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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum, oder: An deiner Spontaneinlassung halten wir dich fest

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Und als zweite Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht stelle ich heute dann hier den VG Aachen, Beschl. v. 20.04.2022 – 3 L 31/22 – vor. Der hat folgende Leitsätze:

  1. Hat der Fahrerlaubnisinhaber unmittelbar nach der Rauschfahrt einen regelmäßigen Cannabiskonsum eingeräumt, so muss er sich jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren gegen die Fahrerlaubnisentziehung daran festhalten lassen.
  2. Der ermittelte Wert von 77 µg/L (= ng/ml) THC im Blutserum reicht bei einer sog. spontanen Blutabnahme nicht aus, um für sich genommen den positiven Nachweis zu führen, dass ein regelmäßiger Cannabiskonsum vorliegt. Daraus darf aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass der gegenüber den Polizeibeamten eingeräumte „nahezu tägliche Konsum“ nicht zutreffen kann.
  3. Offen bleiben kann die höchstrichterlich nicht abschließend geklärte Frage, ob die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zum Kreis der gelegentlichen Cannabiskonsumenten zählt und zusätzlich ein Kraftfahrzeug unter der kombinierten Rauschwirkung von Cannabis und Alkohol geführt hat, vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV.

Damit erschließt sich dem (kundigen) Leser, worum in der Entscheidung gestritten worden ist. 🙂

Entziehung der Fahrerlaubnis I: Arzneimitteleinnahme/ illegaler Anbau, oder: Unmittelbarkeitgrundsatz

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Author H. Zell

Im „Kessel Buntes“ heute dann mal wieder zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem VG Aachen, Beschl. v. 18.08.2020 – 3 L 445/20. Ergangen ist der Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Beantragt war, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung der Verwaltungsbehörde hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustelle. Gestützt war die Entziehung auf  § 3 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Verbindung mit  Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV . Der Fahrerlaubnisinhabe ist wegen regelmäßiger Einnahme von Cannabis im Sinne als ungeeignet angesehen worden. Man ist von täglichem oder nahezu täglichem Cannabis-Konsum ausgegangen. Die Einwände dagegen haben nicht durchgegriffen:

„Ohne Erfolg bleibt der sinngemäß erhobene Einwand, die vorgenannten Vorschriften über die Fahrungeeignetheit seien nicht anwendbar, weil beim Antragsteller eine Dauerbehandlung mit dem Arzneimittel Medizinal-Cannabis (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) vorliege. So ist nach Aktenlage die Annahme gerechtfertigt, dass der Antragsteller neben dem ärztlichen verordneten (legalen) Cannabis über einen längeren Zeitraum regelmäßig zusätzlich (illegales) Cannabis aus eigenem Anbau konsumiert hat.

Am 12. Dezember 2019 entdeckten die Beamten der Kreispolizeibehörde Heinsberg bei der Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses eine kleinere Cannabisplantage unter der Anschrift des Antragstellers. Im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorwurfs des illegalen Anbaus von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) gab der Antragsteller an: Die Pflanzen seien seine Medizin. Er habe Atteste, in denen ihm Cannabis als Schmerzmittel verschrieben werde. Er leide an einem abgebrochenen Wirbelkörper im Nackenbereich und an porösen Knochen sowie an Bandscheibenvorfällen. Ohne den Konsum von Cannabis würde er seit fünf Jahren im Rollstuhl sitzen. Er bekomme „Cannabis Flos Bedrocan 4,8 Gramm“ verschrieben, wie ärztliche Atteste vom 25. November 2019 und vom 7. Oktober 2019 zeigten. Dies sei aber zu wenig. Er brauche etwa „50 Gramm im Monat“. Der Anbau von Cannabispflanzen erfolge zum Eigenbedarf als Medikament.

Zu Recht hat der Antragsgegner diesen von der Polizei mitgeteilten Sachverhalt als fahreignungsausschließenden Cannabiskonsum nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV gewertet. Eine Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) liegt nicht vor. Der Antragsteller hat nach eigenem Bekunden über einen längeren Zeitraum hinweg nicht ausschließlich Medizinal-Cannabis nach ärztlicher Anweisung, sondern darüber hinaus illegales Cannabis konsumiert. Wer aber außerhalb einer medizinisch-indizierten Medikation Cannabis konsumiert, entspricht typischerweise dem Regelfall, für den der Verordnungsgeber nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV eine bindende Bewertung über die (fehlende) Fahreignung getroffen hat, vgl. dazu Satz 1 der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV. Eine Abweichung ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt, vgl. dazu Satz 2 der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV.

Vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – 3 L 1028/18 -, juris Rn. 24 und Beschluss vom 19. Oktober 2017 – 3 L 1246/17 -, juris Rn. 37.

Eine für die Fahreignung des Antragstellers günstigere Beurteilung ergibt sich nicht aus den Eingaben, die er nach der Entdeckung seiner Cannabisplantage am 12. Dezember 2019 gemacht hat.

Der „Widerruf“ mit Schreiben vom 25. Dezember 2019 an die Kreispolizeibehörde Heinsberg, wonach er „sämtliche Aussagen und Unterschriften, die am 12. 12. 19 [Tag der Beschuldigtenvernehmung] unter Druck“ gemacht worden seien, widerrufe, geht jedenfalls im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ins Leere.

Zunächst fehlt schon jedweder Anhalt, dass der vernehmende Polizeibeamte, KHK L. , bei der Beschuldigtenvernehmung am Vorfallstag einen unzulässigen Druck auf den Antragsteller ausgeübt haben könnte. Insbesondere ist der Antragsteller ausweislich des Protokolls über die Beschuldigtenvernehmung vom 12. Dezember 2019 um 12:26 Uhr ordnungsgemäß über seine Rechte als Beschuldigter belehrt worden. Seine pauschale Distanzierung von den Angaben in der Beschuldigtenvernehmung durch das „Widerrufsschreiben“ vom 25. Dezember 2019 vermittelt den Eindruck, dass er es bereue, gegenüber dem Polizeibeamten den Sachverhalt offenbart zu haben.

Ferner kann aus dem vom Antragsteller erklärten „Widerruf“ nicht etwa ein Beweisverwertungsverbot abgeleitet werden mit der Folge, dass die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 12. Dezember 2019 als mittelbares Beweismittel unberücksichtigt bleiben müsste.

Die strengen strafprozessualen Regeln über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. u.a. §§ 250 Satz 2, 254 der Strafprozessordnung – StPO -) sind auf den Prozess vor den Verwaltungsgerichten nicht übertragbar. Insbesondere lässt der für den Verwaltungsprozess in § 96 Abs. 1 VwGO normierte Grundsatz der (lediglich formellen) Unmittelbarkeit der Beweiserhebung es regelmäßig zu, dass das Verwaltungsgericht – wie hier – seine Beweiswürdigung auf den Inhalt der beigezogenen Akten und damit auf ein mittelbares Beweismittel stützt.

Vgl. zum Unterschied zwischen formeller und materieller Unmittelbarkeit ausführlich: OVG NRW, Urteil vom 23. Juli 2009 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 54 ff. (58); für die mit § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO identische Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO: Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (765 f.); Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (431).

Eine analoge Anwendung des § 250 StPO im fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsprozess kommt nicht in Betracht. Diese zentrale Norm der Strafprozessordnung verbietet für den Fall, dass der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, die Vernehmung dieser Person in der Hauptverhandlung durch die Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung zu ersetzen. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift im Verwaltungsprozess verbietet sich schon deshalb, weil der Gesetzgeber ein solches striktes Verbot erkennbar bereichsspezifisch allein für den Strafprozess aufgestellt, aber im Rahmen der (vielfach geänderten) Verwaltungsgerichtsordnung bis heute darauf verzichtet hat, eine vergleichbare Regelung oder eine Verweisung auf Regelungen der Strafprozessordnung zu schaffen. Der letztgenannte Umstand fällt deshalb besonders ins Gewicht, weil die Verwaltungsgerichtsordnung, wie insbesondere § 173 Satz 1 VwGO zeigt, durchaus die Regelungstechnik der Verweisung auf eine andere Prozessordnung – die Zivilprozessordnung – kennt, welcher im Übrigen eine Regelung wie die des § 250 StPO ebenfalls fremd ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Juli 2009 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 64.

