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StGB III: Übersendung/Empfang mehrerer KiPo-Dateien, oder : Tateinheit

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Und als dritte Entscheidung dann noch ein BGH-Beschluss, und zwar der BGH, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 StR 167/22.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung, wegen Zugänglichmachens kinderpornographischer „Schriften“ in zwei Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer „Schriften“ in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer „Schriften“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Der BGH hat auf die Revision des Angeklagten den Schuldspruch gändert:

„1. Der Schuldspruch war abzuändern, weil die Annahme von zwei selbständigen, realkonkurrierenden Taten des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte i.S.v. § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB in den Fällen II.4.a und II.4.b der Urteilsgründe rechtlicher Prüfung nicht standhält; stattdessen war – jedenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes – von nur einer Tat auszugehen.

a) Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornographischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 ‒ 4 StR 258/13 Rn. 14, insoweit in BGHSt 59, 28, NJW 2013, 3528 und NStZ 2014, 34 nicht abgedruckt; Beschluss vom 10. Juli 2008 ‒ 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; MüKo-StGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 61). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8).

b) Daran gemessen war nur eine Tat des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte anzunehmen.

Nach den Feststellungen übersandte der Angeklagte am 25. Mai 2021 unter Nutzung des Messenger-Dienstes Telegram einem anderen Nutzer ein kinderpornographisches Video (Fall II.4.a der Urteilsgründe). Am selben Tag etwa 30 Sekunden später übersandte der Angeklagte in gleicher Art und Weise ein anderes kinderpornographisches Video an denselben Empfänger (Fall II.4.b der Urteilsgründe). Weitere Feststellungen zur Dauer und zum Verlauf der TelegramKommunikation hat das Landgericht nicht getroffen.

Es bleibt daher offen, ob dem Versenden der kinderpornographischen Dateien nur ein einheitlicher oder mehrere getrennte Kommunikationsvorgänge zugrunde lagen. Angesichts des nur geringen zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Übertragungen ergibt sich die vom Landgericht angenommene materiell-rechtliche Selbständigkeit auch nicht von selbst. Vielmehr liegt nahe, dass die beiden Versendungen innerhalb eines einheitlichen Kommunikationsvorgangs erfolgten; daher ist in Anwendung des Zweifelssatzes lediglich von einer Tat des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte auszugehen.ten Freiheitsstrafe. Die Freiheitsstrafe von sechs Monaten für Fall II.4.a der Urteilsgründe bleibt als alleinige Einzelstrafe für die einheitliche Tat vom 25. Mai 2021 bestehen.“

Mehrere Fahrten mit einem fremden Nummernschild, oder: Gesamtvorsatz = Tateinheit

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Auch die zweite Entscheidung des Tages hat mit Verkehrsrecht zu tun. Der BGH behandelt im BGH, Beschl. v. 24.04.2019 – 5 StR 85/18 – eine Urkundenfälschung durch Anbringen eines fremden Fahrzeugkennzeichens.

Das LG hatte den Angeklagten „wegen der Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz in drei Fällen, wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung, wegen einer versuchten Nötigung in Tateinheit mit einer Beleidigung und wegen des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe in Gestalt eines Schlagrings“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe“ verurteilt. Dem BGH haben die Konkurrenzen nciht gefallen und er hat daher den Schuldspruch abgeändert, im Übrigen aber die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen:

„1. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle 1 und 3 der Urteilsgründe (Tatmehrheit) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 13. Dezember 2016 mit seinem nicht zugelassenen und nicht haftpflichtversicherten Pkw öffentliche Straßen in Kiel, obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war und für das Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsschutz bestand. Der Angeklagte hatte zuvor an dem Fahrzeug ein für einen anderen Pkw ausgegebenes Kennzeichen angebracht (Fall 1). Nachdem er sein Auto am Straßenrand abgestellt hatte und ausgestiegen war, um den Zeugen Pe. aufzusuchen, erblickte er auf der Straße den Zeugen A. , über den er verärgert war. Zwischen beiden kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte den Zeugen in den Bauch stach (Fall 2 – versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung). Sodann fuhr der Angeklagte mit seinem Fahrzeug davon. Diese Fahrt hat die Strafkammer als neue, rechtlich selbständige Tat der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz gewertet (Fall 3).

