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Hinweis auf Höhe der Anwaltsgebühren erforderlich?, oder: Sittenwidrigkeit beim 3,6-Fachen über RVG?

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Und dann noch etwas zur Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG). Auch „kein Strafrechtsgrundfall“, aber das OLG München, Urt. v. 02.02.2022 – 15 U 2738/21 Rae – gilt acuh für andere Rechtsgebiete,

Folgender Sachverhalt: Der Kläger hatte einen Fachanwalt für Arbeitsrecht mit der gerichtlichen Vertretung in einem Kündigungsschutzprozess beauftragt. Zwischen dem Kläger und dem jetzt beklagten Rechtsanwalt wurde eine Vergütungsvereinbarung getroffen, die für den Rechtsanwalt ein Stundenhonorar von 340 EUR netto, mindestens aber das gesetzliche Honorar vorsah. Die Vereinbarung enthielt zudem eine sog. Nachverhandlungsklausel“ für ein Pauschalhonorar. Das sollte sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen, wobei eine Abfindung dem Gegenstandswert hinzuzurechnen sein sollte.

Der Kündigungsschutzprozesse endete mit einem Vergleich, der u.a. eine Abfindungszahlung von 60.000 EUR brutto vorsah. Kurze Zeit nach dem Vergleich unterzeichneten die Parteien in der Kanzlei des Rechtsanwalts eine weitere Vergütungsvereinbarung, welche die erste Vereinbarung ersetzte und ein Pauschalhonorar von 12.000 EUR brutto vorsah. Der Rechtsanwalt hat mit der Rechtsschutzversicherung des Klägers die gesetzliche Vergütung von 3.305,82 EUR abgerechnet und verrechnete die vom Arbeitgeber auf sein Anderkonto bezahlte Abfindungsleistung mit seinem restlichen Vergütungsanspruch aus dem Pauschalhonorar.

Der klagende Mandat verlangt nun Zahlung der verrechneten Abfindung. Das LG hat der Klage statt gegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg:

„1. Die zweite Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vom 28.01.2020 ersetzt die erste Stundenhonorar-Vereinbarung zwischen den Parteien und entspricht der Vorschrift des § 3 a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung. Die Vergütungsvereinbarung war entsprechend der Vorschrift des RVG in Textform gehalten und als solche bezeichnet. Sie enthielt keine sonstigen Abreden und war auch von der Vollmacht getrennt.

2. Inhaltlich ist diese Vergütung nicht zu beanstanden. Eine Herabsetzung der Vergütung nach § 3 a Abs. 2 Satz 1 RVG kommt – ungeachtet der Verpflichtung zur Erholung eines Gutachtens der zuständigen Rechtsanwaltskammer – nicht in Betracht. Auch eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben.

a) Die Regelung des § 3a Abs. 1 RVG soll den Auftraggeber vor einer unüberlegten, leichtfertigen oder unbewussten Eingehung von solchen Zahlungspflichten schützen, die ihm und darüber hinaus dem Ansehen der Rechtspflege schaden könnten (Toussaint/Toussaint, 51. Auflage 2021, § 3 a RVG, Rn. 17). Eine höhere als die gesetzliche Vergütung einschließlich Auslagen ist hierbei allerdings keineswegs sittenwidrig. Eine zwischen den Parteien eines Anwaltsvertrags vereinbarte Vergütung muss vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben unangemessen hoch sein (BGH NJW 2010, 1364). Maßgeblich ist weder die Sicht des Auftraggebers noch diejenige des Anwalts, es gilt ein möglichst objektiver Maßstab. Die gesetzliche Vergütung ist hierbei zwar ein Indiz für die Unangemessenheit, trägt den vorgenannten Umständen aber als eine Pauschgebühr oft nicht in ausreichendem Maße Rechnung (Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 42). Ausgangspunkt für die gesetzlichen Gebühren im vorliegenden Fall ist die soziale Schutzvorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Danach bemisst sich der Streitwert in arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozessen nach maximal dem Dreifachen eines Bruttomonatsgehalts, hier unstreitig 3.305,00 €. Das hier in der zweiten Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vereinbarte Honorar brutto 12.000,00 € stellt mithin das 3,6-fache der gesetzlichen Gebühren des Beklagten dar. Ein auffälliges Missverhältnis besteht allerdings nicht bereits aufgrund dieser 3,6-fachen Überschreitung, da dies – gerade bei Vergütungsvereinbarungen im unteren und mittleren Streitwertbereich – erst angenommen wird, wenn das vertraglich vereinbarte Honorar mehr als das 5-fache der gesetzlichen Vergütung beträgt (BGH AnwBl. 2017, 208; BGH NJW 2005, 2142; OLG München NJW-RR 2012, 1469; Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 41 – Stichwort „gesetzliche Vergütung“).

