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Pflichti III: Auferlegung der Kosten nach Aussetzung, oder: Offen, ob auch wegen „Krawallverteidigung“?

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Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG München, Beschl. v. 31.08.2022 – 4 Ws 13/21 -, also schon etwas älter. Den Beschluss habe ich leider immer wieder übersehen. Heute dann aber endlich.

Das OLG München hat in der Entscheidung über die Frage entschieden, ob einem Pflichtverteidiher die Kosten auferlegt werden können, nachdem die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem es „hoch hergegangen“ ist. Wie hoch, das ist bitte dem verlinkten Volltext zu entnehmen; das Verfahren hat im Übrigen auch die überörtliche Presse „beschäftigt“. In dem Verfahren ist es richtig hin und her gegangen. Schließlich hat das LG das Verfahren ausgesetzt und einem der Verteidiger die Kosten auferlegt. Die konkrete Begründung teilt der OLG-Beschluss (leider) nicht mit. Jedenfalls scheint man aber wohl § 145 Abs. 4 StPO auf andere als die in § 145 Abs. 1 StPO genannten Fälle, insbesondere solche der Konflikt- und Krawallverteidigung, analog angewendet zu haben. Gegen den Beschluss das Rechtsmittel, das Erfolg hatte:

„1. Gegen die Auferlegung der Kosten des Verfahrens gemäß § 145 Abs. 4 StPO ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO die Beschwerde statthaft. Das als Antrag auf Aufhebung bezeichnete Schreiben des Beschwerdeführers vom 01.12.2020 zielt auf die Beseitigung des als rechtsfehlerhaft angesehenen Beschlusses ab und war daher als Beschwerde auszulegen.

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) überschritten und die Schriftform (§ 306 Abs. 1 StPO) gewahrt.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers iSv § 145 Abs. 1 StPO nicht festgestellt werden konnte.

a) Der Beschwerdeführer ist im Termin vom 19.10.2020 zwar ausgeblieben, weil er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschien, jedoch war der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt M. anwesend. Dieser war entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Ansicht auch zur Verteidigung bereit und in der Lage. Er machte von seinem Fragerecht im Rahmen der fortgesetzten Vernehmung der Zeugin A. K. Gebrauch und verhandelte über mehrere Stunden zur Sache. Da er an den vorhergehenden Verhandlungstagen, insbesondere zB. am 07.10.2020, ebenfalls zur Sache verhandelt und die Kammer den Angeklagten als ausreichend verteidigt angesehen hatte, musste der Beschwerdeführer auch nicht davon ausgehen, dass der Pflichtverteidiger die Verteidigung am 19.10.2020 nicht mehr sachgerecht würde wahrnehmen können. Ein Fall von § 145 Abs. 1 StPO lag daher am 19.10.2020 nicht vor (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 145 Rn 5).

Zum Termin 09.11.2020 war der Beschwerdeführer nach Aktenlage nicht ordnungsgemäß geladen, was bereits einem schuldhaften Ausbleiben entgegensteht. Ein solches war aber auch deshalb nicht möglich, weil der Termin bereits am 19.10.2020 auf Antrag des Pflichtverteidigers abgesetzt worden war. Dieser hatte für den 09.11. und 16.11. Verhinderung angezeigt und die Kammer eine Verhandlung mit dem Beschwerdeführer ausweislich des Aussetzungsbeschlusses nicht für angezeigt gehalten. Ein Ausbleiben in einem abgesetzten Termin ist schon begrifflich nicht möglich.

