVO fehlen. Denn dieser hätte angesichts des im Gegenverkehr anhaltenden Kfz darauf vertrauen dürfen, dass keine weiteren Fahrzeuge im Gegenverkehr in den Kreuzungsbereich einfahren würden. Das Verschulden der Klägerseite wäre so groß, dass auch die durch den Abbiegevorgang leicht erhöhte Betriebsgefahr der Beklagtenseite dahinter in vollem Umfang zurücktreten würde.

Dazu passen dann etwa folgende Leitsätze:

  1. Verursacht ein Fahrzeugführer durch einen Gelblichtverstoß in Verbindung mit einem Überholen eines vor ihm haltenden Fahrzeuges über eine Linksabbiegerspur, um sodann verkehrswidrig geradeaus zu fahren, einen Verkehrsunfall mit einem ihm gegenüber abbiegenden Fahrzeug, hat er allein für die Unfallfolgen einzutreten.
  2. Die Betriebsgefahr des ihm entgegenkommenden Fahrzeuges aus dem Abbiegevorgang tritt dahinter in vollem Umfang zurück.
  3. Ein schuldhafter Verstoß des abbiegenden Fahrzeugführers gegen § 9 Abs. 3 StVO scheidet dagegen aus, wenn im Gegenverkehr der erste Fahrzeugführer gut erkennbar vor der roten Ampel anhält und nicht mehr mit dem Einfahren anderer Verkehrsteilnehmer in den Kreuzungsbereich zu rechnen ist.

Zusammenstoß Pedelec/Kfz am Fußgängerüberweg, oder: Wer haftet wie?

entnommen wikimedia.org
Urheber J. Hammerschmidt

Neue „Fahrzeuge“, neue Probleme. Das habe ich gedacht, als ich auf das OLG Hamm, Urt. v. 02.03.2018 – 9 U 54/17 – gestoßen bin. Es geht um das Fahren mit einem Pedelec und das Verhalten des Pedelec(fahreres) an einem Fußgängerüberweg und dabei um die Frage: Unterfällt der – nicht abgestiegene – Pedelecfahrer dem Schutzbereich des § 26 StVO, wenn er einen Fußgängerüberweg überquern will? Das OLG Hamm sagt: Nein, geht ggf. von einem Verstoß gegen § 10 StVO aus und legt dem Pedelecfahrer 2/3 der Haftung auf. Der Kraftfahrzuegführer hatte 1/3 zu tragen, u.a. wegen zu später Bremsung. 

„2. Dem Grunde nach ist auch aus Sicht des Senats keine weitergehende – über die vom Landgericht angenommene Haftungsquote der Beklagten von 1/3 hinausgehende – Ersatzpflicht der Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB i.V.m. 115 Abs. 1 VVG anzunehmen.

a) Der streitgegenständliche Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt worden ist, hat sich zunächst zweifellos i.S. des § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb des von der Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) versicherten PKW … ereignet. Höhere Gewalt i.S. des § 7 Abs. 2 StVG liegt keinesfalls vor. Eine Unabwendbarkeit des Unfalls i.S. des § 17 Abs. 3 StVG würde die Haftung hier nicht schon von vornherein ausschließen, da der Kläger im Hinblick auf § 1 Abs. 3 StVG als Radfahrer an dem streitgegenständlichen Unfall beteiligt war, ist im Übrigen zudem ohnehin für keine Seite geltend gemacht.

b) Danach kommt es für die Frage der Haftungsquote maßgeblich auf die gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können.

aa) Dem Kläger ist dabei – wie vom Landgericht völlig zutreffend und auch unbeanstandet ausgeführt – in der Tat ein gravierender Verstoß gegen § 10 StVO unter Missachtung des Vorranges der Beklagten zu 1) anzulasten (vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 10 StVO, Rn. 6; Senat, DAR 2016, 265, dort Rn. 22 bei juris). Insbesondere unterfiel der Kläger als nicht abgestiegener Fahrer eines Pedelec – mithin als Radfahrer – nicht dem Schutzbereich des § 26 StVO (vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 26 StVO, Rn. 14; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27, Rn. 616; Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 26 StVO, Rn.32 ff., jeweils m. w. Nachw.). Der wegen des Zusammenhanges mit seinem Einfahrmanöver i.S. des § 10 StVO von vornherein für einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 10 StVO sprechende Anschein (vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 10 StVO, Rn. 11 m. w. Nachw.) ist keinesfalls erschüttert; im Gegenteil steht der vorgenannte Verkehrsverstoß aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen hierzu in dem vom Landgericht verwerteten Gutachten des DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. G sogar positiv fest. Damit hat der Kläger die erste und auch entscheidende Ursache für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gesetzt. Weitere unfallursächliche Verkehrsverstöße des Klägers – insbesondere auch hinsichtlich des hier sicherlich besonders tragischen Nichttragens eines Schutzhelmes – können aus den vom Landgericht (unbeanstandet) angeführten Gründen nicht angenommen bzw. in die Abwägung eingestellt werden.

