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Teileinstellung, aber dennoch Strafschärfung – Hinweis in der HV wesentliche Förmlichkeit? Ja oder nein?

In der Praxis nicht selten ist die Konstellation, dass Taten nach § 154a StPO eingestellt werden. So auch in dem der Entscheidung des BGH v. 29.06.2010 – 1 StR 157/10 zugrundeliegenden Verfahren. Es ging um Diebstahl, die zugleich auch verwirklichten Sachbeschädigungen werden nach § 154a StPO eingestellt, dann aber dennoch im Urteil strafschärfend berücksichtigt. Der Angeklagte macht geltend, dass er darauf nach dem HV-Protokoll in der HV nicht hingewiesen worden sei. Der BGH führt zum Nachweis des in der HV erteilten Hinweises aus:

„Die Rüge bliebe aber auch sonst erfolglos. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich zu dem Hinweis nichts, im Urteil heißt es, der Vorsitzende habe den Hinweis erteilt. Die Revision ist im Kern darauf gestützt, ein solcher Hinweis sei als wesentliche Verfahrensförmlichkeit gemäß § 274 StPO nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll beweisbar (so ohne nähere Begründung auch OLG München NJW 2010, 1826, 1827; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 368; Beulke in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 154 Rdn. 59), nicht aber durch die Urteilsgründe (BGH NJW 1976, 977, 978; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 274 Rdn. 3 m.w.N.). Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher (vgl. BGH NStZ 2004, 277, 278 m.w.N.) Hinweis auf die beabsichtigte Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Strafzumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Er betrifft die Tatsachengrundlage des Urteils. Bei einem anderweit erforderlichen Hinweis auf wesentliche Änderungen in tatsächlicher Hinsicht (§ 265 StPO) handelt es sich regelmäßig nicht um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit (vgl. zusammenfassend Stuckenberg in KMR § 265 StPO Rdn. 57, 61 ff. m.w.N.). Für den hier in Rede stehenden, ebenfalls Tatsachen betreffenden Hinweis kann nichts anderes gelten (vgl. Rieß NStZ 1987, 134, 135 <Anm. zu BGH aaO 134>; Schimansky MDR 1986, 283; im Ergebnis ebenso Pelchen JR 1986, 166, 167). Auch wenn die Aufnahme eines solchen Hinweises in das – zur Dokumentation von Verfahrensgeschehen eher als das Urteil geeignete – Hauptverhandlungsprotokoll dennoch zweckmäßig ist (vgl. Schimansky aaO 284), ist dieses also nicht das einzig zulässige Beweismittel. Angesichts der Urteilsgründe ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zweifelhaft, dass der Hinweis hier erteilt wurde.“

Na ja :-). Im Übrigen: Obiter dictum, da die Verfahrensrüge schon unzulässig war, da der Verteidiger widersprüchlichen Sachvortrag geliefert hatte.

Königlich bayerisches Amtsgericht at its best, wirklich?

Und nochmal aus meiner Fundgrube. Es berichtet der Kollege, der auch mit dem befangenen LOStA und der „Sperrberufung“ zu tun hatte. Wenn man den nachfolgenden Prozessbericht liest, weiß man wirklich nicht, ob man lachen oder weinen soll.

