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U-Haft II: Zu langes Festhalten eines Beschuldigten, oder: Grundrechtseingriff ohne Anfangsverdacht

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Und dann die zweite Haftentscheidung. Es handelt sich um den AG Bremen, Beschl. v. 20.02.2025 – Gs 1061/24 (220 Js 60143/24), der in einem bereits eingestellten Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall ergangen ist.

Grundlage war folgender Sachverhalt: Am 26.07.2024 ist es um 23:14 Uhr zunächst am Osterstorsteinweg in Bremen von einer ca. 50-köpfigen in schwarz gekleideter Gruppe, deren Mitglieder vermummt waren, zu einem Angriff mit pyrotechnischen Gegenständen gegen den Polizeiwagen Roland 5118 gekommen. Die Gruppe begab sich sodann fußläufig in Richtung Sielwallkreuzung. Auf der Anfahrt des hinzugezogenen Polizeiwagens Roland 5101 kam diesem auf Höhe des Cafe Piano eine Gruppe von ca. 15 vermummten Personen aus Richtung des Ziegenmarktes entgegen. Einige der Personen trugen Banner in den Händen auf denen der Spruch „Free all Antifas“ zu lesen war. Bei dem Erblicken des Streifenwagens begannen sodann mehrere unbekannte Täter unvermittelt mit Steinen auf den Streifenwagen zu werfen. Einer der Steine traf dabei die Windschutzscheibe des Streifenwagens, die dadurch riss. Die Gruppe der Angreifenden löste sich daraufhin in zwei verschiedene Gruppen auf, die zum einen in Richtung Fehrfeld und zum anderen in Richtung Linienstraße flüchtete. Dies geschah frühestens um 23:15 Uhr.

Um 23:22 Uhr konnte auf einer Überwachungskamera der Aral Tankstelle in der Bismarckstraße eine Personengruppe von zumindest drei bis vier Personen wahrgenommen werden. Darunter befand sich jedenfalls um 23:27 Uhr der ehemals Mitbeschuldigte pp.

Um 23:45 Uhr wurde von der Polizei Bremen im Zuge von Fahndungsmaßnahmen, die nach den beiden Angriffen auf Polizeifahrzeuge eingeleitet worden sind, an der Haltstelle Bismarckstraße/Stader Straße eine Gruppe von zwölf Personen festgestellt werden. Diese zwölf Gruppenmitglieder wurden von der Polizei Bremen als Beschuldigte des besonders schweren Landfriedensbruchs eingestuft und einer Kontrolle unterzogen. Bei ihnen handelte es sich um die ehemals Beschuldigten.

Die Personen wurden durchsucht, vorläufig festgenommen und einer erkennungsdienstlichen Untersuchung unterzogen. Ihre Handys und andere Gegenstände wurden beschlagnahmt.

Der hier ehemals Beschuldigte pp. wurde erst am 27.07.2024 um 08:35 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Am 23.08.2024 verfügte die Staatsanwaltschaft die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen die zwölf Beschuldigten und verfügte die Herausgabe der beschlagnahmten Beweismittel.

Der (ehemalige) Beschuldigte hatte gerichtliche Überprüfung seiner Freiheitsentziehung beantragt. Und er hatte mit seinem Antrag Erfolg:

„Der Antrag entsprechend § 98 Abs. 2 S. 2 StPO ist zulässig und begründet.

Die Vorschrift ist entsprechend auf die nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit bereits durch Vollzug erledigter Eingriffsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen anzuwenden (vgl. Meyer-Goßner/Köhler § 98 Rn. 23 m.w.N.). Bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff bei dem eine gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren wegen der kurzfristigen Zeitspanne der Maßnahme nicht mehr erreicht werden kann, bei anhaltenden Folgen des Eingriffs oder einer greifbaren Wiederholungsgefahr ist ein solcher Antrag zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Köhler a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt vor § 296 Rn. 18a m.w.N.).

