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Verkehrsrecht II: Grenze für „bedeutender Schaden“, oder: Beim LG Dresden jetzt (auch) 1.800 EUR

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An zweiter Stelle dann heute der LG Dresden, Beschl. v. 15.09.2023 – 17 Qs 77/23, in dem das LG die Grenze für den bedeutenden Schaden i.S. des § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB – also Entziehung der Fahrerlaubnis in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 146 StGB) auf (derzeit) nicht unter 1.800 EUR angehoben hat:

„a) Gemäß § 111a StPO kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen wird. Nach § 69 Abs. 1 StGB setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis voraus, dass der Beschuldigte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, wobei nach Abs. 2 Nr. 3 der Vorschrift in der Regel der Täter als ungeeignet anzusehen ist, wenn er im Falle eines hier verfahrensgegenständlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist.

aa) Voraussetzung ist zunächst das Vorliegen eines objektiv bedeutenden Schadens. Darüber hinaus ist die Erkennbarkeit der Schadenshöhe für den Täter zum Tatzeitpunkt maßgeblich (vgl. etwa Kammerbeschluss v. 08.02.2023, Az. 17 Qs 11/23).

Eine konkrete Schadenshöhe hat der Gesetzgeber dabei nicht vorgegeben, sodass es Aufgabe der Gerichte ist, diese zu bestimmen.

bb) Im Ansatz zutreffend hat sich das Amtsgericht Dresden davon leiten lassen, dass nach der Kommentierung unter Verweis auf die Rechtsprechung, unter anderem des Oberlandesgerichts Dresden, von gegenwärtigen Grenzen von ca. 1.300 EUR bzw. jedenfalls nicht unter 1.500 EUR auszugehen sei.

Allerdings ist nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts (und nach Abstimmung der dortigen Senate) die allgemeine Preis- und Einkommensentwicklung ausdrücklich zu berücksichtigen (OLG Dresden, Beschluss v. 12.05.2005 — 2 Ss 278/05, zitiert nach juris, dort Rn. 12), weswegen das Oberlandesgericht Dresden damals gerade erst ab 1.300 EUR einen bedeutenden Schaden annahm.

cc) Angesichts der weiter vorangeschrittenen Inflation ist die Wertgrenze anzupassen, weshalb derzeit ein bedeutender Schaden nicht unter 1.800 EUR anzunehmen ist.

(1) Dies folgt daraus, dass laut Statistischen Bundesamt im Januar 2023 (Tatzeit: 20.01.2023) allein die Teuerungsrate 8,7 % betrug. Für das vergangene Jahr 2022 betrug die Jahresteuerungsrate 7,9 %. Im Jahr 2021 belief sie sich auf 3,1 % und im Jahr 2020 betrug sie 0,5 % (vgl. die Destatis-Pressemeldungen Nr. 69 v. 22.02.2023; Nr. 22 v. 17.01.2023; Nr. 25 v. 19.01.2022; Nr. 25 v. 19.01.2021).

(2) Ausgehend von einer Grenze in Höhe von 1.500 EUR aus dem Jahr 2019 (noch LG Dresden, Besohl. v. 07.05.2019 — 3 Qs 29/19) war die Annahme des bedeutenden Schadens entsprechend einer Erhöhung um die jeweiligen Prozentwerte für die Folgejahre 2020 bis 2023 anzupassen. Bei stetiger Erhöhung des Ausgangswertes von 1.500 EUR um diese jeweiligen Jahresteuerungsraten ergibt sich, bei geringfügiger Rundung, ein Wert in Höhe von 1.800 EUR.

