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Pflichti III: Zahlung entgegen Mandantenwillen, oder: Entpflichtung wegen zerrüttetem Vertrauensverhältnis

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung zur Entpflichtung, nämlich der LG Köln, Beschl. v. 16.11.2021 – 111 Ks 6/21.

Das LG hat den dem Angeklagten zunächst bestellten Pflichtverteidiger R entpflichtet und einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO beigeordnet:

„Nach § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Maßstab für die Beurteilung ist die Sicht eines verständigen Beschuldigten (BGH, NStZ 2021, 60). Nach der Rechtsprechung kann eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses auch vorliegen, wenn der bestellte Verteidiger auf den Abschluss einer zusätzlichen Honorarvereinbarung drängt (KG BeckRS 2012, 11919). Dabei ist indes zu beachten, dass auch der bestellte Verteidiger grundsätzlich eine Honorarvereinbarung abschließen darf (BGH NJW 2019, 676), weshalb er eine solche zur Sprache bringen kann. Die Grenze des Zulässigen wird in der Regel als überschritten angesehen, wenn das Ansinnen des Verteidigers Erpressungscharakter hat (KG BeckRS 2012, 11919). Zudem muss der Pflichtverteidiger vor Abschluss der Honorarvereinbarung darauf hinweisen, dass er auch ohne die Vereinbarung zu weiterer Verteidigung verpflichtet ist (BGH NJW 2019, 676, (678)). Die Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses muss substantiiert dargelegt werden (BGH NStZ 2021, 381).

Nach diesen Grundsätzen war dem Antrag des Angeklagten F auf Auswechslung des Pflichtverteidigers zu entsprechen. Der Angeklagte hat dargelegt, er habe mit Rechtsanwalt R nach dessen Bestellung zu seinem Pflichtverteidiger über den Abschluss einer Honorarvereinbarung gesprochen, wobei der diesem mitgeteilt habe, er möge diesbezüglich nicht in Kontakt mit seiner Familie, insbesondere seiner Schwester, Frau A, treten. Er hat weiter substantiiert ausgeführt, dass Rechtsanwalt R gleichwohl die Zahlung eines Honorars mit seiner Schwester vereinbart habe, ohne dass er diese zuvor darüber belehrt habe, dass er aufgrund seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger durch die Staatskasse vergütet werde und zur Verteidigung verpflichtet sei. Hierzu hat er ein Schreiben seiner Schwester vorgelegt, mit dem diese bestätigt, an Rechtsanwalt R 500,00 € gezahlt zu haben, ohne dass er sie darüber belehrt habe, dass seine Kosten von der Staatskasse getragen würden. Auch wenn Rechtsanwalt R mit Schriftsatz vom 27.09.2021 bestritten hat, eine Honorarvereinbarung mit Frau A getroffen zu haben und er ausgeführt hat, dass er ihr auch in keiner Weise erklärt, angedeutet oder suggeriert habe, die Verteidigung ihres Bruders hinge davon ab, ist er dem vorgelegten Schreiben von Frau A nicht entgegen getreten. Hat er aber eine Zahlung von Frau A entgegen genommen, hat er damit zunächst der ausdrücklichen Weisung seines Mandanten zuwider gehandelt, sich wegen Honorarforderungen nicht an seine Familie zu wenden. Weiter hat er Frau A nicht darüber belehrt, dass seine Kosten als Pflichtverteidiger von der Staatskasse getragen würden und er auch ohne weitere Zahlungen zur Verteidigung verpflichtet sei. Die Erhebung einer Zahlungsforderung kann auf Seiten der Familie des Inhaftierten ohne eine solche Belehrung nur dahingehend verstanden werden, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung von der Zahlung abhängig sei. Von daher rechtfertigt das Vorbringen des Angeklagten F auch aus Sicht eines verständigen Beschuldigten den Schluss, dass das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger endgültig zerstört ist. Dem Antrag auf Auswechslung des Pflichtverteidigers war daher zu entsprechen.“

Fazit: Ganz vorsichtig mit diesen Dingen.

Der vom LG zitierte KG, Beschl. v. 23.01.2012 – 4 Ws 3/12 – steht im Übrigen als Volltext auch auf meiner Homepage.

Pflichti II: Bestellung im JGG-Verfahren wegen BtM, oder: Schwierge Sachlage, wenn viele Polizeizeugen

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Im zweiten Posting dann etwas zur Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO.

Zunächst der Hinweis auf den LG Mannheim, Beschl. v. 16.02.2022 – 7 Qs 9/22. Das LG hat in einem JGG-Verfahren mit dem Vorwurf des Handeltreibens mit BtM, und zwar u.a. gewerbsmäßig, einen Pflichtverteidiger bestellt. Hier die Begründung:

„Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO vor, da zumindest die Schwere der Tat eine Beiordnung rechtfertigt.

Aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere aber aufgrund der Angaben des Beschuldigten im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 15.04.2021, in der er umfassende Angaben zu seinen bisherigen Drogengeschäften gemacht hat, werden dem Beschuldigten derzeit mehr als 80 Fälle des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum (jeweils 1 -g Marihuana) sowie mehr als 15 Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (mit einer Gesamtmenge von rund 600 g Marihuana) zur Last gelegt, wobei. bzgl. des Handeltreibens von einer gewerbsmäßigen Begehungsweise im Sinne des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG auszugehen ist (vgl. die Übersicht der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 22.12.2021, BI. 74 u. 75). Die Taten soll er im Zeitraum von Januar 2020 bis März 2021 jeweils über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangen haben.

Abgesehen davon, dass Dauer und Umfang der Taten durchaus Raum für die Annähme des Vorliegens schädlicher Neigungen lassen und damit ggf. auch an die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zu denken wäre, sind die Taten des gewerbsmäßigen Handeltreibens als solche aufgrund des – jedenfalls im Erwachsenenstrafrecht geltenden – Regelstrafrahmens von mindestens einem Jahr als schwer anzusehen.

Der Gesetzgeber hat sich durch die Neugestaltung des § 140 Abs. 2 StPO bewusst von der reinen Ausrichtung der Schwere der Tat nach der zu. erwartenden Rechtsfolge gelöst und die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge als eigenständige Voraussetzung normiert- damit kommt der Schwere der Tat ein eigenständiger Anwendungsbereich zu, der nur in der Schwere des Tatvorwurfs liegen kann (vgl. BeckOK/Noah JGG § 68 RN 13; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68 RN.24). Dass eine Tat; die – wenn gleich als Regelbeispiel – grds. mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, bedroht ist, als schwer anzusehen ist, liegt auf der Hand, zumal wenn wie im vorliegenden Fall die Tat wiederholt begangen worden ist.

Zudem ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden zu beachten, dass diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung und des geistigen und körperlichen Entwicklungsprozesses, in dem sie sich befinden, weit Weniger als-Erwachsene in der Lage sind, die Abläufe und Tragweite eines Strafverfahrens, insbesondere auch für ihre weitere schulische und berufliche Entwicklung ab-zu schätzen und sich dementsprechend zu verteidigen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet deshalb eine diesem Umstand gerecht werdende – in Rspr. und Lit. auch als „großzügig und extensiv“ bezeichnete (vgl. OLG Schleswig-Holstein StraFo 2009, 28; OLG Hamm StV 2008, 120; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2007, 282; OLG Brandenburg NStZ 2002, 184; OLG Hamm StraFo 2002, 293; Beck9K/Noah JGG § 68 RN 12; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68. RN 23; Ostendorf, JGG, 11. Aufl. § 68 .RN 7f), jeweils m.w.N.) – Anwendung des § 68 Abs. 1 .Nr. 1 JGG. Im vorliegenden Fall ist nicht nur zu‘ berücksichtigen, dass der Beschuldigte erst vor wenigen Tagen 18 Jahre alt geworden ist, sondern auch, dass es sich bei ihm – was der regelmäßige und relativ intensive Drogenkonsum nahelegt – durchaus um eine instabile Persönlichkeit handeln könnte.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Versagung der Beiordnung, auch eine dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entsprechende Privilegierung erwachsener Straftäter darstellen würde. Maßgeblich ist nach §.68 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen würde; davon wäre, bei einem Erwachsenen bei vergleichbaren Tatvorwürfen ohne Weiteres auszugehen. Dass im Jugendstrafrecht im Hinblick auf die Entwicklung jugendlicher Straftäter ein breites Spektrum von. Rechtsfolgen vorgesehen ist und diese Rechtsfolgen nicht mit der Eingriffsintensität von Geld-. oder Freiheitsstrafen verlieren sind, rechtfertigt nicht, den jugendlichen Täter allein aufgrund der geringeren Rechtsfolgenerwartung schlechter als den Erwachsenen zu stellen.“

Und zur Abrundung dann noch der LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.02.2022 – 18 Qs 9/22. Es handelt sich um einen „Polizeizeugenfall“. Das LG hat bestellt. Hier der Leitsatz:

Ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann aufgrund der zu erwartenden umfangreicheren Beweisaufnahme durch Vernehmung einer Vielzahl von Polizeizeugen anzunehmen sein.

Pflichti I: Bestellung wegen schwieriger Rechtslage, oder: Eine „Corona-Urkundenfälschung“ ist schwierig

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Und zur Wochenmitte dann ein StPO-Tag mit Entscheidungen zur Pflichtverteidigung. Heute gibt es allerdings keine Entscheidung zur rückwirkenden Bestellung, sondern „nur“ drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen und eine zur Entpflichtung. Von den vorgestellten Entscheidungen ist m.E. die des LG Braunschweig derzeit besonders interessant.

