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StGB III: Tonaufnahme von einem Polizeieinsatz, oder: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes?

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Und als dritte Entscheidung zum Tagesausklang dann noch das OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2022 – 3 RVs 28/22 –, das sich u.a. noch einmal mit der Vertraulichkeit des Wortes in Zusammenhang mit Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen befasst. Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des AG fand am 18.11.2020 in Wuppertal auf einem Platz ab ca. 18:00 Uhr eine Demonstration mit dem Motto „Demokratie, Grundgesetz, Verabschiedung neues Infektionsschutzgesetz“ statt. Jedenfalls gegen 18:40 Uhr hielt sich auch die Angeklagte auf dem Versammlungsgelände auf. Zu dieser Zeit wurde sie von Polizeibeamten auf einen möglichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot angesprochen. Die Angeklagte hatte den damals verpflichtenden Mund-Nase-Schutz getragen und sich außerdem – unwiderleglich, weil sie insbesondere an den Ohren fror – die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf gezogen.

Weil es auf der Versammlungsfläche sehr laut war, führten die Polizeibeamten die Angeklagte an einen ruhigeren Ort ca. zehn Meter entfernt. Dieser befand sich immer noch auf dem L., einem an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzenden K., der zu dieser Zeit von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert war. Nunmehr startete die Angeklagte mit ihrem Mobiltelefon eine Videoaufnahme, wobei sie die Kamera gegen den Boden richtete, so dass nur der Ton ihres Gesprächs mit den Polizeibeamten aufgezeichnet wurde. Der Aufforderung der Polizeibeamten, dies zu unterlassen, kam die Angeklagte zunächst nicht nach. Sie rief zwischenzeitlich um Hilfe, um andere Personen aufzufordern hinzuzutreten. Dieser Aufforderung wurde auch in nicht mehr feststellbarem Umfang Folge geleistet. Das AG konnte darüber hinaus nicht ausschließen, dass bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen sich derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten aufhielten, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Das AG hat die Angeklagte vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 VersammlG) und der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) freigesprochen. Hiergegen die Revision der Staatsanwaltschaft, deren Ausführungen im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge sich ausschließlich mit dem Freispruch vom Vorwurf der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes befassen. Das OLG hat die Revision verworfen:

„Das freisprechende Urteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Den Freispruch vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei auf die Erwägung gestützt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Angeklagte an der in Rede stehenden Versammlung in einer Aufmachung teilgenommen hat, die darauf gerichtet war, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Gemäß der nicht zu widerlegenden Einlassung der Angeklagten musste das Amtsgericht davon ausgehen, dass die Angeklagte sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen hatte, weil sie wegen der in den Abendstunden des 18. November 2020 herrschenden niedrigen Temperaturen fror.

Auch der Freispruch vom Vorwurf einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem von ihm festgestellten Sachverhalt hat das Amtsgericht zu Recht nicht entnommen, dass die Angeklagte ein „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ der sie kontrollierenden Polizeibeamten mit ihrem Mobiltelefon aufgezeichnet hat.

Als „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ im Sinne von § 201 StGB ist jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung aufzufassen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist. Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf „Zweck und Eigenart“ der Unterredung an (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 201 Rn. 3 und 4 unter Hinweis auf BGHSt 31, 304). Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer „faktischen Öffentlichkeit“ führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss (LG Kassel, Beschluss vom 23. September 2019, 2 Qs 111/19; LG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, 610 Qs 37/21; zuletzt OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Juni 2022, 1 OLG 2 Ss 62/21). Diese Auslegung, die auch die objektiven Rahmenbedingungen des Gespräches mit einbezieht, korrespondiert mit dem Schutzzweck des § 201 StGB. Der Straftatbestand dient dem Schutz des Sprechers in Situationen, in denen er keinen Anlass zu sehen braucht, wegen der Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt seiner Äußerungen zu wahren. Wenn der Sprecher damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen – redet er etwa in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme – , so macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich – im Beispielsfall – lediglich an seine Stammtischfreunde wendet (Schünemann in: StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 201 Rn. 7; ebenso Graf in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 17a, 18). Die mit der Revision vertretene Ansicht, es komme ausschließlich auf den Willen des Sprechers an, führt zu einer wesentliche Erweiterung der Strafbarkeit über den nach allgemeiner Meinung bestehenden Bereich hinaus. Sie lässt indes den dargestellten Schutzzweck der Vorschrift außer Betracht und findet in deren Wortlaut keine Stütze. Der Senat vermag sich dieser erweiternden Auslegung des Begriffs des „nicht öffentlich gesprochenen Wortes“ nicht anzuschließen.