Das Schreiben des Antragstellers vom 26. Dezember 2019 an das Landgericht Mönchengladbach rechtfertigt ebenso wenig eine günstigere Beurteilung der Fahreignung. Darin erhebt der Antragsteller Einwände gegen die polizeiliche Durchsuchung vom 12. Dezember 2019 und macht geltend, er sei „nach ärztlicher Anweisung auf 1,5 Gramm Bedrocan Flos 26 %“ eingestellt, und zwar „täglich“. Eine entsprechende ärztliche Verschreibung bzw. Anweisung ist dieser Eingabe nicht beigelegt. Unabhängig davon würde die ärztliche Verschreibung im angegebenen Umfang nichts daran ändern, dass Überwiegendes dafür spricht, dass der Antragsteller jedenfalls in der Vergangenheit Cannabis aus illegalem Anbau konsumiert hat und sich daher nicht darauf berufen kann, er habe Medizinal-Cannabis eingenommen.

Ohne Erfolg weist der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Mai 2020 darauf hin, dass ihm ausweislich einer – in Kopie beigefügten – ärztlichen Verschreibung vom 20. Dezember 2019 Cannabis Flos Bedrocan verschrieben worden sei, und zwar monatlich 45 Gramm bzw. täglich 1,5 Gramm. Dazu ergänzt er: In der Vergangenheit sei die Quantität und Qualität von ihm genau nach ärztlicher Anweisung erfolgt und sei „bis zu dem Raub am 12.12.19“ [Vorfall] mittels Feinwaage exakt eingehalten, danach aufgrund seiner Erfahrung geschätzt worden.

Hier genügt der erneute Hinweis des Gerichts, dass im Sinne des Fahrerlaubnisrechts ein Cannabiskonsum und nicht etwa eine Arzneimitteleinnahme vorliegt, wenn das ärztlich verordnete Cannabis – auch nur teilweise – durch illegalen Eigenanbau beschafft wird.

Zwar enthält illegal angebautes Cannabis denselben Wirkstoff, den das Medizinal-Cannabis aus der Apotheke besitzt. Es unterfällt aber nicht der gesetzlichen Privilegierung betäubungsmittelhaltiger Arzneimittel. Anders als bei der Einnahme des aus der Apotheke bezogenen Medizinal-Cannabis ist bei der Einnahme von illegal angebautem Cannabis keine exakte Kontrolle über die Menge des Konsums und deren Wirkstoffgehalt möglich. Eine gleichbleibende Dosierung kann nicht entsprechend sichergestellt werden. Damit können auch die Auswirkungen des Konsums auf die Fahreignung nicht zuverlässig überprüft werden.

Vgl. dazu: Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2016 – 3 K 3375/15 -, juris Rn. 31.

Des Weiteren steht die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung nicht entgegen.

Danach darf die Fahrerlaubnisbehörde, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Betracht kommt, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Sinn des in § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG angeordneten Vorrangs der Entscheidung der Strafgerichte vor derjenigen der Fahrerlaubnisbehörde ist es, überflüssige und aufwändige Doppelprüfungen zu vermeiden und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen hinsichtlich der Frage der Fahreignung auszuschließen. Der Fahrerlaubnisbehörde fehlt daher in den in Absatz 3 geregelten Fällen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens die Entscheidungsbefugnis. Ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne der Vorschrift „in Betracht kommt“, beurteilt sich danach, ob das Strafverfahren eine Straftat zum Gegenstand hat, die von ihrer Art her eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen vermag, ob es mit anderen Worten in dem Strafverfahren um eine Straftat geht, wie sie § 69 StGB für eine Entziehung der Fahrerlaubnis voraussetzt.

Im vorliegenden Fall kommt für den hier Gegenstand des Strafverfahrens bildenden Sachverhalt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht. Das Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, (illegaler Anbau von Betäubungsmitteln) eingeleitet.

Im Hinblick auf den Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist die gerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB als ausgeschlossen anzusehen. Es handelt sich hierbei zunächst nicht um ein Vergehen, das gemäß § 69 Abs. 2 StGB bereits im Regelfall ohne weitere Gesamtprüfung die Ungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen indiziert und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt.