Das über einen Zeitraum von mehr als acht Stunden andauernde Festhalten des Beschuldigten stellt einen solchen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Die Speicherung der durch die erkennungsdienstliche Maßnahme erlangten Daten dauert derzeit noch an, so dass auch die gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahme zulässig ist.

Es war hier auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit beider Maßnahmen auszusprechen.

Für eine Festnahme nach den §§ 127 Abs.1 oder Abs. 2 StPO, wie sie die Polizei Bremen zugrunde gelegt hat (vgl. BI. 57 Sonderband Personen) lagen die Voraussetzungen nicht vor. Der ehemals Beschuldigte war weder gemäß § 127 Abs. 1 StPO auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, noch der Flucht verdächtig, noch konnte seine Identität nicht sofort festgestellt werden. Vielmehr wurde der ehemals Beschuldigte erst eine halbe Stunde nach der Tatbegehung und ca. 2,2 km vom Tatort entfernt von der Polizei angetroffen. Seine Identität konnte durch den mitgeführten Reisepass noch am Antreffort geklärt werden.

Auch ein dringender Tatverdacht im Sinne der Voraussetzung eines Haftbefehls nach § 127 Abs. 2 StPO war nicht gegeben. Hier lag noch nicht einmal ein einfacher Anfangsverdacht vor. Zwar hätte der ehemals Beschuldigte zu Fuß vom Tatort zum Antreffort innerhalb einer halben Stunde gelangen können und er hatte auch schwarze Kleidung getragen. Dies allein reicht aber nach Einschätzung des Gerichts nicht aus, um an einem Freitag Abend einen Anfangsverdacht für eine Tatbeteiligung anzunehmen. Dies würde eine Vielzahl von Personen, die sich dunkel kleiden und sich an einer Haltestelle befinden in einen Anfangsverdacht rücken. Zumal der ehemals Beschuldigte sich in Begleitung von Personen befand, die sich wegen ihrer auffälligen farbenfrohen Kleidung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht in der gesuchten Tätergruppe befunden haben können. Andere Verdachtsmomente als die dargestellten Verdachtsmomente ergeben sich aus der Ermittlungsakte nicht.

Wegen des mangelnden Anfangsverdachts war auch die durchgeführte erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Abs. 1 rechtswidrig.“

Zwang III: ED-Behandlung nach Verfahrenseinstellung, oder: Anstelle ED-Behandlung Rückgriff auf Lichtbilder?

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Und dann habe ich als dritte Entscheidung noch den OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.01.2025 – 5 A 906/24 – zur Frage der erkennungsdienstliche Behandlung nach Einstellung des Verfahrens.

Die Polizei hatte die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angeordnet. Seine dagegen erhobene Klage hatte beim VG keinen Erfolg. Zur Begründung hatte das VG  ausgeführt: Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers sei rechtmäßig. Sie erweise sich auch unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr als notwendig. Selbst bei einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO oder bei einem Freispruch sei der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Der vom Beklagten dargelegte Sachverhalt biete genügend Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger könne künftig erneut in den Verdacht der Beteiligung an einer Straftat geraten. Aus den staatsanwaltschaftlichen Akten ergäben sich ausreichende Anhaltspunkte für einen fortbestehenden Tatverdacht. Mit Blick auf die Tathandlung der Anlasstat bestehe ausweislich des Inhalts der Strafakte der Staatsanwaltschaft X. bzw. des Amtsgerichts B. ein Restverdacht. Das Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung sei nicht eingestellt worden, weil festgestanden habe, dass er die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen habe, sondern vielmehr auf der Grundlage des § 153a StPO gegen Auflage. Der als Zeuge vernommene Geschädigte habe ausgesagt, von dem Kläger mit einem Stock geschlagen worden zu sein. Auch bei dem weiteren berücksichtigten Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, welches nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei, sei der Tatverdacht nicht entfallen. In dem zur Verfahrenseinstellung gefertigten Vermerk habe die Staatsanwaltschaft I. festgehalten, der Kläger sei eines Vergehens nach § 224 StGB weiterhin verdächtig. Ob der Kläger im Zusammenhang mit der Tat am 22.04.2019 wegen erheblicher Alkoholisierung als schuldunfähig anzusehen gewesen sei, sei unerheblich, weil eine Schuldfeststellung keine Voraussetzung dafür sei, den Tatvorwurf zum Anlass einer (präventiven) erkennungsdienstlichen Behandlung zu machen. Die erkennungsdienstliche Behandlung lasse als Maßnahme der Gefahrenabwehr die Unschuldsvernutung unberührt. Vor dem Hintergrund dieser Taten offenbare sich die Neigung des Klägers, Konflikte unter Einsatz körperlicher Gewalt lösen zu wollen. Es deute auf ein erhöhtes Aggressionspotential hin, dass er bereit sei, Gegenstände gegen Personen einzusetzen. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei ebenfalls frei von Fehlern. Die konkret angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien für künftige Ermittlungen erforderlich und angemessen.

