Schlagwort-Archive: U-Haft

Ist etwas Besonderes an der Entscheidung des OLG Karlsruhe in der Causa Kachelmann?

Naturgemäß haben heute die Beiträge zur Aufhebung des Haftbefehls gegen Jörg Kachelmann die zur Loveparade verdrängt. Eine kleine Auswahl hier:

  1. Freilassung Kachelmann, Bravo OLG Karlsruhe.
  2. Kachelmann frei.
  3. Kachelmann draußen.
  4. Auf dem Weg zum Freispruch.
  5. Und: Mein Favorit bei den Überschriften: Kachelmann kommt aus der Kiste – wird das Wetter jetzt besser? – obwohl hier ist es gar nicht schlecht…

Nachdem J.K, nun schon einige Stunden auf freiem Fuß ist, vielleicht Gelegenheit/Anlasse zu einer ersten, etwas umfassenderen Bewertung der Entscheidung als am heutigen Morgen:

  1. Alle Kommentatoren begrüßen die Entscheidung des OLG Karlsruhe, mit Recht. Denn – ohne die Akten zu kennen – scheint das OLG Karlsruhe (endlich) das erkannt zu haben, was in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder berichtet worden ist: Eine (inzwischen [?]) dünne Beweislage, die die Annahme eines dringenden Tatverdachts verbietet. Gewonnen ist eine Schlacht, allerdings noch nicht der Krieg, denn man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscsheidung reagiert, zumal natürlich auch nicht vergessen werden darf, dass das LG die Zeugen/Zeugin in öffentlicher Hauptverhandlung vernimmt und deren Aussagen dann neu bewerten muss. 2.
  2. Allerdings darf man sicherlich auch die psychologische Wirkung einer solchen HB-Aufhebung nicht übersehen.
  3. Man fragt sich natürlich auch, was sich eigentlich so anders in der Bewertung des OLG darstellt, dass dieses zu einer HB-Aufhebung kommt. Warum hat das LG das nicht auch so gesehen? Aber die Bewertung von Zeugenaussagen bei der „Aussage-gegen-Aussage-Problematik“ ist häufig nicht nachvollziehbar. Zudem habe ich den Eindruck, dass das LG seine Haftentscheidung unbedingt halten wollte. Das hat man manchmal.
  4. Richtig ist es, wen man sagt – wie der Kollege Nebgen – J.K. ist auf dem Weg zum Freispruch. Aber mehr auch nicht. Denn wie gesagt (s.o.): Man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscheidung reagiert.
  5. Zur Überschriftsfrage: Besonders ist an der Entscheidung, dass das OLG zum „dringenden Tatverdacht“ Stellung genommen hat. An sich tun OLGs das ungern :-). Man hätte m.E. auch den Weg über die Fluchtgefahr gehen können (die m.E. auch nicht vorgelegen hat). So lässt sich aus der Entscheidung der Schluss ziehen, dass das OLG ein deutliches Zeichen setzen wollte. Das ist gelungen. Congratulations.

Thesen der BRAK zur (neuen) Verteidigerbestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO

Der Newsletter von LexisNexis meldete in den letzten Tagen, dass die BRAK Thesen zur Praxis der Verteidigerbestellung nach §§ 140 Absatz 1 Ziffer 4, 141 Absatz 3 Satz 4 StPO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 erarbeitet hat. Darin fordert die BRAK u. a., dass der Beschuldigte ausreichend Zeit zur Auswahl eines Verteidigers seines Vertrauens haben müsse. In der Meldung heißt es:

„Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (BGBl. I 2009, S. 2274) ist am 01.01.2010 in Kraft getreten. Die Rechte der Inhaftierten werden in diesem Gesetz u. a. durch die Verpflichtung gestärkt, einen Pflichtverteidiger ab dem ersten Tag der U-Haft beizuordnen, den Beschuldigten unverzüglich schriftlich über seine Rechte zu belehren sowie Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, eine schriftliche Übersetzung des Haftbefehls auszuhändigen.

Erste Erfahrungen mit der neuen Rechtslage zeigen nach Ansicht der BRAK jedoch, dass sich die Praxis schwer damit tut, das Recht des Beschuldigten, vor der Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit zu haben, einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen (§ 142 Absatz 1 Satz 2 StPO) mit dem Gebot der Unverzüglichkeit der Verteidigerbeiordnung in Einklang zu bringen. Dazu trage auch der Umstand bei, dass die eilbedürftige Kontaktaufnahme zwischen inhaftierten bzw. einstweilig untergebrachten Beschuldigten und Verteidigern zur Klärung der konkreten Verteidigungsübernahme verschiedentlich durch Gerichte und Staatsanwaltschaften erschwert und im Einzelfall sogar unterbunden werde. Auch in den Fällen, in denen der Beschuldigte nicht willens oder in der Lage sei, einen ihm beizuordnenden Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, dürfe trotz der Eilbedürftigkeit der Beiordnungsentscheidung der Anspruch des Beschuldigten auf konkrete und wirkliche Verteidigung nicht zu kurz kommen.

Diesen Problemen muss, so die BRAK, soweit möglich ohne Nachbesserung des neuen Rechtszustandes durch den Gesetzgeber durch eine optimierte praktische Handhabung der neuen gesetzlichen Möglichkeiten Rechnung getragen werden. Hierzu sollen die in ihrer Stellungnahme Nr. 16/2010 aufgestellten 7 Thesen mit Begründung Hilfestellung bieten.“

Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Praxis der Verteidigerbestellung findet man im kostenlosen Internetangebot der BRAK.

Zu der Problematik auch OLG Düsseldorf, LG Itzehoe und LG Saarbrücken.

Wochenspiegel für die 29. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Berichtenswert sind m.E.

