Archiv für den Monat: Januar 2025

Pflichti III: Und nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Zwei Wochen Zeit sind nicht unverzüglich

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Und dann – wie meist im dritten Posting – noch etwas zur Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung. Dazu habe ich heute aber nur eine Entscheidung, nämlich den AG Halle (Saale), Beschl. v. 10.01.2025 – 396 Gs 356 Js 51201/24 (43/24) :

„Dem Antrag des Verteidigers auf Bestellung zum Pflichtverteidiger war zu entsprechen, denn sämtliche Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO sind erfüllt. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, weil die vormals Beschuldigte sich seit dem 25.11.2024 in anderer Sache in Haft befindet. Der ehemals Beschuldigten war der Tatvorwurf mit dem polizeilichen Schreiben vom 04.11.2024 eröffnet worden und es lag ein über ihren Verteidiger gestellter Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers vor. Mithin hätte die ermittelnde Polizeidienststelle gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 StPO diesen Antrag unverzüglich dem gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 1 StPO zuständigen Gericht zur Entscheidung vorlegen müssen. Diese Unverzüglichkeit liegt nicht vor, weil der Antrag des Verteidigers vom 19.11.2024 erst am 03.12.2024 an das hiesige Amtsgericht übermittelt wurde, wo er ausweislich eines Eingangsstempels am 05.12.2024 eingegangen ist. Ein Ausnahmefall des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO liegt hier nicht vor, denn diese Ausnahmevorschrift bezieht sich nach dem Wortlaut ausschließlich auf § 141 Abs. 2 S. 1 StPO und nicht auf § 141 Abs. 1 StPO.“

Pflichti II: Unübersichtliche Akten, Geldstrafe, oder: Steuerhinterziehung, Beweisverwertungsverbot

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Im zweiten Posting stelle ich die in den letzten Tagen eingesandten Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen vor, und zwar zwei LG-Beschlüsse und einen AG-Beschluss.

Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt, ist dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann. Das kann nach der gebotenen Gesamtbetrachtung der Fall sein, wenn Umfang der Akte mit 12 weiteren Fallakten und die Anzahl von 14 enthaltenen Ermittlungsverfahren es dem gerade 20-jährigen Beschuldigten erschwert, ohne anwaltliche Hilfe deutlich, den Überblick über die Vorwürfe zu behalten.

Für die Beurteilung, ob die Rechtslage wegen eines behaupteten Beweisverwertungsverbotes schwierig ist, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszuge-hen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Beweisverwer-tungsverbot unterliegt. Die sich insoweit stellenden Rechtsfragen wird ein juristischer Laie nicht beantworten könne. Hinzu kommt, dass die Frage, ob von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist, regelmäßig ohne vollständige Aktenkenntnis nicht zu beantworten ist.

1. Bei einer drohenden Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen oder mehr kann im Einzelfall eine Verteidigung wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge geboten sein.

2. Bei Tatvorwürfen der Steuerhinterziehung über mehrere Veranlagungszeiträume, die auf Schätzungsgrundlagen beruhen, ist eine Verteidigung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage jedenfalls dann geboten, wenn weitere Umstände in der Person des Angeklagten hinzutreten, die befürchten lassen, dass der Angeklagte den Sachverhalt in seiner Komplexität nicht erfasst, was z.B. bei sprachliche. Schwierigkeiten und der Erforderlichkeit eines Dolmetschers der Fall sein kann.

Pflichti I: Nichts Neues zum Pflichtverteidigerwechsel, oder: Pauschale Behauptungen reichen nicht.

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Und heute stelle ich dann Pflichtverteidigungsentscheidungen vor.

Ich beginne mit zwei Beschlüssen des BGH zum Pflichtverteidigerwechsel. Es kommt zunächst der BGH, Beschl. v. 14.01.2025 – 5 StR 655/24.

Der Angeklagte hatte bereits beim LG einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt. Begründung: Sein bisheriger Verteidiger sei „erpresserisch“, er hintergehe ihn und er „pfusche“ an seinen Emotionen „herum“. Das LG hat den zurückgewiesen.

