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Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse

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Und in die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona, zwei – von mir so genannte „Abarbeitungsentscheidungen“, die also Fragen betreffen, die während der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23 – zur Vorlage eines gefälschten Impfpasses. Es geht um die Verurteilung eines Mitglieds der AFD. Das hatte im  November 2021 an einer Sitzung des Ältestenrates des Gütersloher Kreistages teilgenommen, wobei er ein verhindertes Mitglied dieses Gremiums vertrat. Bei der Überprüfung der Einhaltung der seinerzeit infolge der Coronaviruspandemie geltenden 3-G-Regelung legte er der Protokollführerin einen gefälschten Impfausweis vor, in dem zwei tatsächlich nicht erfolgte Impfungen eingetragen waren. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurde dieser Impfausweis bei ihm sichergestellt. Nach Bekanntwerden des Vorfalls in der Öffentlichkeit trat der Angeklagte von allen politischen Ämtern zurück und trat aus der Partei AfD aus.

Das Verhalten des Angeklagten hat das LG als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 279 StGB gewertet und den Angeklagten entsprechend verurteilt. Das hat das OLG Hamm bestätigt:

„In sachlichrechtlicher Hinsicht erfüllt dieses Tatgeschehen den Tatbestand des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 279 StGB in der bis zum bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (§ 279 StGB a. F.).

a) Bei dem Impfausweis, den der Angeklagte der Zeugin H. vorlegte, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis (RGSt 24, 284, 285f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 -, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris; Erb, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 277, Rn. 2). Dieses Gesundheitszeugnis war auch unrichtig, denn entgegen den darin enthaltenen Angaben war der Verurteilte nicht gegen das Coronavirus geimpft.

b) Indem der Angeklagte den Impfausweis zur Überprüfung seines Impfstatus vorlegte, gebrauchte er diesen. Entgegen der Auffassung der Revision handelte er dabei in der Absicht, eine Behörde im Sinne von § 279 StGB a. F. zu täuschen.

aa) Allgemein wird unter dem Merkmal „Behörde“ in Anlehnung an das Reichsgericht (RGSt 18, 246, 249f.) „eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ verstanden, „die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein“ (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvF 1/58 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 1963 – 6 StE 1/63 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 1993 – 4St RR 37/93 -, juris; Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2020, § 11, Rn. 93; Radtke, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 11, Rn. 150; Hecker, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 11, Rn. 55). Auch die Revision beruft sich auf diese Definition.

Als die Zeugin H. den Impfausweis des Angeklagten kontrollierte, war sie für eine Behörde im vorgenannten Sinne tätig. Mit der Kontrolle nahm sie im Auftrag des Landrats dessen Befugnisse gem. § 36 Kreisordnung NRW (KrO NRW) wahr. Die Vorschrift überträgt dem Landrat öffentliche Gewalt zur Ausübung der Sitzungspolizei bei den Sitzungen des Kreistags, zu dem gem. § 4 der Geschäftsordnung des Kreistags des Kreises E. auch der Ältestenrat gehört. Gem. § 36 KrO NRW leitet der Landrat die Verhandlungen des Kreistags, eröffnet und schließt die Sitzungen, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus. Dazu zählte auch die Überwachung der Zugangsbeschränkungen gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Coronaschutzverordnung NRW in der ab dem 8. Oktober 2021 gültigen Fassung (CoronaSchVO NRW) sowie die Kontrolle von Impfnachweisen gem. § 4 Abs. 5 CoronaSchVO NRW. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben wirkt der Landrat selbständig auf die Erreichung von Staatszwecken hin. Denn gem. § 2 Abs. 1 KrO NRW sind die Kreise, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben handeln die Kreise u. a. durch den Kreistag, dessen Kompetenzen in § 26 KrO NRW geregelt sind. Die Sitzungspolizei des Landrats sichert die Handlungsfähigkeit des Kreistags und dient damit der Staatsverwaltung (so bereits OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Mai 1964 – 1 Ss 257/64 -, NJW 1964, 1682, für Stadtverordnetenvorsteher nach hessischem Kommunalrecht).

bb) Auf die von der Revision vorgenommene funktionale Differenzierung zwischen der Rolle des Landrats als Hauptverwaltungsbeamter des Kreises einerseits und Vorsitzendem des Kreistags (§ 25 Abs. 2 KrO NRW) andererseits kommt es somit schon im Hinblick auf die eindeutigen Aufgabenzuweisungen in §§ 26, 36 KrO nicht an. Auch der Einwand der Verteidigung, die hier in Rede stehende Tätigkeit des Landrats entfalte keine Außenwirkung, spielt für den strafrechtlichen Behördenbegriff keine Rolle.

