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Verkehrsrecht II: Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis die Regel?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Vor gut drei Wochen ist in der Presse und auch im Internet über das LG Osnabrück, Urt. v. 17.08.2023 – 5 NBs 59/23 – berichtet worden. Thematik der Entscheidung: Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter. Darüber habe ich hier ja auch schon öfters berichtet, und zwar zuletzt über den LG Lüneburg, Beschl. v. 27.06.2023 – 111 Qs 42/23 und das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.05.2023 – 1 Ss 276/22.

Nun also noch/auch das LG Osnabrück. Ich habe mir die Entscheidung besorgt und kann daher heuer über den Volltext berichten. Ich habe gern erst den Volltext, bevor ich hier berichte.

Zur Sache: Das AG hatte nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter die Fahrerlaubnis nicht entzogen. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hatte:

„Auch, wenn E-Scooter nach der Rechtsprechung des BGH wie Autos zu behandeln sind, ist damit gleichwohl der Anwendungsbereich des ausnahmsweisen Absehens von Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB bei Nicht-Vorliegen eines „Regelfalls“ eröffnet. Neben den bereits vom Amtsgericht angeführten Umständen ist in der Berufungsinstanz noch weiter in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte mittlerweile ganz alkoholabstinent lebt und dies für den Zeitraum Februar bis Juli 2023 mit entsprechenden Haarprobenanalysen belegt hat. Überdies hat er auch an zwei verkehrspädagogischen Maßnahmen im Juni und Juli 2023 teilgenommen.“

Man sieht, steht nicht viel drin in der Entscheidung. Es handelt sich ja auch um ein wegen der Rechtskräft abgekürztes Urteil. In der vom LG zu der Entscheidung herausgegebenen Pressemitteilung heißt es noch:

„Eine Ausnahme sah das LG in dem hier zu entscheidenden Fall: Der Mann habe lediglich beabsichtigt, 150 Meter mit dem E-Scooter zu fahren. Zudem bereue er die Tat, er habe sich entschuldigt und an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen. Auch habe er nachgewiesen, dass er die vergangenen Monate keinen Alkohol getrunken habe. Das LG befand damit die vom Amtsgericht in erster Instanz verhängte Geldstrafe in Verbindung mit einem Fahrverbot von fünf Monaten für ausreichend.“

Das sind dann wohl die „vom Amtsgericht angeführten Umstände“, auf die sich das LG auch bezogen hat. Die stehen aber eben nicht in der LG-Entscheidung. Und darum habe ich lieber immer erstmal den Volltext 🙂 .

 

Verkehrsrecht I: Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis ist Regelfall

Bild von Dimitris Vetsikas auf Pixabay

Heute stelle ich Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt, Urt. v. 08.05.2023 – 1 Ss 276/22. Die Pressemitteilung dazu ist ja schon vor einiger Zeit über die Ticker gelaufen. Hier dann jetzt der Volltext zu der Entscheidung.

Dem OLG-Urteil liegt ein amtsgerichtliche Entscheidung zu einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) zugründe. Der Angeklagte war im Frühjahr 2022 nach nach einem Barbesuch mit einem E-Scooter gefahren. Seine Blutalkoholkonzentration lag bei mindestens 1,64 Promille. Das AG hat ihn zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Die Fahrerlaubnis hat es also nicht entzogen. Dagegen die Sprungrevision der StA, die Erfolg hatte:

„Die Begründung, mit der das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und Bestimmung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Schon im Ansatz geht das Amtsgericht abweichend von der gesetzlichen Regelung davon aus, § 69 StGB sehe „für den Regelfall der Verwirklichung einer Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis vor“, um sodann festzustellen, vorliegend handele es sich nicht um einen solchen Regelfall.

Tatsächlich bestimmt das Gesetz aber, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Ein Ermessen des Tatrichters besteht nicht (vgl. BGHSt 5, 168, 176; 6, 183, 185; Fischer StGB 70. Aufl. § 68 Rn. 50; Schäfer/Sander/van Gemmeren Strafzumessung 6. Aufl. Rn. 555). Auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 62 StGB findet nicht statt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 StGB). Die Fahrerlaubnis muss danach entzogen werden, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Dies ist bei der Verwirklichung eines der in § 69 Abs. 2 StGB genannten Tatbestände in der Regel der Fall.

Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründet die Begehung einer Straftat nach § 316 StGB eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis (BGH, Urteil vom 29. April 2021 – 4 StR 522/20).