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach Maßgabe von § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB dürfte ebenfalls ausscheiden. Die Vorschrift setzt für die Anordnung dieser Maßregel der Besserung und Sicherung (vgl. § 61 Nr. 5 StGB) eine rechtwidrige Tat voraus, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen worden ist. Da § 69 StGB den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs bezweckt, erfordert die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs, dass die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, der Täter werde bereit sein, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen. Maßstab ist die Gefährlichkeit des Täters für den öffentlichen Straßenverkehr. Die Ungeeignetheit des Täters kann sich bei Begehung verkehrsunspezifischer Anlasstaten nur dann aus der Tat ergeben, wenn konkrete Umstände der Tatausführung im Zusammenhang mit einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Täter bereit ist, zur Erreichung seiner eigenen Ziele die Sicherheit des Verkehrs zu beeinträchtigen.

Vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 27. April 2005 – GSSt 2/04 -, NJW 2005, 1957.

Dafür bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Vor diesem Hintergrund ist nach Aktenlage nicht davon auszugehen, dass im gegen den Antragsteller noch anhängigen Strafverfahren eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwarten ist.

Die weitere Interessenabwägung fällt ebenfalls zu Ungunsten des Antragstellers aus……“

Entziehung der Fahrerlaubnis: Einmal harte Drogen reicht, oder: Gefahrenabwehr

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Heute im „Kessel Buntes“ – es ist Samstag – zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Zunächst stelle ich den VG Aachen, Beschl. v. 19.05.2020 – 3 L 309/20 – vor. Gegenstand der Entscheidung. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung – also § 80 Abs. 5 VwGO – der Klage gegen eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit der Begründung: Drogenkonsum. Das VG schreibt nichts wesentlich Neues, sondern bestätigt: Einmal harte Drogen konsumiert reicht:

„Rechtliche Grundlage für die darin enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -). Danach ist einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 der FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV ist bei der „Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis)“ die Eignung oder bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben. Diese Bewertung gilt gemäß Nr. 3 Satz 1 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 zur FeV für den Regelfall. Auf die – hier sogar gegebene – Teilnahme am Straßenverkehr oder auf Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr kommt es für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht an. Vielmehr reicht regelmäßig schon der einmalige Konsum einer sog. harten Droge aus, um die Fahreignung zu verneinen. Vgl.  Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Beschluss vom 22. März 2012 – 16 B 231/12 -, juris Rn. 2 f., m. w. N.

Gemessen daran hat sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Er hat die (harte) Droge Cocain konsumiert. Im Rahmen eines Polizeieinsatzes am 25. März 2018 wurde dem Antragsteller eine Blutprobe entnommen. Darin wiesen die Gutachter die Droge Cocain in einer Konzentration von 85 µg/L nach, vgl. dazu das Wissenschaftliche Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln vom 30. April 2018.

Und:

„Der Antragsteller macht mit dem Rechtsschutzvorbringen anwaltlich geltend: Zumindest zum Zeitpunkt der Ordnungsverfügung sei bei ihm keine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen mehr gegeben gewesen. Am Tag des Vorfalls, dem 25. März 2018, habe die Polizei seinen Führerschein beschlagnahmt. Das Führerscheindokument sei dann bis zum Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Erkelenz, also bis zum 10. Oktober 2019 und damit fast 19 Monate  eingezogen gewesen. Auch habe er als gerichtliche Auflage im Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 1. Februar 2020 insgesamt drei Drogenscreenings (THC und Cocain) mit einem negativen Testergebnis vorgelegt, was letztendlich zur endgültigen Einstellung des Verfahrens nach § 47 des Jugendgerichtsgesetzes geführt habe. Ferner habe er in den vergangenen 6 Monaten, also ab dem 10. Oktober 2019 beanstandungslos am Straßenverkehr teilgenommen. Der Vorfall liege über zwei Jahre zurück. Damit lägen aber auch die Hauptumstände, welche bei der Prüfung der Ungeeignetheit heranzuziehen seien, sehr weit zurück. Insofern sei eine etwaige Ungeeignetheit in der Vergangenheit jetzt nicht mehr sicher feststellbar. Für derartige Fälle habe das Bundesverfassungsgericht betont, dass mit zunehmender Dauer das Gewicht der Gründe, die eine Beibehaltung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sprächen, steigen müsse. Das ergebe sich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2005 – 2 BVR 401/05 -. Die Landgerichte Münster und Gera seien dem gefolgt. So habe beispielsweise das Landgericht Münster mit Urteil vom 8. August 2005 entschieden, dass aufgrund einer lange zurückliegenden Tat (18 Monate) und einer 14-monatigen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis keine Ungeeignetheit mehr festzustellen sei.