Dagegen die Berufung des Klägers, die ebenfalls keinen Erfolg hatte:

„Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers bleiben ohne Erfolg. Sie begründen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung, die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers nach § 81b Abs. 1 2. Alt StPO erweise sich als rechtmäßig.

Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellt worden ist, Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten. Maßgeblich sind alle nach kriminalistischer Erfahrung bedeutsamen Umstände des Einzelfalls – insbesondere Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 -, juris, Rn. 22, und vom 23. November 2005 – 6 C 2.05 -, juris, Rn. 22, sowie Beschluss vom 6. Juli 1988 – 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81b StPO Nr. 1; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. August 2024, a. a. O., Rn. 12, vom 20. März 2024, a. a. O., Rn. 13, und vom 20. April 2022 – 5 A 2551/20 -, juris, Rn. 19.

Dabei gebieten der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.

OVG NRW, Beschlüsse vom 23. September 2008 – 5 B 1046/08 -, juris, Rn. 6, und vom 13. Januar 1999 – 5 B 2562/98 -, DVBl 1999, 1228, juris, Rn. 17.

Der von dem Kläger angeführte Zeitablauf, während dem er seit der letzten Tat vom 29. Januar 2021 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, ist nicht geeignet, die Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs – § 224 StGB sieht auf Rechtsfolgenseite nur Freiheitsstrafe vor, bei der auch angeklagten räuberischen Erpressung handelt es sich um ein Verbrechen – sowie der Tatsache, dass der Kläger bereits zum zweiten Mal in einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren einschlägig auffällig geworden ist, kann allein aufgrund des Zeitablaufs nicht von einer günstigen Prognose ausgegangen werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Anlassverfahren gegen den Kläger erst am 22. September 2023 endgültig eingestellt wurde und der Kläger während des noch laufenden Strafverfahrens und der drohenden nicht unerheblichen Verurteilung einen besonderen Anreiz hatte, sich rechtstreu zu verhalten.

Vgl. zum Zeitablauf OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2014 – 5 A 1692/13 -, juris, Rn. 9, und vom 11. September 2020 – 5 E 548/20 -, n. v., S. 4 f. des Beschlussabdrucks; Sächs. OVG, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 3 A 862/16 -, juris, Rn. 12.

Die vorgebrachte „gefestigte Veränderung der Lebensumstände“ des Klägers bzw. den Vortrag, er lebe „in geordneten Verhältnissen“ und habe sich „die Strafverfahren zur Warnung“ „dienen lassen“, substantiiert er nicht. Die Ausführungen des Klägers sind außerdem nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht angenommene Neigung des Klägers zur Konfliktlösung mit Gewalt in Frage zu stellen. Weder die Manifestierung des Verhaltens unter Alkoholeinfluss noch die fehlende Alltäglichkeit der Situationen stehen einer Neigung zur gewaltsamen Konfliktlösung entgegen. Vergleichbares gilt für die Frage, ob die Konflikte vom Kläger ausgingen. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, woran angesichts der Schilderungen der Zeugen in den Strafverfahren Zweifel bestehen, existieren andere Möglichkeiten der Konfliktlösung.

