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Pauschgebühr im „Oktoberfestattentat-Verfahren“, oder: Das OLG München springt über seinen Schatten

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Heute am RVG-Tag dann zunächst eine Entscheidung zu § 51 RVG. Dazu gibt es ja nicht mehr viele, über die man berichten könnte. Hier ist dann aber mal wieder eine, die ein Posting wert ist. Es handelt sich um den OLG München, Beschl. v. 22.01.2021 – 1 AR 251/20 – 1 AR 266/20, den mir der Kollege Dietrich aus München geschickt hat.

Ergangen ist der Beschluss im Verfahren betreffend das sog. Oktoberfestattentat. Ich erinnere Am 26.09.1980 wurde gegen 22:20 Uhr am Haupteingang der Theresienwiese in München ein Sprengkörper gezündet. Durch die Explosion inmitten der Menschenmenge auf dem Oktoberfest wurden dreizehn Personen getötet, mehr als 200 Menschen erlitten – z.T. schwerste – Verletzungen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hatte ein bei dem Anschlag selbst getöteter Attentäter den Sprengsatz gebaut, ihn zum Tatort gebracht und gezündet. Ein vom GBA zunächst geführtes Ermittlungsverfahren wurde mit Verfügung vom 23.11.1982 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem sich der Verdacht weder gegen die dortigen Beschuldigten noch gegen unbekannte Mittäter erhärten ließ. Nachdem die förmliche Wiederaufnahme von Ermittlungen zunächst mit Verfügung vom 5.6.1984 abgelehnt worden war, nahm der GBA mit Verfügung vom 05.12.2014 die Ermittlungen gegen Unbekannt wieder auf. Das Ermittlungsverfahren wurde – nach der Durchführung weiterer, äußerst umfangreicher Ermittlungen – mit Verfügung vom 06.07.2020 erneut gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Kollege ist im Oktober 1982 von mehreren Geschädigten mandatiert worden. Er bestellte sich mit Schriftsatz vom 14.10.1982 gegenüber dem GBA und verfolgte diesem gegenüber in den Folgejahren im Auftrag der Geschädigten das Ziel, die Einstellung der Ermittlungen zu verhindern bzw. ihre Wiederaufnahme zu erreichen. Im Jahr 2008 wurde ihm von den gleichen Geschädigten erneut eine schriftliche Vollmacht erteilt; der Antragsteller zeigte mit Schriftsätzen vom 05.12.2008 und 30.01.2009 gegenüber dem GBA deren Vertretung an – er sei beauftragt „im Lichte neuerer kriminaltechnischer Erkenntnismöglichkeiten sowie sonstiger neuer Informationen (…) eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erreichen.“ In der Folgezeit korrespondierte er weiterhin mit dem GBA und verschiedenen Institutionen und nahm auch Einsicht in verschiedene Spurenakten, bis er mit Schriftsatz vom 25.09.2014 außerdem die Vertretung weiterer Geschädigter anzeigte und erneut die Wiederaufnahme der Ermittlungen insbesondere die Beiziehung verschiedener näher bezeichneter Akten beantragte, was dann am 05.12.2014 geschah.

Mit Beschlüssen des Ermittlungsrichters beim BGH vom 08.02.2016, vom 09.02.2016 und vom 02.11.2017 wurde der Kollege insgesamt 16 Geschädigten gem. § 406g Abs. 1, 3 Satz 1 Nr. 1 StPO a.F., 406h Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 n.F., § 397a Abs. 1 StPO als Beistand beigeordnet. Der Kollege hat am 28.4./25.5.2016 beim BGH einen Antrag auf Gewährung eines Vorschusses i.H.v. 88.000,- bis 110.000,- EUR auf eine Pauschgebühr beantragt. Der sich der Ermittlungsrichter beim BGH hat sich insoweit für unzuständig erklärt (BGH AGS 2016, 398 = RVGreport 2016, 454). Das OLG hat den Antrag mit Beschluss vom 01.06.2017 zurückgewiesen.

Der Kollege  hat nunmehr die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG zwischen 130.000,- und 160.000,- EUR beantragt. Die Vertreterin der Bezirksrevisorin hält eine Pauschvergütung in Höhe des Doppelten der Wahlverteidigerhöchstgebühren, welche 1.830,- EUR betragen würden, „zuzüglich eines gewissen Zuschlags im Hinblick auf die Vertretung von 15 Mandanten“ für angemessen. Das OLG hat eine Pauschgebühr von 36.600,– EUR bewilligt.

