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StPO II: Verletztenbegriff im Sinne der Nebenklage, oder: Wenn (noch) kein Strafantrag gestellt ist

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Im zweiten Posting stelle ich hier den KG, Beschl. v. 17.02.2025 – 3 Ws 4/25 – vor. Thematik: Verletztenbegriff im Sinne der Nebenklagevorschriften und prozessuale Tat bei Nebenklagedelikten.

Die Staatsanwaltschafthat gegen den Angeklagten Anklage wegen Mordes erhoben und zum Tatgeschehen im konkreten Anklagesatz u.a. wie folgt ausgeführt:

„… Am Abend des 28. August 2024 hielt sich der Angeschuldigte, der sich zuvor mit einem Messer mit einer Klinge von ca. 10 cm bewaffnet hatte, gegen 20 Uhr erneut vor dem Haus der Geschädigten in der H-straße in B. verborgen und wartete auf die Geschädigte, die kurz darauf das Haus verließ, um zu ihrem Auto zu gehen. Trotz der Vorfälle in den vergangenen Jahren rechnete sie zu diesem Zeitpunkt nicht damit, dass ihr der Angeschuldigte auflauern würde und wurde daher völlig von dem plötzlichen Auftauchen des Angeschuldigten überrascht, wodurch sie in ihrer Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt war. Der Angeschuldigte, der genau diesen Umstand zur Umsetzung seines Tatentschlusses ausnutzen wollte, nachdem es der Geschädigten bei vorangegangenen Begegnungen gelungen war, die Polizei zu verständigen oder sich auf andere Weise zur Wehr zu setzen, ging sofort auf sie los und versetzte ihr Schläge und Tritte, sodass die Geschädigte auf den Boden fiel. Daraufhin setzte er sich auf die Geschädigte und schlug weiterhin auf sie ein, während er sie als „Hure“ und „Schlampe“ beschimpfte und äußerte, dass sie sterben müsse. Der Geschädigten gelang es jedoch kurz, sich aufzurappeln und ein paar Meter in Richtung H-straße zu flüchten, als die Zeugin X und der Zeuge Y versuchten, verbal auf den Angeschuldigten einzuwirken und laut um Hilfe riefen. Der Angeschuldigte holte die Geschädigte jedoch auf Höhe des Müllplatzes wieder ein und versetzte ihr einen weiteren massiven Tritt, wodurch die Geschädigte erneut zu Boden fiel. Der Angeschuldigte stach ihr anschließend in unbedingtem Tötungswillen mit dem Messer drei Mal in die Brust, wobei ein Stich das Herz traf und die rechte Herzkammer verletzte.

Die Zeugin Dr. Z versuchte daraufhin einzugreifen und legte sich mit ihrem Körper schützend über die am Boden liegende, bereits tödlich verletzte Geschädigte. Dem Angeschuldigten gelang es dennoch, der Geschädigten einen weiteren Messerstich in den Oberschenkel und mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf zu versetzen. Anschließend ließ er von der Geschädigten ab und beobachtete daraufhin die Rettungsversuche der Zeugin Dr. Z und der weiteren hinzukommenden Zeugen, denen gegenüber er angab, dass die Geschädigte es nicht verdient hätte, zu leben und dass er so handeln musste, da es um seine Ehre gegangen sei. Trotz unmittelbar eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen durch die Zeugin Dr. Z sowie der Fortführung dieser am offenen Herzen durch die herbeigerufenen Rettungskräfte verstarb die Geschädigte auf Grund des massiven Blutverlustes durch die Eröffnung der rechten Herzkammer.“

Die Anklage wurde unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Zeugin hat ihre Zulassung als Nebenklägerin sowie die Beiordnung eines Rechtsbeistandes beantragt und Schadensersatzansprüche im Ädhäsionswege geltend gemacht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei im Rahmen der Tatausführung durch den Angeklagten ebenfalls erheblich verletzt worden, so habe sie u.a. Abschürfungen, einen Dreifachbruch im linken Kniegelenk und Prellungen erlitten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bd. IV Bl. 207 – 210 d. A. verwiesen.

Das LG hat die und darauf verwiesen, die Beschwerdeführerin sei nicht Verletzte im Sinne der Nebenklagevorschriften, da sie durch die Tat (ihre Begehung unterstellt) nicht unmittelbar verletzt worden sei. Im Übrigen habe sie auch keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft habe aufgrund ihrer zeugenschaftlichen Angaben von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.

Dagegen die Beschwerde, die beim KG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 StPO) und hat in der Sache (überwiegend) Erfolg.