Die pauschale Behauptung des Klägers, er habe in keinem der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren versucht, seine Identität zu verschleiern, steht der Erforderlichkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht entgegen. Der Beklagte führt hierzu zu Recht aus, dass bei den bislang in Rede stehenden Taten stets Personen als Zeugen zur Verfügung gestanden hätten, die den Kläger identifizieren konnten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger zukünftig dem Verdacht einer einschlägigen Tat ausgesetzt ist, der eine Ermittlung und Identifizierung mithilfe der erkennungsdienstlichen Unterlagen erfordert.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2023 – 5 B 1015/23 -, juris, Rn. 25 f. m. w. N.

Der Vorschlag des Klägers, anstelle der Aufnahme von Lichtbildern im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung auf die beim Einwohnermeldeamt vorhandenen Lichtbilder zurückzugreifen, ist aufgrund der damit verbundenen Umständlichkeit und der zeitlichen Verzögerung nicht geeignet, eine effektive und schnelle Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch die Polizei zu gewährleisten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Januar 2015 – 5 E 184/14 -, juris, Rn. 15.

Mit Blick auf seinen Vortrag zu einer als gering anzusehenden Schuld im Rahmen der berücksichtigten Straftaten und der Art der Verfahrenseinstellung setzt sich der Kläger bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise mit den u. a. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützten diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander.

2. Auch die sinngemäß geltend gemachte Verfahrensrüge des Klägers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), mit der er rügt, dass das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, das persönliche Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung anzuordnen, um sich einen eigenen Eindruck vom Kläger zu verschaffen, greift nicht durch. Aus dem Zulassungsvorbringen folgt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs oder den Amtsermittlungsgrundsatz.

Hält ein Kläger sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich, muss er unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder die Anordnung seines persönlichen Erscheinens vor Gericht (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beantragen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1982 – 9 C 1.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 41, juris, Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2021 – 24 ZB 21.30264 -, juris, Rn. 6.

Insofern bedarf es insbesondere der substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen die entsprechenden tatsächlichen Aspekte bzw. Umstände nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten vorgetragen werden können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002 – 1 B 313.01, 1 PKH 40.01 -, Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31, juris, Rn. 7.

Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Februar 2002 a. a. O., Rn. 7, und vom 4. August 1998 – 7 B 127.98 -, juris, Rn. 2.

Zur Darlegung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss der Rechtsmittelführer im Übrigen substantiiert ausführen, zu welchen tatsächlichen Umständen Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche Aufklärungsmaßnahmen sich hierfür hätten eignen können und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat; lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen den genannten Anforderungen nicht.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 – 4 B 25.21 -, juris, Rn. 8, vom 1. Februar 2017- 10 B 24.16 -, juris, Rn. 4; und vom 18. Februar 2015 – 1 B 2.15 -, juris, Rn. 2; Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. März 2024 – 5 A 2099/23 -, juris, Rn. 14, und vom 16. Oktober 2023 – 5 A 2727/21 -, juris, Rn. 33; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 191, m. w. N.

Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der anwaltlich vertretene Kläger keinen Beweisantrag gestellt. Dem Gericht musste sich angesichts des Vorstehenden eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch nicht aufdrängen.“

Kessel

KCanG II: „Kessel Buntes“ vom LG, AG und VG, oder: Funkzellenabfrage, Mietverhältnis, Erkennungsdienst

Kessel

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Und dann im zweiten Posting ein „Kessel Buntes“ zum KCanG, nämlich eine LG-, eine AG und eine VG-Entscheidun. Im Einzelnen:

Der Anordnung steht einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO steht nicht entgegen, dass kein Verdacht einer besonders schweren Straftat im Sinne des § 100g Abs. 2 StPO vorliegt, da eine solche Katalogtat für eine Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 StPO nicht erforderlich ist. (Anschluss an: LG Hamburg, Beschl. v. 06.06.2024 – 621 Qs 32/24; entgegen: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 171/23).

