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Strafzumessung II: Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: „bequemliche Polizeiflucht“

Die zweite Entscheidung kommt vm OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 RVs 129/20 – die Strafzumessung in einem Urteil des LG Münster wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis beanstandet. Das hatte auf den der Fahrt zugrunde liegenden Anlass – Polizeiflucht – und darauf abgestellt, dass der Angeklagte „- trotz der offenen Bewährungen – allein aus Bequemlichkeitsgründen ungefähr 18 Monate nach der letzten Verurteilung durch das Amtsgericht Rheine vom 02.12.2016 erneut gegen das Verbot, ohne Fahrerlaubnis zu fahren, verstoßen hat und dabei mit seiner Polizeiflucht auch die Gefährdung Dritter Personen in Kauf genommen hat“. Das hat dem OLG nicht gefallen:

„2. Die auf die erhobene Sachrüge hin vorgenommene materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat im Rechtsfolgenausspruch jedoch durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben.

Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des tatrichterlichen Ermessens und daher vom Revisionsgericht nur darauf zu prüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht darf daher nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen des Urteils in sich rechtsfehlerhaft sind, wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt, insbesondere rechtlich anerkannte Strafzwecke nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat, oder die Strafe bei Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Strafrahmens unvertretbar hoch oder niedrig ist (st. Rspr. des BGH; vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2015 -1 StR 142/14 -, juris; BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11 -; BGHSt 57, 123, 127; jeweils mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 337 Rn. 34).

Solche Rechtsfehler liegen hier indes vor.

So hat das Landgericht strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte aus Bequemlichkeitsgründen mit dem Kraftfahrzeug gefahren ist. Diese Erwägung ist jedoch rechtsfehlerhaft, als sich hieraus allein noch kein auffälliges Missverhältnis von Anlass und Tat im Sinne einer „aus der Tat sprechenden Gesinnung“ gemäß § 46 Abs. 2 StGB ableiten lässt, sondern vielmehr nur das Fehlen eines triftigen Grundes für die Fahrt und damit das Fehlen nachvollziehbarer Motive strafschärfend berücksichtigt wurde.

Ferner hat das Landgericht rechtsfehlerhaft die „Flucht des Angeklagten vor der Polizei“ zu dessen Lasten gewertet. Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf aber grundsätzlich nicht zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden, es sei denn, das Nachtatverhalten schafft neues Unrecht oder der Täter verfolgt Ziele, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen, so wenn er sich damit erneut über strafrechtliche Gebote hinweg setzt (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2011 – 2 StR 493/10 -, juris). Hinreichende Feststellungen dazu, dass ein solches Nachtatverhalten des Angeklagten vorliegt, sind den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Feststellungen dazu, dass es im Rahmen der Flucht des Angeklagten vor der Polizei zu einer konkreten Gefährdungssituation für die nachfahrenden Polizeibeamten oder andere Verkehrsteilnehmer gekommen ist, sind nicht getroffen worden. Auch kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, dass zumindest eine abstrakte Gefährdung dergestalt bestanden hätte, dass der Angeklagte mit stark überhöhter Geschwindigkeit geflüchtet wäre. Auch liegt in der „Fluchtfahrt“ des Angeklagten keine neue Tat, die ggf. ein neues Unrecht begründen könnte, da es sich bei dem vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis um eine Dauerstraftat handelt, die grundsätzlich erst endet, wenn der Täter mit dem Weiterfahren endgültig aufhört und die Fahrtrichtungsänderung, um einer Polizeikontrolle zu entgehen, keine neue Tat beginnen lässt (vgl. BGH, NJW 1983, 1744 zur Trunkenheitsfahrt). Damit sind den Urteilsgründen im Ergebnis keine Umstände zu entnehmen, die über die abstrakte Gefährlichkeit, die mehr oder minder mit dem Vergehen gegen § 21 StVG verbunden ist und die allein nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf, hinausgehen (vgl. Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 26. Auflage 2020, § 21 StVG Rn. 51). ….“

Verkehrsrecht II: Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Die Grundsätze zur Anklage bei Serientaten gelten nicht

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In der zweiten Entscheidung geht es auch um Fahren ohne Fahrerlaubnis und erneut in Zusammenhang mit der Anklage.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in acht Fällen verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG diese Verurteilung „gehalten“. Dagegen die Revision des Angeklagten. Das OLG Celle geht im OLG Celle, Beschl. v. 05.10.2020 – 3 Ss 42/20 – von folgenden Feststellungen aus:

„Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, am 16. und 19. Oktober 2017 jeweils mit dem Pkw … seiner Lebensgefährtin von seinem Wohnort E.. nach B. M., um dort auf dem Grundstück des Zeugen B. Arbeiten im Garten durchzuführen (Fälle III. 1 und 2). Weiterhin fuhr der Angeklagte mit dem besagten Pkw in dem Zeitraum von Februar bis Mitte April 2018 an mindestens drei Tagen von seinem Haus in E. zu dem Bauernhof der Eheleute H. und T. in D., um dort zu arbeiten, und anschließend wieder zurück (Fälle III. 3 bis 5). Am 15., 16. und 18. Mai 2018 lieh sich der Angeklagte jeweils den Pkw … der Eheleute aus, steuerte diesen vom Hof und brachte ihn an den genannten Tagen später wieder zurück, wobei er auch bei den Rückfahrten am Steuer des Fahrzeugs saß (Fälle III. 6 bis 8). Schließlich hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte im März 2018 von der Zeugin H. 250 € in bar erhielt, um an einem Pferdeanhänger anstehende Reparaturen und anschließend die fällige TÜV-Abnahme durchführen zu lassen. Nachdem der Angeklagte am 14. März 2018 den Pferdeanhänger ohne vorherige Reparatur zur TÜV-Abnahme vorgestellt hatte und die Plakette nicht erteilt worden war, entschloss er sich, den nach Begleichung der Gebühr verbleibenden Betrag von 176,88 € für sich zu behalten und den Eheleuten H. eine Reparatur und erfolgreiche TÜV-Abnahme vorzuspiegeln. Zu diesem Zweck brachte er eine von einem anderen Fahrzeug abgelöste TÜV-Plakette mit einer Laufzeit bis Dezember 2018 an dem Pferdeanhänger an (Fall III. 9).“

Die  Revision des Angeklagten hat zum Teil Erfolg. Das OLG hat, soweit der Angeklagte in den Fällen III. 3 bis 5 der Urteilsgründe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist, das Urteil aufgehoben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 StPO eingestellt. Grund: Nicht behebbares Verfahrenshindernis der Unwirksamkeit von Anklage und Eröffnungsbeschluss:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren entsprechenden Antrag wie folgt begründet:

„Es fehlt an der Prozessvoraussetzung einer wirksamen Anklage, soweit es die in der Anklageschrift unter Ziffer 4. – 7. aufgeführten Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, wobei das Verfahren in der Hauptverhandlung in Bezug auf eine von Ihnen gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde (Bl. 102 Bd. I d.A.), und die diesen entsprechenden Taten 3. – 5. des Urteils betrifft. Hier war lediglich ein Zeitraum von Februar 2018 bis 12.05.2018 angegeben, in dem der Angeklagte die Fahrten „mindestens einmal monatlich“ unternommen haben soll. Die Anklageschrift hat die zur Last gelegte Tat sowie Ort und Zeit ihrer Begehung aber so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist. Die Tat muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen, die derselbe Täter möglicherweise auch begangen hat, unterscheiden lassen. Es darf nach der Anklageschrift nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Fehlt es hieran, ist die Anklage unwirksam (BGH, Beschl. v. 15.12.1995 – 2 StR 501/95; zit. nach beck-online; Schmitt in Meier-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., 2020, § 200 Rn. 7). Diesen Anforderungen an die Konkretisierung der Taten wird die vorliegende Anklageschrift für die dort unter Ziffer 4. – 7.genannten Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Hinblick auf den angegebenen weiten Tatzeitraum von mehr als drei Monaten und den unbestimmten Tattag nicht gerecht; sie ist insoweit unwirksam. Die Taten lassen sich gerade nicht hinreichend von anderen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, die der Angeklagte möglicherweise ebenfalls in dem angegebenen Tatzeitraum mit dem genannten Fahrzeug zwischen den angegebenen Orten begangen hat, was bereits durch das „mindestens einmal monatlich“ nahegelegt wird, unterscheiden.

