Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

Berufung III: Aufhebung eines Freispruchs durch LG, oder: Beschwer des Angeklagten

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Und zum Abschluss des Tages dann noch der KG, Beschl. v. 30.11.2022 – (3) 121 Ss 147/22 (63/22) – ziur Frage der Beschwer des Angeklagten, wenn das LG einen Freispruch durch das AG aufgehoben und an die große Strafkammer nach § 328 Abs. 2 StPO verwiesen hat.

Das KG sagt:

„a) Die nach Teileinstellung des Verfahrens nur noch gegen die Verweisungsentscheidung des Landgerichts gerichtete Revision ist zulässig (vgl. BGHSt 26, 106). Insbesondere ist der Angeklagte durch die auf § 328 Abs. 2 StPO gestützte Entscheidung beschwert. Wenngleich keine Sachentscheidung getroffen worden ist, liegt die Beschwer darin, dass das Berufungsgericht nicht die vom Angeklagten erstrebte günstigste Sachentscheidung getroffen hat, nämlich die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts zu verwerfen, sondern die Sache an ein anderes Gericht zwecks Prüfung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB verwiesen hat (vgl. BGH NJW 1975, 1237; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 379; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 208).“

Berufung II: Wiedereinsetzung nach Verwerfungsurteil, oder: Ausreichend entschuldigt reicht

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Und als zweite Entscheidung dann das LG Freiburg, Urt. v. 18.04.2023 – 2/23 10 NBs 520 Js 15836/22 – zur Berufung und Wiedereinsetzung nach einem Verwerfungsurteil.

Das AG hatte den Einspruch des Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen, nachdem der Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin ohne vorherige Entschuldigung ferngeblieben ist. In In einem handschriftlichen Brief, der am 06.09.2022 beim AG eingegangen ist, trug der Angeklagte vor, seine Mutter habe den Brief mit der Ladung verlegt, und bat um einen neuen Termin. Das AG legte dieses Schreiben zu Gunsten des Angeklagten gem. § 300 StPO als Wiedereinsetzungsantrag und zugleich als Berufung aus. Den Wiedereinsetzungsantrag verwarf es als „unzulässig und unbegründet“ und legte die Akten nach Rechtskraft des Beschlusses zur Entscheidung über die Berufung dem LG vor.

Die Berufung hatte Erfolg:

„Die Einlassung des Angeklagten und die insbesondere durch die Vernehmung der Mutter des Angeklagten als Zeugin durchgeführte Beweisaufnahme hat folgende Umstände ergeben, die dazu führten, dass der Angeklagte den erstinstanzlichen Verhandlungstermin versäumte:

Der jetzt 55 Jahre alte Angeklagte ist seit fast 10 Jahren bei seiner jetzt knapp 80-jährigen Mutter gemeldet. Seine Mutter lebt seit vielen Jahrzehnten in Deutschland, spricht aber nur sehr rudimentär deutsch. Sie holte aber immer schon die Post der Familie aus dem Briefkasten und legte sie den jeweiligen Familienmitgliedern hin, an die die Post adressiert war. Seit dem Tod ihres Ehemanns vor ca. sechs Jahren ist sie für ihre eigenen Verwaltungsangelegenheiten auf die Hilfe ihres Sohnes angewiesen und wird immer unsicherer.

Der Angeklagte hat seit März oder April 2022 eine neue Freundin, bei der er sich seitdem auch öfters über Nacht aufhält. Er ging aber auch regelmäßig nach Hause zu seiner Mutter, kümmerte sich dort um ihre liegengebliebenen Dinge und nahm die Post in Empfang, die in den zurückliegenden Tagen für ihn angekommen war. Wenn Post für den Angeklagten dabei war, händigte sie ihm diese Briefe aus, wenn er nach Hause kam, bzw. hatte sie auf eine bestimmte Ablage gelegt, wo der Angeklagte sie dann an sich nehmen konnte. Die Ladung zum Termin hatte sie ihm aber nicht hingelegt oder gegeben. Bis dahin hatte der Angeklagte sich darauf verlassen können, dass sie seine und ihre Post nicht durcheinanderbrachte und ihm seine Post zuverlässig aushändigte bzw. hinlegte. Dies tat sie aber nicht mit der Ladung zum Termin zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung, die dem Angeklagten am 06.07.2022 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden war. Erst als sie ihm das Urteil des Amtsgerichts vom 23.08.2022 gab, wurde ihm klar, dass sie seine Ladung verlegt hatte und dass er nicht mehr auf ihre Zuverlässigkeit vertrauen kann. Er machte sich Vorwürfe, dass er dies nicht vorher bemerkt hatte. Auch die Mutter des Angeklagten macht sich große Vorwürfe.