(3) Ebenso ergibt sich, unter geringfügiger Rundung, ein Wert in Höhe von 1.800 EUR bei Heran-ziehung der noch 2005 vomn Oberlandesgericht Dresden erkannten Wertgrenze von 1.300 EUR und stetiger Erhöhung dieses Wertes um die seitdem zu berücksichtigenden Jahresteuerungsraten bis 2023, wie folgt (Veränderung Verbraucherpreisindex laut Destatis, Genesis-Online):

Jahr Wert zu Jahresbeginn          Jahresteuerungsrate Bemerkung
2005   1.300,00 €    1,6 %
2006   1.320,80€     1,6%
2007   1.341,93 €    2,3 %
2008   1.372,80 €    2,6 %
2009   1.408,49 €    0,3 %
2010   1.412,72€     1,0%
2011   1.426,84 €    2,2 %
2012   1.458,23 €    1,9 %
2013   1 A85,94 €    1,5%
2014   1.508,23 €    1,0 %
2015   1.523,31 €    0,5 %
2016   1.530,93 €    0,5 %
2017   1.538,58 €    1,5 %
2018   1.561,66 €    1,8 %
2019   1.589,77 €    1,4 %
2020   1.612,03 €    0,5 %
2021   1.620,09 €    3,1 %
2022   1.670,31 €    7,9 % Pressemitteilung 022/2023
2023   1.802.26 €

b) Da bei zutreffender Auffassung des Beschwerdeführers ohne eine bisher erfolgte Reparatur der gutachterlich ermittelte Netto-Sachschaden in Höhe von 1/00 EUR heranzuziehen ist, der unterhalb der nach Auffassung der Kammer derzeit anzusetzenden Wertgrenze von 1.800 EUR liegt, fehlt es an den Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO i.V.m. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.“

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, oder: Welche Zuwiderhandlungen werden berücksichtigt?

Und die zweite Entscheidung kommt mit dem OVG Sachsen, Beschl. v. 14.09.2023 – 6 B 113/23 – aus Sachsen.

Gekämpft wird um die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung einer Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins. Das VG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt. Zur Begründung hatte es ausgeführt – und darum wird gestritten, „die Entziehung der Fahrerlaubnis finde ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, weil für den Antragsteller an dem gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG für die Punkteberechnung maßgeblichen Zeitpunkt acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen gewesen seien. Die Antragsgegnerin habe auch die beiden nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG vor der Entziehung der Fahrerlaubnis liegenden Stufen des Maßnahmesystems rechtsfehlerfrei gegenüber dem Antragsteller ergriffen. Dabei sei eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG nicht eingetreten. Nach dem Erreichen von fünf Punkten habe sie den Antragsteller mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt. Nachdem dieser einen Punktestand von sieben Punkten erreicht habe, sei er von ihr mit Schreiben vom 5. April 2023 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass er zu diesem Zeitpunkt rechnerisch bereits acht Punkte erreicht habe. Denn für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG seien nur die im Fahreignungsregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen maßgeblich. Im Zeitpunkt der Verwarnung am 5. April 2023 habe die Antragsgegnerin keine vom Kraftfahrt-Bundesamt vermittelte Kenntnis davon gehabt, dass die beiden Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 3. und 20. September 2022 seit dem 24. März 2023 rechtkräftig geahndet worden seien. Auch aufgrund der Mitteilung seines Prozessbevollmächtigten vom 24. März 2023 habe der Antragsgegner keine Reduzierung des Punktestands durchführen müssen. Es entspräche einhelliger Auffassung der Rechtsprechung, dass die Fahrerlaubnisbehörde den erforderlichen Kenntnisstand nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht durch Mitteilungen des Fahrerlaubnisinhabers oder anderer Privatpersonen erhalte. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 4 ff.).

Dazu dann der Leitsatz der OVG-Entscheidung, der das noch einmal bestätigt:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG grundsätzlich nur diejenigen Zuwiderhandlungen zu berücksichtigen, die ihr durch das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt worden sind, nicht sonstige, ihr aufgrund einer Selbstanzeige oder Rücknahme des Einspruchs des Fahrerlaubnisinhabers bekannten Verstöße.

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG II, oder: „Tolle“ Angaben nach Drogenfahrt mit einem E-Scooter

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Wer unter Cannabiseinfluss mit einem E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr fährt (§ 316 StGB), muss mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen durch das Straßenverkehrsamt rechnen. So hat das VG Berlin in einem Eilverfahren im VG Berlin, Beschl. v. 17.07.2023 –  VG 11 L 184/23) entschieden.