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage, ob ein für eine Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, besondere und Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen (BGH, NJW 2000, 669). Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein mehrfaches übersteigt, angemessen sein (BGH, NJW-RR 2017, 377, 379). Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig oder unangemessen hoch und daher nichtig oder herabzusetzen und sich hierbei auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss nicht nur dartun, dass die Vergütung die vereinbarten gesetzlichen Gebühren überschreitet (was hier unstreitig ist), sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandates geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das angemessene Honorar deutlich überschreitet, kann ein besonders grobes Missverhältnis vorliegen (BGH NJW-RR 2017, 377, 379). Für die Frage, welche Vergütung im konkreten Fall marktangemessen ist, hat das Gericht alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar sprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall zu würdigen (BGH, a.a.O.).

c) Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine Unangemessenheit des vereinbarten Honorars in Höhe von brutto 12.000,00 € nicht zu erkennen. Es kann bereits nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger sich bewusst für eine Mandatierung gerade des Beklagten, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, entschieden hat, weil er diesen als „harten Hund“ in einem anderen arbeitsrechtlichen Prozess erlebt hatte. Auch muss berücksichtigt werden, dass das Bruttomonatsgehalt des Klägers von 7.906,00 € ein hohes Gehalt darstellt und die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung in Höhe von 60.000,00 € angesichts einer Beschäftigungsdauer des Klägers bei der Firma G. von lediglich drei bis vier Jahren (nach den eigenen Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat am 02.02.2022) eher mehr als das doppelte der üblicherweise zu zahlenden Abfindung bei betriebsbedingten Kündigungen darstellt (üblich ist ein Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung). Unberücksichtigt darf im Rahmen der Abwägung auch nicht bleiben, dass der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts in Kündigungsschutzprozessen bei der Vertretung von Arbeitnehmern aus § 42 Abs. 2 GKG aus sozialen Gründen gedeckelt ist, um das Verfahren vor den Arbeitsgerichten möglichst günstig zu gestalten (vgl. Toussaint/Elzer, § 42 GKG, Rn. 34).

Nach alledem vermag der Senat im Rahmen der Abwägung des hier vorzunehmenden Einzelfalles trotz Vereinbarung des 3,6-fachen der gesetzlichen Gebühren ein auffälliges Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festzustellen.

3. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer (ungefragten) Aufklärungspflicht besteht entgegen der Annahme des Landgerichtes nicht:

a) Eine gesetzliche Regelung zur Hinweispflicht des Rechtsanwalts findet sich lediglich in § 49 b Abs. 5 BRAO. Danach hat der Rechtsanwalt vor Übernahme eines Auftrags ungefragt hinzuweisen, wenn sich die zu erhebende Gebühr nach dem Gegenstandswert richtet. Hierum geht es vorliegend aber nicht, da die in der zweiten Vergütungsvereinbarung vereinbarte Pauschalvergütung von brutto 12.000,00 € sich weder nach dem Gegenstand der anwaltlichen Vertretung im Kündigungsschutzprozess richtet noch überhaupt vor Übernahme des Auftrages erfolgte.

b) Ungefragt schuldet der Rechtsanwalt in allen anderen Fällen seinem Auftraggeber grundsätzlich keinen solchen Hinweis auf die bisher entstandenen oder noch zu entstehenden Gebühren. Nur auf Verlangen des Auftraggebers hat der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (BGH, NJW 1998, 3486, 3487). Allerdings kann sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Insoweit hat die erforderliche Gesamtwürdigung zu berücksichtigen einerseits den Schwierigkeitsgrad und Umfang der anwaltlichen Aufgabe, einen etwaig ungewöhnlich hohen Gegenstandswert und sich daraus ergebende hohe Gebühren, die das vom Auftraggeber erstrebte Ziel wirtschaftlich sinnlos machen können, andererseits die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sowie dessen Vermögensverhältnisse und Erfahrungen im Umgang mit Rechtsanwälten. Letztlich hängt die anwaltliche Pflicht, den Auftraggeber vor Vertragsschluss über die voraussichtliche Höhe der Vergütung aufzuklären, entscheidend davon ab, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste (BGH NJW 1998, 3486, 3487; BGH NJW 1985, 2642, 2643).