Soweit der Angeklagte in seinem Schreiben vom 06.09.2022 ausführt, er habe seine Mutter „par mal“ gefragt, ob Post vom Gericht gekommen sei, worauf sie geantwortet habe, sie könne sich nicht erinnern, blieb in der Hauptverhandlung unklar, ob diese Nachfragen vor oder nach dem Hauptverhandlungstermin vom 23.08.2022 stattgefunden hatten. Sowohl der Angeklagte als auch seine Mutter verstanden den Unterschied zwischen den beiden Konstellationen nicht und bejahten beide Varianten.

IV.

Bei dieser Sachlage hält die Strafkammer das Ausbleiben das Angeklagten in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung für ausreichend entschuldigt.

An den Begriff der genügenden Entschuldigung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Möglichkeit, den Einspruch gegen den Strafbefehl bei Ausbleiben des Angeklagten zu verwerfen, birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich. Daraus folgt, dass bei der Prüfung vorgebrachter oder vorliegender Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht ist, handelt es sich doch um den ersten Zugang des Angeklagten zum Gericht. Zu berücksichtigen sind stets die Umstände des Einzelfalls – insbesondere die konkreten Umstände in der Zeit vor der Hauptverhandlung, in der der Einspruch verworfen wurde – und die Verhältnisse des Angeklagten. Eine genügende Entschuldigung ist u.a. dann anzunehmen, wenn der Angeklagte die zu erwartenden Verhaltensweisen ergriffen hat, um für seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung Sorge zu tragen, oder wenn das Verschulden gering ist. Hat der Angeklagte die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen und dies auch zu vertreten, so sind die Gründe für das Ausbleiben mit der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung abzuwägen (KG Beschl. v. 12.5.2020 – (5) 161 Ss 101/19 (19/19), BeckRS 2020, 33654 Rn. 8, beck-online, m. w. N.).

Die Strafkammer hält das Verschulden des Angeklagten vorliegend auch dann für gering, wenn er seine Mutter vor dem Hauptverhandlungstermin am 23.8.2022 gefragt hatte, ob Post vom Gericht gekommen sei, und sie geantwortet hatte, sie wisse es nicht. Die Strafkammer schloss nämlich aus den überzeugenden Schilderungen des Angeklagten, dass er damals davon ausging, dass dann auch keine Post gekommen sei. Nie vorher habe sie ihm etwas nicht hingelegt. Daher habe er sich einfach nicht vorstellen können, dass sie einen amtlichen Brief vergisst bzw. irgendwo hinlegt, wo sie ihn nicht mehr findet. Dass dies inzwischen zu befürchten sei, sei ihm erst klar geworden, als das Verwerfungsurteil kam. Andernfalls hätte er sich natürlich z. B. durch einen Anruf beim Gericht erkundigt, da er unbedingt vor Gericht zu dem aus seiner Sicht falschen Tatvorwurf angehört werden möchte.

Dem bei dieser Sachlage nach Auffassung der Strafkammer geringen Verschulden des Angeklagten steht gegenüber, dass gegen den Angeklagten in dem genannten Strafbefehl nicht nur eine Geldstrafe, sondern insbesondere auch ein Fahrverbot verhängt wurde. In Hauptverhandlung über den überschaubaren Sachverhalt sollte nur ein Zeuge aussagen, so dass eine Neuladung keinen erheblichen Aufwand bedeutet.

In der Abwägung ist die Strafkammer der Auffassung, dass vorliegend das berechtigte Interesse des Angeklagten am ersten Zugang zum Gericht sein mögliches geringes Verschulden überwiegt.

Das Verwerfungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Müllheim zurückzuverweisen.“

Im Ergebnis richtig. Ich meine allerdings, dass es auf eine „Abwägung“ nicht ankommt. Wenn „ausreichend entschuldigt“, ist „ausreichend entschuldigt“. Aber das mit der Abwägung meint das LG auch wohl nicht so (ernst) 🙂 .

Berufung I: Ladung zur Berufungshauptverhandlung, oder: Früherer Hinweis gilt nicht fort

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die das Berufungsverfahren betreffen.

Den Opener mache ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 RVs 14/23 – zur Frage der ordnungsgemäßen Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin, die ja Voraussetzung für eine Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO ist.