Das Straßenverkehrsamt hatte einem Betroffenen aufgegeben, binnen drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung einzureichen. Begründet worden ist das mit einer Fahrt mit einem E-Scooter, bei der der Betroffene nach Fahrauffälligkeiten angehalten und ihm eine Blutprobe entnommen worden war. Die wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den anhaltenden Polizisten äußerte der Antragsteller, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren; dies stellte er im Nachhinein als nicht ernst gemeint dar. Als der Betroffene auf die Anforderung des Gutachtens nicht reagierte, ist ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen der Eilantrag, der keinen Erfolg hatte:

„….

(2) Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig. Sie findet ihre Rechts-grundlage in § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Hintergrund der Gutachtenanordnung ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer fahrsicherheitsrelevanten Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Sachaufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen darf. Erforderlich für die Fahrerlaubnisentziehung ist in solchen Fällen die Prognose, dass der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine hinreichend abgesicherte Grundlage gestützt werden kann, bedarf es in der Regel eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, über dessen Einholung die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 10). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis. Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3/13 –, juris Rn. 17 ff.). Die eigenen Angaben des Klägers legen hier einen solchen Gelegenheitskonsum nahe. Weder im Rahmen der polizeilichen Anhörung noch im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren hat der Antragsteller einen erstmaligen Konsum behauptet. Nach den unwidersprochenen Feststellungen im polizeilichen Tätigkeitsbericht vom 11. Juli 2022 gab der Antragsteller vielmehr gegenüber der Polizei an, dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat. Hieraus kann auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum geschlossen werden. Im Anschluss stellte er seine Aussage laut Polizeibericht zwar als Witz dar. Er widersprach indes seiner vorherigen Angabe auch nicht ernsthaft und muss sich vor diesem Hintergrund an dieser festhalten lassen.

Bei der Teilnahme am Straßenverkehr – wenn auch mit einem Elektrokleinstfahrzeug – unter Cannabiseinfluss am 11. Juli 2022 handelt es sich um eine weitere Tatsache, die Zweifel an der Fahreignung begründet.

Denn auch ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Tatsache, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und nach § 46 Abs. 3 FeV zur Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV, namentlich des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, führt (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 37). Dabei ist auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug das Trennungsgebot zu beachten. Auch solche Elektro-kleinstfahrzeuge wie etwa E-Scooter sind – ungeachtet des Umstands, dass sie fahrerlaubnisfrei geführt werden dürfen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a FeV) – Kraftfahrzeuge, wenn sie die in § 1 der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung – eKFV) vom 6. Juni 2019 (BGBl I S. 756), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Für sie gilt daher – bezogen auf Cannabis – der Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG und damit auch das Trennungsgebot gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (BayVGH, Beschluss vom 15. März 2023 – VGH 11 CS 23.59 –, juris Rn. 15).

Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist oder sich das Risiko von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht haben, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3.13 –, juris Rn. 32 ff). Dabei fehlt schon – jedenfalls bei einem Pkw – ab einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml die Fahrtüchtigkeit (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 B 37.14 –, juris Rn. 18). Diesen Wert hat der Antragsteller überschritten, weil er ein Elektrokleinstfahrzeug geführt hat und bei ihm eine THC-Konzentration von 4,4 ng/ml festgestellt wurde. Zweifel an der Richtigkeit des Behördengutachtens des Landeskriminalamtes vom 3. August 2022 sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Zwar führte der Antragsteller bei dem dokumentierten Vorfall ein Elektrokleinstfahrzeug und nicht etwa einen Pkw. Hinzu tritt indes, dass ausweislich des vorliegenden Polizeiberichtes seine Fahrweise auf eine signifikante Beeinträchtigung seiner Fahr-tüchtigkeit hindeutete und er die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Eigentum an den in der betreffenden Straße abgestellten Fahrzeugen gefährdete, da er Schlangenlinien fuhr und mehrfach nah an geparkte Kfz geriet. Bei seiner Befragung durch die Polizei gab er zudem an, täglich sowohl Cannabis zu konsumieren als auch mit dem Auto zu fahren. Er räumte also selbst einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren ein.“

Ist natürlich „begnadet“ und wird jeden Rechtsanwalt freuen, wenn der Mandant gegenüber der Polizei nach einem Vorfall im Straßenverkehr igeäußert hat, „dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat„. Traumhaft/toll 🙂 .

