Schlagwort-Archive: LG Wuppertal

Termin III: „.. nimm doch einen anderen Verteidiger“, oder: Auch im OWi-Verfahren Anwalt des Vertrauens

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann als dritte Entscheidung noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 11.11.2022 – 26 Qs 230/22 (523 Js 644/22). Der stammt zwar aus dem Bußgeldverfahren, die Fragen der Terminierung bzw. der Terminsverlegung spielen aber auch da eine große Rolle.

Hier hatte die Amtsrichterin eine Terminsverlegung (mal wieder) mit der Begründung abgelehnt, der Betroffene könne ja einen anderen Verteidiger wählen. Das LG ist dem nicht gefolgt:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Auch in einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (BayObLG, BeckRS 2020, 35554; OLG Brandenburg, BeckRS 2020, 35233; OLG Köln, BeckRS 2005, 13580; BayObLG, BeckRS 2001, 8950). Die Terminierung ist zwar Sache der Vorsitzenden. Die Vorsitzende ist aber gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (BayObLG, BeckRS 2020, 35554; OLG Brandenburg, BeckRS 2020, 35233; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.03.2011, Az. 2 Ss OWi 209/11). In die Abwägung einzustellen sind insbesondere die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalles, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und damit zusammenhängend die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung.

Gemessen an diesen Anforderungen leidet die Entscheidung hier an einem Ermessensfehler. Denn das Amtsgericht hat sich bei Ablehnung der Terminsverlegung maßgeblich darauf gestützt, dass der Termin bereits mehrfach verlegt worden sei und der Betroffene einen anderen Verteidiger wählen könne. Vorliegend ist der Betroffene durch den Bußgeldbescheid nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit einem Punkt im Fahreignungsregister belegt worden, was keine ganz unerhebliche Sanktion darstellt. Zudem droht dem Betroffenen hierdurch der (erneute) Verlust der Fahrerlaubnis, da er bereits mehrfach einschlägig vorbelastet ist. In dieser Lage kann dem Betroffenen nicht verwehrt werden, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens, der ihn bereits seit längerer Zeit vertritt, vertreten zu lassen. Auch ist keine auf Prozessverschleppung ausgerichtete Verteidigungsstrategie erkennbar, da der Verteidiger ausdrücklich eine telefonische Terminsabsprache angeboten hat, das Amtsgericht diese Möglichkeit jedoch nicht in Betracht gezogen hat. Eine Verjährung droht — auch vor dem Hintergrund einer nicht näher dargelegten „angespannten Terminslage“ des Amtsgerichts – ebenfalls noch nicht, da eine absolute Verjährung erst im Februar 2024 eintreten kann.

Da die Vorsitzende somit von dem ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessen keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, waren der angefochtene Beschluss und der Hauptverhandlungstermin vom 01.12.2022 aufzuheben. Da vorliegend aufgrund der Terminskollision des Wahlverteidigers nur eine Aufhebung bzw. Verlegung des Termins vom 01.12.2022 in Betracht kommt, kann die Kammer als Beschwerdegericht diese Entscheidung auch selbst treffen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).“

Keine Auslagen nach Rücknahme der Berufung der StA, oder: Warum wird die Landeskasse geschützt?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann als zweite gebührenrechtliche Entscheidung dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 16.05.2022 – 23 Qs 63/22. Der Beschluss behandelt noch einmal die Problematik der Auslagenerstattung für den Angeklagten betreffend die Verteidigerkosten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung zurücknimmt.