Diese Einwände greifen nicht durch.

Schon der rechtliche Ausgangspunkt ist nicht richtig gewählt. Die Ausführungen des Antragstellers beziehen sich auf die Frage, welchen Anforderungen ein strafprozessualer Grundrechtseingriff, wie etwa die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, genügen muss, um auch im Einzelfall dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen. Darum geht es vorliegend aber nicht. Die Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrerlaubnis-Verordnung, auf die der Antragsgegner seine Ordnungsverfügung über die Fahrerlaubnisentziehung stützt, haben keinen strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Charakter. Sie dienen im Unterschied zum Strafprozess dazu, Gefahren abzuwehren, die für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer entstehen, wenn ungeeignete Kraftfahrer weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen. Die zur Entscheidung berufenen Fahrerlaubnisbehörden haben, anders als im Strafprozess, dem nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Schutz von Leben und Gesundheit Dritter Rechnung zu tragen.

Der Antragsteller hat seine Fahreignung weder zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung noch zu demjenigen der gerichtlichen Entscheidung wiedererlangt.

So setzt die Wiedererlangung der Kraftfahreignung den durch eine Mehrzahl von aussagekräftigen und unter forensischen Bedingungen gewonnenen Drogenscreenings zu führenden Nachweis voraus, dass der Betroffene über einen hinreichend langen Zeitraum (im Regelfall mindestens ein Jahr) keine harten Drogen mehr konsumiert hat. Zusätzlich bedarf es des Nachweises, dass auf der Grundlage einer tragfähigen Motivation eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist, die eine günstige Prognose für die Zukunft zulässt. Dieser Nachweis kann grundsätzlich nur auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung erbracht werden, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. März 2014 – 16 B 264/14 -, juris Rn. 12 und vom 2. April 2012 – 16 B 356/12 -, juris Rn. 6 ff., an der es hier fehlt.

Ist demnach in der Person des Antragstellers der Entziehungstatbestand des § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV als erfüllt anzusehen, ist die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnisbehörde rechtlich zwingend. Ein Ermessen ist der Fahrerlaubnisbehörde nicht eröffnet…..“

Entziehung der Fahrerlaubnis erst mit 3,0 ng/ml THC im Blutserum?

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Hinweisen möchte ich heute in der Abteilung: „Ein Kessel-Buntes“ zunächst auf zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf das VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15 – und auf den VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15. In beiden Verfahren ist um die Rechtsmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung, die mit Cannabis-Konsum begründet worden ist, gestritten worden. Beide Entscheidungen haben die Entziehung der Fahrerlaubnis – zumindest vorläufig – „abgesegnet“, und dabei zur Frage Stellung genommen, ob eine Erhöhung des Grenzwertes angenommen werden kann/muss, ab dem ein Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot vorliegt. Beide Entscheidungen lehnen das ab.

Dazu der Leitsatz zum VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15

Und die Leitsätze vom VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15:

  • Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis konsumiert und zusätzlich unter Einwirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.
  • Eine Fahrt unter Einwirkung von Cannabis ist im Fahrerlaubnisrecht ebenso wie im Ordnungswidrigkeitenrecht weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum anzunehmen.
  • Der Charakter dieses Grenzwerts als „Risikogrenzwert“ lässt es nicht zu, ihn zu Gunsten des Betroffenen auf 3,0 ng/ml THC im Blutserum anzuheben, wie dies die Grenzwertkommission (Blutalkohol 52, 2015, S. 322) vorgeschlagen hat.

Wir werden zu der Frage dann sicherlich bald was vom OVG Münster hören.

Erkennungsdienstliche Behandlung – auch noch nach Einstellung des Verfahrens?