Hier hatte das LG die Berufung des Angeklagten verworfen. Das hat dem OLG nicht gefallen:

„Die hier den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO noch genügende Verfahrensrüge, der Angeklagte sei zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, weil er nicht über die Folgen seines Ausbleibens belehrt worden sei, greift durch.

Voraussetzung für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Ladung. Eine solche liegt u.a. nur dann vor, wenn ein Angeklagter in ihr auf die Folgen des Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin ausdrücklich hingewiesen worden ist, § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10). Hieran fehlt es.

Ausweislich der Urteilsgründe ist der Rückschein der Ladung des Angeklagten in Polen nicht zur Akte gelangt. Soweit die Kammer in diesem Zusammenhang ausführt, dass der Angeklagte dennoch auch auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens hingewiesen worden sei, weil ihm eine entsprechende Belehrung im Rahmen der Ladung zu dem für den 3. November 2022 anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung, der aufgrund einer Erkrankung des Angeklagten verlegt worden sei, zugestellt worden sei, mag dies zwar in tatsächlicher Hinsicht zutreffend sein. Allerdings reicht ein in einer früheren Ladung erteilter Hinweis verfahrensrechtlich grundsätzlich nicht aus. Denn schon dem Wortlaut des § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO lässt sich entnehmen, dass dem dort festgelegten Erfordernis nur dann genügt ist, wenn der Hinweis in der Ladung des Angeklagten zur anstehenden Berufungshauptverhandlung enthalten ist, und dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin diesen Hinweis enthalten hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. März 1975 – RReg. 5 St 78/75BayObLGSt 1975, 30, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Februar 1981 – 1 Ss 46/81 —, NJW 1981, 2074; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 323, Rdnr. 3). Das Fehlen des Hinweises auf die Folgen des Ausbleibens steht einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO regelmäßig entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10).

Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob die — nicht tragende — und generalisierende Rechtsäußerung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass ein Verwerfungsurteil bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2021 —111-2 RVs 5/21 —, juris, Rdnr. 17) zutreffend ist.

Denn der Senat kann jedenfalls im hier vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht, § 337 Abs. 1 StPO.

Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann beziehungsweise rein theoretischer Natur ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt diese Entscheidung stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vorn 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19 -, NZWiSt 2021, 478; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 337 Rn. 33).

Der Senat kann unter Berücksichtigung des dargestellten Prüfungsmaßstabs zur Beruhensfrage jedenfalls nicht ausschließen, dass das Urteil anders ausgefallen, bzw. es am 6. Dezember 2022 gar nicht erst zu einem Urteil gekommen wäre, wenn die Kammer den o.g. Rechtsfehler, nämlich den Umstand, dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin den Hinweis nach § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO enthalten hat, erkannt hätte.“

Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: „Du musst schon sagen, wen du willst…“

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Und zum Schluss dann noch der KG, Beschl. v.  04.05.2023 – 4 Ws 23/23 – 161 AR 44/23, der sich zum Pflichtverteidigerwechsel äußert.

Das LG hatte den beantragten Wechsel abgelehnt. Die Bescshwerde dagegen hatte beim KG keinen Erfolg:

„Lediglich ergänzend merkt der Senat an:

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 143a Abs. 4 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht den Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers abgelehnt.

a) Nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO ist die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers für die Revisionsinstanz aufzuheben und ein neuer, vom Beschuldigten bezeichneter Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn er dies spätestens binnen einer Woche nach Beginn der Revisionsbegründungsfrist beantragt und der Bestellung des bezeichneten Verteidigers kein wichtiger Grund entgegensteht. Die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I 2128) eingeführte Vorschrift setzt nach dem Wortlaut die konkrete Benennung eines neuen Pflichtverteidigers voraus. Nach der Gesetzesbegründung ist die Bezeichnung des neuen Verteidigers durch den Beschuldigten vor dem Hintergrund erforderlich, dass eine Auswahl von Amts wegen nicht stattfindet (vgl. BT-Drs. 19/13829, Seite 49). Aus diesem Grund verweist § 143a Abs. 3 StPO auch – anders als § 143a Abs. 2 Satz 2 StPO für die in dessen Satz 1 geregelten Fälle des Verteidigerwechsels – nicht auf § 142 Abs. 6 StPO. Es ist daher einhellige Meinung im Schrifttum, der sich der Senat anschließt, dass die Bezeichnung eines neuen Verteidigers Voraussetzung des Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO ist (vgl. Kämpfer/Travers in MüKo/StPO, 2. Auflage, § 143a Rdn. 23; Willnow in KK, StPO 9. Auflage, § 143a Rdn. 15; Krawczyk in BeckOK/StPO, 46. Edition, § 143a Rdn. 39; Hillenbrand StRR 2020, 4; von Stetten in Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Auflage, § 16 Rdn. 121).

Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hat in seinem form- und fristgerecht angebrachten Entpflichtungsantrag vom 16. Dezember 2022 keinen Rechtsanwalt bezeichnet, sondern lediglich angekündigt, er werde „noch einen neuen Rechtsanwalt benennen“. Dem ist er aber nicht nachgekommen, vielmehr hat er in der Beschwerdeschrift vom 21. Februar 2023 mitgeteilt, es sei ihm „nicht möglich einen anderen Rechtsanwalt zu benennen“. Gründe dafür hat er nicht genannt. An den Voraussetzungen eines Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO fehlt es deshalb ungeachtet der Frage, ob der neue Verteidiger bereits im Antrag zu benennen war oder ob dies – jedenfalls innerhalb der Frist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO – noch hätte nachgeholt werden können.

b) Auch die Voraussetzungen der nunmehr ausdrücklich in § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO kodifizierten Möglichkeit der Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers für den Fall, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist, liegen nicht vor. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 19/13829, Seite 48; BGH StraFo 2020, 199; Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 4 Ws 92/20 –).

Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags des Angeklagten mit der unwiderruflichen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und dem bereits zuvor unternommenen Versuch der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (vgl. BVerfG NJW 2001, 3695, 3697; BGH NStZ 2021, 60; 1993, 600; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Auflage, § 143a Rdn. 19 ff.). Wenn – wie hier – der bestellte Verteidiger vom Angeklagten selbst ausgewählt worden ist, sind bei der Prüfung der Entpflichtungsgründe strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. Senat NStZ-RR 2012, 352 mwN).

Der in der Beschwerdeschrift erhobene Vorwurf, Rechtsanwalt S habe entgegen seiner Zusicherung keine Revision eingelegt, trifft nicht zu. Vielmehr hat der Pflichtverteidiger – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – rechtzeitig Revision eingelegt und diese innerhalb der Revisionsbegründungsfrist begründet. Allein der nicht belegte Vorwurf des Angeklagten, Rechtsanwalt S nehme trotz entsprechender Bitten keinen Kontakt zu ihm auf, lässt den Schluss auf eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses nicht zu (vgl. auch BGH NStZ 2021, 381).

Pflichti I: Wieder etwas zu Beiordnungsgründen, oder: Schwere der Tat, Waffengleichheit, Beweisverwertung

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Und heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Es haben sich wieder ein paar Entscheidungen angesammelt. Nichts Weltbewegendes, aber es lohnt sich :-).

Zunäch dann die Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen – und auch ein wenig Verfahrensrecht. Ich stelle aber nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung ist eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers. Diese Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie nur wegen einer Gesamtstrafenbildung erreicht wird.

2. Eine – auch entsprechende – Anwendung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO auf die Fälle des § 141 Abs. 1 StPO ist aufgrund der eindeutigen Systematik des § 141 StPO ausgeschlossen.

1. Gegen die Versagung der Bestellung eines Pflichtverteidigers steht dem Beschuldigten ein Beschwerderecht zu, nicht aber dem nicht beigeordneten Rechtsanwalt. Im Zweifel ist zwar davon auszugehen, dass eine Einlegung eines Rechtsmittels nicht im eigenen Namen des Verteidigers erfolgt. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich aus den Umständen die Beschwerdeeinlegung im eigenen Namen des Verteidigers ergibt.

2. Die Schwere der dem Beschuldigten drohenden Rechtsfolgen, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt, bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.

3. Zur Frage, wann weitere laufende Verfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordern.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens erfordert beim Vorwurf einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung, sowie der Tatsache, dass sowohl die beiden als Haupttäter Mitangeklagten als auch der Nebenkläger anwaltlich vertreten sind, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn das Amtsgericht aufzuklären hat, ob es sich bei einer Äußerung des Beschuldigten um eine verwertbare Spontanäußerung gehandelt hat oder ob ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO in Betracht kommt.

Na, zufrieden? Ich denke, dass man das sein kann, denn insbesondere die Entscheidungen des LG Magdeburg und des LG Nünrberg-Fürth sind „sehr schön“.

Zu der verfahrensrechtlichen Porblematik bei LG Koblenz kann man nur sagen: Selbst schuld, denn warum macht man nicht deutlich, dass der Mandant Rechtsmittel einlegt?