Nun hat der Angeklagte abermals einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt. Er fühle sich durch seinen bisherigen Verteidiger „nicht gut vertreten“, er sei „narzisstisch“, „unkompetent“ und wisse nicht, was er tue, er hintergehe und schikaniere ihn. Der Pflichtverteidiger ist den Anschuldigungen des Angeklagten entgegengetreten. Aus seiner Sicht sei auch dieser Antrag im Kontext der krankheitsbedingten, persönlichen Unzufriedenheit des Angeklagten zu sehen, so habe der Angeklagte zuletzt zahlreiche Personen mit unbegründeten Beschwerden „überzogen“.

Der BGH hat den Antrag abgelehnt:

„1. Die Regelung des § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Möglichkeit für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren enthält, greift nicht ein. Über den Antrag des Angeklagten vom 27. September 2024 hat bereits die seinerzeit zuständige Strafkammervorsitzende am 10. Oktober 2024 entschieden. Bezüglich des hier zu entscheidenden Antrags vom 18. Dezember 2024 ist die Wochenfrist des § 143a Abs. 3 StPO bereits abgelaufen.

2. Auch die daneben anwendbaren allgemeinen Tatbestände für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen nicht vor. Insbesondere eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StPO) ist nicht glaubhaft gemacht. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 – StB 2/22 Rn. 12). Daran fehlt es, da der Angeklagte unter anderem nur angibt, dass sein bisheriger Verteidiger ihn hintergehe und schikaniere. In der Sache wiederholt der Angeklagte damit nur seine bereits gegenüber dem Landgericht geäußerten Anschuldigungen gegen seinen Pflichtverteidiger, die schon die Strafkammervorsitzende in ihrem Beschluss vom 10. Oktober 2024 als unsubstantiiert zurückgewiesen hat. Derartig pauschale Behauptungen, ohne konkrete Tatsachen vorzubringen, genügen für eine substantiierte Darlegung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2020 – 4 StR 654/19 Rn. 5).

Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten entgegensteht und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers gebietet (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO). Eine offenkundige Untätigkeit des Pflichtverteidigers, durch die dem Angeklagten ein an sich zustehendes Rechtsmittel genommen wird (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 22. März 2007 – 59519/00, NJW 2008, 2317, 2320; BGH, Beschluss vom 7. August 2019 – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349), liegt nicht vor. So hat der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt K. die Revision fristgerecht eingelegt und jedenfalls ordnungsgemäß mit der allgemeinen Sachrüge begründet und damit eine Überprüfung des Urteils durch den Senat ermöglicht. Auch deshalb erweisen sich die weiteren Behauptungen des Angeklagten, der Pflichtverteidiger sei „total unorganisiert und unkompetent“ als unerfindlich.“

Nichts Besonderes der Beschluss, in dem wir im Grunde nur das lesen, was wir zu dieser Frage immer lesen. Ebenso ist es mit dem BGH, Beschl. v. 30.12.2024 – 2 StR 350/24 -, auf den ich der Vollständigkeit halber hinweisen will.

KCanG III: Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Wann liegt Cannabismissbrauch vor?

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Und dann habe ich hier im dritten Posting noch etwas aus dem Verkehrsrecht, und zwar mit dem VG Ansbach, Beschl. v. 03.01.2025 – AN 10 S 24.3086 – etwas aus dem Verkehrsverwaltungsrecht-

Eragangen ist der Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren betreffend die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins und eines Fahrgastbeförderungsscheins.

Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B, L und einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Der Antragsgegner erhielt Kenntnis davon, dass der Antragsteller am 03.05.2024 gegen 18.55 Uhr mit seinem Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis gefahren ist. Eine bei ihm daraufhin um 19.42 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgende Werte: 7,6 ng/ml THC, 2,9 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 132 ng/ml THC-Carbonsäure. Ausweislich des ärztlichen Berichts waren keine Ausfallerscheinungen ersichtlich. Der Gang war sicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar und der Denkablauf geordnet. Im Aktenvermerk der Polizeiinspektion wurde zudem festgehalten, dass keine Fahrfehler festgestellt werden konnten und der Antragsteller während der Kontrolle angegeben habe, dass er regelmäßig Marihuana konsumiere.