  1. Natürlich hat der zweite „Blitzerbeschluss“ des BVerfG eine große Rolle gespielt, vgl. u.a. hier, hierhier, hier, hier und hier).
  2. Der Beck-Blog berichtet über eine mutige, m.E. zumindest angreifbare Entscheidung des AG Tiergarten.
  3. Eine Lanze für junge Richter(innen) bricht man hier.
  4. Mit der „Durchsuchung im Kinderzimmer“ befasst sich der LawBlog.
  5. Tipps zur Anhörung gibt der Schadenfixblog.
  6. Mit der Untersuchungshaft bei Bagatellstraftaten von Ausländern befasst man sich hier.
  7. Nochmals mit dem Richtervorbahlt befasste man sich hier.
  8. Auch die Drogenfahrt ist immer interessant, vgl. hier und hier.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Köpfchen – dreimal LGs zur Pflichtverteidigung

Heute habe ich drei Entscheidungen von Kollegen übersandt bekommen, die sich mit Pflichtverteidigungsfragen beschäftigen, zwei „schöne/gute“ und eine weniger schöne.

1. Das LG Rostock hat in seinem Beschl. v. 09.07.2010 – 18 Qs 41/10 einen Pflichtverteidiger beigeordnet, wenn es in der Hauptverhandlung um die Fragen der Verwertbarkeit einer unter Missachtung des Richtervorbehalts entnommenen Blutprobe geht. Nichts Neues, aber immerhin deshalb berichtenswert, damit auch die Kollegen im hohen Norden mal was zum argumentieren haben.

2., Aber auch die im Süden sollen nicht darben. Das LG Augsburg hat mit Beschl. v. 04.06.2010 – 6 Qs 252/10 – in den Fällen des sog. Führerscheintourismus – einen Pflichtverteidiger beigeordnet.

Das waren die fürs Töpfchen.

In Kröpfchen gehört m.E. die Nr.

3. Das LG Saarbrücken hat in seinem Beschl. v. 16.06.-2010 – 3 Qs 28/10 – genau anders herum entschieden als das LG Itzehoe (vgl. hier). Es geht davon aus, dass § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO sich nur auf das Verfahren bezieht, in dem gegen einen Beschuldigten Haft vollstreckt wird; er soll nicht auch für andere Verfahren gelten, in denen gegen den inhaftierten Beschuldigten U-Haft vollstreckt wird. M.E. hat das LG Itzehoe Recht. Sinn und Zweck sprechen für seine Auslegung der neuen Vorschrift. Der Kollege Siebers würde die Entscheidung des LG Saarbrücken wahrscheinlich auch unter dem Theme: Igel in der Tasche, einordnen.

Urteil im Prozess gegen zwei Bundespolizisten – keine U-Haft

Das LG Berlin meldet mit PM 34/2010 v. 06.07.2010 folgendes:

„LG Berlin: Urteil im Prozess gegen zwei Bundespolizisten Das LG Berlin hat zwei 27 und 42 Jahre alte Angeklagte unter anderem wegen schweren Raubes in acht Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und neun Monaten und vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Des Weiteren wurden die Angeklagten von dem Vollzug der Untersuchungshaft verschont.

Die Kammer kam unter anderem zu folgenden Feststellungen: Die beiden Angeklagten waren bei der Bundespolizei tätig. Im Rahmen ihres Dienstes kontrollierten sie ohne Grund vietnamesische Staatsangehörige, nahmen ihnen in acht Fällen Geldbeträge in Höhe von 3 Euro bis zu 300 Euro ab und zerstörten teilweise die SIM-Karten, damit die Geschädigten keine Hilfe holen konnten. In einem Fall schlug der 42 Jahre alte Angeklagte einen vietnamesischen Staatsangehörigen. Teilweise veranlassten die Angeklagten, dass die Geschädigten in das Polizeifahrzeug einsteigen sollten. Anschließend fuhren die Angeklagten die Geschädigten zu Orten, die diese nicht kannten, und ließen sie dort aussteigen. Die Feststellungen beruhen auf den umfassenden Geständnissen der Angeklagten. Die Angeklagten hätten ihr Amt missbraucht, führte der Vorsitzende in der mündlichen Urteilsbegründung an. Die Taten habe der 42 Jahre alte Angeklagte nur begangen, da er unzufrieden gewesen sei.

Das Gericht ging bei allen Fällen von einem „minder schweren Fall“ im Sinne des StGB aus, da die Taten von dem Regelfall des schweren Raubes abweichen würden. Die Angeklagten hätten nämlich umfassende Geständnisse abgelegt und im Wesentlichen seien die Drohungen gegenüber den Geschädigten durch das äußere Erscheinungsbild – nämlich das Tragen der Polizeiuniform- ausgegangen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass beide Angeklagte ihre Arbeitsplätze verlieren würden. Allerdings sei zu Lasten der Angeklagten anzuführen, dass sie die Straftaten im Dienst begangen und damit dem Ansehen der Polizei schweren Schaden zugefügt hätten. Es sei keine einmalige Entgleisung gewesen. Vielmehr seien alle Taten nach demselben Muster ausgeführt worden. Die Angeklagten hätten sich wehrlose Opfer gesucht und die Taten seien aus nichtigem Anlass begangen worden, erklärte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung weiter.

Urteil des LG Berlin vom 06.07.2010 Az.: (532) 34 Js 125/10 KLs (8/10)

Quelle: Pressemitteilung Nr. 34/2010 des LG Berlin vom 06.07.2010″

Natürlich ist die Entscheidung interessant; besonders interessant ist aber, dass die Angeklagten vom weiteren Vollzug der U-Haft verschont worden sind. Und das bei den „hohen Freiheitsstrafen“.