Da die insoweit unwirksame Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde (Bl. 59 Bd. I d.A.), hat dies auch die Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses für die unter Ziffer 4. – 7. der Anklage genannten Taten zur Folge (Schmitt in Meier-Goßner/Schmitt, § 200 Rn 26).

Wegen des bestehenden Verfahrenshindernisses ist das angefochtene Urteil, soweit es die Taten zu 3. – 5. betrifft, aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354
Abs. 1 StPO einzustellen. Weil das Verfahrenshindernis bereits bei Entscheidung des Tatgerichts vorlag, kommt eine Einstellung nach § 206a StPO nicht in Betracht (OLG Celle, Beschluss vom 22.07.2007 – 32 Ss 20/07 –; zit. nach beck-online).“

Dem tritt der Senat bei.

Die Tatbeschreibung in der Anklage muss umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (BGH, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 mwN).

Zwar erfüllt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Anklageschrift in bestimmten Fällen von Serienstraftaten bereits dann ihre Umgrenzungsfunktion, wenn sie den Verfahrensgegenstand durch den zeitlichen Rahmen der Tatserie, die Nennung der Höchstzahl der nach dem Anklagevorwurf innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, das Tatopfer und die wesentlichen Grundzüge des Tatgeschehens bezeichnet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 297/13, NStZ 2014, 49 m. Anm. Ferber; vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44; vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153). Diese Rechtsprechung ist indes für Fälle einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegenüber Kindern entwickelt worden, die häufig erst nach längerer Zeit angezeigt werden und deshalb oftmals aufgrund von Erinnerungsproblemen eine Individualisierung nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf nicht ermöglichen. Sie hat Ausnahmecharakter und ist auf Fälle beschränkt, in denen „typischerweise“ bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderheiten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können und es anderenfalls zu „gewichtigen“ oder „erheblichen Lücken in der Strafverfolgung“ kommen würde (so BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 – GSSt 1/10, BGHSt 56, 109; Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649; Beschluss vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153; gegen Ausnahmecharakter: Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 243 Rn. 43). Diese Rechtsprechung kommt auch bei Betäubungsmitteldelikten zur Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1995 – 3 StR 48/95, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 15; OLG Hamm, Urteil vom 22. November 2000 – 2 Ss 908/00, StraFo 2001, 92).

Auf Fälle des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist sie indes nicht zu übertragen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Juni 1996 – 1 Ss 131/96, OLGSt StPO § 200 Nr. 5). Der Straftatbestand des § 21 StVG setzt eine Handlung im öffentlichen Verkehrsraum voraus (vgl. § 2 Abs. 1 StVG) und bringt daher schon aufgrund der äußeren Wahrnehmbarkeit nicht „typischerweise“ Besonderheiten in der Beweislage mit sich, wie sie häufig in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern oder des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln anzutreffen sind. Die Geltung des regulären Konkretisierungsmaßstabs für Straftaten nach § 21 StVG lässt auch nicht befürchten, dass dadurch gewichtige oder erhebliche Lücken in der Strafverfolgung entstehen. Hinzu kommt, dass bei Ausdehnung der Rechtsprechung zu Serienstraftaten auf Delikte am unteren Rande der Strafbarkeit der nach der Entscheidung des Großen Senats zu beachtende Ausnahmecharakter in ein Regelverhältnis umgekehrt werden würde, was nach der Entscheidung des Großen Senats ersichtlich nicht gewollt ist.“

Verkehrsrecht I: Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Geschehnisse am Tatort/Fahrt zum bzw. vom Tatort

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Heute stelle ich dann seit längerem man wieder Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 23.09.2020 – 2 StR 606/19. Der BGH behandelt den Umfang der Anklage beim Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Das LG hatte in einem ersten Durchgang den Mitangeklagten D. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung  zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Den Angeklagten und einen weiteren Mitangeklagten hatte es vom Vorwurf, durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich mit D. und dem gesondert verfolgten R. eine besonders schwere räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers begangen zu haben, freigesprochen. Dagegen dann die Revision. Der BGH hatte den Freispruch aufgehoben

Das LG hat den Angeklagten dann im zweiten Durchgang wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten. Und die Hat insoweit Erfolg, als der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist. Der BGH hat eingestellt. Grund: Keine Anklage:

„1. Das Verfahren ist gemäß § 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1 analog StPO auf Kosten der Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO) einzustellen, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen verurteilt hat. Insofern besteht ein Verfahrenshindernis, weil die Taten nicht Gegenstand der Anklage sind und eine Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2 StPO) nicht erhoben worden ist.

a) Die Urteilsfindung hat die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand (§ 264 Abs. 1 StPO). Diese bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (BGH, Beschluss vom 27. November 2011 – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169 mwN). Liegen nach dieser Maßgabe verschiedene Lebenssachverhalte und mithin mehrere selbständige prozessuale Taten vor, so sind diese nur dann voll umfänglich Gegenstand der Urteilsfindung, wenn sich nach dem aus der Anklageschrift erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft ergibt, dass sie sämtlich einer Aburteilung zugeführt werden sollen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 407/12, juris Rn. 10 mwN; vgl. auch BeckOK-StPO/Eschelbach, 37. Ed., § 264 Rn. 16 f.).

b) Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, am 28. Juni 2017 gemeinsam mit dem Mitangeklagten D. tateinheitlich eine besonders schwere räuberische Erpressung sowie eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers in einer Gartenlaubenkolonie in D. begangen zu haben. Der Vorwurf, der Angeklagte habe auf der Hin- und Rückfahrt zur Kleingartenanlage vorsätzlich ein Fahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt, wird in der Anklage nicht thematisiert. Diese führt im Anklagesatz (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) lediglich aus, beide Angeklagten hätten sich auf der Grundlage des gemeinsamen Tatplanes, den Nebenkläger auszurauben, mit weiteren Tatgenossen zum Tatort begeben. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird als Einlassung des Angeklagten geschildert, D. und er seien mit zwei weiteren Personen zu der Gartenlaube hin- gefahren. In der Darstellung der Aussage eines weiteren Zeugen findet sich der Hinweis, dieser habe vor der Gartenkolonie einen goldfarbenen Pkw Mercedes Benz wahrgenommen, der dem Angeklagten zuzuordnen sei. Wie der Angeklagte und seine Tatgenossen den Tatort verließen, wird in der Anklage nicht ausgeführt.

c) Danach stellen die Geschehnisse auf der Gartenparzelle mit der Fahrt zur bzw. von der Kleingartenanlage weder eine einheitliche prozessuale Tat dar, noch wird deutlich, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft auch auf die An- bzw. Abreise des Angeklagten zum Tatort erstreckte.

aa) Die An- bzw. Abfahrt vom Tatort verbindet mit dem Tatgeschehen auf der Gartenparzelle kein einheitlicher Lebenssachverhalt; es besteht keine prozessuale Tatidentität i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO.

(1) Von prozessualer Tatidentität kann ohne Weiteres ausgegangen werden, wenn mehrere Taten materiellrechtlich zueinander im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 1977 – 2 BvR 674/77, juris Rn. 4). Mehrere sachlichrechtlich selbständige Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB bilden nur dann eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. April 2015 – 3 StR 642/14, juris Rn. 6; Beschluss vom 24. November 2004 – 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 362 f. mwN).

(2) Es kann danach offenbleiben, ob der Ansicht der Strafkammer zu folgen ist und das Geschehen auf der Gartenparzelle sowie die An- bzw. Abfahrt des Angeklagten zur Gartenkolonie als tatmehrheitliche Taten zu werten sind (vgl. zum Konkurrenzverhältnis bei Fahren ohne Fahrerlaubnis BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – 4 StR 149/18, juris Rn. 6; SSW-StGB/Ernemann, 4. Aufl., § 316 Rn. 40, jeweils mwN). Die dafür erforderliche Zäsur im Geschehensablauf wird bei der Begehung eines Dauerdelikts insbesondere dann angenommen, wenn der Täter während des Dauerdelikts den Entschluss zur Begehung einer schweren Tat fasst (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 52 Rn. 44 mwN). Jedenfalls besteht im vorliegenden Fall mangels einheitlichen Lebenssachverhalts keine prozessuale Tatidentität, wie sie § 264 Abs. 1 StPO voraussetzt.

bb) Ein einheitliches Verfolgungsinteresse der unterschiedlichen Lebenssachverhalte lässt sich den Akten nicht entnehmen.