 

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG I, oder: Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad/Pedelec

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Vergebens hat ein Betroffener in einem jetzt vom BayVGH entschiedenen Fall gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 3 StVG gekämpft. Das Landratsamt hatte die Entziehung damit begründet, dass der Betroffene mit seinem Pedelec gestürzt und dabei erheblich verletzt worden sei. Es sei eine BAK von 2,08 ‰ festgestellt worden. Der Betroffene hatte sich damit verteidigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das hat ihm nicht geholfen. Der BayVGH hat im BayVGH, Beschl. v. 07.09.2023 – 11 CS 23.1298 – den VG-Beschluss betreffend die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bestätigt:

„Gemessen daran begegnen die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere durfte das Landratsamt davon ausgehen, dass der Antragsteller das Fahrrad (Pedelec) am 26. Mai 2022 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,08 ‰ nicht nur geschoben hat, sondern dass er damit gefahren ist und es somit geführt hat.

a) Der Begriff des „Führens“ eines Fahrzeugs im Sinne von 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV deckt sich mit dem des § 316 StGB und § 24a StVG (Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 13 FeV Rn. 23d). Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt es (BayVGH, B. v.. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755NJW 2015, 1626 Ls. und Rn. 16 ff.). Die Länge der gefahrenen Strecke ist unerheblich (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 – 11 CS 20.2867 – DAR 2021, 647 Rn. 15; B. v.. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27). Das Schieben eines Fahrrads erfüllt hingegen nicht den Begriff des „Führens“.

Es muss mit hinreichender Gewissheit feststehen, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hat (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 – 3 C 9.21BVerwGE 175, 206 Rn. 38 für wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss als Voraussetzung für eine Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV). Allerdings ist hierfür eine Ahndung als Straftat nach § 316 StGB nicht zwingend. Vielmehr ist die Fahrerlaubnisbehörde – soweit sie keinen Beschränkungen nach dem Abweichungsverbot des § 3 Abs. 4 StVG unterliegt – befugt, die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eigenständig und unabhängig davon zu beurteilen, ob die Tat geahndet wurde oder nicht. Wesentlich für die Auslegung der in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es bei § 13 FeV noch nicht unmittelbar um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, sondern um die dieser Entscheidung vorgelagerte Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dient der Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen. Gleiches gilt gemäß § 46 Abs. 3 FeV im Vorfeld der Entscheidung über eine Entziehung oder Beschränkung der Fahrerlaubnis. Damit steht § 13 FeV in einem anderen systematischen Kontext als die Vorschriften in § 4 StVG zum Fahreignungs-Bewertungssystem, die gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG für Maßnahmen eine rechtskräftige Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit voraussetzen. Eine solche Anknüpfung an die rechtskräftige Ahndung enthält § 13 FeV aber gerade nicht. Das bedeutet allerdings mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und die mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung für den Betroffenen verbundenen Belastungen nicht, dass bereits ein vager Verdacht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt. Vielmehr müssen die von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogenen Umstände in den Verfahrensakten hinreichend dokumentiert sein (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 a.a.O. Rn. 30-39).

b) Hiervon ausgehend hat das Landratsamt zu Recht angenommen, dass der Antragsteller mit dem Pedelec gefahren und dabei gestürzt ist. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass es keine ihn belastenden Aussagen von Zeugen gibt, die ihn fahrend gesehen hätten. Jedoch sprechen nach Aktenlage die überwiegenden und hinreichend dokumentierten Umstände für eine Trunkenheitsfahrt.