Schließlich erfordert auch der Schutzzweck von § 279 StGB a. F. kein anderes Verständnis des Merkmals. Denn die Regelung dient dem Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Urkunden; ein Grund, den Landrat als Vorsitzenden des Kreistags und Inhaber der Sitzungspolizei von diesem Schutz auszunehmen, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1963 – 2 StR 81/63 -, juris).

Für dieses Ergebnis spricht, dass es sich hierbei um die für den Täter günstigste Auslegung der Strafgesetze handelt (vgl. Peglau, NJW 1996, 1193): Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zugleich den Tatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB in Gestalt des Gebrauchens einer unechten Urkunde. Während § 267 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ermöglicht, sieht § 279 StGB a. F. als Strafmaß nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden in Abrede stellen, dass der Angeklagte zur Täuschung einer Behörde gehandelt hat, wäre der Angeklagte nach der schärferen Regelung des § 267 StGB zu bestrafen. Denn entgegen der Auffassung von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung entfaltet § 279 StGB a. F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht vollständig erfüllt ist (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, Pressemitteilung Nr. 161/2022 vom 10 November 2022; OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamburg, a. a. O.).

c) Am Vorsatz und der Täuschungsabsicht des Angeklagten bestehen nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine Zweifel. Da dem Angeklagten die äußeren Umstände des Tatgeschehens bekannt waren, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 1 Satz 1 StGB nicht in Betracht. Gleiches gilt für einen Verbotsirrtum gem. § 17 Satz 1 StGB. Es liegt fern, dass der Angeklagte sich irrtümlich für befugt hielt, mit einem falschen Impfausweises über seinen Impfstatus zu täuschen.“

Achtung: Die Entscheidung betrifft „altes Recht“.

Wegen anderer vom OLG behandelter Fragen, komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.

Corona I: Vorlage eines gefälschten Impfausweises, oder: Strafbarkeit nach altem Recht

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Vor einigen Wochen ist viel über den LG Osnabrück, Beschl. v. 26.10.2021 – 3 Qs 38/215 – geschrieben worden. In der Entscheidung ging es um die Frage, ob das Vorlegen eines gefälschten Impfausweis bei der Apotheke, um das digitale Impfzertifikat erstellen zu lassen, strafbar ist. Wohlgemerkt: Nach altem Recht. Das LG Osnbarück hat das verneint, die Entscheidung ist bislang, wenn ich das sehe, nicht veröffentlicht.

Ich kann hier heute aber dann eine andere Entscheidung zu der Problematik vorstellene, die mit der Kollege Schulze aus Bielefeld geschickt hat, und zwar den LG Paderborhn, Beschl. v. 01.12.2021 – 5 Qs 33/21.

In dem Verfahren wird dem Beschuldigte zur Last gelegt – ich zitiere aus dem Beschluss -,

Impfausweise gefälscht und verkauft zu haben, indem er gelbe Blankett-Impfausweise im Internet bestellte, sich Aufkleber von Covid-19-Impfstoffen beschaffte, diese an die vorgesehene Stelle in den Impfpässen einklebte, jeweils handschriftlich ein erdachtes Datum für eine Erst- und Zweitimpfung eintrug, in der Spalte „Unterschrift und Stempel des Arztes“ einen Stempel des Impfzentrums des Schwalm-Eder-Kreises anbrachte und darauf eine unleserliche Unterschrift anbrachte, um den Anschein einer ordnungsgemäßen. Erst- und Zweitimpfung gegen COVID-19 zu erwecken. Einen der auf diese Art und Weise hergestellten Impfausweise nutzte der Beschuldigte für sich. Nachdem er auf der Vorderseite seine Personaldaten eingetragen hatte, legte er den Impfausweis etwa gegen Ende August oder Anfang September des Jahres 2021 in einer Apotheke vor, um dem dort tätigen Personal wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass er eine Erst- und Zweitimpfung gegen COVID-19 erhalten hätte, und um das Personal täuschungsbedingt dazu zu veranlassen, die entsprechenden Informationen an das Robert-Koch-Institut weiterzugeben. Wie von dem Beschuldigten beabsichtigt, wurde ihm von dort aus ein digitales COVID-19-Impfzertifikat bereitgestellt, welches er ab etwa Anfang September 2021 regelmäßig vor dem Betreten des Richard-Weizsäcker-Berufskollegs vorzeigte, um den anderenfalls erforderlichen Schnelltest zu umgehen. Dem Beschuldigten wird zudem vorgeworfen, weitere 40 bis 50 der auf diese Art und Weise hergestellten Impfausweise zu einem Stückpreis zwischen 100 Euro und 230 Euro an Dritte weiterverkauft zu haben, wobei die Eintragung der Personalien auf der Vorderseite jeweils durch die Käufer erfolgte.“