(1) Die Entscheidung darüber, ob eine gesonderte Tat angeklagt wird, obliegt der Staatsanwaltschaft, die ihre Entscheidung durch die Prozesserklärung in der Anklageschrift kundtun muss. Erforderlich ist, dass die Anklageschrift den Verfolgungswillen hinsichtlich selbständiger Taten klar erkennen lässt (BeckOK-StPO/Eschelbach, aaO, Rn. 17). Hieran fehlt es.

(2) Der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hat sich auf das Geschehen auf der Gartenparzelle gerichtet, auf der die besonders schwere räuberische Erpressung und die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers nach dem Anklagevorwurf stattfanden. Der gesamte Anklagesatz hat ausschließlich die Tathandlungen zum Nachteil des Nebenklägers zum Gegenstand und beschreibt lediglich einleitend, der Angeklagte habe sich mit seinen Tatgenossen zu der Gartenlaubenkolonie begeben. Die An- und Abfahrt zum bzw. vom Tatort finden hingegen keine Erwähnung. Aus der Darstellung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, der Angeklagte sei mit D. und zwei weiteren Per- sonen zur Gartenlaube „hingefahren“, kann kein Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis abgeleitet werden. Es wird weder dargestellt, dass der Angeklagte das Fahrzeug steuerte noch, dass dieser nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Die Anklage beschreibt damit an dieser Stelle lediglich die Vorgeschichte zur Tat, ohne dass die Staatsanwaltschaft die Fahrt zur Gartenkolonie zur Anklage bringen wollte. Gleiches gilt für den Umstand, dass bei der Darstellung eines Zeugen geschildert wird, dieser habe vor der Gartenkolonie einen goldfarbenen Pkw Mercedes Benz wahrgenommen, der dem Angeklagten zuzuordnen war. Dieser Hinweis diente erkennbar dem Zweck, die Identifikation des Angeklagten als einen der Mittäter zu belegen, nicht aber, ihn wegen der An- bzw. Abfahrt zur Gartenkolonie zu verfolgen.“

Verkehrsrecht III: Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Fortwirkender Wohnsitzmangel

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Und, damit das Trio komplett wird, als dritte Entscheidung dannnoch ein Beschluss des BayObLG. In der Entscheidung, dem BayObLG, Beschl. v. 28.10.2019 – 202 StR 1438/19 -, also schon etwas älter, geht es um die Anerkennung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis beim Umtausch einer in einem EU-Mitgliedsstaat unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilten Fahrerlaubnis in die Fahrerlaubnis eines anderen EU-Mitgliedsstaats.

Die Feststellungen verdeutlichen etwas besser, worum es geht:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zum Erwerb und Verlust von Fahrerlaubnissen durch den Angeklagten verfügte dieser noch nie über eine deutsche Fahrerlaubnis. Der Angeklagte erwarb jedoch am 07.12.2004 eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B, in der als Hauptwohnsitz Leipzig eingetragen war. Tatsächlich lebte der Angeklagte zum Zeitpunkt des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis bzw. Ausstellung des tschechischen Führerscheins in Leipzig. Über einen Wohnsitz in der Tschechischen Republik verfügte er weder zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis noch danach, sondern hielt sich lediglich zum Zwecke des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis wenige Wochen in der Tschechischen Republik auf. Diesen tschechischen Führerschein ließ der Angeklagte im Jahr 2010 während eines neunmonatigen Aufenthalts in Großbritannien umschreiben. Eigenen Angaben zufolge soll er zum damaligen Zeitpunkt in London gewohnt haben. In seinem am 03.10.2010 ausgestellten britischen Führerschein ist als Wohnort eine Anschrift in London eingetragen. Unter Ziffer 13 des britischen Führerscheins befindet sich der Vermerk „70 CZ“, aus dem sich ergibt, dass der britische Führerschein auf der Grundlage einer tschechischen Fahrerlaubnis ausgestellt wurde.“

Die Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) hat das LG darauf gestützt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nicht berechtigt war, in der Bundesrepublik Deutschland fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge zu führen. Die dem Angeklagten am 07.12.2004 erteilte tschechische Fahrerlaubnis sei unter Verstoß gegen das Erfordernis eines Wohnsitzes im Ausstellerstaat erteilt worden (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV), was sich unmittelbar aus der festgestellten Eintragung des Wohnsitzes Leipzig im Führerschein ergebe. Dieser „Wohnsitzmangel“ wirke in dem vom Angeklagten durch Umtausch der tschechischen Fahrerlaubnis am 03.10.2010 erworbenen britischen Führerschein fort.