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Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 81b 2. Alt. StPO sind naturgemäß unbeliebt. Das gilt vor allem dann, wenn eine solche Maßnahme auf der Grundlage eines Ermittlungsverfahrens angeordnet worden ist, dieses dann aber eingestellt wird. So ist es einem Beschuldigten in Aachen geschehen. Gegen ihn ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Betruges (§ 263 StGB). Der Beschuldigte soll eine Anzahlung auf eine zu erbringende Werkleistung erhalten, das Werk dann aber nicht erbracht haben. Der Vertrag wird dann aber später rückabgewickelt, die Anzahlung zurückgezahlt und das Verfahren durch die StA nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Gegen den Beschuldigten, gegen den zuvor bereits in verschiedenen Ermittlungsverfahren strafrechtlich ermittelt worden war, wird dann dessen erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet. Die Maßnahme sollte umfassen die Aufnahme von Zehnfingerabdrücken, die Aufnahme eines mehrteiligen Lichtbildes, die Fertigung einer Ganzaufnahme, die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale und die Aufnahme von Handflächenabdrücken. Und dagegen hat der Beschuldigte geklagt, beim VG Aachen aber keinen Erfolg gehabt. Aus dem VG Aachen, Urt. v. 10.09.2014 – 6 K 2525/13:

„Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die angefochtene Anordnung nicht zu beanstanden.

Sie erging nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt, sondern aus dem konkreten Anlass des gegen den Kläger als Beschuldigten geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Aachen 406 Js 1183/13 wegen des Verdachts des Betruges.

Dass dieses Ermittlungsverfahren später eingestellt worden ist, führt nach den eingangs dargelegten Grundsätzen nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Denn der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft lässt – wie aufgezeigt – die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen regelmäßig unberührt. Vgl. BVerwG, u.a. Urteile vom 23. November 2005 – 6 C 2.05 -, […] Rn. 20, und vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29.79 -, […] Rn. 28.

Anders ist dies nur dann zu beurteilen, wenn die für das Ermittlungsverfahren bestimmenden Verdachtsmomente vollständig ausgeräumt sind. Vorliegend ist im Anlassverfahren hinsichtlich des Tatvorwurfs eines Betruges aber ein Restverdacht geblieben. Bereits nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Aachen in ihrer Einstellungsverfügung vom 19. Dezember 2013 ist der Kläger nach wie vor der Begehung eines Betruges verdächtig gewesen. Die Verfahrenseinstellung ist, gestützt auf § 153 Abs. 1 StPO, damit begründet worden, dass erwartet werden könne, dass der Kläger durch das Ermittlungsverfahren bereits hinreichend beeindruckt und gewarnt worden, der Schaden relativ gering und inzwischen auch wiedergutgemacht sei. Die Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist auch nicht offensichtlich falsch und willkürlich, sondern wird gestützt durch die Aussagen der im Ermittlungsverfahren angehörten Zeugen U. und I. . Insbesondere der Zeuge U. hat ausgesagt, dass sich der Kläger nach Auftragserteilung und Entgegennahme der Anzahlung in Höhe von 300,- € nicht mehr gemeldet habe und für ihn auch nicht mehr erreichbar gewesen sei. Der Einlassung des Klägers, er habe den Auftrag einschließlich der erhaltenen Anzahlung weitergegeben an den Zeugen I. , der seinerseits jedoch die vereinbarte Leistung nicht erbracht habe, steht die Aussage des Zeugen I. entgegen, der dieser Darstellung vehement widersprochen hat. Im Übrigen ist auch nicht plausibel erklärt, warum der Kläger dem Zeugen U. im Zuge der Rückabwicklung des Vertrages die Anzahlung zuzüglich einer Auslagenpauschale in Höhe von 100,– € zurückgezahlt hat. Denn hierzu wäre, seinem Vortrag zufolge, nicht er, sondern der Zeuge I. verpflichtet gewesen, der die Anzahlung auch vereinnahmt haben soll. Angesichts dieser Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten kann keine Rede davon sein, dass im Anlassverfahren kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Straftat verblieben sei.“

Na ja, so ganz überzeugt mich das nicht. Und auch hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit kann ich dem VG nicht so richtig folgen: Bisher alles nur Betrugs- und Urkundsdelikte. Was da die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bringen sollen…? Aber vielleicht bessert das OVG Münster ja nach.