In dem dem LG Brauanschweig, Beschl. v. 14.02.2022 – 8 Qs 36/22 – zugrundeliegenden Verfahren wird dem Beschuldigten vorgeworfen, sich am 07.10.2021 mittels eines gefälschten Impfausweises bei einer Apotheke einen digitalen Impfnachweis (COVID 19 Schutzimpfung) verschafft zu haben, nachdem die erste Vorlage des Impfausweises bei einer anderen Apotheke gescheitert war. Diese beiden Taten seien als mittelbare Falschbeurkundung strafbar, wobei die Tat zu 1 allein versucht worden sei.

Das AG hat einen Pflichtverteidiger beigeordnet, dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft – man fragt sich, was das soll -, die dann allerdings beim LG keinen Erfolg:

„Es liegt der Beiordnungsgrund des § 140 Abs. 2 StPO in Form der Schwierigkeit der Rechtslage vor. Der Begriff der schwierigen Rechtslage ist weit auszulegen, da entscheidend ist, ob die Rechtslage für einen Laien schwierig ist. Dies ist sie mindestens, wenn eine Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur streitig ist oder wenn sie Abgrenzungs- oder Subsumtionsprobleme bereitet, so bei ungeklärten Fragen des materiellen oder formellen Rechts; insbesondere wenn sie diskutiert werden oder abweichende Rechtsprechung existiert (MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, § 140 Rn. 42). Bereits aufgrund der Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern vorn 23.12.2021 (Az.: 5 Qs 107/21), die sich -wie vorliegend-auf die Rechtslage vor dem 24.11.2021 bezieht, ist dies gegeben. In Abweichung zu dem hier ergangenen Strafbefehl sieht das benannte Landgericht in einem gleich gelagerten Fall eine Strafbarkeitslücke (so auch LG Osnabrück, Beschl. v. 26. 10.2021 — 3 Qs 38/21). Nach dortiger Würdigung scheide die hier angenommene Strafbarkeit gern. § 271 StGB aus, da in Ermangelung einer Prüfungsmöglichkeit des Robert-Koch-Instituts das digitale Impfzertifikat nicht mit einem öffentlichen Glauben versehen werden könne. Unabhängig davon, ob dem gefolgt wird, liegt durch diese Entscheidung eine wesentlich abweichende Rechtsauffassung vor, was durch einen Laien nicht erfasst werden kann.“

Pflichti III: Nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Zweimal unschön

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Und dann zum Tagesschluss noch einmal zwei Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, allerdings dreimal unschön. Denn: In beiden Entscheidungen wird die rückwirkende Bestellung abgelehnt. Die Argumente kennen wir, Also nichts Neues.

Die Argumente sind und bleiben falsch und ganz sicher nich nachvollziehbar ist es, wenn auf „alte“ Rechtsprechung abgestellt wird. Man kann nur hoffen, dass hoffentlich bald mal der BGH mit der Frage befasst wird….

Zudem wird es mal Zeit, dass mehr darauf geachtet wird, dass der Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung, nämlich eine frühzeitige Bestellung eines Pflichtverteidigers, endlich auch umgesetzt und StA und Gerichte sich teilweise nicht darum scheren.

Bei den beiden Entscheidungen handelt es sich um:

 

Pflichti II: 3 x etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Gesamtstrafe, Unfähigkeit, Strafvollstreckung

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Und im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zur den Beiordnungsgründen, allerdings jeweils nur die Leitsätze, da die „selbsterklärend“ sind:

Von der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge i.S.d. § 140 Absatz 2 StPO ist auszugehen, soweit eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr in Betracht. Drohen einem Beschuldigten dabei in mehreren Parallelverfahren Strafen, die gesamtstrafenfähig sind und von denen anzunehmen ist, dass deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreichen werde, die das Merkmal der „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ i.S.d. § 140 Absatz 2 StPO, mithin mindestens eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe von einem Jahr erfüllt, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig. Darauf, ob die in Frage stehenden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden oder nicht, kommt es bei der Beurteilung nicht an.

Es können erhebliche Zweifel an der Fähigkeit eines Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, bestehen, wenn aufgrund desolater psychischer und persönlicher Verhältnisse ersichtlich ist, dass er mit behördlichem Schriftverkehr (hier: Strafbefehl) und einer adäquaten Reaktion hierauf schlicht überfordert ist.

Dem Verurteilten ist im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn sich die Strafvollstreckungskammer eingehend mit dem aktuellen Gesundheitszustand des Verurteilten und bereits vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen auseinandersetzen und diese in Beziehung zu den begangenen Straftaten setzen muss und zudem der Vollstreckungsfall in rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch die Generalstaatsanwaltschaft zunächst verkannt haben.