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG die Durchsuchung bei dem Beschuldigten mit dem Zweck angeorndet, Beweismittel in Form von gefälschten gelben Impfausweisen, Stempeln und Aufklebern, Impfzertifikaten, Mobiltelefonen und Computern sowie Datenträgern aufzufinden. Es ist dann durchsucht worden und man hat verschiedene dem Gegenstände, die dem Beschuldigten und/oder Angehörigen zugeordnet worden sind, beschlagnahmt.

Dagegen dann die Beschwerde, die beim LG Paderborn Erfolg hatte. Das LG hat die Beschlagnahme aufgehoben. Es hat einen Anfangvserdacht verneint und hat das umfassend begründet.

Da sich inzwischen ja die Rechtslage durch das „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 22.11.2021 (BGBl. I S. 4906), in Kraft getreten am 24.11.2021, geändert hat, habe ich hier nur den Sachverhalt und (meinen) Leitsatz zu der Entscheidung eingestellt. Der lauet:

„Impfausweise sind zwar grundsätzlich als „Gesundheitszeugnisse“ im Sinne des § 277 StGB a.F. anzusehen, eine Strafbarkeit scheidet nach altem Recht aber aus, soweit diese lediglich zur Vorlage in Apotheken verkauft werden, um entsprechende digitale Impfzertifikate zu erlangen.“

Den Rest der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen.

Vorlage unerledigt vom BGH zurück, oder: Thema verfehlt, setzen…..

entnommen openclipart.org

Und die dritte Entscheidung kommt heute dann vom BGH. Es ist der BGH, Beschl. v. 09.10.2018 – 4 StR 652/17. Sie hat zumindest verkehrsrechtlichen Einschlag und ihren Ausgang auch in Bayern. Das OLG München hatte nämlich dem BGH ein Verfahren zur Entscheidung folgender Vorlegungsfrage vorgelegt, nämlich „ob (1) das Tatbestandsmerkmal des Rausches nach § 323a StGB erfordert, dass zumindest die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher vorliegen, und (2) eine Wahlfeststellung zwischen den Straftatbeständen des § 316 StGB und des § 323a StGB möglich ist.“

In dem Verfahren wird dem Angeklagten zur Last gelegt, „zwischen dem 10. Januar 2015, 0:00 Uhr bis 11. Januar 2015, 9:00 Uhr“ auf der A.-Straße in M. einen Pkw geführt zu haben, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntüchtig gewesen sei. Das Amtsgericht München hat daher gegen ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr einen Strafbefehl erlassen. Auf den Einspruch des Angeklagten hat ihn das Amtsgericht München mit Urteil vom 3. September 2015 aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Zwar habe der Angeklagte, so das Amtsgericht, „zwischen dem 10. Januar 2015 abends und dem 11. Januar 2015, 9:00 Uhr“ mit einem Pkw trotz vorangegangenen Alkoholkonsums die A.-Straße in M. befahren. Es habe aber nicht sicher festgestellt werden können, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert oder aufgehoben gewesen sei. Eine Wahlfeststellung zwischen den Straftatbeständen nach § 316 StGB und § 323a StGB komme nicht in Betracht.