Nach den offen zutage liegenden Umständen mussten die kontrollierenden Polizeibeamten mit einer Kenntnisnahme durch Dritte rechnen. Die Beamten führten die Kontrolle der Angeklagten auf einer frei zugänglichen öffentlichen Fläche durch, auf der beliebige Dritte ihre Diensthandlung beobachten und akustisch wahrnehmen konnten. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der L. – ein an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzender K. – am 18. November 2020 gegen 18:40 Uhr von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert. Auf die Aufforderung der Angeklagten waren andere Personen hinzugetreten. Nicht ausschließbar hielten sich bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten auf, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Unter diesen Umständen bezog sich die von der Angeklagten gefertigte Tonaufnahme von Beginn an auf Äußerungen der Polizeibeamten, die diese im Umfeld einer faktischen Öffentlichkeit – mithin außerhalb des Anwendungsbereichs von § 201 StGB – machten.“

Corona II: Masketragen und Abstand in der HV, oder: Die Sicherungsverfügung des Vorsitzenden

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal eine Sicherungsverfügung für die Hauptverhandlung. Dazu hat das OLG München im OLG München, Beschl. v. 17.05.2022 – 4d Ws 166/22 – Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Die Vorsitzende der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II hat am 22.06.2021 für eine am 23.08.2021 im Sitzungssaal in der S.straße 10 in M. beginnende Hauptverhandlung eine Sicherungsverfügung erlassen, in der unter Ziffer III. besondere Regelungen zur Vermeidung von Infektionen mit dem Erreger SARS-CoV-2 enthalten sind.

Unter Ziffer III.1. wird ausgeführt, dass nach dem aktuellen Hygieneplan (Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin M. vom 31.08.2020 bzw. 02.03.2021) im Zuschauerbereich des Sitzungssaals insgesamt 23 Sitzplätze für die Saalöffentlichkeit zur Verfügung stünden, von denen 11 Sitzplätze für Journalisten reserviert seien. Weiter enthält die Verfügung den Hinweis, dass ausschließlich die als solche gekennzeichneten Sitzplätze benutzt werden dürften. Die dazwischenliegenden Plätze hätten zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 m frei zu bleiben; ihre Benutzung sei untersagt.

In Ziffer III.2. wird im Zuhörerbereich des Sitzungssaals wie auch im Sicherheitsbereich um den Sitzungssaal für das Sicherheitspersonal sowie für alle Zuhörer und Pressevertreter das stetige Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes (Maske der Schutzklasse FFP 2/KN 95 ohne Ausatemventil oder vergleichbar) vor Beginn, während und nach Ende der Sitzung angeordnet.

Ziffer II.3. regelt für alle Verfahrensbeteiligten (Gericht, Protokollführer, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger, Nebenklägervertreter, Sachverständige, Verteidiger und Angeklagte) das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes, und zwar entweder das Tragen einer OP-Maske oder einer Maske der Schutzklasse FFP 2/KN 95 ohne Ausatemventil, im Sitzungssaal. Ausgenommen von dieser Pflicht sind diejenigen Verfahrensbeteiligten, denen während der Hauptverhandlung das Wort zu mündlichen Ausführungen erteilt ist.

Weiter behält sich die Vorsitzende vor, im Einzelfall unter bestimmten näher dargelegten Umständen die Maskentragungspflicht für einzelne Verfahrensabschnitte und/oder einzelne Verfahrensbeteiligte aufzuheben. Zudem wird geregelt, dass Zeugen und Sachverständige ihre Zeugenaussage/Gutachtenserstattung ohne Mund-Nasen-Bedeckung abzugeben hätten.