c) Unter Würdigung dieser Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine letztlich auf Treu und Glauben fußende Aufklärungspflicht über die bisher – aus der ersten Vergütungsvereinbarung – entstandene Vergütung nicht zu erkennen. Die vom Beklagten geleistete Stundenanzahl ist hier schon deshalb irrelevant, weil es sich zum einen nicht um ein Dauermandat handelte, in dem eine monatliche Abrechnung der geleisteten Stunden überhaupt auch nur vereinbart war. Zudem war aus der ersten Vergütungsvereinbarung klar ersichtlich, dass der Mandant und Kläger in jedem Falle eine Vergütung in Höhe der gesetzlichen Vergütung (hier 3.305,82 €) schuldete. Auch der von ihm geschuldete Betrag (€ 12.000,-) war vor Unterschriftsleistung unter die zweite Vergütungsvereinbarung für den Kläger eindeutig und unzweifelhaft ersichtlich. Zwar trägt der Kläger im Ansatz zutreffend vor, dass möglicherweise die Absichtserklärung in der ersten Vergütungsvereinbarung, später eine zweite Vergütungsvereinbarung zu schließen, irreführend war und bei einem rechtlichen Laien subjektiv der Eindruck entstehen konnte, zum Abschluss einer derartigen zweiten Vergütungsvereinbarung verpflichtet zu sein. Das vom Kläger behauptete grobe Ungleichgewicht in der Verhandlungsposition vermag der Senat allerdings in der hier vorliegenden Konstellation nicht zu erkennen. Der Kläger begab sich aus freiwilligen Stücken und nach einer bereits abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung in die Kanzleiräume des Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Vergleich vor dem Arbeitsgericht mit einer Abfindungszahlung von 60.000,00 € bereits abgeschlossen und der arbeitsgerichtliche Termin aufgehoben. Es bestand daher keinerlei Abhängigkeit des Klägers vom Beklagten insoweit, als dessen Wohlwollen im Hinblick auf die Verhandlungstätigkeit des Beklagten für den Kläger am Verhandlungsergebnis noch etwas geändert hätte. Hinzu kommt – worauf die Berufung zu Recht hinweist – dass es dem Kläger unbenommen und ein Leichtes gewesen wäre, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vereinbarung nach der Höhe der bisher entstandenen Vergütung zu fragen. Auf entsprechendes Verlangen des Klägers wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (siehe BGH a.a.O.). Soweit die Klagepartei meint, der Beklagte habe auf diesem Wege 22 % der Nettoabfindung des Klägers erhalten, sind zum einen hierbei etwaige Steuerrückerstattungen zum Ende des Kalenderjahres 2020 aufgrund der anschließenden Arbeitslosigkeit des Klägers nicht berücksichtigt und zum anderen kann diese Frage nur insoweit eine Rolle spielen, als sie das – oben bereits verneinte – Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, nicht aber eine ungeklärte Aufklärungspflicht betrifft.

Maßgeblich für die Frage einer Offenbarungspflicht über die bis zur entstandenen Gebühr ist vorliegend, ob der Mandant objektiv die voraussichtlich von ihm zu bezahlende Höhe der Vergütung erkennen konnte. Hierbei kann nicht außer Betracht bleiben, dass dem Kläger bereits aus der ersten Vergütungsvereinbarung (Anlage K 4) aus § 1 deutlich ersichtlich war, dass der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt die Vereinbarung eines Pauschalhonorars anstrebte, das sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren sollte und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen wird. Auch wenn letztlich die vereinbarte Pauschalvergütung etwas höher war als das ursprünglich angedachte (hier das 3,6-fache), so hält sich die Vergütungsvereinbarung noch im Wesentlichen im Rahmen des ursprünglich beabsichtigten. Somit konnte und durfte für den Kläger nicht überraschend sein, dass vom Beklagten eine Honorarvereinbarung angestrebt wurde, die deutlich höher war als die gesetzliche Vergütung und möglicherweise auch als die tatsächlich geleistete Stundenzahl. Berücksichtigt man die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung, die angesichts der Beschäftigungszeit des Klägers das Doppelte des Üblichen ausmachte sowie die noch drei weiteren Monatsgehälter, die nach dem abgeschlossenen Vergleich vom Arbeitgeber bis Ende Mai 2020 an den Kläger zu bezahlen waren, so ist unter Berücksichtigung dieses „Gesamtpaketes“ die vereinbarte Vergütung auch nicht als wirtschaftlich sinnlos anzusehen. Soweit der Kläger moniert, im Kalendermonat der Zahlung der Abfindung sei ein erheblicher Betrag aus dieser Abfindung zu versteuern gewesen (Nettobetrag unter 40.000,00 €), so wird der Kläger einen nicht unerheblichen Teil hiervon im Rahmen der Einkommenssteuer 2020 auch unter Berücksichtigung der sich anschließenden Arbeitslosigkeit wieder zurückerhalten haben.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sowie der oben zur Höhe der Vergütung bereits abgehandelten Argumente vermag der Senat eine ungefragte Aufklärungspflicht über die Höhe der bis zum Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung entstandenen Gebühren nicht zu erkennen. Es wäre dem Kläger – wie ausgeführt – unbenommen gewesen, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung über die bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Gebühren zu fragen oder die ihm vorgelegte zweite Vergütungsvereinbarung schlicht nicht zu unterzeichnen. Einer Drucksituation unterlag der Kläger aufgrund des zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des abgeschlossenen Vergleichs ersichtlich nicht mehr.“