Eine Kündigungsgrund kann auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetz – KCanG – grundsätzlich dann gegeben sein, wenn der Bereich der eigenen Wohnung durch die Auswirkungen des Cannabiskonsum überschritten wird, da insofern dann ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und damit eine erhebliche Störung des Hausfriedens in Betracht kommt (§ 241 Abs. 2, § 535, § 543 Abs. 1, § 549, § 569 Abs. 2, § 573, § 573c, § 574, § 574a BGB unter Beachtung des KCanG).

Zu den Auswirkungen der Neuregelungen des KCanG auf die für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Abs. 1 Alt. StPO erforderliche Gefahrenprognose.

Klima II: Erkennungsdienstliche Behandlung zulässig?, oder: Verwerflichkeit und Wiederholungsgefahr

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Und im zweiten „Klima-Posting“ dann mal etwas Verfahrensrechtliches, und zwar geht es um die eine Klimaaktivisten betreffende erkennungsdienstliche Behandlung. Zu deren Zulässigkeit hat das VG Trier, Urt. v. 07.08.2023 – 8 K 1253/23.TR – Stellung genommen.

Gegen die Klägerin sind in der Vergangenheit wegen der Teilnahme an Versammlungen mehrfach Ermittlungsverfahren geführt worden. Gegen sie wird dann nach einer Blockadeaktion im Juni 2021 wegen des Verdachts der Nötigung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Im Zuge dieser Ermittlungen ist die erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin angeordnet worden (§ 81b Abs. 1 2. Alt StPO) angeordnet und es sind Finger- und Handflächenabdrücke und Lichtbilder gemacht worden. Außerdem hat man äußere körperliche Merkmale genommen sowie Messungen durchgeführt.

Dagegen richtet sich die Klage, die beim VG keinen Erfolg hatte. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf die umfangreiche Begründung des VG-Urteils. Hier stelle ich nur die Ausführungen des VG zur Verwerflichkeit und zur Wiederholungsgefahr ein:

„……

Vor diesem Hintergrund besteht jedenfalls ein hinreichender Tatverdacht wegen der der Klägerin vorgeworfenen Nötigung, was auch durch die Anklageerhebung selbst bestätigt wird (vgl. § 170 Abs. 1 StPO). Das Verhalten der Klägerin ist auch als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 Strafgesetzbuch – StGB – anzusehen. Denn bereits eine gewaltsame, gezielte Blockade von Verkehrsteilnehmern mit dem Zweck mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, kann genügen, um ein Verhalten im Rahmen der Zweck-Mittel-Relation als verwerflich einzustufen – der Inhalt des politischen Ziels, wie etwa der in Art. 20a GG verankerte Klimaschutz, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle (vgl. LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 2023 – [518] 237 Js 518/22 Ns [31/22] –, juris). Im hier vorliegenden Fall kommt erschwerend hinzu, dass das Verhalten der Klägerin jedenfalls deshalb in besonderem Maße als verwerflich zu bewerten ist, weil sie wissentlich ein im Einsatz befindliches Rettungsfahrzeug an der Weiterfahrt gehindert und damit bewusst die Gefährdung von Gesundheit und Leben unbeteiligter Dritter in Kauf genommen hat, um ihre eigenen (politischen) Interessen durchzusetzen.

Das Verhalten der Klägerin ist auch nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG verankerte Versammlungsfreiheit gedeckt. Denn diese schützt zwar die Teilhabe an der Willensbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Die mit der Ausübung des Versammlungsrechts unvermeidbaren nötigenden Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind demnach nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, juris, Rn. 44, 54). Dies war hier jedoch – wie dargestellt – offenkundig nicht der Fall.

