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Strafzumessung II: Bemessung der Tagessatzhöhe, oder: Gewinne in Kryptowährung

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Celle, Beschl. v. 05.06.2020 – 3 Ss 16/20 – „schlummert“ schon etwas länger in meinem Blogordner. Heute stelle ich ihn dann aber endlich vor.

Er behandelt die Bemessung der Tagessatzhöhe. Das LG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das BtMG zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 300 EUR verurteilt. Dagegen hat sich der Angeklagte mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und die Sachrüge gestützten Revision gewandt. Und die hatte Erfolg:.

„Die zulässig erhobene und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat zum Teil Erfolg.

1. Die revisionsrechtliche Überprüfung auf die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Ausspruch über die Höhe der Tagessätze mit den zugehörigen Feststellungen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung einen (weitergehenden) Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben hat.

Die Festsetzung der Höhe der Tagessätze auf 300 EUR hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen ist, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Zwar hat das Tatgericht bei der Bemessung der Tagessatzhöhe einen weiten Beurteilungsspielraum (vgl. BGH NStZ 1993, 34). Weil es nicht möglich ist, in allen Fällen sämtliche Umstände, die für die Festsetzung des Nettoeinkommens von Bedeutung sein können, abschließend aufzuklären und ins Einzelne gehende Ermittlungen regelmäßig unverhältnismäßig wären, kommt der in § 40 Abs. 3 StGB geregelten Schätzung der Bemessungsgrundlagen besondere Bedeutung zu. Jedoch müssen die Grundlagen der Schätzung festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden (BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15, wistra 2015, 388). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

b) Das Landgericht hat ausgeführt, dass es der Ermittlung des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Angeklagten die gesamten Einkünfte zugrunde gelegt hat, die dieser aus dem Handel mit Kryptowährungen bis einschließlich November 2019 erwirtschaftet hat. Gestützt auf die für glaubhaft erachtete Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte seinen Lebensunterhalt durch Investitionen in Kryptowährungen bestritt und dadurch von Mai bis einschließlich November 2019 „einen durchschnittlichen Gewinn von 25.000 Euro“ erzielte, während er zuvor von Januar bis einschließlich April 2019 keine Einkünfte erwirtschaftete. Diese im Jahre 2019 erzielten Gewinne waren „nach wie vor vorhanden und für den Angeklagten realisierbar“ (S. 4 UA). Er verwaltete sie „mittels eines sogenannten Wallets, einer elektronischen Geldbörse“. Aus den hiernach in elf Monaten insgesamt erwirtschafteten 175.000 Euro hat das Landgericht einen durchschnittlichen Gewinn von 15.900 Euro brutto pro Monat errechnet. Den monatlichen Nettogewinn hat es auf 9000 Euro geschätzt und auf dieser Grundlage eine Tagessatzhöhe von 300 Euro festgesetzt.

c) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten des Angeklagten im Handel mit Kryptowährungen tragen nicht die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte in dem relevanten Betrachtungszeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 9000 Euro erzielt hat. Davon wäre erst dann auszugehen, wenn der Angeklagte den Bestand an Kryptowährungen in staatliche Währung umgewandelt und etwa als Gutschrift auf ein Bankkonto übertragen hätte. Dem steht jedoch die Feststellung entgegen, dass die Gewinne „für den Angeklagten realisierbar“ waren und nach wie vor mittels seines Wallets verwaltet wurden. Das bedeutet, dass es sich nach wie vor um Kryptowährung handelte. Der auf einem Wallet verwaltete Bestand an Kryptowährung stellt indes kein Einkommen, sondern einen „realisierbaren Vermögenswert“ dar (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401). Als solcher kann er zwar auch bei der Festsetzung der Höhe der Tagessätze Berücksichtigung finden. Dabei müssen jedoch die Grundsätze zur Anwendung kommen, die für die Berücksichtigung von Vermögen bei der Ermittlung des Einkommens aufgestellt worden sind (vgl. dazu Fischer StGB 67. Aufl. § 40 Rn. 12). Da die Umwandlungskurse von Kryptowährungen in Geld bekanntermaßen starken Schwankungen unterliegen, kann der Wert dieses Vermögensvorteils ohne nähere Feststellungen zur Art der Kryptonwährung und den Kursen im Betrachtungszeitraum nicht beurteilt werden.