Dem Polizeiprotokoll, mit dem die Polizeiinspektion Bad Kissingen das Landratsamt gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG über das Unfallgeschehen am 26. Mai 2022 informiert hat und auf das sich das Landratsamt ebenso wie das Verwaltungsgericht stützen konnte (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 a.a.O. Rn. 18), ist zu entnehmen, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihrer ersten Befragung spontan geäußert hat, der Antragsteller sei „beim Fahren falsch abgebogen bzw. habe den Graben übersehen“. Der befragte Rettungssanitäter bestätigte, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers ihm gegenüber zuvor ebenfalls geäußert habe, der Antragsteller sei falsch abgebogen. Diesen spontanen Äußerungen kommt trotz der Alkoholisierung der Lebensgefährtin des Antragstellers erhebliches Gewicht zu. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat sie ihre Aussage dahingehend relativiert, sie habe nicht sehen können und wisse daher nicht, was der Antragsteller gemacht habe. Damit hat sie jedenfalls auch nicht dessen Einlassung bestätigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das Verhalten des Antragstellers im Strafverfahren spricht ebenfalls dafür, dass er mit dem Fahrrad gefahren ist. Nach seinem Einspruch gegen den zunächst erlassenen Strafbefehl vom 13. September 2022 wegen einer Trunkenheitsfahrt hat das Amtsgericht Bad Kissingen das Verfahren mit Beschluss vom 18. November 2022 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Voraussetzung hierfür ist zum einen die Zustimmung des Antragstellers als Angeschuldigter und zum anderen muss die Schuld des Täters als gering anzusehen sein, was nur der Fall ist, wenn ein Tatnachweis möglich ist. Dies hat das Amtsgericht dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es in den Gründen ausgeführt hat, der Antragsteller sei hinreichend verdächtig, ein Vergehen nach § 316 StGB begangen zu haben. Ansonsten hätte es das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen bzw. den Antragsteller freisprechen müssen. Ein Schuldspruch setzt den entsprechenden Tatnachweis voraus; verbleiben Zweifel, gilt ‚in dubio pro reo‘. Das Amtsgericht Bad Kissingen hat den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 9. November 2022 darauf hingewiesen, dass eine Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Antragstellers möglich ist und dass dieser dann die notwendigen eigenen Auslagen selbst trägt. Wäre der Antragsteller der Auffassung gewesen, der Tatnachweis könne nicht geführt werden, hätte er seine Zustimmung verweigern können, um im Strafverfahren einen Freispruch zu erreichen. Die Darstellung seines Bevollmächtigten, die Vorgehensweise des Amtsgerichts Bad Kissingen sei das „übliche Vorgehen“ der Gerichte als „Flucht“ zur Vermeidung von Rechtsanwaltsgebühren, überzeugt daher nicht.

Dass das Fahrrad keine Beschädigungen aufweist, spricht ebenfalls nicht für die Behauptung des Antragstellers, nicht gefahren zu sein. Wenn der Antragsteller beim Sturz mit seinem Kopf auf einen Stein im Grasgelände aufschlägt, muss das Fahrrad dabei nicht zwingend beschädigt werden. Dieser Umstand kann daher weder für noch gegen die Einlassung des Antragstellers angeführt werden. Gleiches gilt im Übrigen für die Schwere der Kopfverletzung des Antragstellers, der bei dem Unfall keinen Helm getragen hat…..“

FE-Entziehung II: Bindungswirkung an Strafurteil, oder: Wenn das Strafgericht (nur) ein Fahrverbot verhängt

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Bei der zweiten „Entziehungsentscheidung“ handelt es sich um den OVG Saarland, Beschl. v. 09.08.2023 – 1 B 75/23 – zur Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils hinsichtlich der Kraftfahreignung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG).