Von der Entziehung der Fahrerlaubnis kann nur in seltenen Ausnahmen abgewichen werden, so wenn die Tat selbst Ausnahmecharakter hat, wenn die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft gleiche oder ähnliche Taten nicht mehr begehen wird, oder wenn ganz besondere vor oder nach der Tat liegende Umstände objektiver oder subjektiver Art festgestellt sind, die den Eignungsmangel entfallen lassen. Es müssen Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalls deutlich abheben (OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Januar 1997 – 4 Ss 672/96; OLG Koblenz, Urteil vom 1. September 1983 – 1 Ss 252/83).

Die von dem Amtsgericht aufgeführten Gründe tragen die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht. Das Amtsgericht stellt rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte nicht Auto, sondern E-Scooter gefahren ist. Das widerspricht der Wertung des Verordnungsgebers, nach der solche Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge sind (§ 1 eKFV) sind und damit den dafür geltenden allgemeinen Vorschriften unterliegen (Senat, Urteil vom 4. Oktober 2021 – 1 Ss 113/21; KG Berlin, Urteil vom 10. Mai 2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21); BayObLG, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20). Es mag zutreffen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm des § 69 StGB E-Scooter nicht kannte. Der Verordnungsgeber hat aber später in Kenntnis der §§ 69, 69a StGB E-Scooter gleichwohl als Kraftfahrzeuge eingestuft. Demgegenüber sind auf E-Bikes und Pedelecs die Vorschriften über Fahrräder anzuwenden (§ 1 Abs. 3 StVG).

Auch die Argumentation, die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer gefährde andere Menschen nicht in gleichem Maße wie eine mittels Pkw oder Lkw begangene Trunkenheitsfahrt, verfängt nicht. Es erschließt sich schon nicht, wie damit die Regelvermutung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB des widerlegt werden könnte. Im Übrigen können durch den Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers infolge eines Zusammenstoßes mit dem E-Scooter ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursacht werden. Ebenso wenig berücksichtigt das Amtsgericht in diesem Zusammenhang, dass andere, auch stärker motorisierte Verkehrsteilnehmer durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooter-Fahrers zu Ausweichmanövern, abruptem Bremsen oder Ähnlichem veranlasst werden können, was ebenfalls gravierende Folgen haben kann.

Wenn das Amtsgericht in diesem Zusammenhang weiter ausführt, mit der Anwendung des § 69 StGB könnten weitere Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter nicht verhindert werden, setzt es sich in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, wonach die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis soll – anders als das Amtsgericht meint – nicht nur verhindert werden, „dass der Täter weiterhin betrunken sein Kraftfahrzeug fährt“. Vielmehr bezweckt § 69 StGB den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs allgemein. Die hohen Risiken, die der Straßenverkehr infolge seiner Dynamik für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, werden nämlich durch körperlich, geistig, ebenso aber auch durch charakterlich ungeeignete Kraftfahrer verstärkt; dem soll durch den (zumindest zeitigen) Ausschluss des Betreffenden von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr entgegengewirkt werden (BGH [großer Senat für Strafsachen], Beschluss vom 27. April 2005 – GSSt 2/04 -, BGHSt 50, 93).

Durch seine gedankenlose Nutzung eines E-Scooters in erheblich alkoholisiertem Zustand hat der Angeklagte die Katalogtat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr erfüllt und sich damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Ausführungen des Amtsgerichts wonach es sich bei dem Angeklagten „um einen besonnenen, verständigen und reflektierten Menschen [handelt], der eingesehen hat, dass er sich unrecht verhalten hat“, die Tat bereut und der „außer im hiesigen Fall, die Verkehrsregeln respektiert und befolgt“, sind auch in der Gesamtschau mit den sonstigen Tatumständen nicht derart außergewöhnlich, dass damit die Regelvermutung widerlegt ist. Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, es handele sich bei dem Angeklagten nicht um den „üblichen Trunkenheitsfahrer“ mit dem es in einer Vielzahl von Fällen zu tun habe, bleibt unklar, was damit gemeint ist. Diese Ausführungen lassen zudem besorgen, dass das Amtsgericht, wie auch an den genannten anderen Stellen der Urteilsgründe deutlich wird, Trunkenheitsfahren mit E-Scootern hinsichtlich der Anwendung von §§ 69, 69a StGB entgegen der Regelvermutung grundsätzlich anders bewerten will als solche mit anderen Kraftfahrzeugen.

Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter Feststellungen treffen kann, die geeignet sind, die Regelvermutung tragfähig zu widerlegen. Diese dürfen den rechtskräftigen Feststellungen zum Tathergang jedoch nicht widersprechen. Bei der neuen Entscheidung wird zudem die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sowie des Fahrverbots zu berücksichtigen sein.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass das Fahrverbot mit Eingang der Revisionsbegründung vom 28. Oktober 2022 bei dem Amtsgericht am 4. November 2022 infolge der Rechtsmittelbeschränkung rechtskräftig und gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 StGB im selben Zeitpunkt wirksam geworden ist, da der Führerschein des Angeklagten aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits in amtlicher Verwahrung war. Das Amtsgericht hat außerdem in den Entscheidungsgründen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass auf die Verbotsfrist die Zeit der amtlichen Verwahrung infolge der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO angerechnet werden soll, so wie dies in der Regel der Fall ist (§ 51 Abs. 5 StGB; Fischer a.a.O. § 44 Rn. 32). Der Führerschein des Angeklagten gelangte aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juli 2022 am 17. August 2022 zur Akte. Mithin ist die Verbotsfrist zwischenzeitlich abgelaufen.“

Strafzumessung II: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Nichtverkehrsdelikt

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 08.10.2019 – 5 StR 441/19, ist keine Strafzumessungsentscheidung i.e.S., denn es geht nicht um Strafe bzw. Strafhöhe, sondern um eine Maßregel nach den §§ 69 ff. StGB, also Entziehung der Fahrerlaubnis.

Dazu noch einmal der 5. Strafsenat betreffend die Entziehung wegen eines Nichtverkehrsdelikts:

„Das Urteil hält auch insoweit rechtlicher Überprüfung stand, als die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen hat. § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt entsprechend zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Oldenburg VRS 55 [1978], 120) und überwiegender Auffassung im Schrifttum (eingehend LK StGB/Geppert, 12. Aufl., § 69 Rn. 24; ebenso Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl., § 44 Rn. 3; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 69 StGB Rn. 3a; a.M. z. B. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB 30. Aufl., § 69 Rn. 14) nicht voraus, dass die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verübte Tat im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt. Der Gesetzeswortlaut enthält keine diesbezügliche Einschränkung. Der mit der Maßregel verfolgte Zweck, fahrungeeignete Täter von einer Teilnahme als Kraftfahrer am Straßenverkehr auszuschließen, streitet gegen sie. Wie das Landgericht sorgfältig dargelegt hat, lässt eine Tat, mit der der Täter sein fahrendes Kraftfahrzeug gezielt als Mittel zur Begehung einer gefährlichen Körperverletzung oder gar Tötung eingesetzt hat (hier Totschlagsversuch durch Zufahren mit einem Transporter auf die Nebenklägerin im Hof eines Wohnhauses), auf tiefgreifende charakterliche Eignungsmängel schließen, die die Entziehung der Fahrerlaubnis gerade zur Sicherung des Straßenverkehrs gebietet (implizit wohl auch etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, DAR 2012, 389 m. Anm. Geppert; vom 14. Mai 1998 – 4 StR 211/98, NZV 1998, 418). Es könnte nicht überzeugen, die Anordnung der Maßregel von der oftmals durch Zufälligkeiten bedingten Frage abhängig zu machen, ob sich der Täter noch oder schon im öffentlichen Verkehrsraum zur Pervertierung seines Kraftfahrzeugs als Waffe entschließt.“

Versehentlicher Drogenkonsum?, oder: Wir glauben es dir nicht…

entnommen wikimedia.org Author Orlan

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Author Orlan

Auch in Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis, die mit Drogenkonsum des Fahrerlaubnisinhabers begründet werden, wird nicht selten mit der Behauptung „gekämpft“, man habe die Droge versehentlich zu sich genommen. So auch beim VG Neustadt/Weinstraße, das im VG Neustadt, Beschl. v. 22.06.2016 – 1 L 405/16.NW - , dieser Einlassung aber eine Absage erteilt hat.