Auch handelt es sich bei der Anlasstat nicht um eine einmalige Jugendverfehlung, die als Ausdruck jugendlichen Leichtsinns oder jugendlicher Unreife gewertet werden kann. Straßenblockaden zum Zwecke der Durchsetzung politischer Ziele sind im Allgemeinen nicht typischerweise nur auf Jugendliche beschränkt. Vielmehr werden sie generationsübergreifend von Menschen verschiedener Altersklassen begangen. Unbeschadet dessen hätte – selbst wenn man der Klägerin infolge eines jugendlichen Reiferückstand ein fehlendes Bewusstsein für die Folgen des eigenen Handelns unterstellte – jedenfalls nach Ansprache und Bewusstwerdens eines medizinischen Notfalls ein Umdenken stattfinden müssen, was hier jedoch unterblieb. Vielmehr hat sie sich bewusst dazu entschieden, die Blockadeaktion in Kenntnis dieser Tatsache ohne Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben unbeteiligter Personen fortzusetzen.

Dass es sich hier auch nicht um bloß einmaliges Fehlverhalten handelt, wird im Übrigen auch durch die weiteren in der Vergangenheit gegen sie geführten Ermittlungsverfahren und die damit zutage getretene Persönlichkeitsstruktur der Klägerin bestätigt. Die Klägerin ist in Zusammenhang mit der Teilnahme an Versammlungen seit 2019 immer wieder in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgefallen, wobei jeweils Delikte wie etwa Nötigung (§ 240 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (§ 21 Versammlungsgesetz – VersammlG –, § 25 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersammlG, § 26 VersammlG) im Raum standen. Auch wenn die Klägerin in Bezug auf das Verfahren *** freigesprochen und die übrigen Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, zeigen diese eindrücklich, dass sich die Klägerin bereits in der Vergangenheit stets an der Grenze zur Strafbarkeit bewegte, die sie jedenfalls mit dem ihr im Anlassermittlungsverfahren zur Last gelegten Verhalten überschritt. Damit hat sie ihre Vorgehensweise in Bezug auf die von ihr verfolgten politischen Anliegen über die Jahre verfestigt und in den gewählten Mitteln zunehmend dergestalt radikalisiert, dass sie zu strafbewehrtem Verhalten übergegangen ist.

Die Prognose des Beklagten hinsichtlich der Wiederholungsgefahr erweist sich auch als sachgerecht und vertretbar. Trotz des zunehmenden zeitlichen Abstands – die Anlasstat liegt mittlerweile mehr als zwei Jahre zurück – bestehen im konkreten Fall der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin genügende Anhaltspunkte für die Annahme, sie werde künftig wieder Verdächtige noch aufzuklärender strafbarer Handlungen werden. Insbesondere die aus den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften Trier und D*** *** und *** gewonnenen Erkenntnisse und die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin lassen auf eine drohende Wiederholung schließen.

……“

Divers II: Erkennungsdienstliche Behandlung?, oder: Welche Stärke hat der Anfangsverdacht noch?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich, hat aber Bezüge zum Straf(verfahrens)recht. Der OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2023 – OVG 1 M 21/22 – äußert sich zur Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Abs. 2 Alt. 2 StPO.

Geklagt wird gegen die Anordnung durch die Polizeibehörde. Der Kläger hatte PKH beantragt, die vom VG nicht bewilligt worden ist. Das OVG sieht das anders und bewilligt:

„Zunächst legt das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde, insbesondere dass – wie hier – in Fällen der Einstellung der Anlasstat nach § 170 Abs. 2 StPO Behörden und Gerichte unter Abwägung des Für und Wider sorgfältig begründen müssen, aus welchen Gründen sie dennoch eine erkennungsdienstliche Behandlung für notwendig halten (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 – juris Rn. 21 bis 23).