Folgender Sachverhalt: Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 21.11.2022 die Fahrerlaubnis unter Verweis auf § 3 Abs. 1 StVG, §§ 11 Abs. 8 und 46 FeV entzogen (Ziffer 1) und ihn unter Androhung der Ersatzvornahme aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben (Ziffer 2). Der Antragsteller sei mit Urteil des Amtsgerichts S vom 10.09.20091 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (2,31 ‰) verurteilt worden. Die Tat sei verwertbar. Die Tilgungsfrist sei noch nicht abgelaufen (§ 29 Abs. 5 StVG). Zwar sei dem Antragsteller im Dezember 2012 nach „bestandener“ medizinisch-psychologischer Untersuchung2 die Fahrerlaubnis wieder erteilt worden. Jedoch ergebe sich aus dem Urteil des Amtsgerichts V vom 17.06.20213 (Tat vom 08.10.2019), dass er erneut unter Alkoholeinfluss (0,59 ‰) am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe. Das Gericht habe ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und ihm zugleich die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen. Das Urteil sei nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts S vom 17.11.20214 (das den Schuldspruch bestätigt, das amtsgerichtliche Urteil jedoch dahingehend geändert hat, dass anstelle der Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Sperrfrist ein Fahrverbot für drei Monate nach § 44 StGB verhängt wurde) rechtskräftig. Aufgrund dieser wiederholten Auffälligkeiten habe die Fahrerlaubnisbehörde erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers gehegt und ihn daher mit Schreiben vom 10.02.2022 unter Verweis auf § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. b FeV aufgefordert, sich einer medizinisch-psychologischen Fahrtauglichkeitsprüfung zu unterziehen. Da der Antragsteller dieser Aufforderung nach Verlängerung der Vorlagefrist nicht nachgekommen sei, sei der Schluss nach § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Kraftfahreignung angezeigt. Nachdem er zudem mit Urteil vom 09.08.20225 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden sei, weise „sein“ Fahrerlaubnisregister drei verkehrsbezogene Straftaten (und – Stand: 23.09.2022 – fünf Punkte) auf. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Anknüpfungspunkt der Fahrerlaubnisentziehung nicht der Vorfall vom 8.10.2019 sei, sondern die Entscheidung nach § 11 Abs. 8 FeV. Da der Antragsteller als Berufskraftfahrer in größerem Umfang als ein üblicher Fahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehme, bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an einer zeitnahen Durchsetzung der Entscheidung.

Der Atragsteller hat Widerspruch eingelegt und Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Der hatte beim VG keinen Erfolg, beim OVG dann aber doch. Das OVG führt zur „Bindungswirkung“ aus (Achtung: Das OVG arbeitet mit Fußnoten; die sind nur im Volltext enthalten):

„4. Denn zu Recht macht die Beschwerde geltend, dass das Landgericht S die Kraftfahreignung des Antragstellers in dem wegen der Tat vom 8.10.2019 geführten Strafverfahren mit Urteil vom 17.11.2021 geprüft (und bejaht) hat. Die Bindungswirkung dieser strafgerichtlichen Beurteilung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG) schließt es fallbezogen aus, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Vorfall vom 8.10.2019 als Anlass für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Fahreignungsbegutachtung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. b) FeV nimmt.

Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gilt: Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich (unter anderem) auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.

a) Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafgericht (§ 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (§ 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine Rechtfertigung darin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafgericht übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde.

Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat (vgl. § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO). Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat. In diesen Fällen wäre es mit der Ordnungsaufgabe, die der Fahrerlaubnisbehörde im Interesse der Verkehrssicherheit übertragen wurde, nicht zu vereinbaren, ihr die Möglichkeit zu nehmen, Klarheit über die zweifelhaft gebliebene Eignung des verurteilten Kraftfahrers zu schaffen. § 3 Abs. 4 StVG darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass in keinem der beiden Verfahren die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ordnungsgemäß überprüft und beurteilt wird.12

b) Nach diesem Maßstab entfaltet das landgerichtliche Berufungsurteil vom 17.11.2021 entgegen der erstinstanzlichen Einschätzung Bindungswirkung zugunsten der Kraftfahreignung des Antragstellers.