Das LG München I hat dann die  gegen den Freispruch des Angeklagten gerichtete Berufung der StA verworfen und zur Begründung ausgeführt, es habe schon nicht festgestellt werden können, dass der Angeklagte überhaupt ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Seine insoweit selbstbelastenden Angaben aus Anlass einer informatorischen Befragung durch die Polizei und bei der anschließenden Beschuldigtenvernehmung seien unverwertbar, weil gegen Belehrungsvorschriften verstoßen worden sei. Das OLG München hat das Urteil auf eine Verfahrensrüge der StA hin aufgehoben und die Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren für verwertbar erklärt; ein Verstoß gegen Belehrungspflichten habe nicht vorgelegen. Das LG München I ist im zweiten Rechtsgang dann erneut von der Unverwertbarkeit der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren ausgegangen, weshalb, so das LG, weiterhin nicht nachzuweisen sei, dass der Angeklagte überhaupt ein Kraftfahrzeug geführt habe. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (erneut) Revision eingelegt und insbesondere mit einer Verfahrensrüge erneut die fehlerhaft unterbliebene Verwertung der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren beanstandet.

Das OLG hält die Revision der Staatsanwaltschaft für zulässig und begründet. Es sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung – also Aufhebung – aber durch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 21.09.2004 (1 Ss 102/04, NJW 2004, 3356) gehindert. Es hat daher die Sache dem BGH zur Entscheidung der o.a. Rechtsfragen vorgelegt. Diese Rechtsfragen sind nach Auffassung des OLG entscheidungserheblich, da das LG zwar „angedeutet“ habe, dass es aufgrund einer Unverwertbarkeit der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren bereits von seiner Fahrereigenschaft nicht überzeugt sei. Diese Bedenken teile der vorlegende OLG-Senat jedoch nicht, so dass keine Zweifel an der Fahrereigenschaft des Angeklagten bestünden. Somit komme es „für den weiteren Gang des Verfahrens“ entscheidend auf die Beantwortung der Vorlagefragen an.

Und was macht der BGH in dem „Marathon“: Er gibt an das OLG zurück, da die Voraussetzungen für die Vorlegung nicht gegeben seien(§ 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG), da sich die vorgelegten Rechtsfragen bei dem zu beurteilenden Sachverhalt nicht stellen, es mithin an der Entscheidungserheblichkeit fehle:

1. Ob die tatsächlichen Feststellungen des Tatrichters, von denen die rechtliche Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts im Revisionsverfahren ausgeht, eine ausreichende Grundlage für die beabsichtigte Entscheidung bilden, hat der Bundesgerichtshof nicht im Einzelnen nachzuprüfen; es genügt, dass die diesbezügliche Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts jedenfalls vertretbar ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 – 3 StR 6/00, BGHSt 46, 178, 179; vom 23. Mai 1969 – 4 StR 585/68, BGHSt 22, 385, 386; KK-StPO/Hannich, 7. Aufl., § 121 GVG Rn. 43; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 121 GVG Rn. 77; SSW-StPO/Quentin, 3. Aufl., § 121 GVG Rn. 21). Ausnahmsweise ist eine Sache aber ohne Bescheidung zurückzugeben, wenn die zur Vorlegung führende Würdigung des Sachverhalts durch das vorlegende Oberlandesgericht schlechthin unvertretbar ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1968 – 2 StR 360/67, BGHSt 22, 94, 100; vom 17. März 1988 – 1 StR 361/87, BGHSt 35, 238, 240; vom 29. März 1990 – 1 StR 22/90, BGHSt 36, 389, 393; LR-StPO/Franke, aaO, § 121 GVG Rn. 78). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die dem Revisionsverfahren zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen völlig unzureichend sind und der Sachverhalt ungeklärt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02, NStZ-RR 2003, 12, 13; vom 13. Juli 1978 – 4 StR 82/78, BGHSt 28, 72, 74; KK-StPO/Hannich, aaO, § 121 GVG Rn. 44; LR-StPO/Franke, aaO, § 121 GVG Rn. 78).