Die Kammer durfte auch nicht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer den Hauptverhandlungsterminen im Falle deren Nichtabsetzung vom 09.11. und 16.11. fernbleiben würde, denn er hatte bereits am 27.08.2020 angezeigt, an diesen Tagen verfügbar zu sein und auch später keine Verhinderung mitgeteilt. Seine Mitteilung vom 14.09.2020, vor einer Klärung der angeblichen Vorkommnisse vom 18.08.2020, namentlich der verhaltensbedingten zwangsweisen Entfernung des Rechtsanwalts R. aus dem Sitzungssaal, nicht weiter an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können oder zu wollen, war dadurch überholt, dass er am 06.10.2020 aufgrund einer krankheitsbedingten Verhinderung Verlegung des Hauptverhandlungstermins vom 07.10.2020 beantragte, woraus zu schließen ist, dass er an diesem Termin teilnehmen wollte, obwohl eine Klärung der fraglichen Ereignisse noch nicht erfolgt war. Die Kammer konnte daher jedenfalls nicht ohne entsprechende Nachfrage, ob der Beschwerdeführer bereit ist, am 09.11.2020 an der Hauptverhandlung teilzunehmen, davon ausgehen, dass dies nicht der Fall sein würde.

b) Der Beschwerdeführer hat sich auch nicht zur Unzeit aus der Hauptverhandlung entfernt. Unter einem unzeitigen Entfernen ist das vorzeitige Verlassen der Hauptverhandlung zu verstehen, obwohl wesentliche Teil noch bevorstehen. Ein solches fand nach Aktenlage nicht statt.

c) Schließlich hat der Beschwerdeführer auch nicht die Verteidigung verweigert. Eine solche Verweigerung wäre darin zu sehen, dass der Verteidiger untätig bleibt, obwohl er zu einer sachgerechten Verteidigung tätig werden müsste (vgl. Beulke in Satzger, Schluckebier, Widmaier, StPO, 3. Auflage, § 145 Rn. 8). Es kann vorliegend dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer entfalteten Tätigkeiten als sachgerechte Verteidigung angesehen werden können, denn er ist jedenfalls nicht untätig geblieben, wo er zu handeln verpflichtet gewesen wäre.

d) Der Senat konnte ferner offenlassen, ob § 145 Abs. 4 StPO – wie vom Landgericht angenommen – auf andere als die in § 145 Abs. 1 StPO genannten Fälle, insbesondere solche der Konflikt- und Krawallverteidigung, analog anwendbar ist (a.A. die wohl h.M., vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 145 Rn 17; KKStPO/Willnow, 8. Aufl. 2019, StPO § 145 Rn. 12). Zwar kann das Verhalten des Rechtsanwalts R. angesichts der Vielzahl der persönlichen Angriffe auf die Richter und die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der unzähligen Beleidigungen dieser Personen, der demonstrativen Respektlosigkeit gegenüber der Justiz im Allgemeinen und der Kammer im Besonderen sowie seines in der Gesamtschau einem Organ der Rechtspflege unwürdigen Benehmens zwanglos als Krawallverteidigung qualifiziert werden. Auch hatte Rechtsanwalt R. bereits am ersten Verhandlungstag ausdrücklich mitgeteilt, dass das Verfahren lange und zwar mindestens bis zur Pensionierung der Vorsitzenden dauern werde und war jedenfalls sein Verteidigungsverhalten erkennbar darauf gerichtet, den Verfahrensfortgang zu behindern und eine Beendigung des Verfahrens vor dem Eintritt der Vorsitzenden in die Freistellung der Altersteilzeit zu verhindern. Dieses Verhalten von Rechtsanwalt R. kann dem Beschwerdeführer jedoch nicht ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, die der Senat vorliegend nicht feststellen konnte, zugerechnet werden.

Die vorstehende Entscheidung erstreckt sich nicht auf Rechtsanwalt R. Dieser hat den Beschluss vom 18.11.2020 nicht angefochten. Die dort getroffene Kostenentscheidung ist grundsätzlich trennbar, sodass auch die Beschwerdeentscheidung keiner Erstreckung bedarf (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26.01.1973 – 4 Ws 304/72, MDR 1973, 1042).

Eine analoge Anwendung des § 357 StPO scheidet aus (vgl. Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 357).“