Das vorab. Hier stelle ich nur zwei Punkte umfangreicher vor. Im Übrigen sagt das OLG: Das Verfahren betreffend die Ermittlungen zum „Oktoberfestattentat“ war sowohl „besonders schwierig“ als auch „besonders umfangreich“ im Sinn des § 51 Abs 1. RVG, was wohl niemand bezweifeln will. Und: Die gesetzlichen Gebühren sind für den bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt nicht zumutbar i.S. des § 51 Abs. 1 RVG, wenn sie auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ihm eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken abverlangt wird, ein unzumutbares Sonderopfer bedeuten würden,w as das OLG hier m.E. ebenfalls zutreffend bejaht.

Und dann nimmt das OLG noch zu der Frage Stellung, welche Tätigkeiten bei einem Verletztenbeistand für die Gewährung einer Pauschgebühr berücksichtigungsfähig sind, und zur Höhe der Pauschgebühr.

„b) Bei der Bemessung der Pauschvergütung sind jedoch die Tätigkeiten des Antragstellers seit seiner erneuten Vertretungsanzeige vom 05.12.2008 (einschließlich der dafür erforderlichen „Vorarbeiten“ seit 2006) zu berücksichtigen. Die Beiordnung durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vom 08./09.02.2016 wirkte gebührenrechtlich zurück (§ 48 Abs. 6 RVG, vgl. Gerold/Schmidt a.a.O., Rn. 201 zu § 48 RVG); davon sind nach der Auffassung des Senats auch solche Tätigkeiten umfasst, die vor der förmlichen Wiederaufnahme der Ermittlungen mit Verfügung des Generalbundesanwalts vom 05.12.2014 vom Antragsteller mit dem Ziel der Wiederaufnahme unternommen wurden, da jedenfalls seit seiner neuen Bestellung klar war, dass seine nunmehrigen Bemühungen, Anregungen, Anträge, Einlassungen etc. bei der Entscheidung über die Wiedereröffnung des Verfahrens zu berücksichtigen sein würden.

c) Auch sind, wie der Antragsteller zutreffend vorträgt, keinesfalls nur solche Tätigkeiten berücksichtigungsfähig, die den Geschädigten unmittelbar zu Gute kamen, also „Beistand“ im engeren Sinne, z.B. bei der Erlangung von Entschädigung nach dem OEG. Den Geschädigten kam es vielmehr auch und gerade darauf an, die sogenannte „Einzeltäterthese“, die zur Einstellung der Ermittlungen am 23.11.1982 führte, zu hinterfragen. Unabhängig davon, ob sich diese These oder die vermutete Beteiligung Dritter an dem Bombenanschlag nach Jahrzehnten noch erhärten ließen oder nicht, kann es nach Auffassung des Senats den Verletzten im Sinne des Opferschutzes nicht versagt werden, sich in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „einzumischen“, um eigene Klarheit über den Hergang des ihnen zugefügten Unrechts zu erlangen. Dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, folgt bereits aus dem in § 406e Abs. 1 S. 1 StPO niedergelegten Akteneinsichtsrecht des Verletzten und etlichen weiteren Verletztenrechten, wie dem Recht, als Nebenkläger an der Hauptverhandlung teilzunehmen und dort eigene Rechte wahrzunehmen und gehört zu werden (vgl. § 397 Abs. 1 StPO einschließlich des Beweisantragsrechts aus § 244 Abs. 3 bis 6 StPO sowie des Erklärungsrechts, insbesondere des Rechts zum Schlussvortrag (vgl. §§ 257, 258 StPO).

Der Verletzte soll damit vom Verfahrensobjekt zum Verfahrenssubjekt werden; er hat nicht nur -als ineffektiv erkannte – Defensiv-, sondern „Offensivrechte“ (Anders, ZStW 2012, 374-410, juris). Das damit einhergehende Recht des Verletzten auf „aktive Einflussnahme“ (Anders a.a.O.) auf das Strafverfahren kann nach Auffassung des Senats nicht darauf beschränkt bleiben, sich mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auseinander zu setzen und sich ggf. nach der Ermittlung des Täters im Strafverfahren einzubringen.

Auch im Lichte des bereits fast 20 Jahre alten Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 15.03.2001 über die Stellung von Opfern in Strafverfahren (2001/220/JI, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 82/1), dessen Art. 3 S. 1 lautet: „Die Mitglieder gewährleisten, dass das Opfer im Verfahren gehört werden und Beweismittel liefern kann“ (Hervorhebung Senat), steht für den Senat außer Frage, dass Verletzten im Strafverfahren eine eigene, aktive Rolle zusteht.