Mit Verfügung vom 03.05.2022 hat die Vorsitzende der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II die Verpflichtung zur stetigen Maskentragungspflicht für das Sicherungspersonal, die Zuhörer und Pressevertreter in Ziffer III.2. der Sicherungsverfügung vom 22.06.2021 dahingehend modifiziert, dass nunmehr auch für sie und damit nunmehr für alle im Sitzungssaal anwesenden Personen das Tragen einer medizinischen Maske im Sinne einer sogenannten OP-Maske ausreichend sei.

Dagegen die Beschwerde des Angeklagten und der Verteidiger, die beim OLG keinen Erfolg hatte.

Das OLG sieht das Rechtsmittel als zulässig, aber unbegründet an:

„Die Anordnung, zum Schutz vor einer COVID-19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist vorliegend von der Ermächtigung der Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt und beruht auch auf einer fehlerfreien Ausübung des Ermessens der Vorsitzenden. Die Regelung des § 176 Abs. 1 GVG ermächtigt zu allen Maßnahmen, die für den ungestörten und gesetzesmäßigen Ablauf der Sitzung nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind (KK-Diemer, StPO, § 176 GVG Rdn.1).

Dazu zählen auch Maßnahmen zum Schutz der Verfahrensbeteiligten, sodass sich die Ermächtigung auch auf Maßnahmen zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus bezieht (OLG Celle, aaO; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.09.2020 – 1 BvR 1948/20 -, juris).

Der Vorsitzenden kommt dabei ein weiter Ermessensspielraum zu, wobei sich das Ermessen darauf bezieht, ob überhaupt eingeschritten wird und in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter bei Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist (OLG Celle aaO).

Die dabei ergangene Entscheidung unterliegt im Beschwerdeverfahren nur der Prüfung, ob die Vorsitzende ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt und den Zweck sowie die Grenzen des Ermessens beachtet hat. Verwehrt ist dem Beschwerdegericht die Überprüfung der Zweckmäßigkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen (OLG Celle aaO; OLG Stuttgart aaO).

Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Sicherungsverfügung vom 22.06.2021 und ihre Abänderung in Ziffer III. 2. mit Verfügung vom 03.05.2022 der Nachprüfung stand.

Es begegnet keinen Bedenken, dass die Vorsitzende das Tragen einer medizinischen Maske in der Hauptverhandlung zum Schutz vor einer Coronainfektion für geeignet hält, das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus während der Sitzung zu reduzieren. Dies entspricht der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach das Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung das Infektionsrisiko verringern könne (vergleiche Robert-Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19 vom 05.05.2022). Somit ist die Anordnung geeignet, mögliche Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder die Wahrscheinlichkeit dafür zu reduzieren.

Es ist auch die Annahme der Vorsitzenden nicht zu beanstanden, dass in geschlossenen Räumen neben der durch die Gerichtsverwaltung bereits festgelegten Mindestabstandsregelung und der Höchstzahlbestimmung anwesender Personen keine Maßnahmen zur Verfügung stehen, die ergänzend zu den Anordnungen der Verwaltung das Ansteckungsrisiko ebenso wirksam wie das Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung reduzieren könnten.

Eine Mund- und Nasenbedeckung wird in geschlossenen Räumen einen höheren Schutz vor Infektionen bieten als das bloße Einhalten eines Abstands und das Lüften der Räumlichkeiten bei gleichzeitiger Beschränkung der Anzahl der anwesenden Personen.

Dies entspricht auch den Ausführungen des Robert-Koch-Instituts in seiner Risikobewertung zu COVID-19 vom 05.05.2022, wonach angesichts der weiterhin hohen Zahl von Neuinfektionen die konsequente kumulative Einhaltung von Hygiene, Lüften, Abstandhalten, Kontakteinschränkung und Maskentragung zur Reduktion des Infektionsrisikos erforderlich sind. Die Maßnahmen weisen nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts die höchste Effektivität auf, wenn sie bei einem Zusammentreffen von allen anwesenden Personen eingehalten werden.

Da danach mehrere in Betracht kommende aber noch nicht ausreichende Maßnahmen bereits durch die vorgegebenen Regelungen der Gerichtsverwaltung ausgeschöpft sind, bleibt zur weiteren Reduzierung des Risikos die Anordnung der Mund- und Nasenbedeckung. Die kumulative Anwendung dieser Maßnahmen entspricht den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts.