Corona I: 660.000 bzw. ca. 1,2 Mio EUR für Maskendeals, oder: Bestechlichkeit/Bestechung von Mandatsträgern

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So, zum Wochenstart mal wieder Corona. Ist ja auch nicht überraschend. Wir stecken in der 4. Welle – ja, auch wenn die Politik nur wenig tut -, die 5. Welle droht am Horizont. Und die Gerichte bereiten die vorhergehenden Wellen auf. So das OLG München mit dem OLG, Beschl. v. 17.11.2021 – 8 St 3/21 u. 8 St 4/21 – zur Maskenaffäre um den ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und den CSU-Landtagsabgeordneten Alfred Sauter, ehemals Minister in Bayern. Die sollen für die Vermittlung von Corona-Maskengeschäften im Jahr 2020 reichlich Geld erhalten haben, und zwar Nüßlein 660.000 EUR und Sauter ca. 1,2 Mio EUR.  Deshalb ist ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen Korruptionsverdachts eingeleitet worden. Vorwurf: § 108e StGB – Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. In dem sind Durchsuchungsbeschlüsse und Vermögensarreste ergangen, gegen die Beschwerde eingelegt worden ist.

Über die hat jetzt das OLG München entschieden. Ich will jetzt nicht aus dem gut 15 Seiten langen Beschluss zitieren, sondern empfehle insoweit das Selbstleseverfahren.  Das OLG hat aufgehoben. Nach seiner Auffassung macht sich ein Mandatsträger durch die Annahme von unberechtigten Vermögensvorteilen nicht strafbar, wenn er lediglich die Autorität seines Mandats oder seine Kontakte nutzt, um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, zum Beispiel Behörden und Ministerien, zu beeinflussen.

Dass dem OLG nicht wohl bei seiner Entscheidung ist – was allerdings kein Maßstab sein kann – erkennt man an der Passage:

„Da der deutsche Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass „eine Handlung oder Unterlassung ‚bei der Wahrnehmung des Mandats‘ ausschließlich bei parlamentarischen Verhandlungsgegenständen vorliegt“ und er die Art. 12 ER-Übk und Art. 18 VN-Übk explizit nicht umsetzen wollte, ist es dem Senat als Teil der Judikative verwehrt, das dem Beschuldigten vorzuwerfende Verhalten unter die Strafnorm des § 108e Abs. 1 StGB zu subsumieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, juris Rn. 73; vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 1447/05, juris Rn. 91). Der Senat hat es aufgrund der Gewaltenteilung hinzunehmen, dass die Vorstellung des Deutschen Bundestags über die Strafwürdigkeit gewisser Verhaltensweisen seiner Mitglieder (und der Mitglieder der Länder- und Kommunalparlamente) von der Auffassung der internationalen Normgeber substanziell abweicht, auch wenn die diesbezüglichen Erwägungen des deutschen Gesetzgebers, dass es keinen Anlass gebe, die missbräuchliche Einflussnahme unter Strafe zu stellen (BT-Drucks. 18/9234, S. 36) und dass ein Bedürfnis für eine derart weitgehende Bestrafung dritter Personen bislang nicht aufgetreten sei (BT-Drucks. 18/2138, S. 82), vor dem Hintergrund des vorliegenden Falls zweifelhaft erscheinen dürften.“

Mal sehen, was der BGH dazu sagt. Die GStA hat ja Beschwerde angekündigt.