Das LG Wuppertal reiht sich mit seiner Entscheidung in den Chor der Stimmen ein, die meinen: Die werden nicht erstattet:

„Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (etwa Beschluss vom 17.04.2019 — Az. 23 Qs 82/19) gelten als notwendig nur die Auslagen, die aufgrund eines berechtigten Schutzinteresses aufgewendet worden sind. Die Gebühren und Auslagen deren Festsetzung die Verteidigung mit Schriftsatz vom 20.05.2021 beantragt hat, sind jedoch — soweit sie nicht die erste Instanz       betreffen und damit durch den bereits erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss erledigt sind — nicht notwendig. Der Kostenfestsetzungsantrag wurde daher, soweit er die Positionen für die Berufungsinstanz anbelangt (80,- VV 4124, 80,- VV 4141, 20,- W 7002, 34,20 VV 7008, insgesamt 214,20 Euro), zu Recht vom Amtsgericht Mettmann zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung berührt die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft die Sphäre des früheren Angeklagten noch nicht derart weitgehend, dass für ihn ein berechtigter Anlass bestand, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kostenpflichtige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist zwar zutreffend, dass nach den Vorschriften der Strafprozessordnung die Begründung der Berufung weder erforderlich noch zwingend vorgeschrieben ist. Der rechtskundigen Verteidigung ist jedoch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel aufgrund der Richtlinien für das Strafverfahren zu begründen hat und dem früheren Angeklagten durch die Einlegung der Berufung ohne Begründung keine Nachteile entstehen können. Der Verteidiger weiß auch, dass die Rechtsmitteleinlegung noch nicht bedeutet, dass das Rechtsmittel auch tatsächlich weiter verfolgt wird. So liegen die Dinge auch hier.

Vor Kenntnis der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Diese werden erst dann notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet und damit den Umfang der Anfechtung klar umrissen hat. Es ist dem früheren Angeklagten zwar unbenommen, sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen. Die dadurch entstehenden Auslagen können jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden. Denn zu diesem Zeitpunkt genügt seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft. Es liegen auch keine Umstände vor, die im vorliegenden Fall eine Eile bei der Verteidigung hätten begründen können. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Erforderlichkeit bestand, in einem doch eher einfach gelagerten Fall eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Der allein sachgerechte und notwendige Rat des Verteidigers, zunächst die Berufungsbegründung abzuwarten, löst keine besondere Gebühr aus.“

Der Beschluss gehört m.E. zu der Rubrik: „Hätte man besser nicht gelesen“. Denn es folgt bereits aus dem Beschluss selbst, dass die Auffassung des LG falsch ist. Denn. wenn es „dem früheren Angeklagten zwar unbenommen [ist], sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen„, dann ist nicht nachvollziehbar, warum „die dadurch entstehenden Auslagen ….. jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden“ können. Auch, wenn „zu diesem Zeitpunkt …… seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft“ genügt, folgt daraus doch nicht, dass der Angeklagte die Auslagen nicht erstattet erhält. Die Kammer geht selbst von der Notwendigkeit eines solchen (kurzen) Hinweises aus, will der Staatskasse die dadurch entstehenden Kosten/Auslagen aber nicht erstatten. Mir erschließt sich nicht, warum man die Staatsanwaltschaft/die Landeskasse an der Stelle so schützt. Die andere – richtige – Auffassung hätte ja vielleicht auch dann mal endlich zur Folge, dass von den Staatsanwaltschaften nicht so viele Berufungen eingelegt werden, die man dann wieder zurücknimmt. Getreu dem Satz: Ist egal, kostet ja nichts.

 

Verkehrsrecht III: Nochmals Fahrt mit Elektro-Roller, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Und zum Schluss des Tages habe ich dann noch zwei Entscheidungen zur (Trunkenheits)Fahrt mit einem Elektro-RollerScooter (§ 316 StGB).

Der Beschuldigte befuhr am 30.10.2021 gegen 02:08 Uhr, mit einem Elektrokleinstfahrzeug mit Lenk- oder Haltestange (E-Roller) der Marke Bott Cl u.a. in Solingen. Ihm kam zwei Polizeibeamten in einem Funkstreifenwagen entgegen. Die Beamten entschieden sich, den Beschuldigten zu kontrollieren, wendeten ihren Streifenwagen und hielten den Beschuldigten an. Da bei der Kontrolle starker Alkoholgeruch wahrgenommen wurde, wurde eine freiwillige Atemalkoholmessung durchgeführt, die einen Wert von 0,7mg/l ergab. Die um 04:08 freiwillig abgegebene Blutprobe ergab eine mittlere BAK von 1,55 %.