b) Das Anbringen eines fremden Fahrzeugkennzeichens an dem Auto des Angeklagten ist als Herstellen einer unechten (zusammengesetzten) Urkunde (§ 267 Abs. 1, 1. Variante StGB) zu werten. Auch die Strafkammer geht davon aus, dass der Angeklagte von dieser zudem in den Fällen 1 und 3 Gebrauch machte (§ 267 Abs. 1, 3. Variante StGB), indem er das mit dem fremden Kennzeichen versehene Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr nutzte und dadurch den anderen Verkehrsteilnehmern sowie mit der Verkehrsüberwachung befassten Polizeibeamten die unmittelbare Kenntnisnahme der am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen ermöglichte (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 528/13, NJW 2014, 871). Sie hat allerdings bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Fall 1 und Fall 3 nicht bedacht, dass nur eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn eine gefälschte Urkunde mehrfach gebraucht wird und dieser mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3, und vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15). Von einem solchen konkreten Gesamtvorsatz des Angeklagten ist auf der Grundlage der Feststellungen auszugehen. Das hat zur Folge, dass der mit beiden Fahrten verwirklichte Gebrauch einer unechten Urkunde und deren vorangegangene Herstellung als tatbestandliche Handlungseinheit eine Tat der Urkundenfälschung bilden und damit auch die weiteren während der beiden Fahrten begangenen Delikte hierzu in Tateinheit stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15 mwN). Zu dieser Tat steht der im Fall 2 verwirklichte versuchte Totschlag (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) in Tatmehrheit. Denn wie aus den Feststellungen hervorgeht, beging der Angeklagte diese Tat aufgrund eines neuen, spontan gefassten Tatentschlusses, als er nach dem Aussteigen aus seinem Fahrzeug den Geschädigten auf der Straße erblickte.“

Tateinheit von Banden-, Wohnungeinbruchsdiebstahl und Sachbeschädigung, oder: Anfragebeschluss

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Im letzten Posting dann der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 06.03.2018 – 2 StR 481/17. Mal wieder ein Anfragebeschluss des 2. Strafsenats – lange hat es dazu nichts gegeben 🙂 .

Angefragt wird wegen einer Konkurrenzproblematik, nämlich:

Bei (vollendetem) schwerem Bandendiebstahl (§ 244a Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 StGB) oder (vollendetem) Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB) steht eine zugleich begangene Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) stets im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB); sie tritt nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion hinter den schweren Bandendiebstahl oder den Wohnungseinbruchdiebstahl zurück.

Mal sehen, was daraus wird.

Diebstahl und Unterschlagung geht nicht, aber: Außer Spesen nichts gewesen

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Viele BGH-Entscheidungen sind für die Praxis interessant. Zwar enthalten sie nicht immer bahnbrechend Neues, aber sie rücken häufig doch die ein oder andere Frage, die in der Praxis von Bedeutung ist/sein kann, wieder in den Fokus. So der BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – 3 StR 113/15. Und der gleich in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl wegen einer materiell-rechtlichen Fragestellung als auch wegen einer verfahrensrechtlichen Problematik. Zunächst zu der materiell-rechtlichen Problematik, die verfahrensrechtliche folgt dann nachher.

Das LG hat die Angeklagten jeweils wegen schweren Raubes in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit Unterschlagung verurteilt. Festgestellt worden ist, dass die Angeklagten und der ein weiterer Mitangeklagter, der nicht Revision eingelegt hat, übereingekommen waren, einen Raubüberfall auf die Tankstelle vorzutäuschen, bei der der Mitangeklagate Angestellter war. Die den vorgetäuschten Überfall ausführenden Angeklagten R. und H. entwendeten in erheblichem Umfang Zigaretten aus den Regalen der Tankstelle und nahmen im Einverständnis mit dem Mitangeklagten die Wechselgeldkasse mit, die 350 € Bargeld enthielt.