Ob und in welchem Umfang der Verletztenbeistand diese Verletztenrechte im Ermittlungsverfahren ausübt, muss – vergleichbar dem Verteidigungsverhalten auf Seiten des Beschuldigten – dem pflichtgemäßen Ermessen des Rechtsanwalts überlassen bleiben. Zwar kann auch im Rahmen der Entscheidung über die Zubilligung einer Pauschgebühr nicht außer Betracht bleiben, ob die jeweils entfaltete anwaltliche Tätigkeit bei objektiver Betrachtung zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung des Mandats tatsächlich geboten bzw. bei Zubilligung eines entsprechenden Ermessens-spielraums zumindest noch als objektiv sinnvoll anzusehende Handlung zur Wahrung der Interessen des Vertretenen anzusehen war (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. B. v. 27.09.2016, 1 AR 293/16; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 2013 — 111-5 RVGs 108/12 —, juris, m.w.N.). Die umfängliche Tätigkeit des Antragstellers, die auch und gerade Ermittlungstätigkeit war, ist vorliegend angesichts der überaus schwerwiegenden Tat einerseits und der auch aus der Sicht des Senats jedenfalls aus damaliger Sicht nicht völlig fernliegenden Hinweise auf weitere Täter keinesfalls als sachwidrige Wahrnehmung des Mandats anzusehen.

Der Senat ist daher, anders als die Generalbundesanwaltschaft und die Vertreterin der Bezirksrevisorin, der Auffassung, dass auch diejenigen Tätigkeiten des Antragstellers seit dem Jahr 2006, die auf die Aufklärung der Tat vom 26.09.1980 und ihrer Hintergründe zielten, von seiner Beauftragung als Vertreter der Verletzten umfasst waren und gebührenrechtlich ins Gewicht fallen.

d) Die Höhe der festzusetzenden Pauschgebühr kann vorliegend die Wahlverteidigerhöchstgebühren und auch deren Doppeltes überschreiten.

aa) Die Überschreitung der vom Gesetzgeber grundsätzlich für angemessen erachteten Wahl-verteidigerhöchstgebühren bei der Festsetzung einer Pauschvergütung (BT-Drucks. 15/1971 S. 2, 146) kommt zwar nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, denn diesen wird – anders als Pflichtverteidigern – kein Beitrag für das Allgemeinwohl (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 – 2 BvR 51/07 —, juris) abverlangt. Erforderlich sind daher Umstände, die weit über die – ohnehin schon außergewöhnlichen – Gründe, die zur Festsetzung einer Pauschgebühr berechtigen, hin-ausgehen. Das OLG Bamberg folgert daraus, dass Gebühren oberhalb der Wahlverteidiger-höchstgebühren grundsätzlich gar nicht in Betracht kommen (OLG Bamberg, B. v. 15.12.2015, 10 AR 29/15). Das OLG München will dagegen für Extremfälle, bei denen die Bemühungen des Pflichtverteidigers auch durch die Wahlverteidigerhöchstgebühren nicht mehr in entferntesten abgegolten werden, die Festsetzung einer Pauschgebühr oberhalb dieser Grenze nicht völlig ausschließen (B. v. 21.01.2016, 1 AR 477/15; so auch OLG Nürnberg, B. v. 30.12.2014, 2 AR 36/14, juris). In Betracht kommen insbesondere solche Fälle, in denen die Gebührenordnung – z.B. mangels abrechenbarer Termine – die Tätigkeiten des Anwalts nicht mehr angemessen erfassen kann.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Auch die Wahlverteidigerhöchstgebühren i.H.v. 1830,– Euro würden die Anstrengungen des Antragstellers nicht im entferntesten vergüten.

bb) Einer höheren Festsetzung als der doppelten Wahlbeistandsgebühr steht der Rechtsgedanke des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG zwar im Grundsatz, aber nicht absolut und immer entgegen, da Wahlbeistände – anders als Pflichtbeistände – eine höhere Vergütung frei vereinbaren und insoweit auf außergewöhnlich umfangreiche Belastungen reagieren können (Senatsbeschluss v. 14.10.2015, 1 AR 367/15, (3-fache Wahlverteidigerhöchstgebühr), Senatsbeschluss 18.10.2019, 1 AR 322/19 (5-fache Wahlverteidigerhöchstgebühr); so auch insoweit überzeugend Gerold/Schmitt, a.a.O. Rn 41 zu § 51 RVG m.w.N.).

Der Senat ist bei der Überschreitung dieser für Wahlverteidiger vom Gesetzgeber errichteten Schwelle zwar äußerst zurückhaltend, da, wie ausgeführt, Wahlverteidiger anders als Pflichtverteidigern nicht von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden und ihnen insoweit grundsätzlich höhere Gebühren als Pflichtverteidigern zustehen – vorliegend würde jedoch auch eine Gebühr von insgesamt 3.660,– Euro dem Antragsteller ein Sonderopfer im Sinne des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG auferlegen.