Daraufhin  forderte der Antragsgegner zur zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Als das nicht kommt, wird dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen. Zugleich verpflichtete der Antragsgegner ihn, seinen Führerschein sowie den Fahrgastschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Der Antragsteller gibt dann Führerschein und Fahrgastschein an, legt aber Widerspruch ein und begehrt dann einstweiligen Rechtsschutz. Ohne Erfolg:

„(II.) Die materiellen Anforderungen zur Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV lagen im maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass der Begutachtungsanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14), vor. Danach muss die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten anfordern, wenn sonstige Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.

Der Antragsgegner ist zutreffend davon ausgegangen, dass sonstige Tatsachen vorliegen, die einen Cannabismissbrauch begründen. Gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV liegt ein Missbrauch von Cannabis vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen des Fahrzeugs nicht hinreichend sicher getrennt werden kann.

Die seit 1. April 2024 geltende Rechtslage unterscheidet zwischen einer Cannabisabhängigkeit (Nr.9.2.3 der Anlage 4 zur FeV), dem Cannabismissbrauch (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) und einem fahrerlaubnisrechtlich unbedenklichen Cannabiskonsum (so auch: BVerwG, B. v. 14.6.2024 – 3 B 11.23, BeckRS 2024, 15306 Rn. 9 f.), welcher nach Vorstellung des Gesetzgebers gelegentlich oder auch regelmäßig erfolgen könne (BT-Drs. 20/11370 S.11). Damit hat der Gesetzgeber die bisherige Annahme, dass mit einem regelmäßigen Konsum in der Regel auch eine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliege, aufgegeben. Im Übrigen erscheint es vorliegend schon zweifelhaft, einen regelmäßigen Konsum anhand eines THC-Carbonsäurewertes von 132 ng/ml anzunehmen, da dies nach (bisheriger) ständiger Rechtsprechung erst ab einem Wert von 150 ng/ml THC-COOH im Blutserum zu bejahen ist (vgl. BayVGH, B. v.19.4.2022 – 11 CS 21.3010, BeckRS 2022, 9296 Rn. 10). Auch die Frage, ob der Antragsteller selbst angegeben habe, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, ist damit nicht mehr entscheidungserheblich.

Mangels gesetzlicher Festlegung eines THC-Wertes in Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV sowie mangels der Anpassung der Begutachtungsleitlinien an die neuen Vorgaben der FeV, greift das Gericht vorliegend auf die Gesetzesbegründung zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zurück (BT-Drs. 20/11370). Aus dieser geht hervor, dass nach dem aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaft die Festlegung eines THC-Grenzwertes, bei welchem der Betroffene im Rahmen der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeuges und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt, nicht möglich sei. Dennoch sei die Legaldefinition des Cannabismissbrauchs aufgrund der Feststellungen der Expertengruppe (vgl. Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG)) dahingehend angepasst worden, dass dieser mit dem gesetzlichen Wirkungswertes von 3,5 ng/ml THC-Blutserum in § 24a StVG korrespondiere. Bei Erreichen dieses THC-Grenzwertes sei nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend. Der Begriff des „nicht Fernliegens“ sei dabei ein Wahrscheinlichkeitsgrad für die Verwirklichung des Straßenverkehrssicherheitsrisikos und sei so zu verstehen, dass der Risikoeintritt möglich, jedoch nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ganz unwahrscheinlich sei (vgl. BT-Drs. 20/11370 S.13). Ausweislich der Darstellungen der Expertengruppe bestehe ab einem THC-Gehalt von über 7 ng/ml THC im Blutserum ein erhöhtes Unfallrisiko und eine verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbuße (vgl. Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG) S. 5 f.). Der Antragsteller wies zum Zeitpunkt der Blutuntersuchung ein THC-Wert von 7,6 ng/ml auf und lag damit im Bereich eines erhöhten Unfallrisikos. Durch das 2-fache Überschreiten des THC-Grenzwertes von 3,5 ng/ml war eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges zumindest nicht fernliegend und im Übrigen nach obigen Ausführungen sogar wahrscheinlich. Die Prognoseentscheidung, ob der Antragsteller in Zukunft sicher zwischen einem verkehrssicherheitsrelevanten Cannabiskonsum und dem Führen eines Fahrzeuges trennen könne, fällt in Anbetracht seines erhöhten THC-Wertes negativ aus. Ein Cannabismissbrauch läge damit vor.