„...das Forum soll ja nicht ausschließlich ein Ort sein, den man nur dann aufsucht, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß. Deshalb möchte ich gerne über meine jüngsten Erlebnisse an einem auswärtigen Amtsgericht berichten.
Mdt. wird fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (0,96 o/oo + angebl. Ausfallerscheinungen) vorgeworfen. Tatort, Wohnort des Mdt. und Ergreifungsort befinden sich in der Stadt X. Die Stadt X hat ein eigenes Amtsgericht, welches dem Mdt. über § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzieht.
Die StA Y beantragt einen Strafbefehl, allerdings nicht beim AG X, sondern beim AG Y.
Mdt. lässt durch einen Kollegen Einspruch einlegen. Mdt. wundert sich, weshalb die Sache beim AG Y und nicht beim AG X liegt. Der Kollege meint hierzu, er könne das auch nicht nachvollziehen, aber die Justiz wisse schon, was sie tue.
Ich habe am selben Tag, an dem ich die Sache übernommen habe, per Telefax Verfahrenseinstellung wegen örtlicher Unzuständigkeit beantragt, inkl. Kostenentscheidung. Dies war 5 Tage vor dem HV-Termin, abzüglich Wochenende drei volle Arbeitstage.
Anruf am Montag bei Gericht, ob der Termin abgesetzt wird. Antwort: Nein, weil der Richter nicht da wäre, das sei er Montags nie.
Also am Dienstag 70 km einfache Fahrt zum AG Y. Die HV verläuft wie folgt:
Beginn 9.00 Uhr.
Es erscheint ein gebeugtes Männlein mit einer Gesichts- und Nasenfarbe, die Rückschlüsse auf einen gewissen Alkoholkonsum zulässt.
Vors.: Name? Geburtsdatum? Beruf? Was verdienen Sie?
Vert.: Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen macht der Angekl. jetzt noch keine Angaben.
Vors.: Haben Sie Unterhaltsverpflichtungen?
Vert.: siehe oben. Ich denke, wir brauchen das heute sowieso nicht.
Vors.: Warum nicht?
Vert.: Kennen Sie meinen Schriftsatz nicht? Ich rüge die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts.
Vors.: Sie haben nur geschrieben, dass Sie die Verfahrenseinstellung beantragen.
Vert.: Der Schriftsatz hat drei Seiten.
Vors.: Ach so. Hmmm, ja das war ein Versehen der StA. Und ich habe es übersehen. Frau StA?
StA.: Kann ich den Strafbefehlsantrag noch zurücknehmen?
Vors.: Das weiß ich jetzt nicht.
Vors. schlägt Kommentar auf; StA schlägt Kommentar auf; Vert. tut nichts, da er die Antwort kennt.
Vors.: Ach Frau StA, schauen Sie das doch mal nach. Ich muss mal dringend telefonieren.
9.05 Uhr: Vors. verlässt ohne weiteres Wort den Sitzungssaal.
9:20 Uhr: Vors. kehrt zurück.
Vors.: Frau StA, haben Sie was gefunden?
StA: Ja, im Kommentar bei § … Rn …
Vert.: Es steht direkt im Gesetz. § 411 III 2 mit 303 StPO.
Vors.: Ach so! Frau StA?
StA: Ich nehme den Strafbefehl zurück.
Vors.: Herr Verteidiger, stimmen Sie zu?
Vert.: Nein.
Vors.: Gut, dann ergeht Beschluss: Das Verfahren wird gem. § 206 a StPO eingestellt.
Vert.: Ich hätte zwei Fragen. Warum kein Urteil?
Vors.: Wieso Urteil?
Vert.: Wir sind in der HV, da gilt § 206 a nicht, sondern § 260 III StPO.
Vors.: Wo steht das?
Vert.: Im Gesetz.
Vors.: Ach so!
Vert.: Und im Kommentar bei M-G 16/4.
Vors. (liest nach): Da steht aA Gössel, dem schließe ich mich an. Ihre zweite Frage?
Vert.: Was ist mit der Kostenentscheidung?
Vors.: Gibt es keine.
Vert.: Warum nicht?
Vors.: Das ist nicht vorgesehen.
Vert.: Doch.
Vors.: Wo steht das?
Vert.: Im Gesetz. § 464 StPO.
Vors.: Ich mache trotzdem keine.
Vert.: Ich bitte zu protokollieren, dass ich das Unterbleiben einer Kostenentscheidung rüge.
Vors.: Dafür gibt es keine Grundlage.
Vert.: Darüber wird das nächsthöhere Gericht befinden. Ich bitte um Protokollierung meines Kostenantrags: Kosten des Verfahrens § 467 I StPO. Notwendige Auslagen des Angekl. trägt die Staatskasse, da es sich um einen offensichtlichen Fehler von StA und Gericht handelt, und die örtliche Unzuständigkeit spätestens vor 5 Tagen durch meinen Schriftsatz bekannt ist. Im Übrigen ist es unbillig, den Angeklagten mit den Kosten einer HV zu belasten, wo der Vorsitzende die meiste Zeit abwesend ist, um zu telefonieren.
Vors.: Herr Rechtsanwalt, ich musste ein dringendes dienstliches Telefonat führen. Dafür frage ich nicht nach Ihrer Erlaubnis.
Vert.: Das brauchen Sie auch nicht. Aber der Angekl. muss das nicht bezahlen.
Vors.: Frau StA?
StA.: Ich gebe keine Stellungnahme ab.
Vors.: Dann ist die Sache hier erledigt.
Denkste! Ich habe schriftlich sofortige Beschwerde nach § 464 III StPO eingelegt.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Königlich bayerisches Amtsgericht at its best
.“

Habe ich zu viel versprochen? Ich denke, es geht wohl nicht nur in Bayern so zu. Und selbst auf die Gefahr, dass ich damit Kommentare hervorrufe: Ich bin schon ein wenig fassungslos 🙂

Frage: Wie kann ich mich wehren? Antwort: Grds. gar nicht, oder: Häufig Probleme mit der Nichtanfechtbarkeit der Kostenentscheidung bei der Einstellung

Eine in der Praxis häufiger anzutreffende Konstellation hat der Entscheidung des OLG Oldenburg v. 02.07.2010 – 1 Ws 296/10 zugrunde gelegen.