e) Nach ständiger Senatsrechtsprechung (z.B. 1 AR 97/18, B. v. 23.05.2018) kommt eine Berechnung der Pauschgebühr anhand der Arbeitszeit des Rechtsanwalts in Form eines „Stundenlohns“ nicht in Betracht. Die aufgewendete Arbeitszeit ist vielmehr Indiz für Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, nicht unmittelbarer Maßstab für die Entscheidung über die Pauschvergütung (BGH Rpfleger 1996, 169 Rdn. 9 nach juris). Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz will zwar im Gegensatz zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung den Zeitaufwand des Rechtsanwalts stärker berücksichtigen. Es hat aber nicht Zeithonorare eingeführt, sondern es grundsätzlich bei Betragsrahmengebühren belassen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 13.03.2013 – 5 RVGs 108/12, Rdn. 19 nach juris) und lediglich bei den Terminsgebühren hinsichtlich der Zeitdauer der Hauptverhandlungstermine Abstufungen eingeführt (zit. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. Dezember 2014 — 2 AR 36/14 —, juris).

Dies vorausgeschickt, kann bei der Bemessung der Pauschgebühr der immense Aufwand, den der Antragsteller angesichts des vorbeschriebenen Umfanges des Verfahrens betrieben hat, nicht außer Acht gelassen werden. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Antragsteller fast 1000 Stunden berücksichtigungsfähige Arbeitszeit seit 2008 aufgewendet hat. Er selbst teilt mit, er habe in den Jahren 1982 bis 2006, die der Senat aus vorbezeichneten Gründen für nicht berücksichtigungsfähig hält, insgesamt 410 Stunden aufgewendet. Bringt man diese von den 1382 Stunden in Abzug, die der Antragsteller – ohne weiteres glaubhaft – für seine gesamte Tätigkeit errechnet hat, bleibt ein Arbeitsaufwand, der den Rahmen einer „gewöhnlichen“ Beistandschaft bei weitem sprengt und zur Bewilligung einer großzügigen Pauschvergütung Anlass gibt.

f) Ebenfalls fällt ins Gewicht, dass der Antragsteller schwer traumatisierte Verletzte zu betreuen hatte. Beispielhaft sei auf den Geschädigten pp. verwiesen, der in seiner Mail vom 21.07.2014 die von ihm unmittelbar miterlebte Explosion und deren jahrzehntelangen schweren Folgen für seinen Lebensweg schilderte. Dass Schilderungen wie diese, die bereits beim Lesen erschüttern, den Antragsteller, der sich persönlich um die Geschädigten bemühte, besonders belasteten, bedarf keiner weiteren Begründung. Auch dieser Umstand ist nach ständiger Senatsrechtsprechung gebührenerhöhend zu berücksichtigen (z.B. Senatsbeschluss vom 08.10.2020, 1 AR 128/20).

g) Der Antragsteller war 16 Geschädigten beigeordnet. Auch wenn eine entsprechende Vervielfachung der ihm zustehenden Gebühren nicht in Betracht kommt, ist der mit der Vielfachvertretung verbundene erhöhte Aufwand selbstverständlich bei der Bemessung der Pauschgebühr erhöhend zu berücksichtigen.

h) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren, was bereits die Dauer der erneuten Ermittlungen von 5 1/2 Jahren nahe legt, im höchsten Maße kompliziert und verwickelt war. Der Antragsteller hat sich, was der Inhalt seiner zahlreichen Schriftsätze beweist, zum „Experten“ des Oktoberfestattentates entwickelt. Ausweislich dem der Einstellungsverfügung vom 06.07.2020 zu Grunde liegenden Vermerk des Generalbundesanwalts war der Hinweis des Antragstellers auf eine neue Spur („Spur pp.“) der Anlass für die Wiederaufnahme der Ermittlungen……“

Sorry, war ein wenig mehr Text, aber wenn solch ein Beschluss vom OLG München kommt, ist es das wert 🙂 .

U-Haft II: Anpassung des Haftbefehls, oder: In einfach gelagerten Sachen muss das schnell gehen

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

In der zweiten Haftentscheidung, dem OLG München, Beschl. v. 16.09.2020 -1 Ws 680/20 H -, den mir der Kollege Wamser aus Passau geschickt hat, geht es um die (erste) Haftprüfung durch das Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 1 StPO). Das OLG hat gesagt: (Derzeit) noch nicht:

„Der am 05.03.2020 vorläufig festgenommene Angeschuldigte pp. befindet sich in dieser Sache seit dem 05.03.2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Straubing.

Der ursprüngliche Haftbefehl des Amtsgerichts Passau vom 05.03.2020 (Gz.: Gs 470/20), eröffnet am 05.03.2020, wurde zwischenzeitlich ersetzt durch einen neuen erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Passau vorn 31.07.2020, Az.: 4 Ls 33 Js 3472/20. eröffnet am 14.08.2020.