Diese alleinige Feststellung stünde jedoch im Widerspruch zu § 13a Nr. 2b FeV. Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, sofern eine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss begangen wurde. Im Umkehrschluss daraus und in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 13 Nr. 2a, b FeV wird eine einmalige cannabisbedingte Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV ausreichen. Im Falle einer Trunkenheitsfahrt stellt nach ständiger Rechtsprechung das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille eine Zusatztatsache im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2a Alt. 2 FeV dar, da die Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch eingeschätzt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3/20 – SVR 2021, 433). Es spricht demnach viel dafür, dass auch im Falle des § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV Zusatztatsachen, wie fehlende Ausfallerscheinungen, vorliegen müssen, die bei einem erstmaligen Verstoß gegen § 24a StVG auf einen Cannabismissbrauch hindeuten, da auch der Wortlaut von sonstigen Tatsachen spricht.

Ausweislich des ärztlichen Berichts vom 3. Mai 2024 waren keine Ausfallerscheinungen beim Antragsteller ersichtlich. Der Gang war sicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar und der Denkablauf geordnet. Auch im Aktenvermerk der Polizeiinspektion … vom 4. Mai 2024 wurde festgehalten, dass keine Fahrfehler festgestellt werden konnten. Die fehlenden Ausfallerscheinungen stellen eine sonstige Tatsache dar, welche die Annahme eines Cannabismissbrauchs auch bei einem erstmaligen Verstoß begründen. Es kann möglicherweise durch eine Cannabisgewöhnung und das Fehlen von Warnsignalen die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch eingeschätzt werden.

Auch die in der Begutachtungsanordnung gestellten Fragen sind nicht zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die gestellten Fragen orientieren sich am anlassgebenden Sachverhalt, dem Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer THC-Blutkonzentration von 7,6 ng/ml. Dieser Sachverhalt begründet einen Mangel, der bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten werde. Demnach ist die Fragestellung geeignet, um zu klären, ob der Antragsteller in Zukunft sicher zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennen könne.

Gemäß § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sofern sonst Tatsachen vorliegen, welche die Annahme eines Cannabismissbrauchs begründen. Ermessen ist nicht gegeben.

Dem Antragsgegner stand wegen der Nichtvorlage des zu Recht geforderten Gutachtens nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV kein Ermessensspielraum zu (vgl. BayVGH, B. v.22.1.2024 – 11 CS 23.1451 – juris Rn. 15; BayVGH, B. v.30.3.2021 – 11 ZB 20.1138 – juris Rn. 14). Die Entscheidung erweist sich schließlich auch als verhältnismäßig, da dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren und verkehrsgerechten Straßenverkehr der Vorrang gegenüber dem Interesse des Antragstellers an dem weiteren Besitz seiner Fahrerlaubnis einzuräumen ist. Billigkeitserwägungen, wie die Notwendigkeit der Fahrerlaubnis zur Berufsausübung, können an dieser Stelle nicht entgegengehalten werden. Gründe, die den Antragsteller daran gehindert haben, das rechtmäßig verlangte Fahreignungsgutachten rechtzeitig beizubringen, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.

bb) Aufgrund der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1, erweist sich voraussichtlich auch die akzessorische Ablieferungspflicht des Führerscheins in Ziffer 2 und des Fahrgastscheins in Ziffer 3 des Bescheids als rechtmäßig, § 47 Abs. 1 FeV.