2. Gemessen daran ist das Oberlandesgericht München zu Unrecht davon ausgegangen, die aufgeworfenen Rechtsfragen seien (bereits) im gegenwärtigen Verfahrensstadium entscheidungserheblich.

a) Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts stellen sich die der Vorlage zugrundeliegenden Rechtsfragen nicht. Dem Urteil des Landgerichts München I sind keinerlei Feststellungen dahin zu entnehmen, dass der Angeklagte überhaupt ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand geführt hat. Das Landgericht hat – entgegen den Ausführungen im Vorlagebeschluss – die fehlende Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Angeklagten nicht bloß „angedeutet“, sondern dieses Tatbestandsmerkmal ausdrücklich nicht festgestellt („Die Fahrereigenschaft konnte weder im Sinne des § 316 StGB noch im Sinne des § 323a StGB festgestellt werden.“) und dies auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zum Vorliegen eines Verwertungsverbots hinsichtlich der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren beweiswürdigend unterlegt. Somit liegen dem Revisionsverfahren vor dem Oberlandesgericht München Feststellungen zugrunde, aus denen sich weder unter dem Gesichtspunkt von § 316 StGB noch unter dem des § 323a StGB ein strafbarer Sachverhalt ergibt. Das bloße Sitzen im unbewegten Fahrzeug fällt auch dann nicht unter den Begriff des „Führens“ eines Kraftfahrzeugs, wenn der Motor in Betrieb ist (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1992, 197 f.; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 315c Rn. 3b; MüKo-StGB/Pegel, 2. Aufl., § 316 Rn. 6 und § 315c Rn. 15).

b) Dass das Oberlandesgericht München zum Ausdruck gebracht hat, es bestünden – aus seiner Sicht – keine Zweifel an der Fahrereigenschaft des Angeklagten, vermag die fehlenden Feststellungen, die der Tatrichter unter Bindung an die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts München als Revisionsgericht zu treffen hat, nicht zu ersetzen. Zudem kommt es für die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen nicht lediglich darauf an, dass der Angeklagte das Fahrzeug überhaupt alkoholisiert geführt hat. Erst wenn nach tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts zusätzlich ein Tatzeitfenster offenbleibt, das bei der daran anknüpfenden Schuldfähigkeitsbewertung sowohl eine voll erhaltene als auch eine aufgehobene Schuldfähigkeit als möglich erscheinen lässt, sind die vorgelegten Rechtsfragen entscheidungserheblich. Gerade insofern ist der Sachverhalt in dem angefochtenen Urteil aber ungeklärt geblieben.

c) Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Ausführungen in dem Urteil des Landgerichts München I vom 23. Mai 2017. Soweit sich dieses exemplarisch zur Schuldfähigkeit des Angeklagten in dem im Strafbefehl genannten Tatzeitraum verhält und auf die damit verbundene rechtliche Problematik der Vorlegungsfragen verweist, handelt es sich ersichtlich um bloße Hilfserwägungen und – unabhängig von der prozessualen Bedenklichkeit eines solchen Vorgehens – nicht um alternative Feststellungen, ausgehend von der Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass das Landgericht schon keine Beweiswürdigung zu der Frage der möglichen Tatzeitfenster vorgenommen hat, sondern abschließend sogar Zweifel an dem im Strafbefehl genannten Tatzeitraum zum Ausdruck gebracht hat.“

Die Entscheidung wird dem OLG (wenig) Freude bereiten. Denn ist schon ein wenig peinlich, wenn man eine Vorlage vom BGH zurück bekommt mit der Bemerkung: Kommt nicht darauf an. Ist so ähnlich wie in der Schule, wenn unter dem Deutschaufsatz steht oder gestanden hat: Thema verfehlt. Wer liest das schon gern – Richter am OLG schon mal gar nicht. Oder: Hausaufhaben nicht gemacht, setzen sechs.

Und in der Sache: Das OLG wird aufheben und zurückverweisen und der Tatrichter beim LG muss dann zum dritten Mal ran. Und das alles für eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen a 40 € – so jedenfalls der Strrafbefehl. Aber vielleicht findet man ja auch einen anderen Weg….

Nötigung zur Herausgabe von BtM strafbar?, oder: Auf zum Großen Senat oder „kneift“ der 2. Strafsenat?

entnommen wikimedia.org
Urheber ComQuat

Der BGH, Beschl. v. 07.02.2017 – 5 ARs 47/16 -, der immer noch in meinem Blogordner hing, erinnert mich an eine Anfrage des 2. Strafsenats, die immer noch offen ist. Nun „offen“ nur insoweit, als man gespannt sein darf, wie der 2. Strafsenat mit der Anfrage nach dem Ausscheiden des Vorsitzenden damit umgehen wird. Es ist die vom 2. Strafsenat im  BGH, Beschl. v. 01.06.2016 – 2 StR 335/15 – aufgeworfene Frage nach der Strafbarkeit der Nötigung/Erpressung zur Herausgabe von BtM, die der 2. Strafsenat verneinen will (vgl. Schon wieder: Anfragebeschluss des 2. Ss des BGH – Nötigung zur Herausgabe von BtM).