bb) Ob hier auf Grundlage des verwerteten Gutachtens des DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. G tatsächlich mit dem Landgericht ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß – namentlich gegen § 1 2 StVO durch mangelnde Aufmerksamkeit und/oder Reaktion – hinreichend sicher feststeht, erscheint dem Senat bereits durchaus fraglich. Denn aus Sicht des Senats ginge es zu weit, anzunehmen, die Beklagte zu 1) hätte in jedem Falle bereits reagieren müssen, als der Kläger vom linksseitigen Rad-/Gehweg auf den Zebrastreifen auf der Gegenfahrbahn auffuhr. Nach Auffassung des Senats musste die Beklagte zu 1) vielmehr erst zu einem Zeitpunkt reagieren, als aufgrund – hier für den Zeitpunkt des Einfahrens auf die Gegenfahrbahn bislang (auch unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen Z im Ermittlungsverfahren) kaum hinreichend sicher feststellbarer und (vom LG verkannt) von Klägerseite zu beweisender – konkreter Anhaltspunkte erkennbar wurde, dass der Kläger durchfahren und nicht auf der Mittelinsel halten würde, um der Beklagten zu 1) ihren Vorrang zu gewähren. Dass zu diesem – bislang schon nicht feststehenden – Zeitpunkt die Beklagte zu 1) noch unfallvermeidend hätte reagieren können, lässt sich auf Grundlage des vorliegenden Sachverständigengutachtens nicht feststellen.

Ein von der klägerischen Berufung zusätzlich geltend gemachter unfallursächlicher Verstoß der Beklagten zu 1) lässt sich – eine höhere Geschwindigkeit als 30 km/h steht nach dem vorliegenden Gutachten ohnehin schon nicht fest – ebenfalls nicht feststellen. Dass die Beklagte zu 1) (noch) langsamer hätte fahren müssen, ist für den Senat nicht ersichtlich, zumal der Kläger – wie ausgeführt – nicht in den Schutzbereich des § 26 StVO fällt und grundsätzlich nicht mit einem plötzlichen Einfahren des Klägers auf Zebrastreifen und Fahrbahn gerechnet werden musste.

cc) Letztlich können – angesichts der von Beklagtenseite hingenommenen, rechtskräftig ausgeurteilten Haftungsquote der Beklagten von 1/3 – die soeben unter bb. erörterten Fragen indes offen bleiben und bedarf es insoweit keinesfalls noch einer weiteren Sachaufklärung. Denn eine höhere Haftungsquote der Beklagten als 1/3 kommt nach Auffassung des Senats angesichts des hier gegebenen massiven und in jedem Fall ein etwa letztlich – mit dem Landgericht – anzunehmendes unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) deutlich überwiegenden unfallursächlichen Verstoßes des Klägers gegen § 10 StVO auf keinen Fall in Betracht. Die vom Senat gleichwohl ursprünglich – lediglich vorsorglich zur Abrundung – noch beabsichtigte persönliche Anhörung der unfallbeteiligten Parteien ist offensichtlich dauerhaft nicht möglich und verspräche ohnehin auch keine weitergehenden Erkenntnisse, da nach den vorgelegten Attesten beide unfallbeteiligten Parteien jeweils keine Angaben zum eigentlichen Unfallhergang machen können.Insgesamt hat das mit der Berufung verfolgte weitergehende Feststellungsbegehren nach alledem keinen Erfolg.“

Wettrennen auf der Landstraße, oder: Lenken des Überholten nach links bringt 100 % Haftung

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Die zweite zivilrechtliche Entscheidung aus dem heutigen „Kessel Buntes “ betrifft ebenfalls einen Verkehrsunfall, an dem ein Motorrad beteiligt ist (zur ersten Entscheidung OLG Brandenburg, Urt. v. 02.03.2017 – 12 U 18/16 siehe Kollision Bus/Motorrad an einer Engstelle, oder: Wer haftet wie?). Es ist das OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.10.2016 – 4 U 104/15.