Das Verwaltungsgericht hat die Notwendigkeit bejaht und sie damit begründet, dass gegen den (minderjährigen) Kläger „in den Jahren 2018 bis 2021 mehrere Ermittlungsverfahren geführt werden mussten. … dass diese Ermittlungsverfahren, darunter insbesondere das den Anlass der Anordnung darstellende Ermittlungsverfahren, wegen Sachbeschädigung an 43 Kraftfahrzeugen, überwiegend auf der Grundlage von § 170 Abs. 2 StPO, eingestellt worden sind und lediglich Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung von Polizeivollzugsbeamten zu einer Anklage vor dem Jugendrichter geführt“ hätten. Die Verfahrenseinstellung beruhe nicht auf der Feststellung, dass der Kläger die Straftaten nicht begangen habe, sondern allein darauf, dass sie dem Kläger nicht hätten nachgewiesen werden können. Dass er zur Begehung derartiger Straftaten bereit sei, zeige sich aber an den Angaben des Herrn pp.. Dieser habe erklärt, der Kläger habe, nachdem er sich durch einen Einbruchsdiebstahl in den Besitz einer Axt gebracht habe, vorgeschlagen, bei einem geparkten Golf die Scheibe „einzuhauen“. Nach Angaben des pp. habe der Kläger ihm gegenüber außerdem erwähnt, in einem BVG-Bus randaliert zu haben. Für die Notwendigkeit spreche schließlich, dass gegen den Kläger nach der Anlasstat ein (ohne Auflagen nach § 154 StPO eingestelltes) Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung eingeleitet worden sei und wegen der Beleidigung eines Polizeivollzugsbeamten Anklage vor dem Jugendrichter erhoben worden sei.

Die Beschwerde moniert zu Recht, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Restverdachts und eine sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ungenügend geprüft habe, denn die bisher und im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife dem Erstgericht vorliegenden Informationen reichen nicht aus, um die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung abschließend zu beurteilen.

Da die Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen einen gewichtigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen und dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellt, darf darin nur „soweit“ eingegriffen werden, wie dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich geboten und verhältnismäßig ist. Bei nicht volljährigen Betroffenen sind auch das jugendliche Alter und die möglichen negativen Wirkungen für die weitere Entwicklung des Jugendlichen oder Kindes besonders zu berücksichtigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Januar 1999 – 5 B 2562/98 – juris Rn. 17 ff.; Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2013 – OVG 1 S 234.13 -, S. 3, n.v.).

Nach diesem Maßstab ist es offen, ob die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers zu Recht angeordnet worden ist. Zwar weist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hin, dass die Einstellung der Anlasstat nicht auf der Feststellung beruhe, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Straftaten nicht begangen habe. Die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung führt insoweit aus, der Beschuldigte habe von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, Tatzeugen und auch sonstige zur Überführung geeignete Beweismittel seien nicht vorhanden, weshalb weitere Nachforschungen keinen Erfolg versprächen. Jedoch fehlt die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht erst dann, wenn der Anfangsverdacht, der Anlass zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegeben hat, vollständig ausgeräumt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18, 6 PKH 10/18 – juris Rn. 11). Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus dem (verbliebenen) Ergebnis des Ermittlungsverfahrens (noch) eine Notwendigkeit zur erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten lässt.

Dies war zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife sowie nach den bisher vorliegenden Unterlagen zweifelhaft. Zwar sprechen der Seriencharakter, die Schadenshöhe und die Zerstörungsweise für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft und erhöhte kriminelle Energie des Täters der Anlasstat. Jedoch gab es in dem Ermittlungsverfahren zu keiner Zeit Erkenntnisse darüber, dass der Kläger derartige Zerstörungshandlungen tatsächlich ausgeführt hat. Vielmehr konnte nur der Umstand ermittelt werden, dass der Kläger, der eine kurz zuvor aus einem Gewächshaus entwendete Axt mitführte, den pp. mit Blick auf einen parkenden Golf IV gefragt haben soll: „ey wollen wir die Scheibe einhauen“? Von dieser Idee lies der Kläger jedoch gleich ab, nachdem der pp. abgelehnt hatte. Die aus einer abgegebenen Erklärung geschlossene bloße „Bereitschaft“ zu einer solchen Zerstörungshandlung, wie sie das Verwaltungsgericht annimmt, genügt insofern nicht.