Da die Festsetzung der Tagessatzhöhe in aller Regel losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig überprüft werden kann (vgl. BGHSt 27, 70, 72; 34, 90, 92) und hier keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung bestehen, führt der festgestellte Mangel lediglich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer entsprechenden Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Festsetzung der Tagessatzhöhe. „

Geldstrafe I: Was zu viel ist, ist zu viel, oder: 38 € sind genug….

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Zur Frage der Bemessung des Tagessatzes bei der Verhängung einer Geldstrafe (§ 40 StGB) und zur dabei zu erfolgenden Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen an den (gering verdienenden) Ehepartner und/oder Kinder nimmt der OLG Braunschweig, Beschl. v. 06.01.2016 – 1 Ss 67/15 – Stellung. Das LG hat einen Tagessatz von 50 € festgesetzt. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat es festgestellt, dass er in Vollzeit als angestellter Geschäftsführer einer von einem ehrenamtlichen Verein betriebenen Sprachschule tätig sei und hieraus ein monatliches Bruttogehalt von 2.500,00 € bzw. 1.860,00 € netto (Steuerklasse III) beziehe. Auch seine Ehefrau arbeite in Teilzeit in der Sprachschule und erhalte hierfür monatlich 1.100,00 Euro €. Beide hätten zwei gemeinsame Kinder, von denen die 15jährige Tochter im elterlichen Haushalt lebe und Schülerin eines Gymnasiums sei. Der 20 Jahre alte Sohn studiere in Hamburg. An ihn erbringe der Angeklagte monatliche Unterhaltsleistungen in Höhe von 250,00 €.

Das OLG sagt: Bei den wirtschaftlichen Verhältnissen sind die 50 €/Tag zu viel:

„Es fehlt jedoch an einer Darlegung, ob bzw. in welcher Weise die Unterhaltsleistungen des Angeklagten gegenüber seiner Frau und seiner Tochter bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe Beachtung gefunden haben. Bei der Bestimmung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters im Sinne von § 40 Abs. 2 StGB sind Unterhaltsverpflichtungen angemessen, gegebenenfalls unter Ansatz eines pauschalen prozentualen Abschlags, zu berücksichtigen (vgl. BGH wistra 2008, 19). Das angegriffene Urteil führt insoweit nur aus, dass die Tagessatzhöhe unter Berücksichtigung der monatlichen Nettoeinkünfte des Angeklagten und seiner Unterhaltsleistungen gemäß § 40 Abs. 2 StGB auf 50,00 Euro festzusetzen gewesen sei. Hieraus wird nicht hinreichend klar, ob das Landgericht nur die dem Sohn des Angeklagten gewährten Unterhaltsleistungen in Abzug gebracht oder auch die Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten für seine in Teilzeit berufstätige Ehefrau und/oder seine minderjährige Tochter zutreffend ermittelt und zugrunde gelegt hat. Brächte man nur die 250,00 Euro Unterhalt für den Sohn in Ansatz, würde sich rechnerisch eine Tagessatzhöhe von 53,67 Euro ergeben. Die Differenz zu der letztlich festgesetzten Tagessatzhöhe wird nicht erläutert. Auf dieser Grundlage ist eine Überprüfung der Ermessensentscheidung des Landgerichts nicht möglich, was einen Rechtsfehler darstellt und zur Aufhebung des Ausspruches über die Tagessatzhöhe führt. Insoweit merkt der Senat noch an, dass während einer bestehenden Ehe für jeden der Ehepartner die Pflicht besteht, zu einem angemessenen Familienunterhalt beizutragen (§ 1360a BGB). Diese Pflicht wird grundsätzlich durch Naturalleistungen erfüllt. Diese tatsächlich erbrachten Naturalleistungen sind – wie gezahlter Unterhalt – ebenfalls angemessen zu berücksichtigen.“

Und dann rechnet der Senat selbst und kommt auf 38 €/Tag:

Dabei ist zur Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen bezüglich der Tochter des Angeklagten ein pauschaler prozentualer Abzug in Höhe von 15% seines Einkommens (vgl. Fischer a.a.O., § 40 Rn. 14) und hinsichtlich der Ehefrau ein solcher von 10% vorgenommen worden. Letzterem Abzug liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Für nicht berufstätige Ehepartner ist ein pauschaler prozentualer Abzug von 25% anerkannt (vgl. KG NZV 2010, 530; Fischer a.a.O.). Vorliegend bezieht die Ehefrau des Angeklagten aber ein eigenes Einkommen. Dieses ist mit ca. 760,00 Euro netto jedoch für sich betrachtet und auch im Verhältnis zum Verdienst des Angeklagten so gering, dass es auf der Hand liegt, dass dessen Beitrag zu Familienunterhalt deutlich höher ist und der Angeklagte auch im Verhältnis zu seiner Ehefrau tatsächlich Unterhaltsleistungen im Form eines Naturalunterhaltes erbringt. Diese Unterhaltsleistungen hat der Senat auf 10% des Einkommens des Angeklagten geschätzt. Das Monatseinkommen der Ehefrau beträgt vorliegend etwa 40% des Einkommens des Angeklagten. Der angenommene pauschale prozentuale Abzug von 10% vom Nettoeinkommen des Angeklagten im Verhältnis zu seiner Ehefrau entspricht 40% des anerkannten Abzugs für nicht berufstätige Ehepartner.

Auf der Grundlage des nach diesen Abzügen verbleibenden Einkommens ergibt sich unter Anwendung der Vorgaben von § 40 Abs. 2 S. 2 StGB eine Tagessatzhöhe von 38,00 Euro ((1860,00 Euro – 250,00 Euro – 279,00 Euro – 186,00 Euro) : 30 = 38,17 Euro).

Die Tagessatzhöhe bei ALG II – immer wieder ein Aufhebungsgrund

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In der letzten Zeit bin ich vermehrt auf Entscheidungen gestoßen, bei denen die Frage der Tagessatzhöhe bei sog. ALG II-Beziehern eine Rolle spielte. Über die Fragen habe ich hier ja dann auch schon wiederholt berichtet.

In die Gruppe der Entscheidungen gehört auch der KG, Beschl. v. 24.07.2015 – (3) 121 Ss 113/15 (84/15). In dem geht es nicht in erster Linie um die eigentliche Höhe des Tagessatzes. Dazu konnte das KG in dem Beschluss auch nur schwer Ausführungen machen, weil Feststellungen des AG zum Einkommen des Verurteilten nur spärlich getroffen waren. Das AG hatte lediglich festgestellt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Urteilserlasses Arbeitslosengeld (ALG) II bezogen hat, ledig ist und keine Unterhaltspflichten oder sonstige weitere Belastungen festzustellen waren.

Das reicht dem KG aber im Hinblick auf die angenommene Tagessatzhöhe von 20 € nicht aus:

„Der Regelsatz des ALG II beträgt allgemeinkundig seit dem 1. Januar 2015 399,00 Euro. Ob und ggf. welche zusätzlichen Leistungen der Angeklagte daneben bezieht, hat das Amtsgericht ebenfalls nicht festgestellt. Sein aus den Urteilsgründen ersichtliches Einkommen rechtfertigt daher eine Tagessatzhöhe von 20,00 Euro nicht. Soweit das Urteil ausführt, eine weitere Herabsetzung des Tagessatzes sei nicht angezeigt, weil der Angeklagte „noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls über Einkommen“ verfügt habe, vermag diese Begründung eine über dem Nettoeinkommen liegende Tagesatzhöhe nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Höhe dieses Einkommens nicht mitgeteilt wird, sind für die Höhe der Tagessätze die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten bei Erlass des Urteils maßgebend (vgl. BGHR StGB § 40 Abs. 2 Satz 1 Einkommen 2). Der Mangel wirkt sich auch auf die Entscheidung über die Ratenzahlungsbewilligung aus.“

Mir leuchtet auch nicht ein, wie man bei einem monatlichen „Nettoeinkommen“ von 399 € – ohne weitere Angaben über sonstige Leistungen – zu einer Tagessatzhöhe von 20 € kommen kann. Das geht nur, wenn man – quasi als eine Art zusätzliche Bestrafung – das frühere Einkommen mit heranzieht, was das AG hetan hat. Geht aber so auch nicht.

Tagessatzhöhe: Keine Schätzung „ins Blaue“, sondern „Butter bei die Fische“

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Zwar ist der BVerfG, Beschl. v. 01.06.2015 – 2 BvR 67/15 – in einem verkehrsstraflichen Verfahren ergangen, er hat aber eine Problematik zum Gegenstand, die darüber hinausgeht und ist daher von allgemeiner Bedeutung. Es geht nämlich in dem Beschluss um die Frage, die von allgemeinem Interesse im Strafverfahren ist: Wie verhält es sich mit bzw. was ist bei der Schätzung des Einkommens des Angeklagten in Zusammenhang mit der Festsetzung der Tagessatzhöhe (§ 40 StGB) zu beachten?