1. Die Beschwerdeführerin ist – nach vorläufiger Würdigung – als verletzte Person einer rechtswidrigen Tat nebenklageberechtigt gemäß §§ 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, 223, 224 StGB. Die Nebenklagebefugnis aus § 395 Abs. 1 StPO besteht schon dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten rechtlich möglich erscheint (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 352; NStZ-RR 2002, 340; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.4.2010 – 1 Ws 54/10 –, juris; LG Hamburg, Beschluss vom 23. April 2018 – 606 Qs 8/18 –, juris; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 396 Rn. 10). In den Fällen des § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO genügt es deshalb, wenn nach dem von der Anklage umfassten Sachverhalt (§§ 155, 264 StPO) die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung materiell-rechtlich in Betracht kommt (BGH NStZ-RR 2008, 352; OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 9. November 1978 – 3 Ws 758/78 –, beck online). Die Nebenklagebefugnis setzt dagegen keinen dringenden oder auch nur hinreichenden Tatverdacht für eine zum Anschluss berechtigende Tat voraus (BGH a.a.O., OLG Brandenburg, a.a.O.; LG Hamburg, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.); sie besteht sogar dann, wenn die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verurteilung gering ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.). Die Nebenklage ist bereits dann zuzulassen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit vorhanden ist, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Beschwerdeführers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird (vgl. LG Hamburg, a.a.O.). Ob diese Möglichkeit gegeben ist, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat in rechtlicher Hinsicht als eine Nebenklagestraftat bewertet hat oder ob die Voraussetzungen eines Nebenklagedelikts im Eröffnungsbeschluss bejaht oder verneint worden sind (LG Hamburg, a. a. O.).

2. Zur Frage, welche Tat im Sinne des § 264 StPO von der Anklage umfasst ist, gilt Folgendes: Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, der gegebenenfalls zur Aufhebung des Urteils führt (BGH, Urteil vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20 –, juris).

Bezugspunkt dieser Prüfung ist die Tat im Sinne von § 264 StPO, also ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und durch das Tatopfer bestimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2020 – 5 StR 435/19 –, juris).
3. In Ansehung der vorstehenden Grundsätze ist die Nebenklage hier zuzulassen. Nach Ansicht des Senats liegt hier ein einheitlicher Sachverhalt und eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO vor. Auf der Grundlage des von der Anklage mitgeteilten Sachverhalts, dem tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie dem weiteren Akteninhalt, insbesondere der vorliegenden Atteste, besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil der Beschwerdeführerin.

Bereits aus dem konkreten Anklagesatz der Anklageschrift ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin versuchte, die Geschädigte während des Angriffs zu schützen, indem sie sich mit ihrem Körper schützend über sie legte. Weiterhin ist der Anklage zu entnehmen, dass dies den Angeklagten nicht davon abgehalten hat, weiterhin mit einem Messer auf die am Boden liegende Geschädigte einzuwirken und ihr „mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf“ zu versetzen. Aus dem Inhalt der Akten ergibt sich zudem, dass die Beschwerdeführerin bereits am Tattag und am Tatort gegenüber dem Zeugen PKA W. angegeben hat, während des Geschehens leicht an den Unterschenkeln verletzt worden zu sein (Bd. I Bl. 12 d. A.). Im Rahmen ihres Zulassungsantrages vom 15. Januar 2025 trägt die Beschwerdeführerin weitere erhebliche Verletzungen vor, die sie aufgrund des Geschehens erlitten hat. Warum sie erstmals im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung unter Beifügung eines ärztlichen Attestes vorträgt, sie habe aufgrund des Vorfalles auch oberflächliche Schnittverletzungen erlitten, bleibt unklar. Fest steht aber, dass eine solche Verletzung – sowie auch die übrigen als typische Abwehrverletzungen bezeichneten Verletzungen – angesichts des offensichtlich sehr dynamischen Geschehens und geschilderten aggressiven Vorgehens des Angeklagten keinesfalls abwegig erscheint. Bereits in ihrer Vernehmung am 30. August 2024 (Bd. I Bl. 145 ff.) schilderte die Beschwerdeführerin, dass der Angeklagte auch weiterhin auf die Beine der Geschädigten eingestochen habe, nachdem sie sich schützend über diese gebeugt habe. Außerdem habe der Angeklagte „überall hingetreten“. Ferner berichtet die Beschwerdeführerin von einer kurzen Rangelei, die sie mit dem Angeklagten gehabt habe. Dass die nunmehr geschilderten Verletzungen, die durch Vorlage von Attesten belegt werden, Ausfluss des Geschehens sein können, liegt somit auf der Hand. Hieran ändert auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin angegeben hat, der Angeklagte habe nicht sie, sondern zielgerichtet die Geschädigte angegriffen, offenkundig nichts. Im Rahmen eines derartigen Geschehensablaufes unter Einsatz eines Messers ist es naheliegend, dass der Angeklagte, der sein Vorhaben weiterhin durchsetzte auch nachdem die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Körper schützend über die Geschädigte gebeugt hatte, billigend in Kauf nahm, auch diese – wenn auch nicht zielgerichtet – zu verletzen. Dabei stellte sich dieses Geschehen zweifelsohne als Teil der angeklagten prozessualen Tat dar.

Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts liegt eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nicht fern. Dass Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht von einer Tat zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen, hat – wie bereits ausgeführt – für die Beurteilung, ob eine nebenklageberechtigte Tat vorliegt, keine Bedeutung. Es ist nach dem in der Anklage dargestellten Sachverhalt und insbesondere den Ausführungen der Beschwerdeführerin möglich, dass der Angeklagte wegen gefährlicher bzw. vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB und mithin einem nebenklagefähigen Delikt nach § 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO verurteilt wird. Dies wäre prozessual über die Erteilung eines Hinweises im Sinne des § 265 StPO auch möglich.

Im Hinblick auf den Einwand eines fehlenden Strafantrages gemäß § 230 StGB gilt, dass ein Verletzter zum Anschluss als Nebenkläger auch berechtigt ist, wenn er keinen Strafantrag gestellt hat, die Tat aber wegen Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses – was nachholbar wäre – verfolgt wird (vgl. Eschelbach in BeckOK StGB, 64. Ed., § 230 Rn. 5). Dass das Eingreifen der Beschwerdeführerin bei dem hier zugrundeliegenden Geschehen nicht bloß in ihrem privaten Interesse stand, sondern in besonderem Maße dem öffentlichen Interesse diente, bedarf keiner weiteren Erörterung.“

StPO I: Begründung der Revision des Nebenklägers, oder: Die allgemeine Sachrüge reicht nicht

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Heute ist dann der erste Arbeitstag des neuen Jahres. Allen noch einmal ein frohes Neues Jahr.

Das Jahr 2024 beginne ich mit dem BGH, Beschl. v. 05.12.2023 – 5 StR 546/23 -, der sich noch einmal 🙂 zu einer Frage äu0ert, die ich hier auch schon einige Male behandelt habe. Leider wird an der Stelle aber immer wieder ein Fehler gemacht. Es geht um die Begründung der Revision des Nebenklägers.

Der BGH hat die Revision des Nebenklägers als unzulässig verworfen. Denn:

„Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Die Begründung seiner Revision muss daher erkennen lassen, dass er mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt, also einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, welche die Berechtigung zum Anschluss an das Verfahren begründet; wird eine derartige Präzisierung bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht vorgenommen, ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2022 – 5 StR 169/22 mwN).

So liegt es hier. Die Nebenklägerin hat lediglich die allgemeine Sachrüge erhoben und nähere Ausführungen vermissen lassen.“

Gesetze I: Was der Gesetzgeber an Neuem plant, oder: Nebenklage/VStGB, V-Leute, digitale Hauptverhandlung

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Der derzeitige BMJ hat sich in der laufenden Legislaturperiode m.E. bisher noch nicht mit Ruhm bekleckert. Von ihm ist bisher wenig gekommen. Aber nun – na ja, die Legislaturperiode hat ja (erst) Halbzeit – ist doch noch das ein oder andere angekündigt worden.

Dazu mache ich dann heute – bezogen auf Straf- und/oder Bußgeldverfahren – folgenden Überblick, und zwar:

Ich weise zunächst hin auf die „Vorschläge zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“. Dazu gibt es diese PM v. 17.07.2023. Von den dort gemachten Vorschlägen interessieren mich die geplanten materiellen Änderungen wenig, sondern mir geht es um die verfahrensrechtlichen Pläne. Und da sieht der Referentenentwurf des BMJ zu einem „Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vor:

  • Stärkung der Opferrechte: Nebenklagebefugnis u.a.

    • Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden.  Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 StPO geändert werden.
    • Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Abs. 1 StPO geändert werden.
    • Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
    • Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen ein gemeinschaftlicher Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin als Beistand mehrerer Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
  • Stren­gere Regeln für den Ein­satz von V-Leuten

    • Außerdem sind, wie z.B. LTO berichtet hat, strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten geplant. Es befindet sich dazu wohl ein Referentenentwurf in der sog. Kabinettsabstimmung. Der sieht wohl vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der StA nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt demnach grundsätzlich nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.Um zu starke persönliche Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten zu verhindern, dürfen V-Leute künftig auch nur noch maximal fünf Jahre lang tätig sein. Der Entwurf richtet sich – so LTO -an den Maßstäben der Rechtsprechung des BGH zu den Fragen.
  • Digitalisierung der Hauptverhandlung

    • Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne zur „Digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“. Denn da gibt es inzwischen einen Regierungsentwurf zu einem „Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG“. Der ist bereits am 07.07.2023 im Bundesrat beraten worden (dortige Drucksache 227/23)
    • Mit der Neuregelung soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den LG und OLG geschaffen und ausgestaltet werden. Die Dokumentation soll durch eine Tonaufzeichnung erfolgen, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird. Zusätzlich ist auch eine Bildaufzeichnung möglich, die von den Ländern durch Rechtsverordnung jederzeit teilweise oder flächendeckend eingeführt werden kann.

Das ist es m.E., es sei denn, dass BMJ hat noch irgendwo etwas in der Pipeline.

StPO III: Anfangsverdacht für Nebenklagebeiordnung?, oder: Rückwirkende Beiordnung bei der Nebenklage

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Und zum Schluss der heutigen Berichterstattung stelle ich dann noch den LG Kiel, Beschl. v.26.01.2022 – 5 Qs 2/22 – vor. Gegenstand des Beschlusses ist die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Nebenkläger, und zwar im Hinblick auf die Frage des Beiordnungsgrundes und auf die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Beiordnung.

Das AG hatte in einem Todesermittlungsverfahren die unter Erklärung des Anschlusses als Nebenklägerin schon für das Ermittlungsverfahren beantragte Beiordnung eines Rechtsanwaltes versagt. Das AG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass ein Anfangsverdacht gegen Beschuldigte nicht bestehe, da aufgrund des Sektionsbefundes die  Todesursache unklar sei und eine Plazentainsuffizienz in Betracht komme. Das LG hat dann auf die Beschwerde beigeordnet:

„Für die Beurteilung der Frage, ob eine Beiordnung im Rahmen einer Nebenklage zu erfolgen hat, gilt der beim Nebenklageanschluss übliche Verdachtsgrad (BeckOK-StPO-Weiner, § 397a, Rn 27). Danach hat eine Beiordnung zu erfolgen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass eine zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Straftat vorliegt (BGH NStZ 2000, 552; NStZ-RR 2008, 352 ). Das Vorliegen eines Anfangsverdachtes ist nicht erforderlich.

Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung war von dem Stand des Verfahrens im Juni 2021 auszugehen. Insoweit liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine rückwirkende Beiordnung eines Rechtsanwaltes unzulässig ist (Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 397a, Rn. 15) vor. Eine solche Ausnahme ist mit der Folge der Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung gegeben, wenn der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bestellung des Beistandes Erforderliche getan hat, der Antrag aber nicht rechtzeitig beschieden worden ist (BVerfG NStZ-RR 1997,69; BGH NStZ-RR 2008,255; OLG Celle NStZ-RR 2012,291). Bei Antragstellung am 4.6.2021 war zugleich der Anschluss als Nebenkläger durch die Beschwerdeführerin erklärt worden. Damit waren alle formellen Erfordernisse für die Stellung des Antrages auf Beiordnung bereits zu diesem Zeitpunkt erfüllt. Die Entscheidung über die Beiordnung des Rechtsanwaltes bereits im Ermittlungsverfahren hätte zeitnah erfolgen müssen.

Bei dieser Sachlage kann das Ergebnis des erst im Oktober 2021 erstatteten Gutachtens der Frau Prof. Dr. pp. der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.

Auch das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung des Fötus war nicht geeignet, die beantragte Beiordnung abzulehnen, denn die Beurteilung der Todesart als „unklar“ ließ die Möglichkeit offen, dass ein zum Anschluss als Nebenkläger geeignetes Verhalten der an der Betreuung der Schwangeren beteiligten Personen vorgelegen haben könnte.

Eine Zulassung der Nebenklage erschien jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt gemäß § 395 Abs. 3 StPO wegen einer in Betracht kommenden fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) zum Nachteil der Beschwerdeführerin möglich.