Übrigens: Wenn man die Summen sieht, dürften Pflegekräfte verzweifeln. Und man muss sich über „Politikverdrossenheit“ nicht wundern.

Pflichti I: Verteidiger besucht den Angeklagten nicht, oder: Egal, Verteidiger ist kein „Kindermädchen“

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Heute dann drei Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Ich beginne mit der Entscheidung, über die man sich m.E. am meisten ärgern muss, und zwar dem OLG München, Beschl. v. 25.10.2021 – 3 Ws 820/21. Das OLG hatte über den Antrag eines Angeklagten auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses des Angeklagten zum bisherigen Pflichtverteidiger zu entscheiden..

In dem Verfahren war zunächst ein konsenusaler Pflichtverteidigerwechsel geplant. Den hatte das LG abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg. In der Beschwerdebegründung hatte der Angeklagte über Rechtsanwalt PP1, also den Rechtsanwalt, der „neuer“ Pflichtverteidiger werden sollte, ausgeführt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Rechtsanwalt PP2, dem bisherigen Pflichtverteidiger, nachhaltig und endgültig zerstört sei, weil es zwischen beiden seit dem 15.06.2021 keinen Kontakt mehr gebe und Rechtsanwalt PP2 den Angeklagten insbesondere weder nach Übersendung der Anklageschrift noch nach dem Haftprüfungsbeschluss des OLG München oder zur Vorbereitung der Hauptverhandlung aufgesucht habe. Gleiches trug Rechtsanwalt PP1 in einem erneuten Antrag auf Beiordnung im Wege des Austauschs vom 16.09.2021 vor.

Auch das hat das LG abgelehnt. Dagegen die Beschwerde, mit der dann noch vorgetragen weiter vorgetragen wurde, dass das sei das Vertrauensverhältnis des Angeklagten PP zu Rechtsanwalt PP2 nachhaltig und endgültig zerstört sei, weil es zwischen beiden seit dem 15.06.2021 keinen Kontakt mehr gebe und Rechtsanwalt PP2 den Angeklagten insbesondere weder nach Übersendung der Anklageschrift noch nach dem Haftprüfungsbeschluss des OLG München oder zur Vorbereitung der Hauptverhandlung aufgesucht habe. Gleiches trug Rechtsanwalt PP1 in einem erneuten Antrag auf Beiordnung im Wege des Austauschs vom 16.09.2021 vor. Wegen der weiteren Einzelheiten – auch des Verfahrens – verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG München hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen:

„Soweit sich die Beschwerdebegründung erneut auf § 143 Abs. 2 Nr. 1 StPO stützt hat der Senat bereits mit Beschluss vom 05.10.2021 entschieden.

Ein Grund aus § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO, den bestellten Pflichtverteidiger zu entpflichten und stattdessen Rechtsanwalt PP1 zu bestellen, liegt nicht vor.

Das Vorbringen im Schriftsatz vom 16.09.2021 untermauert die Behauptung eines endgültig zerstörten Vertrauensverhältnisses des Angeklagten zum bisherigen Pflichtverteidiger nicht. Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat mit Beschluss vom 13.08.2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Gleichzeitig wurde Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf den 12.10.2021 und acht weitere Termine bestimmt. Wenn Rechtsanwalt PP1 vorträgt, der Pflichtverteidiger habe den Angeklagten nicht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung besucht, so kann das ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis nicht begründen. Der Beginn der Hauptverhandlung war am 12.10.2021, es war also noch ausreichend Zeit, um sich mit dem Angeklagten zu besprechen. Dass der Pflichtverteidiger den Angeklagten nicht so oft besucht hat, wie es sich dieser gewünscht hätte, ist ebenfalls kein Grund nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO und kann eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht begründen. Der Pflichtverteidiger – und auch kein Wahlverteidiger – dient nicht als „Kindermädchen“ und übernimmt nicht die Aufgabe, den Angeklagten ohne Notwendigkeit zu besuchen. Nicht jede Entscheidung bedarf einer Besprechung zwischen Angeklagtem und Verteidiger.