Die Staatsanwaltschaft hat dann die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt (§ 111a StPO). Das AG Wuppertal hat das mit dem AG Wuppertal, Beschl. v. 17.12.2021 – 22 Gs 47/21 (922 Js 3738/21) – abgelehnt: Begründung:  Wie ein Gericht in der Hauptsache in der strittigen Frage um die Einordnung dieser Fahrzeuge entscheide, sei nicht vorhersehbar, zumal es noch keine obergerichtliche Entscheidung aus dem dortigen Gerichtsbezirk gebe. Daher keine Entziehung der Fahrerlaubnis.

Dagegen dann die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, über die das LG Wuppertal mit dem LG Wuppertal, Beschl. v. 02.02.2022 – 25 Qs 63/21 (922 Js 3738/21) – entschieden hat. Das LG hat dem Antrag der StA statt gegeben und die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

Das man das, was das LG ausführt so alles schon einmal gelesen hat, hier nur (mein) Leitsatz zu der Entscheidung:

Der für Kraftfahrer ermittelte Grenzwert für die Anwendung des § 316 StGB ist auch auf Führer von E-Scootern anzuwenden.

Pflichti III. Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Auch das LG Wuppertal macht es richtig

© vege- Fotolia.com

Und zum Tagesschluss dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 08.10.2021 – 26 Qs 175/21 – zur Problematik/Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers. Über die Frage habe ich ja schon häufig berichtet. Heute dann also noch einmal, und zwar mit dem LG Wuppertal-Beschluss, der es – wie die wohl überwiegende Meinung – richtig macht und rückwirkend – nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO – bestellt.

Hier nur der Leitsatz der Entscheidung:

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt, wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

Pflichti II: Schwierigkeit der Sachlage, oder: Sichtung von kinderpornografischem Material

Die beiden nächsten Entscheidungen, die ich vorstelle, kommen aus dem Wuppertaler Bezirk. Das AG Wuppertal hatte im AG Wuppertal, Beschl. v. 05.11.2020 – 14 Gs 148/20 – einen Pflichtverteidiger bestellt, damit der Beschuldigte Bildmaterial sichten kann, es handelte sich um „kinderpornografische Schriften“. Dagegen dann die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die das LG Wuppertal im LG Wuppertal, Beschl. v. 16.12.2020 – 23 Qs 160/20 – verworfen hat:

Denn der Beschuldigte soll sich – freilich mit den in § 147 StPO vorgesehenen Einschränkungen – durch die Ausübung seines Akteneinsichtsrecht bereits im Ermittlungsverfahren in die Lage versetzen können, die gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, um sich hierzu gegebenenfalls schon frühzeitig sachgerecht erklären oder von seinem Beweisantragsrecht Gebrauch machen zu können. Hierzu gehört auch der Umstand, ob es sich bei den in Rede stehenden Abbildungen überhaupt um kinderpornographische Schriften im Sinne des § 184b StGB handelt. Aus der Ermittlungsakte erhält der Beschuldigte zum Inhalt des (seinem Einsichtsrecht richtigerweise entzogenen) Sonderbandes nur insoweit Auskunft, als dass die Polizei in Hannover feststellt, in der betreffenden Whatsapp-Gruppe seien nach der Bewertung der Sachbearbeiterin („aus hiesiger Sicht“) kinderpornographische Schriften hochgeladen worden. Auch wegen des Inhalts des geführten Chatverkehrs wird auf den Sonderband verwiesen. Auf dieser Grundlage ist dem Beschuldigten jedoch die Subsumtion unter die entscheidenden gesetzliche Tatbestandsmerkmale nicht möglich. Auf die Herstellung einer Beschreibung der Abbildungen durch die Ermittlungsbehörde oder das Abwarten des Ausgangs des Ermittlungsverfahrens muss sich der Beschuldigte nicht verweisen lassen, wenn es sich bei den Abbildungen – wie hier – um den Kern des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs handelt. Dass der Verteidiger bislang tatsächlich kein Interesse an der Einsichtnahme in den Sonderband gezeigt hat, spielt für die Frage, ob eine sachgerechte Verteidigung die Einsichtnahme erfordert, keine Rolle.“