Zwar ist die Tatsache, dass ein Strafgericht anstelle einer in Betracht kommenden Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhängt, regelmäßig nicht schon für sich genommen Ausdruck einer stillschweigenden Prüfung (und Bejahung) der Fahreignung, so dass nicht bereits deswegen eine Bindungswirkung entsteht.13 Es fragt sich aber, ob hier etwas anderes zu gelten hat. Denn wie sich aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils zweifelsfrei ergibt, war Ziel des Berufungsverfahrens – und Schwerpunkt der landgerichtlichen Prüfung – gerade die „Abwehr“ der erstinstanzlich verhängten Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 69 StGB. Vor diesem Hintergrund könnte einiges dafürsprechen, dass (ausnahmsweise) schon die Entscheidungsformel – Änderung der in erster Instanz ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung in eine Entscheidung nach § 44 StGB – Ausdruck einer im Sinne des § 3 Abs. 4 StVG hinreichenden Prüfung der Kraftfahreignung des Antragstellers sein könnte, zumal Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung sich gegenseitig grundsätzlich ausschließen,14 § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis seinem Wortlaut nach zwingend15 vorschreibt, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen – unter anderem die fehlende Kraftfahreignung – gegeben sind16, und eine allzu „kleinteilige“ Betrachtung das Ziel des § 3 Abs. 4 StVG, Doppelprüfungen zu vermeiden, konterkarieren könnte.

Diese Frage kann aber auf sich beruhen. Denn aus der niedergelegten Begründung des Berufungsurteils vom 17.11.2021 wird hinreichend klar, dass das Landgericht die Kraftfahreignung des Antragstellers auf Grundlage der im Strafverfahren getroffenen Feststellungen eigenständig geprüft (und bejaht) hat.

Die Berufungskammer hält auf S. 3 des Urteils zunächst fest, sie habe „im Wesentlichen dieselben Feststellungen [wie das Amtsgericht] getroffen“ und führt auf dieser Grundlage aus, es sei nicht festzustellen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Die Tat, die kein Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 StGB erfülle, sei bereits im Oktober 2019 geschehen, ohne dass es zu einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen wäre. Seither habe der Antragsteller sich in psychologischer Beratung befunden und ohne Auffälligkeiten am Straßenverkehr teilgenommen. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Antragstellers sei, so das Landgericht weiter, anstelle einer Entziehung der Fahrerlaubnis ein Fahrverbot ausreichend.

Damit hat das Strafgericht die gefahrenabwehrrechtliche Dimension des § 69 StGB erkannt und – wenngleich knapp – die Kraftfahreignung des Antragstellers aufgrund der in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beurteilt.

Die Urteilsgründe lassen demgegenüber keinen Raum für die Annahme, das Landgericht habe die Eignungsfrage nicht hinreichend beurteilt oder gar offengelassen. Die Überlegungen, die das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angestellt hat, überzeugen letztlich nicht. Abgesehen davon, dass das Vorliegen einer Eignungsbeurteilung und damit der Eintritt der Bindungswirkung nicht durch das isolierte „Abarbeiten“ einzelner Begründungselemente erfolgen darf, sondern vielmehr nach dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Strafurteils festgestellt werden muss,17 greifen die Erwägungen des Erstgerichts auch in der Sache nicht durch.

Dass der angefochtene Beschluss (weitere) „Ausführungen zur körperlichen und geistigen Verfassung des Antragstellers“ vermisst, überspannt fallbezogen die Anforderungen des § 3 Abs. 4 StGB. Dass das Strafurteil die Feststellung enthält, der Antragsteller leide „psychisch sehr unter dem Vorfall“, ändert nichts an der ausdrücklich positiven Beurteilung der Kraftfahreignung durch die Berufungskammer. Unzutreffend ist es ferner, wenn das Verwaltungsgericht festhält, das Landgericht habe „maßgeblich“ auf das Nichtvorliegen eines Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 StGB abgestellt. Richtig ist vielmehr, dass die Berufungskammer diesen Aspekt als einen unter mehreren in ihre Eignungsbeurteilung hat einfließen lassen. Das dürfte im Übrigen nicht zu beanstanden sein, nachdem Straftaten, die (wie hier) nicht zu den Indiztaten des § 69 Abs. 2 StGB gehören, nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht schon typisierend auf einen „ungeeigneten“ Kraftfahrer deuten, sondern – was das Landgericht geleistet hat – eine Gesamtwürdigung von Tat und der in der Tat hervorgetretenen Täterpersönlichkeit erforderlich machen.18