Das Argument des zerstörten Vertrauensverhältnisses wurde zudem erst vorgebracht, als die konsensuale Auswechslung keinen Erfolg zu haben schien. Dies lässt beim Senat erhebliche Zweifel aufkommen und legt den Verdacht nahe, dass die Zerrüttung nur als Vorwand dienen soll, wie es auch das Landgericht gesehen hat.

Außerdem liegt weiterhin die unzureichende terminliche Verfügbarkeit von Rechtsanwalts PP1 vor.“

Wenn man das liest, kann man nur verärgert den Kopf schütteln. Man fragt sich, was in Bayern oder besser beim OLG München, eigentlich noch vorgetragen werden muss, um eine Entpflichtung zu erreichen. Die Art und Weise, wie man hier den Antrag des Angeklagten betreffend das Vertrauensverhältnis „abfertigt“ ist schon bemerkenswert. Und man fragt sich, welche Vorstellung der OLG-Senat eigentlich von einer ordnungsgemäßen Vorbereitung einer Verteidigung/Hauptverhandlung durch den Verteidiger hat. Der ursprüngliche Pflichtverteidiger lässt sich monatelang nicht blicken und das wird dann mit den Worten: „Muss er auch nicht, er ist kein Kindermädchen des Angeklagten“ vom Tisch gewischt.

Zur einvernehmlichen Umbeiordnung ist nur anzumerken: Warum kommt beim Senat eigentlich offenbar niemand auf die Idee, dass man vielleicht dem LG ja auch mal hätte sagen können, dass es die Frage der Umterminierung der beiden Termine, an denen der neue Pflichtverteidiger verhindert war, hätte prüfen können. Dazu nichts. Sondern man segnet das Argument, man hätte einen weiteren Pflichtverteidiger bestellen müssen, ab.

Und schließlich: Gelinde gesagt „frech“ ist in meinen Augen die Formulierung „Das Argument des zerstörten Vertrauensverhältnisses wurde zudem erst vorgebracht, als die konsensuale Auswechslung keinen Erfolg zu haben schien. Dies lässt beim Senat erhebliche Zweifel aufkommen und legt den Verdacht nahe, dass die Zerrüttung nur als Vorwand dienen soll, wie es auch das Landgericht gesehen hat.“ Ich kenne die Akte nicht, aber den doch recht schwerwiegenden Verdacht stützt man – zumindest im Beschluss – allein auf den Zeitpunkt der Vortrags, offenbar ohne zu bedenken, dass es für diesen „späten Zeitpunkt“ auch andere Gründe geben. Vielleicht haben ja auch Angeklagter und neuer Pflichtverteidiger den ursprünglichen zunächst mal nur schützen wollen?

Corona II: Substanzlose Anregung im Internet für ein Kindesschutzverfahren, oder: Kosten für den Urheber?

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern, und zwar vom OLG München. Das hat im OLG München, Beschl. v. 01.06.2021 – 2 WF 528/21 – zur Kostenentscheidung in einem Kindesschutzverfahren wegen behördlicher Coronamaßnahmen Stellung genommen.

Der nicht sorgeberechtigte Vater eines Kindes hatte mit Antrag vom 16.03.2021 die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens durch das AG angeregt, da das körperliche, seelische und geistige Wohl seines Sohnes und aller weiterer Schulkinder der Grundschule aufgrund des Tragens eines Mund- und Nasenschutzes während und außerhalb des Unterrichts, infolge der Wahrung räumlicher Distanz und durch die Testverfahren gefährdet sei. Sollte ein Hauptsacheverfahren kurzfristig nicht möglich sein, möge im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden werden. Er verwendete hierfür ein von dem Beschwerdeführer im Internet veröffentlichtes Muster.

Das AG leitete ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und ein Hauptsacheverfahren ein, bestellte für das Kind jeweils einen Verfahrensbeistand und bestimmte im Verfahren wegen einstweiliger Anordnung Termin zur mündlichen Verhandlung, zu dem es das Kind, den Verfahrensbeistand, das Jugendamt und die Eltern lud. Die daraufhin erstmals mit dem Antrag konfrontierte allein sorgeberechtigte Mutter des Kindes wandte sich gegen die Durchführung des Verfahrens und die Anhörung des Kindes. Der Vater habe ein vorgefertigtes Schreiben aus dem Internet an das Gericht gesandt. Der Vater nahm die Anregung zurück. Die Verfahrensbeiständin erstattete einen ausführlichen Bericht, in dem sie das Ergebnis ihrer Kontaktaufnahme mit den Eltern schilderte. Insbesondere gaben beide Eltern an, bei dem betroffenen Kind keine gesundheitlichen oder psychischen Auswirkungen durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu bemerken.