Da die Untersuchungshaft des Angeschuldigten mit Ablauf des 04.09.2020 länger als 6 Monate andauert, hat die Staatsanwaltschaft Passau aufgrund der Verfügung des Amtsgerichts Passau vom 14.08.2020 die Akten der Generalstaatsanwaltschaft München zur Vorlage an den Senat zur Überprüfung gemäß §§ 121 Abs 1, 122 Abs.1 StPO übersandt.

II.

Eine Haftprüfungsentscheidung durch den Senat ist derzeit nicht veranlasst.

Eine Überprüfung der vorgelegten Akten durch den Senat hat ergeben. dass sich der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten hinsichtlich der Straftat gemäß Ziffer 7. des aktuellen Haftbefehls vom 31.07.2020 (Diebstahl zwischen dem 19.02.2020, 19:00 Uhr und dem 20.02.2020. 07:00 Uhr zum Nachteil der Firma pp., der erstmals in dem erweiterten Haftbefehl vom 31.07.2020 enthalten ist) frühestens durch die Mitteilung der Zeugin pp. vom 07.04.2020 und das Auffinden des Erddepots am 07.04.2020 ergeben hat, in dem alle entwendeten Gegenstände der Firma aufgefunden wurden.

Dieser Tatvorwurf mit einem Diebstahlschaden von rund 4.240 Euro wäre auch isoliert geeignet gewesen, einen Haftbefehl zu erlassen.

Der nicht unerhebliche neue Tatvorwurf des Diebstahls zwischen dem 19.02.2020, 19:00 Uhr Ui dem 20.02.2020, 07:00 Uhr zum Nachteil der Firma pp. hätte nach Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft und des damit befasste Gerichts an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag, mithin am 08.04.2020 Eingang in einen neuen Haftbefehl finden können.

Zwar wird die Einräumung einer Überlegungsfrist der Staatsanwaltschaft von bis zu 14 Tagen von den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof nicht immer einheitlich beurteilt. Der Senat folgt aber grundsätzlich der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach den Strafverfolgungsbehörden in einfach gelagerten Fällen keine Überlegungsfrist einzuräumen ist.

Mit dem Bundesgerichtshof ist der Senat der Ansicht, dass für die Fristberechnung maßgeblich ist, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können (BGH, Beschluss vom 06.04.2017, BeckRs 2017, 108135, Rn. 8).

Allenfalls in Einzelfällen, in denen angesichts des Umfanges und der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Erlass eines Haftbefehls in kurzer Zeit nicht möglich ist, ist bei angemessener Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sowie der erforderlichen Sorgfalt bei der Formulierung des Haftbefehls davon auszugehen, dass die Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft und der Erlass des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter eine angemessene Überlegungsfrist erfordern kann (vgl. BGH, Beschluss vom 25.7.2019 — AK 34/19, BeckRS 2019, 17175, beck-online, und 2. Strafsenat des OLG München, Beschluss vom 11.09.2019 – 2 Ws 923 – 924/19 H).

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner vorgenannten Entscheidung 25.07.2019 – AK 34/19 – vielmehr ausgeführt, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 9 mwN), weswegen regelmäßig der Lauf der (neuen) Sechsmonatsfrist an diesem Tage beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 6, 8; KG, Beschluss vom 15. August 2013 – 4 Ws 108/13, juris Rn. 13 mwN).

Nachdem es sich bei dem gegenständlichen Verfahren zwar um ein komplexeres, aber rechtlich bzw. tatsächlich nicht überdurchschnittlich schwieriges Verfahren handelt, geht der Senat davon aus, dass vorliegend keine Überlegungsfrist zuzubilligen war.

Dies bedeutet für die Eingrenzung des Fristenlaufs, dass die neue 6-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 StPO am 08.04.2020 zu laufen begann und sich das neue Fristende daher auf das Tagesende des 07.10.2020 errechnet.“

Die Entscheidung kann man den Ermittlungsbehörden zusammen mit der Rechtsprechung des BGH auch in anderen Konstellationen „unter die Nase reiben.“

Corona II: Ablehnung der Terminsaufhebung wegen Corona-Pandemie, oder: Keine Beschwerde

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Die zweite Entscheidung des Tages hat dann auch mit Corona zu tun. Und zwar Terminsaufhebung in „Corona-Zeiten“. Der OLG München, Beschl. v. 20.03.2020 – 2 Ws 364/20 – ist zwar schon etwas älter – er stammt vom Anfang des Lockdown. Aber: Die entschiedenen Fragen können ja, wenn es eine zweite Welle geben sollte, – hoffenlich nicht – noch einmal an Bedeutung gewinnen.