Der betroffene Fahrerlaubnisinhaber hatte den bei ihm aufgrund der Blutuntersuchung nachgewiesenen Amphetaminwert von 450 ng/ml nicht bestritten. Er hatte jedoch vorgetragen, der Schluss auf seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen (§ 2 StVG) sei unzulässig, da er grundsätzlich kein Amphetamin oder sonstige Betäubungsmittel konsumiere und dies auch zum Tatzeitpunkt nicht getan habe. Vielmehr habe er mit seinem Bruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt, der an Krebs erkrankt gewesen sei und Amphetamin mit Getränken gemischt habe, um so seine Schmerzen zu lindern. Offenbar habe er daher ein Getränk des Bruders konsumiert, welches mit Amphetamin versetzt gewesen sei.

Das VG hat das als Schutzbehauptung angesehen. Es verweist dazu auf den OVG Koblenz, Beschl. v. 08.03. 2016 – 10 A 10021/16.OVG. Danach muss, wenn ein vom Regelfall abweichender, außergewöhnlicher Geschehensablauf von einem drogenauffälligen Fahrerlaubnisinhaber vorgebracht wird, dieser Vortrag von Beginn an detailliert, in sich schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar erfolgen und soweit als möglich nachprüfbar sein. Das war hier schon deshalb nicht der Fall, weil der Vortrag erst im Laufe des Fahrerlaubnisverfahrens gesteigert vorgebracht worden sei. Außerdem habe der Antragsteller bewusst fahrlässig in Bezug auf einen möglichen Drogenkonsum gehandelt, wenn er wusste, dass sein verstorbener Bruder Getränke mit Amphetamin gemischt hatte.

Das kennen wir so oder ähnlich auch aus dem Straf- bzw. Bußgeldverfahren.

„Du behältst die „Fleppe“ nur mit einer MPU…..“, oder: Widerlegung der Regelvermutung

© Africa Studio - Fotolia.com

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So ganz häufig sind ja Entscheidungen der OLG zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69, 69a StGB nicht. Daher berichte ich dann gern über die Entscheidungen, die „am Markt“ sind/veröffentlicht werden. Und das ist hier der OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2015 – 5 RVs 125/15. Das AG hatte den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von noch 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Auf die Berufung hatte das LG dann nur noch eine Geldstrafe verhängt und hat von einer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB)  sowie einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69 a StGB) abgesehen.

Zur Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB hatte es sich auf die Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten gestützt, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig ist und bei der sich der Angeklagte in Behandlung befunden hat. Für den Zeitpunkt der Tatbegehung hat das LG eine BAK in Höhe von mindestens 2,14 Promille bei dem Angeklagten angenommen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Dem OLG passt das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nun gar nicht:

„Allerdings sind an eine Widerlegung der Regelvermutung nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden sind. So ist es hier. Der Angeklagte war bereits durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 25. März 2014 – also gerade einmal 4 ½ Monate vor den im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Straftaten – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (durch Trunkenheit) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem hatte das Amtsgericht Bottrop die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 3 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Fahrerlaubnis war dem Angeklagten hiernach am 25. Juni 2014 wieder erteilt worden. Angesichts der einschlägigen Vorbelastung des Angeklagten und der Tatsache, dass er die hier abgeurteilten Straftaten nur 6 Wochen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangen hat, sind die Anforderungen an eine Widerlegung der Regelvermutung denkbar hoch. In einem solchen Fall kann der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin (Heilpraktikerin), die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedarf es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV; vgl. Fischer, a.a.O., § 69 Rdnr. 36), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält (s. auch OLG Köln, Beschluss vom 01. März 2013 – 1 RVs 36/13 –; LG Oldenburg, ZfSch 2002, 354, 355).

Die Notwendigkeit, ein solches medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, ergibt sich für den vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den Regelungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV zum Ausdruck gebracht worden sind. Dort ist für das Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestimmt, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn – wie im Fall des Angeklagten – wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die vorgenannte Vorschrift auch dem Strafrichter eine Leitlinie bietet, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten ist, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen (so auch OLG Naumburg, ZfSch 2000, 554, 556).“

M.E. wird man angesichts der Gesamtumstände – schneller Rückfall, hohe BAK – gegen die Entscheidung des OLG nichts einwenden können. Das LG hatte wohl wirklich ein wenig vorschnell die Regelvermutung als widerlegt angesehen. Für den Verteidiger ist aus der Entscheidung abzuleiten, dass es sich nicht nur im Hinblick auf die spätere Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren, sondern auch schon im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren „lohnen“ kann, den Mandanten frühzeitig vorzubereiten und die Einholung entsprechender Gutachten zu veranlassen.