Na ja, ob er die nun wirklich verneinen will, ist die nächste Frage. Denn im BGH, Beschl. v. 22.09.2016 – 2 StR 27/16  (vgl. dazu Was stört mich mein Geschwätz von gestern, oder: Knatsch im 2. Strafsenat?) hat ein anders besetzter Spruchkörper des 2. Strafsenats das anders gesehen. Das hatte dann den 1. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 21.02.2017 – 1 ARs 16/16 – dazu veranlasst, die Vorlage des 2. Strafsenats als unzulässig anzusehen. Begründung in Kurzfassung: Ist ein BGH-Senat überbesetzt und bestehen deswegen mehrere Sitzgruppen, kann er nach außen nur eine einheitliche Rechtsprechung verfolgen. Nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVGkann nur der Senat als solcher bei anderen Senaten anfragen, nicht einzelne Sitzgruppen eines Senats. Durch die Anfrage kommt es für den anfragenden Senat zur Bindung an die „Anfragefrage“, nicht aber für die anderen Senate. Durch eine zeitlich nach dem Anfragebeschluss auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung gefasste Entscheidung wird allerdings die Anfrage für den anfragenden Senat hinfällig und damit unzulässig, weil der Senat mit seiner nachfolgenden Entscheidung gezeigt hat, dass er an seiner Anfrage nicht mehr festhält.

Die Verfahrensfrage steht dann also jetzt im Raum.

Und die materielle Frage natürlich auch noch. Da haben aber inzwischen alle anderen Senate mitgeteilt, dass sie an der alten Rechtsprechung festhalten:, und zwar

Und damit ist der Ball nun wieder ganz tief im Spielfeld des 2. Strafsenats, ob schon im Tor wird man sehen. Jedenfalls darf man gespannt sein, wie der 2. Strafsenat mit seiner „Anfrage“ umgeht, ob er sie weiterverfolgt, also dem 1. Strafsenat widerspricht und die Frage vom Großen Senat für Strafsachen entscheiden lässt, oder ob er „die Segel streicht“ und von einer Vorlage an den Großen Senat absieht und sagt: Die anderen haben uns – nun alle – überzeugt, dass die Änderung der Rechtsprechung wenig Sinn macht.

Es bleibt spannend, vor allem eben wegen des Wechsels in der Besetzung bzw. des Ausscheidens des Vorsitzenden. In der materiellen Frage dürfte das Ergebnis, das zu erwarten ist, allerdings klar sein. Oder? Und natürlich: Viel Spaß bei der Beratung 🙂 .

Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis

© sashpictures - Fotolia.com

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Heute dann nur noch leichte Kost 🙂 . Den Auftakt macht der OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15. Mit dem traut sich das OLG 🙂 und legt dem BGH folgende (Rechts)Frage zur Entscheidung vor:

Kann ein Angeklagter seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken, wenn er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und sich die Feststellungen darin erschöpfen, dass er wissentlich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Fahrzeug bestimmter Marke und mit einem bestimmten Kennzeichen geführt habe, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen?

OLG-Vorlagen nach § 121 GVG sind im Strafrecht ja verhältnismäßig selten, aus welchen Gründen auch immer. Hier traut sich mal ein OLG, den BGH „um Rat zu fragen“. Es geht um den Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG. Dazu vertreten u.a. das OLG München (StraFo 2008, 210; zfs 2012, 472) und das OLG Bamberg (VRR 2013, 429) die Auffassung, dass das Amtsgericht zu der fraglichen Fahrt – oder den fraglichen Fahrten – Feststellungen treffen muss, die über Ort und Zeit der Fahrt, die Identität des Fahrzeugs sowie jenen Umstand hinausgehen, dass der Angeklagte nicht im Besitz der nötigen Fahrerlaubnis gewesen ist und vorsätzlich gehandelt hat. Das OLG Nürnberg will das im Hinblick auf die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung großzügiger handhaben. Mal sehen, was der BGH daraus macht.