Ergangen ist der Beschluss in einem Schwurgerichtsverfahren. Gegen den Angeklagten fand die Hauptverhandlung seit dem 12.11.2019 statt. 16 Verhandlungstermine waren bereits durchgeführt. Als weitere Termine für die Hauptverhandlung waren Montag, der 23.03.2020 und Dienstag, der 31.03.2020 bestimmt. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten wegen der Gefahr, sich mit Coronaviren anzustecken, beantragt, diese Termine aufzuheben und die Hauptverhandlung auszusetzen.Das ist abegelehtn worden. Dagegen die Beschwerde.

Das OLG hat die als unzulässig angesehen:

„Die Beschwerden gegen die richterliche Verfügung vom 18.03.2020 sind unzulässig, da nicht statthaft. Denn nach § 305 S. 1 StPO sind die Ablehnung der Aufhebung von Verhandlungsterminen und der Aussetzung eines Verfahrens grundsätzlich nicht anfechtbar, da solche Entscheidungen der Urteilsfällung vorausgehen und deshalb nur zusammen mit dem Urteil mit dem dagegen statthaften Rechtsmittel, hier der Revision, angefochten werden können (KK-StPO/Gmel, 8. Auflage 2019, StPO § 228 Rn. 14; KK – StPO/Zabeck, 8. Auflage 2019, StPO § 305 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2001 – 2 BvQ 46/01, NStZ-RR 2002, 113; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2533; OLG Hamm, NJW 1978, 283).

Lediglich in Ausnahmefällen kann eine Beschwerde statthaft sein, etwa wenn die Terminaufhebung und Verfahrensaussetzung vom Gericht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig abgelehnt wurde (OLG Celle, NStZ 2012, 176 für die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung; vgl. auch OLG München, NStZ 1994, 451).

Solches lässt sich hier jedoch nicht feststellen.

Zum einen ist trotz der erheblichen, nicht im Bereich der Justiz liegenden Einschränkungen aufgrund der Anordnungen der Bayerischen Staatsregierung der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt. Denn nicht nur die Vertreter der Presse haben Zutritt zu der Verhandlung, sondern auch sonstige Personen, z.B. Angehörige, sofern sie sich im Rahmen der verhängten Ausgangsbeschränkungen halten. Eine absolute Ausgangssperre hat die Bayerische Staatsregierung nicht angeordnet. Deshalb werden stichprobenartige körperliche Untersuchungen von Zuhörern vorgenommen, um Verdachtsfälle auf Infizierung mit dem Coronavirus von vorneherein herauszufiltern und erst gar nicht in den Sitzungssaal zu lassen. Auch dürfen nicht alle vorhandenen Sitzplätze belegt werden, vielmehr müssen größere Abstände zwischen den einzelnen Zuhörern sein. Diese Sicherheitsvorkehrungen wären im Falle einer Ausgangssperre überflüssig. Dann könnte nämlich allen potentiellen Zuhörern mit Ausnahme der Vertreter der Presse der Zutritt zum Sitzungssaal ohne Prüfung auf eine Infizierung mit dem Coronavirus unter Berufung auf die staatlich angeordnete Ausgangssperre verweigert werden.

Zum anderen wurden in der angefochtenen Verfügung das Gesundheitsrisiko für die Verfahrensbeteiligten, mithin auch für den Angeklagten pp. im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafprozesses andrerseits, damit dem staatlichen Strafanspruch Geltung verschafft werde, sorgfältig abgewogen. Auf die Verfügung vom 18.03.2020 wird Bezug genommen. Das Gericht hat nicht nur Sicherheitsvorkehrungen gegen eine mögliche Ansteckungsgefahr getroffen, sondern auch die Dauer des Verhandlungstermins erheblich verkürzt, um das Ansteckungsrisiko zu mindern. Zudem werden für alle Besucher des Strafjustizzentrums Kontrollen in Form von Selbstauskünften durchgeführt, um einer Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken.

Aus den genannten Gründen wären die Beschwerden, selbst wenn sie als statthaft und damit als zulässig erachtet würden, jedenfalls unbegründet.

Ob zusätzlich noch weitere Maßnahmen, wie etwa im Schriftsatz des Verteidigers vom 20.03.2020 beantragt, erforderlich sind, um die Gefahr einer Ansteckung möglichst gering zu halten, muss die 2. Strafkammer in eigener Zuständigkeit entscheiden.“

Wie gesagt: Die Problematik hat sich inzwischen „entschärft“, u.a. auch durch den § 10 EGStPO.

Mithaftungsquote wegen Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes, oder/und: Taggenaues Schmerzensgeld?