Das BayObLgG hat aufgehoben. Es stellt seiner Entscheidudng folgende Leitsätze voran.

1. Ein Umtausch einer ausländischen (hier: tschechischen) EU-Fahrerlaubnis nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG stellt nicht lediglich eine bloße Dokumentation oder Fortschreibung einer früher erteilten Fahrerlaubnis dar, sondern – auch ohne erneute Eignungsprüfung – eine eigenständige Neuerteilung einer anderen ausländischen (hier: britischen) Fahrerlaubnis, auf die der Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV uneingeschränkt Anwendung findet (Anschluss an OLG München, Beschl. v. 11.12.2017 – 4 OLG 15 Ss 336/ 17 [unveröffentlicht] und OLG Jena, Beschl. v. 08.07.2013 – 1Ss 17/13 = NZV 2013, 509 = VRS 125 [2013], 40 = Blutalkohol 50 [2013], 302).

2. Als Neuerteilung löst damit auch eine im Wege des Umtauschs erteilte EU-/EWR-Fahrerlaubnis grundsätzlich die Anerkennungspflicht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV aus, sofern nicht Ausnahmen nach § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV greifen, wobei ein früherer Wohnsitzverstoß bei Erteilung der umgetauschten EU-/EWR Fahrerlaubnis nicht automatisch auf die Gültigkeit der von einem anderen EU/EWR-Mitgliedsstaat umgeschriebenen Fahrerlaubnis fortwirkt. Einer analogen Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV auf den Fall des Umtauschs einer unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erlangten EU-/EWR-Fahrerlaubnis in eine andere (ausländische) Fahrerlaubnis stehen der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) und das daraus folgende Analogieverbot (§ 1 StGB) entgegen.

Rest bitte selbst lesen 🙂 .

Fahren mit ausländischem Ersatzführerschein, oder: Fahren ohne Fahrerlaubnis?

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Die Frage des Fahrens mit einer ausländischen Fahrerlaubnis spielt in der Praxis immer wieder/immer noch eine Rolle. Das OLG Celle hatte jetzt über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem der Angeklagte mit einem in Polen erworbenen Ersatzführerschein gefahren war.

Dem Angeklagten war die ihm im Jahr 2003 erteilte deutsche Fahrerlaubnis im September 2005 bestandskräftig entzogen worden. Der Angeklagte erwarb dann 2008 in Polen einen polnischen Führerschein der Klasse B. Mit Strafbefehl ordnete das AG dann 2012 die Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis an und bestimmte zugleich eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von noch 8 Monaten. Im Juni 2013 erlangte der Angeklagte, nachdem er eine Verlustanzeige für den polnischen Führerschein abgegeben hatte, in Polen einen neuen polnischen Führerschein. Dieser enthielt im Gegensatz zu dem als verlustig gemeldeten Führerschein erstmals eine Befristung. Zudem enthielt die Spalte 12 des Führerscheins die Eintragung „71“.

Das OLG ist von Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) ausgegangen (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 12.12.2019 – 2 Ss 138/19).

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

„1. Der in einem EU-Mitgliedsstaat aufgrund einer Verlust- oder Diebstahlsanzeige nach Art. 11 Abs. 5 der 3. FS-RL ausgestellte Ersatzführerschein ist – anders als der im Wege des Umtauschs einer in Deutschland erteilten Fahrerlaubnis erteilte Führerschein eines anderen EU-Mitgliedsstaates nach Art. 11 Abs. 2 der 3. FS-RL – nicht als „neue“ Fahrerlaubnis anzusehen (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.01.2016, 1 Ss 106/15). Dies gilt auch dann, wenn der Ersatzführerschein erstmals eine Befristung nach Art. 7 Abs. 2.a der 3. FS-RL enthält.

2. Ist einem Verurteilten in Deutschland die von einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgestellte Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB rechtskräftig entzogen, zugleich eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 StGB angeordnet und dem Verurteilten nach Ablauf der Sperrfrist das Recht zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland nicht wiedererteilt worden, berechtigt ein für die entzogene Fahrerlaubnis von dem EU-Mitgliedsstaat nach Art. 11 Abs. 5, 3. FS-RL ausgestellter Ersatzführerschein nicht zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland, § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 3 FeV.“