Der BGH beanstandet den Schuldspruch, soweit die Angeklagten tateinheitlich zu der rechtlich zutreffenden Verurteilung wegen Diebstahls auch der Unterschlagung schuldig gesprochen worden sind:

b) Zwar ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass der Nichtrevident B. , der als Angestellter während der Dauer seiner Schicht verantwortlich fürdie Wechselgeldkasse war, als Kassenverwalter Alleingewahrsam an dem in der Kasse befindlichen Bargeld hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 19883 StR 115/88, BGHR StGB § 246 Abs. 1 Alleingewahrsam 1 mwN) und dassdeshalb insoweit – anders als hinsichtlich der durch die gleiche Tat erbeuteten Zigaretten – eine Verurteilung wegen Diebstahls mangels Gewahrsamsbruchs nicht in Betracht kommt. Der Verurteilung auch wegen Unterschlagung steht indes die Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 1 StGB entgegen, nach der dieser Tatbestand zurücktritt, wenn der Täter sich durch die Tat zugleich auchnach einer anderen Vorschrift strafbar gemacht hat und diese nach der im konkreten Fall anzuwendenden gesetzlichen Strafdrohung eine Höchststrafe von mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 3 StR 188/14, juris Rn. 2). Dies ist hier der Fall, weil die Höchststrafe des durch dieselbe Tat verwirklichten Tatbestands des Diebstahls (an den Zigaretten) gemäß § 242 Abs. 1 StGB fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt.

Aber: Außer Spesen – nämlich Änderung des Schuldspruchs – nichts gewesen, denn:

c) Die Änderung der Schuldsprüche lässt die in diesem Fall verhängten Einzelstrafen unberührt. Das Landgericht hat in der Strafzumessung ausdrücklich nicht straferschwerend berücksichtigt, dass die Angeklagten tateinheitlich zu dem Diebstahl noch eine Unterschlagung begangen hätten.“

Wie gesagt: Nichts Bahnbrechendes, aber als kleine Erinnerung dann doch mal wieder ganz nett. Und ggf. kann es ja auch für die Strafzumessung Auswirkungen haben.

Mehrere Geschwindigkeitsverstöße auf einer Fahrt: Tateinheit oder Tatmehrheit?

In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, ob und ggf. wann mehrere auf einer Fahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen in Tateinheit oder in Tatmehrheit zueinander stehen.

Das AG Suhl, Beschl. v. 21.02.2011 – 330 Js 21777/10 1 OWi geht von Tateinheit aus, wenn es sich um mehrere Geschwindigkeitsverstöße, die innerhalb weniger Kilometer bei gleichbleibender Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Fahrt begangen werden, gehandelt hat.  In den Feststellungen heißt es dazu:

Der Betroffene tat dieses mit einer Geschwindigkeit von mindestens 98 km/h gegen 14.47 Uhr bei km 117 und mit mindestens 92 km/h bei km 127, obwohl an angegebenen Stellen die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 StVO auf 80 km/h begrenzt ist.“

Folge:

„Der Bußgeldkatalog sieht für eine entsprechende Übertretung um 18 km/h in Nr. 11.3.3 ein Bußgeld von 30,- Euro vor.

Die weitere geringfügigere Geschwindigkeitsübertretung innerhalb der Strecke mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h war nicht bußgelderhöhend zu berücksichtigen. Wird, wie im Bußgeldbescheid zutreffend, zugrunde gelegt, Tateinheit angenommen, d.h. mehrere Verstöße durch eine Handlung, so gilt gemäß § 2 Abs. 6 BKatV, dass jedenfalls im Verwarnungsgeldbereich unter 35,- Euro nur ein Verwarnungsgeld, und zwar das höchste der in Betracht kommenden, verhängt wird.“