4. Aus diesen Gründen wird die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben, weswegen das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids dem Interesse des Antragstellers einstweilen weiter am Straßenverkehr teilzunehmen, überwiegt. Insbesondere in Anbetracht der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen, wiegt das öffentliche Interesse am Schutz von Leben, Gesundheit sowie Eigentum der Fahrgäste und anderer Verkehrsteilnehmer besonders schwer. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher insgesamt, auch hinsichtlich des unter Ziffer 2 gestellten Antrags auf Vollzugsfolgenbeseitigung, abzulehnen.“

KCanG II: Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG, oder: Dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Im zweiten Posting dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 10.01.2025 – 7 Qs 3/25 – zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren, wenn zu prüfen ist, ob eine Freiheitsstrafe unter Anwendung der Art. 313, 316p EGStGB i.V.m. Art. 13 CanG neu festzusetzen bzw. zu ermäßigen wäre.

„Die gem. §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Beschwerdeführer war ein Pflichtverteidiger zu bestellen, da im Vorliegenden ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO analog gegeben ist.

Im Vollstreckungsverfahren ist dem Verurteilten in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 140 Rdn. 34), oder wenn die Entscheidung von besonderem Gewicht ist (vgl. OLG Jena, NStZ-RR 2003, 284; OLG Karlsruhe, StV 1994, 552). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Vollstreckungsverfahren in weitaus geringerem Maße als in dem kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (vgl. BVerfG, NM 2002, 2773) und die drei abschließend genannten Merkmale des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO daher einschränkend zu beurteilen sind (vgl. KG, NStZ-RR 2006, 211). Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift kommt es insbesondere dar-auf an, in welchem Umfang die vollstreckungsrechtliche Entscheidung in die Rechte des Verurteilten eingreift (vgl. KG, NJW 2015, 1897; KG, BeckRS 2016, 119933).

Danach sind die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung hier gegeben.

Der Gesichtspunkt der Schwere der Tat gebietet grundsätzlich nicht die Mitwirkung eines Verteidigers. Da im Vollstreckungsverfahren – anders als im Erkenntnisverfahren – die Höhe der Strafe feststeht, lässt sich die Rechtsprechung über die Notwendigkeit der Verteidigung wegen der Schwere der Tat grundsätzlich nicht ohne Weiteres auf das Vollstreckungsverfahren übertragen. Vielmehr ist auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten abzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 140 StPO Rdn. 34). Vorliegend wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Im gegenständlichen Vollstreckungsfall wäre zu prüfen, ob diese Freiheitsstrafe – als freiheitsentziehende Straftatfolge – unter Anwendung der Art. 313, 316p EGStGB i.V.m. Art. 13 CanG neu festzusetzen bzw. zu ermäßigen wäre. Insoweit nahm die Kammer die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zu Freiheitsstrafen von über einem Jahr zu § 140 Abs. 2 StPO in den Blick (vgl. LG Neuruppin, BeckRS 2024, 31189). Weiter nahm die Kammer auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage in Blick. Auch hierbei verkennt die Kammer nicht, dass sich diese ebenfalls nicht nach den Verhältnissen im Erkenntnisverfahren beurteilt. Denn der Beschwerdeführer muss sich nicht gegen einen Tatvorwurf verteidigen; das Vollstreckungsgericht ist an die rechtskräftigen Feststellungen des Tatrichters in dem zu vollstreckenden Urteil gebunden. Maßgebend ist vielmehr auch, ob die rechtliche Lage schwierig ist (vgl. KG, BeckRS 2016, 119933). Dies ist hier jedoch aufgrund divergierender gerichtlicher Entscheidungen zur Neufestsetzung bzw. Ermäßigung in Fällen in denen der gleichzeitige Besitz verschiedener Betäubungsmittel den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nur einmal verwirklicht der Fall, da die Vorschrift des Art. 313 EGStGB hierzu keine ausdrückliche Regelung enthält (vgl. LG Magdeburg, BeckRS 2024, 23106; Saarländisches OLG, Beschluss vorn 16.04.2024 – 1 Ws 37/24).

Aufgrund einer Gesamtschau dieser Umstände war dem Beschwerdeführer im Vorliegenden ein Pflichtverteidiger für das Nach-/Prüfverfahren gem. Art. 313, 316p EGStGB i.V.m. Art. 13 CanG zu bestellen.“