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BVV nach Fehler bei der Blutentnahme, aber dennoch verurteilt

Inzwischen liegt die 2. Entscheidung des OLG Oldenburg zum Beweisverwertungsverbot bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 stPO vor (Beschl. v. 1 Ss 183/09), allerdings zunächst mal nur als Pressemitteilung des Gerichts (vgl. PM v. 24. 11. 2009). In der Sache hatte die Revision des Angeklagten zwar keinen Erfolg, weil in der Revisionsbegründung nichts dazu vorgetragen worden war, ob der Angeklagte mit der Blutentnahme einverstanden war. Gleichzeitig stellte der 1. Strafsenat jedoch klar, dass die Polizei den Richtervorbehalt zu beachten hat und vor der Entnahme einer Blutprobe gegen den Willen eines Verdächtigen versuchen muss, den zuständigen Richter zu erreichen. Die Polizei darf von der Einholung eines richterlichen Beschlusses nicht absehen, weil dies in einer innerdienstlichen Weisung allgemein so vorgesehen ist. In einem solchen Fall kann dann das Blutalkoholgutachten nicht als Beweismittel verwertet werden.
Was lernt man daraus:

  1. Die Diskussion um das Beweisverwertungsverbot ist noch lange nicht am Ende:
  2. Es kommt mitentscheidend für den Erfolg des Rechtsmittels auf seine Begründung an. Daran stellen die Gerichte hohe Anforderungen.

OLG Schleswig: Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Blutentnahme

Bei der Frage nach einem Beweisverwertungsverbot, wenn eine Blutentnahme unter Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPo erfolgt ist, geht es anders als bei dem Lied „10 kleine Negerlein“. Dort werden es immer weniger Negerlein, hier werden  es immer mehr „Negerlein“/Stimmen/OLG, die ein Beweisverwertungsverbot annehmen, wenn die Blutentnahme unter Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO erfolgt ist.

So jetzt auch das OLG Schleswig in einem Beschluss Urteil vom 26.10.2009, 1 Ss OWi 92/09 (129/09), den uns der Kollege Strüwe aus Essen freundlicherweise im Forum bei LexisNexis Strafrecht zur Verfügung gestellt hat. Das OLG Schleswig macht aus dem Quartett der OLG, die ein Beweisverwertungsverbot annehmen – Hamm, Celle, Dresden, Oldenburg -, nun ein Quintett. Der entschiedene Sachverhalt ist ein Allerweltsfall. Und das OLG stellt auch nur kurz und trocken fest: 45 Minuten reichen, um eine richterliche Anordnung zu erlangen (das reicht wirklich allemal) und: Wenn die Polizeibeamten das nicht mal versuchen, „weil sie es ja schon immer nicht getan haben“, ist das Willkür und führt zu einem BVV. Alles bezogen auf Sommer 2008.

M.E. richtig. Und: Die Karawane zieht weiter. ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis die Rufe nach der Abschaffung des Richtervorbehalts gehört werden.

Auch OLG Oldenburg: BVV bei Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO)

Der Kollege Koop aus Lingen übersendet mir gerade den Beschluss des OLG Oldenburg vom 12.10.2009 – 2 SsBs 149/09, durch den die Geschichte der Rechtsprechung zu § 81a StPO um eine weitere (richtige) Entscheidung erweitert wird. der Kollege schreibt u.a.:

„Das OLG Oldenburg hat am 12.10.2009 (2 SsBs 149/09) ein Beweisverwertungsverbot bejaht und den Betroffenen freigesprochen. Ihm war eine Fahrt am 30.04.2008 unter Einfluss von THC vorgeworfen worden. Der die Blutprobe anordnende Polizeibeamte hatte gar nicht erst versucht, eine richterliche Genehmigung zu erreichen, und sich darauf berufen, dass ihm von seiner vorgesetzten Dienststelle mitgeteilt worden war, der Präsident des AG Osnabrück am 02.04.2008 habe ‚bekannt gegeben‘, bei der Anordnung von Blutproben bestehe immer Gefahr im Verzug und eine richterliche Anordnung sei nicht mehr erforderlich.