Ein Verfahren wird nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, dem Angeklagten werden die Kosten der Nebenklägerin auferlegt. Frage: Wie kann er sich wehren? Antwort: Grds. gar nicht, da nach § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbs. StPO die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen nicht zulässig ist, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das ist bei der Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO der Fall.

Also: War es das? Grds. ja, nur hier hatte der Angeklagte Glück. Die nachteilige Kostenentscheidung darf natürlich nur nach Anhörung des Angeklagten ergehen. Anderenfalls ist das Verfahren fehlerhaft. Das OLG Oldenburg löst das jetzt über Nachholung des rechtlichen Gehörs und hat die Sache zurückgegeben. Andere Gerichte haben das nach Beschwerdegrundsätzen gelöst. Im Ergebnis ist es fast gleich, denn im Fall der Beschwerde könnte das Rechtsmittelgericht selbst entscheiden. Und das wäre hier von Vorteil für den Angeklagten gewesen, weil das OLG hier deutliche Worte zu der Kostenentscheidung des LG gefunden hat.

Gebührenrechtlicher Sachverstand, oder: Warum hilft der armen Kanzleiangestellten denn niemand?

Heute mal wieder etwas Gebührenrechtliches. Folgende Anfrage einer Rechtsanwaltsfachangestellten ist bei mir eingetrudelt:

„…in meiner Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte bin auf einen interessanten kostenrechtlichen Sachverhalt gestoßen.

Es handelt sich um ein wieder aufgenommenes Ermittlungsverfahren. Die Wiederaufnahme wurde von der Gegenseite beantragt. Unser Mandant wird einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153a StPO gegen die Zahlung eines Geldbetrages höchstwahrscheinlich zustimmen. Eine Grund- und Verfahrensgebühr wurden jeweils für das erste Ermittlungsverfahren bei der RSV abgerechnet.

Trotz umfangreicher Recherche ist es mir nicht gelungen herauszufinden, ob für das wieder aufgenommene Verfahren erneut Gebühren entstehen.

Problempunkt:

Wir haben keine Beschwerde eingereicht. Gebühren nach VV Nr. 4138 und 4139 RVG entstehen daher nicht.

Ungeachtet dessen würde für die vorgenannten VV Nrn. jeweils eine Gebühr in Höhe der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug entstehen. Ein Verfahren im ersten Rechtszug hat im vorbeschriebenen Fall allerdings nie stattgefunden.

Hm, überlege ich, was schreibe ich ihr und vor allem, wie, damit es zumindest nett klingt. Denn die Anfrage zeugt nicht von so ganz viel gebührenrechtlichem Sachverstand. Ich habe es dann mal so gemacht:

„….da befinden Sie sich aber in einem ganz erheblichen Irrtum. Der Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 4 VV RVG – also die Gebühren Nr. 4136 ff. RVG – gilt/gelten nur für das Wiederaufnahmeverfahren i.e.S. Damit haben Sie es aber doch hier überhaupt nicht zu tun. Es handelt sich hier doch nur um die die Fortsetzung des eigentlichen Verfahrens. Da entstehen grds. keine neuen Gebühren, es sei denn das Verfahren hat mehr als zwei Jahre geruht. Sie können allenfalls eine Erhöhung der VG gegenüber der RSV geltend machen.

Sorry, aber Ihre Sicht ist schon ein wenig eigentümlich.“

Was mich erstaunt ist: Weiß der Chef es denn auch nicht und/oder warum wendet sie sich nicht an ihn. Oder hat er sie auf die Idee gebracht? Das wollen wir doch nicht hoffen 🙂 :-).

Entschädigung für entgangene Nutzungsmöglichkeit eines Computers

Das Szenario ist in der Praxis nicht selten: Durchsuchung, Beschlagnahme eines Computers, Entzug der Nutzungsmöglichkeit über einen längeren Zeitraum, Einstellung des Verfahrens: Dann stellt sich die Frage: Ist die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit nach dem StrEG zu entschädigen (§ 2 StrEG)?

Das LG Stuttgart sagt in seinem Urteil v. 15.05.2009 – 15 O 306/08: Ja. Manchmal helfen solche Entscheidungen ja und führen dazu, dass die Ermittlungsbehörden sich ggf. mal Gedanken über eine frühere Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände machen.