Zwar wäre wegen des Absterbens der Leibesfrucht eine Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin für die Beschwerdeführerin nach § 395 Abs. 2 Nummer 1 StPO nicht möglich gewesen, weil dies vorausgesetzt hätte, dass ein Kind durch eine rechtswidrige Tat getötet worden wäre. Dies ist hier nicht der Fall gewesen, da das noch ungeborene Kind jedenfalls noch vor Eintritt der Eröffnungswehen im Mutterleib verstorben ist und damit im strafrechtlichen Sinne noch nicht als Mensch im Sinne der Tötungstatbestände galt (BGH Urteil vom 22.4.1983, A z.: 3 StR 25/83; nach juris: Rn. 16). Die Leibesfrucht ist bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich durch § 218 StGB geschützt. Diese Norm entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, als nur vorsätzliche Verhaltensweisen, die zum Abbruch einer Schwangerschaft führen, strafbar sind (Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Aufl., 2022, Vor §§ 211-217, Rn. 8 ). Ein im Hinblick auf das Absterben der Leibesfrucht auch nur bedingt vorsätzliches Verhalten der an der Betreuung der Beschwerdeführerin beteiligten Personen ist nicht erkennbar.

Insoweit konnte allenfalls fahrlässiges Fehlverhalten in Rede stehen, das aufgrund des Ablaufes der Ereignisse am Ende der Schwangerschaft und der Unklarheiten in der Frage, wie es zu dem Absterben gekommen ist, im Juni 2021 durchaus möglich erscheinen konnte.

Wäre dies der Fall gewesen, hätte das Absterben der Leibesfrucht eine fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin begründen können, denn deren Gesundheit wäre hierdurch geschädigt worden. Der abgestorbene Fötus hat bei der Beschwerdeführerin einen pathologischen Zustand verursacht, der eine ärztliche Behandlung erforderlich gemacht hat ( vgl. OLG Koblenz Urteil vom 28.1.1988, Az: 5 U 1261 /85; OLG Oldenburg, Urteil vom 14.5.1991, Az.: 5 U 22/91).

Hätte eine zum damaligen Zeitpunkt möglich erscheinende fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin vorgelegen, wäre ihr wegen der schweren Folgen der Tat nach § 395 Abs. 3 StPO die Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin zu erteilen gewesen.“

Rechtsmittel I: Nochmals die Revision der Nebenklage, oder: Welches Ziel hat die Revision?

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Heute dann drei StPO-Entscheidungen, alle drei stammen aus dem „Rechtsmittelbereich“.

Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 28.06.2022 -3 StR 123/22 – vor. Es geht noch einmal – besser: mal wieder – um die Revision des Nebenklägers. Das LG hatte den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Nebenkläger, die sie auf die Rügen der Verletzung materiellen Rechts gestützt haben. Der BGh hat die Revisionen als unzulässig verworfen.

„Die Rechtsmittel erweisen sich als unzulässig ( § 349 Abs. 1 StPO ). Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird. Die Revision eines Nebenklägers bedarf daher eines Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts und damit ein zulässiges Ziel verfolgt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. April 2020 – 3 StR 606/19 , juris Rn. 3; vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 230/16 , juris Rn. 2; vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 426/12, juris Rn. 2; vom 28. Mai 1990 – 4 StR 221/90 , BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 4 ).

Daran fehlt es hier. Ausweislich der Revisionsanträge und der Begründungen der näher ausgeführten Sachrügen sämtlicher Nebenkläger sollen mit den Rechtsmitteln sowohl die Annahme weiterer Mordmerkmale als auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld erreicht werden. Da das Landgericht das Tötungsdelikt zum Nachteil der Mutter bzw. Schwester der Nebenkläger als Mord beurteilt hat, stellt die erstrebte Feststellung der besonderen Schwere der Schuld nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB lediglich eine andere Rechtsfolge für die Tat dar, die kein zulässiges Anfechtungsziel der Revision eines Nebenklägers sein kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 230/16 , juris Rn. 3; vom 3. Mai 2013 – 1 StR 637/12 , juris Rn. 3; vom 12. Juni 2001 – 5 StR 45/01 , BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 12 ). Dies gilt auch, soweit die Nebenkläger einen erweiterten Schuldumfang durch Annahme weiterer Mordmerkmale erstreben ( BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2018 – 4 StR 387/18 , juris Rn. 2; vom 17. Dezember 2002 – 3 StR 412/02 , juris Rn. 3; vom 12. Juni 2001 – 5 StR 45/01 , BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 12 ).“