Vorausgegangen war im Ermittlungsverfahren eine Entscheidung des AG Osnabrück (Beschl. v. 01.09.2008 – 248 Gs 576/08 = StRR 2008, 468 = VRR 2008, 475), mit der die Entnahme der Blutprobe als nicht rechtmäßig erachtet wurde. Das Landgericht Osnabrück hatte die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 22.10.2008 (15 Qs 931/08 = StRR 2008, 468 = VRR 2008, 475 = StraFo 2009, 17) zurückgewiesen.

Gleichwohl war der Betroffene durch Urteil des Amtsgericht Lingen (Ems) vom 03.07.2009 (22 Owi (612 Js 52948/08) 292/08) wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gem. §§ 24 StVG, 24a Abs. 2 u. 3 StVO zur Regelbuße und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde übertrug der Bußgeldrichter auf Antrag der Verteidigung mit Beschluss vom 07.10.2009 die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, § 80a Abs. 3 OWiG.
Der Senat hob mit Beschluss vom 12.10.2009 (2 SsBs 149/09) das Urteil des Amtsgerichts auf und sprach den Betroffenen frei; die Generalstaatsanwaltschaft hatte einen Verwerfungsantrag nach § 349 Abs. 2 StPO gestellt. Der Senat nimmt ein Beweisverwertungsverbot an; zwar -sei dem anordnenden Polizeibeamten kein willkürliches Handeln vorzuwerfen. „Es liegt vielmehr ein grober Verstoß seiner Dienstvorgesetzten vor“, der im Ergebnis das Beweisverwertungsverbot begründet. Der Präsident der Polizeidirektion Osnabrück hatte hatte in einer dienstlichen Mitteilung erklärt, bei Trunkenheitsfahrten liege immer Gefahr im Verzug vor. Die OLG-Entscheidung gibt die dienstliche Mitteilung im Wortlaut wieder.

Mit dem Freispruch ist die Sache für den Betroffenen noch nicht ausgestanden. Denn es schließt sich ein weiterer Streit an, nachdem unter Hinweis auf die THC-haltige Blutprobe das zuständige Straßenverkehrsamt dem Betroffenen die Fahrerlaubnis mit Sofortvollzug entzogen hat. Hiergegen wehrt er sich mit der Klage vor dem Verwaltungsgericht. Dies hat inzwischen zu verstehen gegeben, dass ein strafrechtliches Verwertungsverbot „grundsätzlich“ keine direkte Auswirkung auf die Entziehung habe (vgl. VG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2009, Az 6 A 65/08, nicht rkr.- Berufungszulassungsverfahren 12 LA 61/09 OVG Niedersachsen). Bis durch die Entscheidung des OVG bzw. „in einem ggf. nachfolgenden Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht … eine abschließende Klärung der Frage erfolgt ist, inwieweit strafprozessuale Beweisverwertungsverbote auch in Fahrelaubnisentziehungsverfahren gelten“, solle der Betroffene warten und in das Ruhen des Verfahrens einwilligen….“

Na ja, zumindest schon mal ein „Etappensieg“.

Neues zur Blutentnahme: 4 Ss des OLG Hamm gegen den 3 Ss

Der 3. Strafsenat des OLG Hamm hatte in seinem Urteil v. 18.08.2009 – 3 Ss 293/08 – für den LG-Bezirk die Einrichtung eines richterlichen Eildienstes für erforderlich gehalten und aus dem Umstand, dass das JM NRW den über Jahre nicht eingerichtet hatte, ein BVV abgeleitet. In dem Zusammenhang hate der 3. Senat auch auf die hohe Anzahl nächtlicher Blutentnahmen abgestellt. Dazu jetzt die Antwort aus dem eigenen Haus. Der 4. Strafsenat führt in seinem Beschluss vom 10.09.2009 – 4 Ss 316/09 aus:

Ferner ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden der Justiz darin gesehen werden könnte, dass ein richterlicher Eildienst nicht auch für die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr eingerichtet worden ist. Zwar ist der 3. Senat des OLG Hamm für den Bezirk des LG Bielefeld von der Notwendigkeit eines solchen Eildienstes ausgegangen (Urteil vom 18.08.2009 – 3 Ss 293/08). Der Senat teilt diese, im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangenen Entscheidung und die dort angestellten Überlegungen nicht. Jedenfalls können sie nicht auf die Anordnung einer Blutentnahme gem. § 81 a StPO übertragen werden. Dies folgt schon daraus, dass im Gegensatz zu dem im Grundgesetz angeordneten Richtervorbehalt für die Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 Abs. 1 Satz 1 GG, der Vorbehalt des § 81 a StPO ein einfachgesetzlicher ist. Dies ist sowohl bei der Frage, ob aus einer Verletzung des Vorbehaltes ein Beweisverwertungsverbot folgen kann, wertend mit heranzuziehen, als auch schon bei der Vorfrage, ob wegen der Anzahl der Blutentnahmen zur Nachtzeit ein Eildienst zwingend erforderlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wegen der Eilbedürftigkeit ohnehin nur ein telefonischer Antrag und eine entsprechende Entscheidung möglich sind. Eine sachliche richterliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen für die Anordnung gegeben sind, könnte nur sehr eingeschränkt stattfinden. Der Sinn des Richtervorbehalts, dem betroffenen Bürger einen möglichst effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 IV GG zu gewähren, ließe sich auf diesem Wege kaum erreichen. Der mit der Einrichtung eines Eildienstes einhergehende erhebliche personelle Aufwand – bei den knappen Ressourcen der Justiz – stünde damit in keinem Verhältnis zu dem erreichen Erfolg hinsichtlich des Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen. – Der 1., 2. und 5. Senat haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie diese Ansicht teilen.“

An dem Beschluss ist einmal interessant, dass der Senat die Frage in einem „Zusatz“ klärt; das zeigt, was man von der Auffassung des 3. Strafsenats hält. Zudem: Die anderen Senate teilen die Ansicht; der 3. Senat steht also allein. Und: M.E. passt die Argumentation nicht ganz: Bei der Frage, ob ein nächtlicher richterlicher Eildienst eingerichtet werden muss oder nicht, spielt die Anzahl der nächtlichen Blutentnahmen m.E. schon eine Rolle. Das kann/darf man m.E. nicht isoliert für Durchsuchungen bzw. für jede Zwangsmaßnahme einzeln sehen. Erst im Hinblick auf ein BVV kann man dann m.E. dann anders argumentieren. Letztlich kann man aus dem Beschluss nur den Schluss ziehen: Entscheiden wird die Fragen wahrscheinlich erst Karlsruhe oder der Gesetzgeber, wenn er den Rufen zur Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a StPO folgt. Mal sehen, was die neue Regierung daraus macht.

Ohne Akte tue ich nichts – Richter arbeitet nicht ohne Akte

Da gibt es mal wieder eine Entscheidung, die sich mit der Frage des Richtervorbehalts bei § 81a StPO auseinandersetzt: LG Limburg, Beschl. v. 04.08.2009, 2 Qs 30/09. An sich nichts Besonderes. Denn man wird in der Tat trefflich darum streiten können, ob in Limburg ein nächtlicher richterlicher Eildienst erforderlich ist (vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 18. 8. 2009, 3 Ss 293/08 für Bielefeld). „Interessanter“ finde ich dann schon die Ausführungen des LG zur Frage: Brauche ich eine Akte?. Dazu heißt es:

„Hinzu kommt, dass die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51, 285 ) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen – Beschl.v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschl.v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris). Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal.

Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.“

Na ja, das kann man auch anders sehen. Und: Wird mit einer vorab abgegebenen Erklärung, nicht auf „mündlichen Zurif“ tätig werden zu wollen, nicht vorab für jeden Fall nächtlichen Tätigwerdens „Gefahr im Verzug“ en bloc bejaht. Das BVerfG verlangt aber eine Einzelentscheidung und eine eigenverantwortliche Prüfung des Einzelfalls. So brauchen die Polizeibeamten doch gar nicht erst zu versuchen, einen Richter zu erreichen. Oder?