Und als zweite Entscheidung bringe ich dann das OLG München, Urt. v. 25.10.2019 – 10 U 3171/18. Das nimmt (mal wieder) Stellung zur Frage des Mitverschuldens in den Fällen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 13.07.2013 geltend. Dabei übersah der Beklagte zu 2), dass die vor ihm fahrenden Fahrzeuge ihre Fahrt verkehrsbedingt verlangsamen mussten. Er fuhr deswegen auf den vor ihm fahrenden Pkw auf, welcher zunächst auf den davor fahrenden Pkw aufgeschoben und dieser auf die Gegenfahrbahn geschoben wurde. Dort kollidierte dieser mit dem Pkw des Klägers. Bei diesem Unfall wurde der Kläger als Fahrzeugführer schwer verletzt. Das Klägerfahrzeug war mit Frontairbags ausgerüstet, welche kollisionsbedingt ordnungsgemäß öffneten. Der Pkw war ferner auch mit Sicherheitsgurten ausgerüstet. Einen Sicherheitsgurt hatte der Kläger nicht angelegt.

Das OLG München berücksichtigt das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes wie folgt:

1. Aus Gründen praktischer Handhabung ist es geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (ebenso BGH, Urt. v. 28.02.2012VI ZR 10/1).

2. Da bei einer angegurteten normalen Sitzposition das Risiko, schwere Knieverletzungen zu erleiden, deutlich geringer als bei einem nicht angegurteten Insassen ausfällt, ist – wenn der geschädigte Pkw-Fahrer nicht angeschnallt war und sich im wesentlichen langwierige Knieverletzungen zugezogen hat – eine Mitverschuldensquote von 30% angemessen.

3. Hat der Geschädigte auf seinen erlittenen Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschaden Zahlungen Dritter erhalten, sind bei der Ermittlung eines gegenüber dem Schädiger ersatzfähigen Erwerbsschadens zuerst der Mitverschuldensanteil des Geschädigten und nachfolgend die erhaltenen Zahlungen in Abzug zu bringen.

Und:

4. Eine „tagesgenaue“ Bemessung von Schmerzensgeld ist nicht vorzunehmen (entgegen OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.10.201822 U 97/16).

Porsche gegen Audi R8, oder: Veranstaltung im Sinn der AKB

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Und als zweite „Samstags-Entscheidung“ dann das OLG München, Urt. v. 24.05.2019 – 10 U 500/16, über das der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat.

Das Besondere an dieser Entscheidung: Das OLG nimmt in einem Zivilrechtsstreit zum Begriff des „Rennens“ Stellung, der ja inzwischen auch im Strafverfahren in Zusammenhang mit § 315d StGB eine große Rolle spielt.

Es geht um folgendes (Verkehrs)Geschehen: Der Kläger fuhr mit seinem Porsche in dem Bereich einer Landstraße, in dem die Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt war. Hinter ihm fuhr ein Audi R8. Der fuhr so nah auf, dass sich der Kläger von ihm bedrängt fühlte. Der Kläger hat dann seinen Porsche auf 140km/h beschleunigt. Der Audi hat seine Geschwindigkeit nicht erhöht, so dass sich der Abstand der beiden Fahrzeuge vergrößerte. In einer Kurve verlor der Kläger die Kontrolle über seinn Porsche und stieß mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen.

Der Kläger hat gegen seinen Vollkaskoversicherer Ansprüche geltend gemacht. Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat die Berufung verworfen und dabei auch zum geltend gemachten „Risikoausschluss“ Stellung genommen:

“ Die Beklagte kann sich nicht auf einen Risikoausschluss nach den AKB berufen, weil die Voraussetzungen eines solchen nicht bewiesen sind. Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare- absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit (vgl. RGZ 15, 338 [339]; BGH NJW 1998, 2969 [2971]; BAGE 85, 140; Senat NZV 2006, 261, st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2011, 396 [397] und NJW-RR 2014, 601; KG NJW-RR 2010, 1113) und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen intersubjektiv vermittelten (vgl. § 286 I 2 ZPO), für das praktische Leben brauchbaren Grad von (persönlicher) Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] – Anastasia, st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2014, 71 [72] und VersR 2014, 632 f.; BAGE 85, 140; OLG Frankfurt a. M. zfs 2008, 264 [265]; Senat VersR 2004, 124; NZV 2006, 261; NJW 2011, 396 [397]; SP 2012, 111; LG Leipzig NZV 2012, 329 [331]), was auch für innere Vorgänge gilt (BGH NJW-RR 2004, 247; BayObLG SeuffArch 56 [1901] 110 f. [Nr. 63]).