Der Verdacht der angezeigten 45 Sachbeschädigungen beruht damit im Ergebnis nur auf einer Vermutung, was die Staatsanwaltschaft Potsdam offenbar selbst so beurteilt hat. So wird in der vom Kläger erstinstanzlich eingereichten staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 21. Juli 2020 (vgl. S. 5 der Antragsbegründung vom 2. Dezember 2021) ausgeführt: „Bezüglich der angezeigten Sachbeschädigungen enthält der Bericht vom 08.07.2020 allenfalls Vermutungen, dass der Beschuldigte Täter der angezeigten Taten sein könnte. Die Vermutung wird darauf gestützt, dass er bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist, sich in Tatortnähe aufhielt und am 26.05.2020 gegen 03.45 Uhr mit einer mitgeführten Axt, …, in jenem Gebiet in pp. angetroffen wurde, in dem zuvor Sachbeschädigungen begangen wurden. Konkrete Anhaltspunkte für eine Täterschaft liegen bislang nicht vor.“

Diese staatsanwaltschaftliche Bewertung hat das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose der Erfolgsaussichten der Klage ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass der Beschuldigte am Ende seiner Vernehmung vom 27. Mai 2020 (S. 7) seine Aussage, der Kläger habe vor etwa zwei Jahren in einem BVG-Bus randaliert, korrigierte und stattdessen angab,, pp. sei das damals mit dem Bus gewesen, der Kläger habe den  pp.  bisher nur nicht verraten.

Soweit das Verwaltungsgericht für die Begründung der Notwendigkeit weiter ganz allgemein andere gegen den Kläger in den Jahren 2018 bis 2021 geführte Ermittlungsverfahren ergänzend heranzieht, hat es nicht berücksichtigt, dass hierzu keinerlei konkrete Erkenntnisse vorlagen. Die Existenz dieser Ermittlungsverfahren lässt sich dem Verwaltungsvorgang nur anhand von mehreren formularmäßigen Auskünften aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV) „ZStV Detailansicht – Personenauskunft (Polizeirecht)“ entnehmen (Bl. 35 bis 48 des Verwaltungsvorgangs), die lediglich Stammdaten zur Person, Aktenzeichen der mitteilenden Behörde, Strafnorm und Tattag enthalten sowie ein Stichwort zum jeweiligen Verfahrensausgang (Einstellung nach § 170 Abs. 2 oder § 154 StPO oder Anklage vor dem Jugendrichter). Die Auskünfte belegen, dass von den insgesamt sieben Ermittlungsverfahren fünf nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Ob in diesen Verfahren jeweils überhaupt Anhaltspunkte für einen verbliebenen Restverdacht bestehen, ist anhand der gegenwärtigen Aktenlage nicht zu beurteilen und bedarf ggf. näherer Aufklärung im Klageverfahren.

Lässt sich im Ergebnis bisher kein Restverdacht hinsichtlich der anlassgebenden Sachbeschädigung von 43 Kraftfahrzeugen und der anderen vier nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahren feststellen, bleiben lediglich ein nach der Anlasstat gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung, dass ausweislich der ZStV-Auskunft ohne Auflagen nach § 154 StPO als unwesentliche Nebenstraftat eingestellt wurde, sowie die Beleidigung eines Polizeivollzugsbeamten, die zu einer Anklage vor dem Jugendrichter führte, übrig. Ungeachtet dessen, dass bislang auch hierfür keine Erkenntnisse über den jeweils konkreten Tatverlauf bzw. -vorwurf vorliegen, könnte es sich bei den Delikten möglicherweise um jugendtypische Verfehlungen aus dem Bagatellbereich handeln, hinsichtlich derer, angesichts des gegenüber Minderjährigen geltenden besonderen Verhältnismäßigkeitsmaßstabes, eine erkennungsdienstliche Behandlung außer Verhältnis stünde. Ob dies zutrifft, ist ggf. im Klageverfahren zu klären.“