Die Vorsitzende ist im Rahmen ihrer Ermessensausübung rechtsfehlerfrei auch davon ausgegangen, dass die Anordnung der Mund- und Nasenbedeckung verhältnismäßig im engeren Sinne und damit angemessen ist.

Die Anordnung enthält eine geringfügige Belastung für die Beschwerdeführer und die Sitzungsteilnehmer. Das Tragen einer Maske ist grundsätzlich weder gesundheitsgefährdend noch ruft es körperliche Schmerzen oder gleichwertige nichtkörperliche Beeinträchtigungen hervor. Für den Einzelfall sieht die Anordnung Befreiungsmöglichkeiten vor. Dieser eher geringen Belastung der Sitzungsteilnehmer hat die Vorsitzende die Gefahr einer COVID-19-Infektion gegenübergestellt und dabei das Infektionsschutzinteresse für überwiegend gehalten. Dabei hat die Vorsitzende nicht verkannt, dass mittlerweile insgesamt das Infektionsgeschehen rückläufig ist, die bayerische Staatsregierung im öffentlichen Leben insbesondere hinsichtlich der Maskenpflicht die Coronamaßnahmen gelockert hat und die weiteren Hygienemaßnahmen während der Sitzungen ebenfalls einen Schutz bieten. Es begegnet rechtlich jedoch keinen Bedenken, dass die Vorsitzende diesen Umständen bei ihrer Abwägung letztlich weniger Gewicht beigemessen hat als den Risiko erhöhenden, sich nach wie vor in einer hohen Infektionsgefahr manifestierenden Gesichtspunkten.

Diese Umstände rechtfertigen es, die Anordnung der Vorsitzenden als angemessen anzusehen. Die Hauptverhandlung ist das Zusammentreffen einer Vielzahl von Personen in einem geschlossenen Raum mit einem vergleichsweise hohen Infektionsrisiko. Auch der Umstand, dass alle Verfahrensbeteiligten zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet sind, ohne selbst die Hygienemaßnahmen im Saal wesentlich beeinflussen zu können, spricht für die Schaffung eines hohen Schutzes. Somit war die Vorsitzende berechtigt, unter Ausübung ihres Ermessens, die angefochtene Anordnung gemäß § 176 Abs. 1 GVG zu verfügen.

Der Anordnung steht auch nicht die Regelung in § 176 Abs. 2 GVG entgegen, deren Satz 1 bestimmt, dass an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen.

Denn § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG sieht weiter vor, dass die Vorsitzende Ausnahmen vom Verbot des Verhüllens gestatten kann, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens kann die Vorsitzende daher Ausnahmen von § 176 Abs. 2 Satz 1 GVG bestimmen.

§ 176 Abs. 2 Satz 1 GVG bezweckt keineswegs eine Beschränkung der Befugnisse des Vorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung (BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021, BeckRS 2021, 25633). Vielmehr ging es dem Gesetzgeber um eine Entlastung des Vorsitzenden, der nicht mehr verpflichtet sein sollte, ein Verbot der Gesichtsverhüllung im Interesse der Sachaufklärung aussprechen und gegebenenfalls begründen zu müssen (Bay ObLG aaO).

Der sitzungspolizeilichen Anordnung der Vorsitzenden stehen auch nicht die Vorschriften der Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 2 Satz 3, Art. 15 Satz 3 BayRiStAG i.V.m. Art. 75 BayBG entgegen, die vorsehen, dass Richter, Staatsanwälte und ehrenamtliche Richter bei Ausübung des Dienstes ihr Gesicht nicht verhüllen dürfen, es sei denn dienstliche Gründe erforderten dies. Eine sitzungspolizeiliche Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sitzungssaal, die sich auf vernünftige Gründe des Gemeinwohls stützt, um die Wahrscheinlichkeit einer COVID-19-Infektion zu senken, stellt einen dienstlichen Grund im Sinne dieser Vorschriften zur teilweisen Verhüllung des Gesichts dar.

Die Befugnis zu sitzungspolizeilichen Anordnungen der Vorsitzenden bezieht sich auch auf die am Strafverfahren beteiligten Verteidiger (Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 176 Rdn.10).