Mit Beschluss vom 03.05.2021 hat das AG entschieden, dass der Beschwerdeführer die Kosten einschließlich gerichtlicher Auslagen des Hauptsacheverfahrens und des Eilverfahrens als nicht beteiligter Dritter gemäß § 81 Abs. 4 FamFG zu tragen habe. Der Beschwerdeführer habe das Tätigwerden des Gerichts im Sinne dieser Vorschrift veranlasst, da er ein bis ins Detail ausgearbeitetes Muster einer entsprechenden Anregung an das Familiengericht im Internet als Download angeboten habe, ohne das es nicht zu den Verfahren gekommen wäre. Die Einleitung entsprechender Verfahren sei durch den Beschwerdeführer zudem im Internet aktiv beworben worden. Dieses Vorgehen sei auch grob schuldhaft, da der Eindruck vermittelt worden sei, die Familiengerichte seien befugt, derartige Anordnungen zu erlassen. Die Überprüfung der fraglichen Anordnungen sei jedoch den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Eine Entscheidung des Familiengerichts wäre offensichtlich rechtswidrig.

Dagegen die Beschwerde, die beim OLG Erfolg hatte:

„1. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen war daher aufzuheben. Das Schreiben des Vaters des betroffenen Kindes an das Amtsgericht war als Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens formuliert. Gemäß § 24 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht selbst, ob es auf die Anregung hin ein Verfahren einleitet, oder dies unterlässt. Letzteres ist dem Anregenden gemäß § 24 Abs. 2 FamFG mitzuteilen. Eine Pflicht zur Einleitung eines Verfahrens folgt nicht aus der Anregung, sondern alleine aus sachlichem Recht (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl., § 24 Rn. 3). Die Anregung vom 16.03.2021 formuliert das Rechtsschutzziel dahingehend, dass die Maßnahmen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes etc. durch das Familiengericht beendet werden und die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden sollen. Wie das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen richtig feststellt, ist der Rechtsweg zu den Familiengerichten vorliegend nicht eröffnet. Inhalt der Anregung ist nämlich nicht eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls durch die Sorgeberechtigten oder dritte Personen, sondern die allgemeine Überprüfung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen. Dies obliegt alleine den Verwaltungsgerichten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.05.2021, 4 UF 90/21; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.04.2021, 9 WF 342/21; OLG Jena, Beschluss vom 19.05.2021, 1 UF 136/21).

Es bestand daher für das Amtsgericht auch nach seiner Rechtsauffassung kein Anlass zur Einleitung eines, schon gar nicht zweier Verfahren. Die entstandenen Kosten beruhen daher nicht auf dem Verhalten des Beschwerdeführers.

Die Kosten des Verfahrens waren auch nicht den Eltern aufzuerlegen. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift kann im Rahmen der Kostengrundentscheidung entsprechend herangezogen werden.“

Unfallschaden II: Streifzusammenstoß zwischen einem Omnibus und einem Pkw, oder: Haftungsverteilung

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Urheber Busbahnhof

Im zweiten Posting; dem der OLG München, Beschl. v. 26.04.2021 – 24 U 111/21 – zugrunde liegt, geht es auch um die Frage der Haftungsverteilung.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Die Parteien streiten um die Haftung des durch einen Streifzusammenstoß zwischen dem Omnibus der Klägerin und einem vom Beklagten zu 1) geführten, bei der Beklagten zu 2) versicherten PKW entstandenen Sachschadens.

Der Zeuge T. befuhr am 03.07.2019 gegen 16:30 Uhr mit dem 12,99 m langen klägerischen Omnibus die B12 bergauf in Richtung S., die durch das Zeichen 266 der StVO für Fahrzeuge mit einer tatsächlichen Länge von mehr als 12 m gesperrt ist. In einer Spitzkehre im Bereich R. kam es – obwohl der Zeuge T. als Busfahrer äußerst rechts fuhr – aufgrund der Länge des Busses zu einer Mittenüberfahrung von 1,3 bis 1,4 m. Der mit seinem PKW bergab fahrende Beklagte zu 1) bemerkte dies erst mit einer Verzögerung von etwa 2,6 Sekunden, so dass es zu einer Streifkollision kam.