Zum Risikoausschluss, weil eine Rennveranstaltung vorgelegen habe:

a) Maßgebliches Merkmal eines Rennens ist die Erzielung einer „Höchstgeschwindigkeit“ (BGH NJW 2003, 2018). Insoweit wird es etwa bei der Vorschrift des § 29 StVO als ausreichend erachtet, dass die Höchstgeschwindigkeit zumindest mitbestimmend ist. Um ein Rennen handelt es sich danach auch bei einem Wettbewerb, bei dem die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit bei Zurücklegung der Strecke zwischen Start und Ziel ermittelt wird (BGH aaO). Der Risikoausschluss gilt nicht nur für Rennen im sportlichen Sinne, sondern für Rennen jeder Art, insbesondere Geschwindigkeits-, Touren-, Sternfahrten u.ä., solange es um die Erzielung der höchsten Geschwindigkeit geht, mag diese auch nach den gegebenen Voraussetzungen in der absoluten Ziffer niedriger liegen können als bei Rennveranstaltungen im engeren Sinn. Für § 2 Nr. 3 b AKB a.F. hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass Fahrveranstaltungen, die auf besonders gesicherten oder abgesperrten Straßen stattfinden, ohne weiteres vom Anwendungsbereich der Ausschlussklausel erfasst werden, wenn für den Sieg im Wettbewerb die höchste Geschwindigkeit entscheidend ist (BGH VersR 1976, 381, 382). Allerdings ist dieses Merkmal nicht als erfüllt angesehen worden, wenn die Fahrveranstaltung auf einer öffentlichen Straße ausgetragen wurde, die Teilnehmer die Verkehrsvorschriften zu beachten hatten und die Veranstaltung lediglich auf die Erzielung einer hohen Durchschnittsgeschwindigkeit ausgerichtet war (BGH, aaO, S. 383).

b) Weiter erfordert der Risikoausschluss vorliegend nach den zu Grunde zu legenden AKB das Vorliegen einer „Veranstaltung“. Selbst wenn man den Sachvortrag der Beklagten zugrunde legt, wonach der Kläger versucht habe, schneller als der hinter ihm fahrende Streitverkündete zu sein, so handelt es sich doch nicht um eine solche „Fahrveranstaltung“ i.S.v. A.2.17.3. der AKB. Die regelmäßig im Straßenverkehr stattfindenden Versuche von Verkehrsteilnehmern, an anderen Verkehrsteilnehmern vorbei zu fahren, diese zu überholen bzw. die Versuche der jeweils anderen Verkehrsteilnehmer, eben dies zu verhindern, sind selbst dann, wenn dies unter Missachtung oder Verletzung von Vorschriften der StVO geschieht, keine „Veranstaltung“, sondern allenfalls ein privates „Kräftemessen“ oder ein bloßes Ausleben von Egoismen (OLG Bamberg VersR 2010, 1029; Grimm in Beck-online, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, AUB 2010 Ziffer 5, Rz. 60, 61). Freilich kann ein solches „Kräftemessen“, wenn es wie vorliegend unter Verletzung von Verkehrsvorschriften erfolgt, den Tatbestand einer Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c StGB) erfüllen. Der Versicherungsschutz ist dann nach A.2.17.1 der AKB ausgeschlossen. Bedingungsgemäß erfordert dies jedoch nicht nur eine Tatbestandsverwirklichung, sondern auch die Schuldform des Vorsatzes (s.u. 2.).

c) Für eine „Veranstaltung“ fehlt vorliegend jeglicher Anhaltspunkt und ein Rennen setzt zumindest eine wenn auch stillschweigende Übereinkunft der Beteiligten voraus.

(1) Letzteres scheitert schon nach dem unstreitigen Tatbestand des Ersturteils, an den der Senat gebunden ist. Danach bestand der Grund für die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers, sich von einem dahinter fahrenden R 8 abzusetzen, welcher den Kläger nach dessen Vorbringen bedrängte. Der Tatbestand des Ersturteils bestimmt den für das Berufungsgericht nach § 529 I Nr. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalt (BVerfG NJW 2005, 657 [i. Erg.]; RGZ 2, 401; BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160; BGHZ 140, 335 [339]; NJW 2001, 448; NJW-RR 2002, 1386 [1388]; NJW 2004, 1381; MDR 2007, 853; NJW-RR 2009, 981; BAGE 8, 156; BFH BFH/NV 1999, 1609; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat in st. Rspr., u. a. r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); OLG Rostock OLGR 2004, 61; vgl. zu dem Fragenkreis umfass. Doukoff, a.a.O. Rz. 128-132). Mit der Berufung kann eine Tatbestandsberichtigung grundsätzlich nicht herbeigeführt werden (BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160; BGHZ 122, 297; NJW 1994, 517; BGHZ 182, 76 [unter II 1]; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat in st. Rspr., u. a. r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 [779] und 891 [892]; Doukoff, a.a.O. Rz. 137; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 320 Rz. 1). Wenn die Beklagte die erstgerichtliche Feststellung zum Grund der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht hätte hinnehmen wollen, hätte sie ein – fristgebundenes – Tatbestandsberichtigungsverfahren nach § 320 ZPO durchführen müssen (Senat in st. Rspr., u. a. r+s 2010, 434).

(2) Von einer Rennveranstaltung konnte sich der Senat aber auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht überzeugen……“