Bei Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Vorsitzenden kommen bei Ihnen jedoch Zwangsmaßnahmen gemäß § 177 GVG regelmäßig nicht zur Anwendung, da der Gesetzgeber erwartet, dass sich Verteidiger – wie alle am Verfahren beteiligten Organe der Rechtspflege – an rechtmäßige sitzungspolizeiliche Anordnungen halten.

Es begegnet im Hinblick auf die angeordneten Maßnahmen der Sicherungsverfügung keinen rechtlichen Bedenken, dass die Sechzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 01.04.2022 und das Infektionsschutzgesetz vom 20.03.2022 für eine Hauptverhandlung vor Gericht weder eine Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske noch die weiteren angeordneten Maßnahmen vorsehen. Die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung enthält dazu lediglich allgemeine Verhaltensempfehlungen.

Die Sicherungsverfügung beruht auf § 176 Abs. 1 GVG und nicht auf dem Infektionsschutzgesetz und auch nicht auf der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Letztere haben für ihren Regelungsbereich die schützenswerten wirtschaftlichen Interessen von Einrichtungen und Veranstaltern an einem möglichst ungehinderten Besucher- und Kundenverkehr zu berücksichtigen und gegen den Infektionsschutz abzuwägen (OLG Celle NStZ-RR 2022, 58). Bei sitzungspolizeilichen Anordnungen sind ökonomische Interessen nicht berührt. Maßgeblich sind dafür die Umstände der jeweiligen Hauptverhandlung und Gesichtspunkte des Infektionsschutzes.

Soweit die Beschwerdeführer sich gegen das Hygienekonzept für den Sitzungssaal in der S.straße 10 und damit zusammenhängend gegen die maximal zugelassene Anzahl der anwesenden Personen sowie das Mindestabstandsgebot wenden, handelt es sich nicht um eine von der Vorsitzenden der Strafkammer in der Sicherungsverfügung getroffene Regelung.

Das Abstandsgebot und die einzuhaltende Kapazitätsgrenze wurden im Rahmen des vom Präsidenten des Oberlandesgerichts M. festgelegten Hygienekonzepts durch die Gerichtsverwaltung für den Sitzungssaal bestimmt. Auch die Auswahl und Zuweisung des Sitzungssaals durch die Gerichtsverwaltung wird nicht durch die Sicherungsverfügung der Vorsitzenden geregelt.

Vermummungsverbot beim Fußballspiel, oder: Kappe ab.

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Auf der zweiten Stufe gibt es dann den OLG Hamm, Beschl. v. 28.12.2017 – 4 RVs 158/17. Das OLG nimmt (noch einmal) Stellung dazu, wie mit Vermummten bei einem Fußballspiel umzugehen ist = ob die Teilnahme einen Verstoß gegen das VersammlungsG darstellt. Das hängt daon ab, ob das Fußballspiel in einem Stadiomn eine Veranstaltung unter freiem Himmel ist. Dazu das OLG:

„b) Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 23.09.2013, 2 OLG 21 Ss 693/13; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2011, 257; Senatsbeschluss v. 07.09.2017 Az.: 4 RVs 97/17) handelt es sich bei einem Fußballspiel um eine „Veranstaltung unter freiem Himmel“ im Sinne von § 27 Abs. 2 VersammlG. Sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sind grundsätzlich alle jedermann zugänglichen Veranstaltungen gleich zu welchem Zweck (Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Mai 2017, § 17a Rn. 1; Kretschmer, NStZ 2015, 504). Unschädlich ist insoweit, dass das Stadion des Vereins Q N umfriedet und jedenfalls teilweise überdacht ist. Für die Annahme, dass auch Fußballspiele vom Schutzbereich der Norm umfasst werden sollen, spricht bereits maßgeblich der Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Einführung der Strafvorschrift des § 27 Abs. 2 VersammlG wollte der Gesetzgeber auf „Erfahrungen bei großen Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen“ (BT-Drs. 11/2834, S. 11) reagieren. Bezweckt ist insbesondere eine Eindämmung der sog. Fangewalt, wie sie auch im Zusammenhang mit Fußballspielen der Bundesliga und Länderspielen zu beobachten ist (Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1. Aufl., § 17a Rn. 11; Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl., § 17a Rn. 8; Ott/Wächter/Heinhold, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 7. Aufl., § 17a Rn. 48f.).