Die Angeklagte war vom AG zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 80 € verurteilt worden. Während im Hauptverhandlungsprotokoll, das vom Strafrichter und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnet wurde, die Erklärung der Angeklagten vermerkt ist, sie habe kein Einkommen und sei arbeitssuchend als Verkehrspilotin, führte das Urteil im Hinblick auf die Festsetzung der Höhe des einzelnen Tagessatzes aus: „Nachdem die Angeklagte erklärt hat, dass sie Verkehrspilotin sei, diesen Beruf aber derzeit nicht ausübe, aber auch nicht arbeitslos sei, schätzt das Gericht das monatliche Einkommen auf mindestens 2.400,00 Euro netto und hat, da anrechenbare Schulden oder Unterhaltsverpflichtungen nicht bekannt sind, die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 80,00 Euro festgesetzt.“

Die Revision der Angeklagten blieb beim OLG Karlsruhe erfolglos, die Verfassungsbeschwerde hatte hingegen Erfolg. Das BVerfG legt die Grundsätze der Tagessatzbemessung dar und führt dann aus:

„Nach diesem Maßstab verletzen das Urteil des Amtsgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die vom Oberlandesgericht bestätigten Ausführungen des Amtsgerichts zur Schätzung des monatlichen Einkommens der Beschwerdeführerin auf 2.400 Euro sind unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar. Sie verstoßen in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen die gesetzliche Regelung des § 40 Abs. 3 StGB.

a) Weil es nicht möglich ist, in allen Fällen – gerade auch der kleineren und der Verkehrskriminalität – sämtliche Umstände, die für die Festsetzung des Nettoeinkommens von Bedeutung sein können, abschließend aufzuklären und ins Einzelne gehende Ermittlungen regelmäßig unverhältnismäßig wären, kommt der in § 40 Abs. 3 StGB geregelten Schätzung der Bemessungsgrundlagen besondere Bedeutung zu (siehe – auch zum Folgenden – Häger, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 40 Rn. 68 ff.; H.-J. Albrecht, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 40 Rn. 47 ff.). Eine Schätzung ist immer dann angezeigt, wenn ein Angeklagter – der zu Auskünften nicht verpflichtet ist – keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögern würde oder der Ermittlungsaufwand zu der zu erwartenden Geldstrafe in einem unangemessenen Verhältnis stünde. Eine volle Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel ist dabei nicht geboten. Jedoch setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen voraus; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden.

b) Eine solche Mitteilung der Schätzungsgrundlagen lässt das Urteil des Amtsgerichts in nicht mehr hinzunehmender Weise vermissen. Es beschränkt sich auf die Feststellung, die Angeklagte habe erklärt, dass sie Verkehrspilotin sei, diesen Beruf derzeit nicht ausübe, jedoch auch nicht arbeitslos sei. Daher werde das monatliche Nettoeinkommen auf 2.400 Euro geschätzt. Diese Vorgehensweise ist zwar nicht bereits deshalb zu beanstanden, weil im Hauptverhandlungsprotokoll die abweichende Erklärung der Beschwerdeführerin festgehalten ist, sie habe kein Einkommen und sei arbeitssuchend als Verkehrspilotin. Denn bei einem Widerspruch zwischen Protokollinhalten im Sinne des § 273 Abs. 2 Satz 1 StPO und den Urteilsgründen sind allein letztere maßgebend (Gemählich, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 273 Rn. 29 [Nov. 2009]). Jedoch kommt die Annahme eines monatlichen Nettoeinkommens von 2.400 Euro – wie sie bereits dem Strafbefehl zugrunde gelegen hatte – aufgrund der tatsächlich völlig ungeklärten Einkommensverhältnisse einer bloßen „Schätzung ins Blaue hinein“ gleich. Die Ausübung einer Beschäftigung, die mit einer festen Vergütung verbunden ist, oder eine sonstige Einkommensquelle wurden nicht im Ansatz festgestellt. Der Zeuge K… wurde zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin nicht befragt, obwohl er offensichtlich in einer persönlichen Beziehung zu ihr stand. Denkbar wäre es auch gewesen, die Polizei mit Umfeldermittlungen zu betrauen; auch das ist durch das Amtsgericht unterblieben.“

Also: Butter bei die Fische 🙂 .