Zum Sachverhalt: Es klagt ein Motorradfahrer, der innerorts einen Pkw-Fahrer überholt hatte. Das Überholen hatte dem gar nicht gefallen. Er hatte mit Hand- und Lichtzeichen sowie Hupen reagiert. Kurze Zeit später überholte dann der Pkw-Fahrer den mit ca. 100 km/h fahrenden Motorradfahrer und bremste nach dem Einscheren stark ab. Danach überholte der Motorradfahrer erneut. In dem Bereich befand sich auf der Mitte der Fahrbahn eine durchgehende Linie nach Zeichen 295. Unstreitig ist, dass der Pkw-Fahrer während des Überholvorgangs nach links gelenkt hat, wodurch es dann zu einem Zusammenstoß kam. Der Kläger stürzte von seinem Motorrad und verletzte sich schwer.Der Beklagte ist wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB verurteilt worden

Die Parteien streiten jetzt um die Haftung. Das OLG kommt zur vollen Haftung des Beklagten, und zwar auf der Grundlage folgender Leitsätze:

  1. Wird bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zulasten eines Unfallbeteiligten ein Überholen im Überholverbot berücksichtigt, so darf nicht offenbleiben, auf welcher Fahrbahn sich die Kollision ereignet hat, mithin ob das überholte Fahrzeug selbst einen Fahrbahnwechsel vorgenommen hat.
  2. Gehen einem Unfallgeschehen beiderseitige, eskalierende Verkehrsverstöße der Unfallbeteiligten voraus (hier: beiderseitige Überholmanöver nach Art eines Wettrennens), sind für die Haftungsquote, insbesondere für die Berücksichtigung der Betriebsgefahren, die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.
  3. Führt der Fahrer eines Pkw nach vorangegangenen beiderseitigen Überholmanövern eine bewusste Lenkbewegung nach links aus, um den Überholversuch eines Kraftradfahrers zu unterbinden, kann eine darin zum Ausdruck kommende rücksichtslose und grob verkehrswidrige Gesinnung des Pkw-Fahrers die auf Seiten des Kraftrads allein in die Abwägung einzustellende Betriebsgefahr dahinter im Einzelfall gänzlich zurücktreten lassen.

Tankstellenunfall, oder: Achtung für Fußgänger und Kraftfahrer an der Tankstelle

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Ein Tankstellenunfall ist Gegenstand des OLG Naumburg, Urt. v. 25.02.2016 – 1 U 99/15 – gewesen; „25.02.2016“ – also nicht mehr taufrisch 🙂 die Entscheidung, aber dennoch noch interessant, weil es sich um einen m.E. recht alltäglich Grundsachverhalt handelt. Es geht um die Haftung nach einem Unfall auf einem Tankstellengelände. Folgender sachverhalt: Die Beklagte will mit ihrem Pkw das Tankstellengelände verlassen. Es kommt zum Zusammenstoß mit der Kläger, der zu Fuß zwischen den Tankstelleninseln auf dem Weg zur Kasse war und die Fahrbahn des Pkw der Beklagten überquerte. Der Kläger wurde verletzt. Gestritten wird dann um die Anwendung der StVO und die Haftungsquote:

Zur Anwendung der StVO:

„3. Ergibt sich die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gegenüber dem unstreitig vom fahrenden Kraftfahrzeug verletzten Kläger schon aus der Betriebsgefahr, lassen sich die geltend gemachten Ansprüche nur unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens über § 9 StVG einschränken. Davon ist im Ergebnis der Beweisaufnahme auszugehen. Bei der Entstehung des eigenen Schadens hat zur Überzeugung des Senats ein Verschulden des Klägers mitgewirkt.

a) Zwischen den einzelnen Tankinseln hatten sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2. die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung zu beachten. Der von den Kunden zu befahrende Bereich zwischen den Zapfsäulen ist dem Straßenverkehr zugänglicher öffentlicher Verkehrsraum (BGH VersR 1985, 835; OLG Düsseldorf NZV 1988, 231; Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 1 StVO Rdn. 14 f.).

b) Der Kläger war auf seinem Weg zur Kasse nicht nur nach 1 Abs. 1 StVO zur ständigen Vorsicht angehalten. Entgegen der Auffassung der Klage trafen ihn auch die aus § 25 StVO folgenden speziellen Fußgängerpflichten.