c) Bei dem von dem Angeklagten besuchten Fußballspiel handelt es sich auch um eine öffentliche Veranstaltung. Unschädlich ist insoweit, dass er eine Eintrittskarte benötigte, um das Stadion betreten zu können. Ein Fußballspiel ist grundsätzlich für jedermann zugänglich. Jeder kann eine Eintrittskarte erwerben und der Veranstaltung beiwohnen. Im Vorfeld ist für den jeweiligen Veranstalter nicht absehbar, wer im Besitz einer solchen Eintrittskarte ist und an der Veranstaltung teilnehmen wird. Ebenso ist unerheblich, dass vor dem Einlass in das Stadion Kontrollen erfolgen. Denn diese werden in erster Linie durchgeführt, um die Sicherheit des Fußballspiels zu gewährleisten, nicht aber, um lediglich einem von Beginn an bestimmbaren und begrenzten Personenkreis den Zutritt zu ermöglichen.“

Die Revision hatte daher hinsichtlich der Schuldspruchs keinen Erfolg. Nur wegen der Rechtsfolgen hat das OLG aufgehoben. Da konnte es die Tagessatzhöhe anhand der bislang getroffenen Feststellungen nicht prüfen.

Für Fußballfans: Vermummungsverbot auch im überdachten Tribünenbereich eines Fußballstadions?

entnommen wikimedia.org Urheber Mimano

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Der OLG Bamberg, Beschl. v. 24. 11. 2015 – 3 Ss OWi 1176/15 – ist eine Entscheidung, die an einem Montag gut passt. Er behandelt nämlich die ggf. für „Fußballfans“ (?)  (in Bayern) wichtige Frage des „Vermummungsverbot“ nach Art. 16 BayVersG und die Auslegung des Merkmals ‚unter freiem Himmel‘ für ein im Tribünenbereich überdachtes Fußballstadion.

Das AG hatte folgenden Sachverhalt festgestellt: Der Betroffene hatte sich am 25.10.2014 gegen 14:55 Uhr vor dem Eingang zur Haupttribüne des Sportstadions in P. aufgehalten, da er die Fußball-Regionalligabegegnung des „1. FC P.“ gegen den „1. FC Q.“ besuchen wollte. Der Betroffene trug hierbei einen sog. Schlauchschal um den Hals, um mit dessen Hilfe zu gegebener Zeit die polizeiliche Feststellung seiner Identität zu verhindern. Er befand sich in einer Gruppierung weiterer Männer, die ebenfalls Schlauchschals, Sturmhauben oder andere Gegenstände bei sich trugen, die grundsätzlich geeignet waren, die Feststel­lung der Identität zu verhindern. Das AG hat den Betroffenen von dem gegen ihn mit Bußgeldbescheid vom 16.03.2015 dann erhobenen und mit einer Geldbuße in Höhe von 400 € geahndeten Tatvorwurf, „auf dem Weg zu einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel“ wissentlich „einen Gegenstand mit sich geführt zu haben, der geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt war, die Feststellung der Identität zu verhindern“ (Art. 16 Abs. 1, 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vom 22.07.2008 [BayVersG; GVBl. 2008, 421]) aus Rechtsgründen freigesprochen. Das OLG sieht das anders und meint, dass das AG jedenfalls aufgrund seiner bisherigen Feststellungen zu Unrecht die tatbestandlichen Voraussetzungen des o.a. Bußgeldtatbestandes verneint habe, insbesondere das nach seiner Rechtsansicht nicht erfüllte Tatbestandsmerkmal einer „sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel“ (vgl. Art. 16 Abs. BayVersG) unzutreffend ausgelegt hat:

Zwar geht das AG zutreffend davon aus, dass eine „öffentliche Veranstaltung“ vorlag. Im Ansatz richtig ist ferner seine Annahme, dass Art. 103 II GG auch für die Auslegung von Bußgeldvorschriften eine verfassungsrechtliche Schranke zieht. Soweit das AG das Merkmal „unter freiem Himmel“ als nicht erfüllt ansieht, liegt seiner rechtlichen Wertung allerdings ein unzutreffendes, im Ergebnis zu enges Verständnis des einschlägigen Schutzbereichs des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 II GG zugrunde.