Der Angeklagte, der von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz lebt

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Bei einer Geldstrafe sind für den veurteilten Angeklagten nicht nur die Anzahl der Tagessätze sondern auch deren Höhe von erheblicher Bedeutung. Denn gerade sie macht ja ggf. (auch) die wirtschaftliche Bedeutung der Strafe und deren Fühlbarkeit aus. Dennoch wird in der Praxis der (Amts)Gerichte häufig zu wenig Sorgfalt auf die Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten und damit auf die Grundlage der Bemessung der Tagessatzhöhe verwendet. Das zeigt dann auch noch einmal der OLG Köln, Beschl. v. 17.06.2015 – 1 RVs 101/15. Das AG hatte zur Tagessatzhöhe nur festgestellt, dass der Angeklagte „von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ lebt. Das reicht(e) so nicht:

2. Hingegen hält die Bemessung des einzelnen Tagessatzes revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Zu den Einkommensverhältnissen des Angeklagten führt das Amtsgericht aus:

„Er (…) lebt von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.“

Diese Feststellung belegt nicht, dass die Bemessung der Höhe des einzelnen Tagessatzes in jeder Hinsicht auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht.

a) Bei der Verhängung einer Geldstrafe sind konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen und insbesondere zu den monatlich erzielten Einkünften eines Angeklagten zu treffen (vgl. BGH bei Detter NStZ 2000, 188; SenE v. 24.03.2009 – 83 Ss 13/09 = StV 2009, 592). Solche sind auch bei Sozialhilfeempfängern und diesen vergleichbaren Personen für die Bemessung der Tagessatzhöhe und für die Entscheidung über etwaige Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) erforderlich (SenE a. a. O.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 109 [110]).

Hieran fehlt es in dem angefochtenen Urteil, weil die Feststellung, der Angeklagte lebe von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz die Höhe der tatsächlichen Einkünfte offen lässt. So unterscheidet etwa § 3 AsylbLG zunächst grundsätzlich zwischen solchen Leistungsberechtigten, die in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 AsylVfG untergebracht sind, und solchen, bei welchen dies nicht der Fall ist. Bei Ersteren wird der notwendige Bedarf für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts durch Sachleistungen sichergestellt. Zusätzlich erhalten sie, soweit sie alleinstehend sind, nach § 3 Abs. 1 S. 5 Ziff. 1 AsylbLG idF der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 14 des Asylbewerberleistungsgesetzes (BGBl. 2015 I, S. 25) derzeit einen Geldbetrag in Höhe von 143,- € monatlich. Bei letzteren wird (nur) der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat als Geld- oder Sachleistung separat erbracht; zusätzlich erhalten diese Personen 216,- € monatlich, wobei dieser Geldbetrag wiederum ganz oder teilweise auch in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder (sonstigen) Sachleistungen erbracht werden kann (§ 3 Abs. 2 S. 3 AsylbLG). Da nach der Rechtsprechung des Senats auch der Bezug von Sachleistungen zum Einkommen im Sinne des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB zählt (SenE v. 24.03.2009 – 83 Ss 13/09 = StV 2009, 592; vgl. a. Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 40 Rz. 7), kommt es für die Bemessung des einzelnen Tagessatzes zunächst auf die Höhe der dem Angeklagten insgesamt zufließenden (baren und unbaren) Zuwendungen an, über die die Urteilsgründe indessen keinen Aufschluss geben.

b) Lebt der Angeklagte von Bezügen am Rande des Existenzminimums, z. B. von Sozialhilfe, so kann es darüber hinaus geboten sein, unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen, zeitlich grundsätzlich nicht beschränkten Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen, sich aus Geldzahlungen und etwaigen Sachmittelzuwendungen zusammensetzenden Bezüge festzusetzen, wobei sich auch dieser ermessensähnlich ausgestaltete Strafzumessungsakt einer schematischen Behandlung entzieht (SenE v. 24.03.2009 – 83 Ss 13/09 = StV 2009, 592; SenE v. 30.10.2007 – 82 Ss 123/07 -; OLG Stuttgart, StV 2009, 131; OLG Hamburg VRS 101, 106 = NStZ 2001, 655; OLG Stuttgart, NJW 1994, 745; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272; Fischer a. a. O. § 40 Rz. 24; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 29. Auflage 2014, § 40 Rz. 8). Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Tatrichter diese Grundsätze berücksichtigt hat.“