Die Tankstelle ist wie eine Straße mit Fahrbahnen und gehweggleichen Inseln ausgebaut. Schon ihr Erscheinungsbild entspricht damit dem sonstigen öffentlichen Verkehrsraum. Die Fahrbahnen dienen den Fahrzeugen zum Erreichen und Verlassen der Zapfsäulen, während die Inseln ein sicheres Betanken gewährleisten sollen. Gerade weil der Fahrzeugverkehr die Nutzung des Tankstellengeländes besonders prägt, gibt es keinen Anlass zu der Annahme, hier hätten plötzlich Fußgänger Vorrang. Dies wird auch durch das notwendige Überqueren der Fahrbahnen durch sich zur Kasse bewegende Fußgänger nicht verlangt. Vielmehr geben die außerhalb ihrer Fahrzeuge hantierenden, einkaufenden und bezahlenden Kunden dem Fahrzeugverkehr „lediglich“ zu außergewöhnlicher Vorsicht, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme Anlass.

Für den Kläger bedeutet dies, er hatte beim Überqueren der Fahrbahn den Fahrzeugverkehr zu beachten (§ 25 Abs. 3 Satz 1 StVO). Auch von ihm war erhöhte Sorgfalt gefordert. Insbesondere musste er sich vor dem Überqueren der Fahrbahn vergewissern, keinem Fahrzeug in den Weg zu laufen (Hentschel/König/Dauer, § 2 StVO Rdn. 10; § 25 StVO Rdn. 22; § 9 StVO Rdn. 13). Dies kann der Kläger nach dem nahezu unstreitigen Unfallhergang und den Feststellungen des Sachverständigen nicht getan haben. Es ist nach der Lebenserfahrung nicht vorstellbar, wie der Kläger bei hinreichender Aufmerksamkeit unter das unstreitig langsam angefahrene Fahrzeug der Beklagten gekommen sein soll. Man könnte daher meinen, der Kläger habe einen für sein unfallursächliches Verschulden sprechenden und nicht erschütterten Anscheinsbeweis gegen sich. Entscheidend kommt es hierauf nicht an. Wie schon vom Landgericht angenommen, wurde der bevorrechtigte Verkehr vom Kläger nicht im ausreichenden Maße beachtet. Dies lässt sich zur Überzeugung des Senats positiv feststellen, woraus sich zweifelsohne ein unfallmitursächliches Eigenverschulden ergibt (vgl. bspw. BGH NJW 2000, 3069, 3070)…………“

Und zur Haftungsquote:

„c) Bei der Abwägung der Verursachungsanteile gelangt der Senat zur Schadensteilung bzw. zu einem hälftigen Mitverschulden des Klägers.

Im Ausgangspunkt lässt sich der Unfall ohne die Aufmerksamkeitsdefizite des Klägers und der Beklagten zu 2. nicht erklären. Es hätte nicht zu der Kollision kommen dürfen. Gleichwohl wiegt das Verschulden des Klägers schwerer. Es gehört zu den grundlegendsten Anforderungen an das Verhalten im Straßenverkehr, sich vor dem Überqueren einer Fahrbahn zu vergewissern, dass sich kein Vorrang beanspruchendes Kraftfahrzeug nähert. Auf die Beachtung dieser einfachen und gewöhnlich verinnerlichten Regel durch den Kläger konnte die Beklagte zu 2. auch in einer Tankstelle grundsätzlich erst einmal vertrauen. Ihre dennoch nicht zu entschuldigende Unaufmerksamkeit ist dagegen eher verständlich und damit von geringerem Gewicht. Sie erhöht die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges nur leicht. Insgesamt betrachtet sieht der Senat in Abwägung dieser Umstände gleiche Verursachungsbeiträge.“