Mit der Klage hat die Klägerin in 1. Instanz ihren Sachschaden von 7.094,82 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Das Landgericht Kempten hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen K. vom 21.04.2020, Anhörung des Beklagten zu 1) und Vernehmung der Zeugen T. und S. der Klage nur in Höhe von 40 % stattgegeben, da der Verursachungsbeitrag der Klägerin durch den Verstoß gegen das Zeichen 266, § 41 StVO denjenigen des Beklagten zu 1), der gegen § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 StVO verstoßen habe, überwiege.

Die Klägerin beanstandet dieses Urteil und fordert mit der Berufung eine Haftungsquote von 80 % zu ihren Gunsten. Das von Zeichen 266 ausgesprochene Streckenverbot gelte – wie sich aus der Verwendung des Sinnbilds eines LKWs wie bei Zeichen 253 ergebe – nur für LKWs, nicht aber für Kraftomnibusse. Die Klägerin müsse sich nur die Betriebsgefahr mit 20 % anrechnen lassen.“

Das OLG sieht keine Erfolgsaussicht für die Berufung und hat darauf hingewiesen. Zur Haftungsverteilung führt das OLG aus:

2. Die Abwägung der Verursachungsanteile nach § 17 Abs. 2, 3 StVG hat das Landgericht ebenfalls zutreffend vorgenommen.

a) Zu Lasten der Klägerin ist der Verstoß des Fahrers gegen § 41 Abs. 2 StVO i. V. m. Zeichen 266 der Anlage 2 zu werten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob ein Kraftomnibus, der um 1 m kürzer gewesen wäre und damit unter der Beschränkung der tatsächlichen Länge auf 12 m geblieben wäre, ebenfalls die Spitzkehre nur unter Überschreitung der Mittellinie hätte durchfahren können. Zum einen wäre die Mittenüberfahrung jedenfalls geringer ausgefallen. Maßgeblich ist aber, dass der Fahrer des klägerischen Busses die Strecke gar nicht hätte befahren dürfen, sondern die ausgeschilderte, von ihm wahrgenommene Umleitungsstrecke hätte benutzen müssen. Bei Beachtung des Zeichens 266 wäre der Unfall daher nicht geschehen.

Der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Verbotsirrtum führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch wenn der Zeuge T. aufgrund des LKW-Symbols irrig angenommen hat, das Zeichen gelte nicht für Kraftomnibusse, handelt es sich angesichts des im Zivilrecht maßgeblichen objektiven Sorgfaltsmaßstabs jedenfalls um einen fahrlässigen Verkehrsverstoß. Auch konkret kann man vom Fahrer eines fast 13 m langen Omnibusses und damit Inhaber eines entsprechenden Führerscheins und einer Erlaubnis zur Personenbeförderung die Kenntnis der für derartige Fahrzeuge gültigen Verkehrsregeln erwarten. Aus der vom Landgericht beigezogenen Bußgeldakte OWi 140 Js 19080/19 des AG Lindau geht hervor, dass der Zeuge T. seinen Einspruch gegen den gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hat.

b) Zutreffend hat das Landgericht dem Beklagten zu 1) Verstöße gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen einer Reaktionsverzögerung von ca. 2,5 Sekunden sowie gegen § 2 Abs. 2 StVO wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot angelastet, das auch gilt, wenn man innerhalb der Fahrbahn bleibt, aber nicht äußerst rechts fährt. Auch hierbei handelt es sich um fahrlässige Verstöße.

c) Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des OLG Celle betreffen dagegen jeweils Fälle, in denen dem Fahrer des überbreiten Fahrzeugs kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen ist. Das OLG Celle hat in beiden Fällen beim Fahrer des überbreiten landwirtschaftlichen Gespanns keinen Verkehrsverstoß festgestellt (OLG Celle, Urteil vom 04. 03. 2020 – 14 U 182/19 –, Rn. 25, juris, Urteil vom 11. 11. 2020 – 14 U 71/20 –, Rn. 25, juris), so dass nur die erhöhte Betriebsgefahr gegen die Verschuldenshaftung des jeweiligen Unfallgegners abzuwägen war.

d) Im vorliegenden Fall liegen dagegen bei beiden Unfallbeteiligten jeweils fahrlässige Verstöße gegen die StVO vor, die in etwa gleich schwer wiegen mögen. Da die Klägerin durch die große Länge des Omnibusses, die sich beim Unfall kausal ausgewirkt hat, eine weit höhere Betriebsgefahr trifft, ist die Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zum Nachteil der Klägerin angemessen.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“