Der Senat vermag sich ferner nicht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts anzuschließen, der Hinweis im Urteil des Landgerichts vom 17.11.2021 auf eine unauffällige Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr seit der Tat vom 8.10.2019 mache deutlich, dass das Strafgericht gerade keine eigenständige Bewertung der Kraftfahreignung vorgenommen habe. Die als Beleg für diese Ansicht angeführten Entscheidungen19 zeichnen sich dadurch aus, dass die dort auf eine Bindungswirkung zu prüfenden strafgerichtlichen Entscheidungen den Zeitablauf als einziges oder doch zumindest schlagendes Argument für das Absehen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis anführten.20 Eine solche Anwendung des § 69 Abs. 1 StGB wird den Anforderungen an eine im Lichte des § 3 Abs. 4 StVG hinreichende, die Bindungswirkung auslösende, Eignungsbeurteilung sicher nicht gerecht. So liegt der Fall hier aber nicht, nachdem das Landgericht (wie dargelegt) weitere Umstände in seine Beurteilung hat einfließen lassen. Im Übrigen hat das Landgericht mit seinem Hinweis auf eine unterbliebene vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis fallbezogen die Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass die in früheren Stadien des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens dazu berufenen Stellen (vgl. § 162 StPO) offenbar (ebenfalls) zumindest keine „dringenden“ Gründe für die Annahme sahen, dem Antragsteller fehle die Kraftfahreignung (§ 111a Abs. 1 Satz 1 StPO, § 69 StGB).

Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass der Umstand, dass nach dem Wortlaut des Berufungsurteils (bloß) die fehlende Eignung des Antragstellers nicht habe festgestellt werden können, keine andere Einschätzung gebietet. Eine Unterscheidung zwischen positiver Feststellung der Eignung und Verneinung der Ungeeignetheit ist jedenfalls im Entziehungsverfahren rechtlich ohne Belang. Ist die Ungeeignetheit nicht gegeben, muss der Kraftfahrer im Rechtssinn als (weiterhin) geeignet angesehen werden.21 Im Übrigen korrespondiert die Begründung, die das Landgericht für seine Entscheidung gegeben hat, mit dem Prüfauftrag, den § 69 StGB dem Strafgericht aufgibt. Tatbestandliche Voraussetzung für ein Vorgehen nach dieser Vorschrift ist nämlich (unter anderem), dass sich aus der Tat ergibt, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Feststellung der Eignung ist der Norm hingegen fremd.

c) Anders als das Verwaltungsgericht meint, entfällt die Bindungswirkung nicht deswegen, weil der Antragsgegner fallbezogen einen umfassenderen Sachverhalt zu beurteilen hätte. Im Ansatz zu Recht geht das Gericht zwar davon aus, dass eine strafgerichtliche Eignungsbeurteilung die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 4 StVG nicht bindet, wenn die strafrechtliche Untersuchung nur einen Teil des Vorgangs abdeckt, der verwaltungsrechtlich zu beurteilen ist.22 Der Hinweis, das Landgericht habe in Bezug auf die „Alkoholproblematik“ des Antragstellers als Eignungsmangel keine hinreichenden Feststellungen getroffen, geht hier indes fehl. Wie sich aus den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ergibt, die das Landgericht „im Wesentlichen“ gleichlautend getroffen hat, war die Alkoholisierung des Antragstellers am Tattag Gegenstand des Strafverfahrens. Zudem spricht ausweislich des Verweises auf das amtsgerichtliche Urteil nichts dafür, dass das Landgericht die frühere „Alkoholtat“ des Antragstellers – Urteil des Amtsgerichts S vom 10.9.2009 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (2,31 ‰) – unberücksichtigt gelassen hätte.23

Nach alledem ist nach den Entscheidungsgründen des Urteils vom 17.11.2021 davon auszugehen, dass die Berufungskammer in Ansehung all dieser Umstände und als Ausdruck einer hinreichenden eigenen Prüfung die Kraftfahreignung des Antragstellers bejaht hat. Darüber, ob man diese Einschätzung für „richtig“ oder „falsch“ hält, mag man streiten. Für die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG ist das freilich ohne Relevanz.“