Das vom AG festgestellte Verhalten des Betr. erfüllt den Tatbestand des Art. 16 I, II Nr. 2 i.V.m. Art. 21 II Nr. 7 BayVersG; insbesondere kann von einer Überdehnung des möglichen Wortsinns des Gesetzeswortlauts und damit einer gemäß Art. 103 II GG, § 3 OWiG unzulässigen Analogie zu Lasten des Betr. keine Rede sein.

a) Die durch Art. 16 I BayVersG in Anknüpfung an die tradierte und aus Art. 8 II GG herrührende Formulierung „unter freiem Himmel“ ist nach der in der verfassungsgerichtlichen Rspr. vertretenen Auffassung, der sich die ganz h.M. im Schrifttum angeschlossen hat, nicht im engen Wortsinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort zu verstehen. Stattdessen soll mit ihr dem durch die Außenwirkung erhöhten, vielfach besondere Vorkehrungen erfordernden Konfliktpotenzial von derartigen Versammlungen bzw. Veranstaltungen Rechnung getragen werden (BVerfGE 128, 226/256 [‚Fraport‘] = NJW 2011, 1201 = EuGRZ 2011, 152). Maßgeblich für Art. 8 II GG ist demgemäß, ob die Versammlung zu allen Seiten hin gegenüber ihrer Umwelt abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE 69, 315/348 [‚Brokdorf II‘] = NJW 1985, 2395 = EuGRZ 1985, 450 = DVBl 1985, 1006 = DÖV 1985, 778 m.w.N.; Erbs/Kohlhaas-Wache Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Mai 2015] § 1 VersammlG, Rn. 28; BeckOK/Schneider GG [Stand: 01.06.2015 – Ed. 24] Art. 8 Rn. 37). Ist dies der Fall, liegt eine Versammlung „unter freiem Himmel“ auch dann vor, wenn sich der Ort der Versammlung innerhalb eines zu allen Seiten abgegrenzten und überdachten Raumes befindet. Insoweit ist gleichgültig, ob der für die Allgemeinheit geöffnete Ort als solcher in der freien Natur oder – wie beispielsweise im Innern einer Flughafen- oder Bahnhofshalle – in geschlossenen Gebäuden liegt. Maßgeblich ist, dass die Versammlung oder Veranstaltung an einem solchen Ort ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfindet und von diesem nicht räumlich getrennt ist. Denn auch dann bleiben die Teilnehmer nicht mehr unter sich, sondern müssen zumindest damit rechnen, allein aufgrund der Lokalität u.a. auf andere zu treffen, was ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential mit sich bringt (BVerfGE 128, 226/256 [‚Fraport‘] = NJW 2011, 1201 = EuGRZ 2011, 152; Jarass/Pieroth GG 12. Aufl. Art. 8 Rn. 17; BeckOK/Schneider8 Rn. 37.1; Dietel/Gintzel/Kniesel VersG 16. Aufl. Rn. 9 ff. vor § 14, jeweils m.w.N.).

b) Danach handelt es sich bei der Austragung eines Fußballspiels innerhalb eines Stadions auch dann um eine öffentliche Veranstaltung „unter freiem Himmel“, wenn der Zuschauerbereich mit einer gegen Witterungseinflüsse schützenden Überdachung versehen ist. Darauf, dass das Stadion als bauliche Anlage und Ort von Großveranstaltungen zu allen Seiten hin baulich klar umgrenzt ist, kommt es entgegen der Auffassung des AG und der Verteidigung nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Zuschauer bzw. Besucher der sportlichen Veranstaltung an einem für den allgemeinen Publikumsverkehr grundsätzlich für jedermann zugänglichen Ort aufhalten. Der Umstand, dass der Einlass nur gegen Bezahlung des Eintrittsgeldes gewährt wird, steht der Annahme der Öffentlichkeit der Veranstaltung von vornherein nicht entgegen. Denn grundsätzlich ist – bei Entrichtung des Eintrittsgeldes – jedermann befugt, die Veranstaltung aufzusuchen, wenn nicht ausnahmsweise der Veranstalter zur präventiven Abwehr von Störungen berechtigt ist, einzelne Störer hiervon auszuschließen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30.10.2009 – V ZR 253/08 = NJW 2010, 534 = VersR 2010, 825 = JR 2010, 249)…