Archiv für den Monat: Juni 2010

Bundesrat: Stärkung des Berufsgeheimnisträgerschutzes auch im BKA-Gesetz

Der Bundesrat hat am 04.06.2010 den Gesetzentwurf der Bundesregierung „Zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht“ beraten.Dieser will die Spaltung der Anwaltschaft in Strafverteidiger und sonstige Anwälte aufheben.

Der Bundesrat fordert jetzt auch eine Anpassung des § 20u BKA-Gesetz. § 20u BKAG enthält eine dem bisherigen § 160a StPO vergleichbare Regelung, wonach der absolute Schutz vor polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen nach dem Unterabschnitt 3a des Bundeskriminalamtgesetzes nur Geistlichen, Verteidigern und Abgeordneten zuteil wird, während für die übrigen Berufsgeheimnisträger nur ein relativer Schutz gilt. Auch der DAV hält eine Korrektur des § 20u BKA-Gesetz für zwingend erforderlich. Wird die Differenzierung im repressiven Bereich aufgehoben, muss dies insbesondere zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch seinen Niederschlag im präventiven Bereich finden. Die freie und ungehinderte Kommunikation des Mandanten mit seinen Anwälten muss in allen Bereichen vor staatlicher Ausforschung geschützt werden.

Quelle: DAV-Depesche Nr. 21/10

Bei menschenunwürdiger Unterbringung ist Strafvollzug zu unterbrechen…

Jeder Verteidiger, der im Strafvollzug verteidigt, sollte sich mit der Entscheidung des 3. Zivilsenats (!!) v. 11.03.2010 – III ZR 124/09 vertraut machen. In der ging es um die Entschädigung eines Strafgefangenen bei menschenunwürdiger Unterbringung und der Remonstrationspflicht des Gefangenen im Hinblick auf § 839 BGB. Zu der Entscheidung lässt sich manches sagen/fragen: so z.B., warum sich eigentlich der Staat mit „Händen und Füßen“ gegen (begründete) Ansprüche von Personen wehrt, die zwar zu Recht inhaftiert sind, dann aber Bedingungen unterworfen werden, die mit der Menschenwürde nicht in Einklang stehen (stammt übrigens nicht von mir, sondern von StA Artkämper demnächst im StRR).

Das kann man hier alles nicht erörtern. Hinweisen will ich aber auf eine Passage in der Entscheidung, die vermutlich demnächst im Strafvollzug den Vollzugsbehörden „viel Freude“ bereiten wird :-). Der BGH führt nämlich aus:

„Sind die Haftbedingungen menschenunwürdig und kann eine Vollzugsanstalt auch unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (einschließlich der Verlegung in eine andere Haftanstalt, ggf. auch in einem anderen Bundesland) einer Gerichtsentscheidung, die dies feststellt, nicht nachkommen, muss notfalls die Strafvollstreckung unterbrochen werden. Die Aufrechterhaltung eines gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßenen Zustands ist verboten. Eine Abwägung der unantastbaren Menschenwürde mit anderen – selbst verfassungsrechtlichen – Belangen ist nicht möglich (vgl. BVerfG NJW 2006, 1580, 1581 Rn. 81)“.

Um Einwänden vorzubeugen: Mir ist bewusst, dass der BGH das vor dem Hinter­grund des Ausschlusses einer Entschädigung feststellt, aber: Argumentativ wird man diese Passage im Strafvollstreckungs-/Vollzugsverfahren sicherlich verwenden können.

Der BGH zum Quasi umgekehrten Doppelverwertungsverbot

Wir alle kennen das sog. Doppelverwertungverbot des § 46 Abs. 2 StGB, das verbietet, Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, (strafschärfend) zu berücksichtigen. Es gibt aber auch den quasi umgekehrten Fall, dass nämlich Umstände, die schon von Gesetzes wegen zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigen finden, nicht im Rahmen der Strafzumessung noch einmal bewertet werden dürfen. Dazu gehört die Länge der U-Haft.

Dazu hat der BGH im Urt. v. 19.05.2010 – 2 StR 102/10 – ausgeführt:

Die Strafkammer hat darüber hinaus fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er sich bereits länger als sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Vollzug der Untersuchungshaft an sich darf jedoch nicht mildernd berücksichtigt werden (vgl. Senat BGH NJW 2006, 2645 m.w.N.; BGH 5 StR 456/08, insoweit in NStZ 2009, 202 nicht abgedr.). Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung der Freiheitsstrafe regelmäßig ohne Bedeutung, da die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird…“

Etwas anderes gilt natürlich, wenn zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft festzustellen sind/vorliegen.

Warum will der BGH die Kollegin Rueber nicht sehen?

Im Blog-Beitrag: Der BGH meint, ich soll zu Hause bleiben, fragt sich die Kollegin Rueber, warum der BGH sie nicht sehen will (verstehe ich auch nicht; das Erscheinen der Kollegin wäre bestimmt mal ein Lichtblick im vielleicht sonst tristen BGH-Alltag)? Auf den ersten Blick ist das sicherlich ein wenig überraschend, auf den zweiten erklärt es sich dann zwanglos mit den Besonderheiten des Revisionsverfahrens. Und zwar:

Da kein Fall des § 349 Abs. 1 – 4 StPO vorliegt, wird nach Abs. 5 durch Urteil entschieden. Ein Urteil setzt eine mündliche Hauptverhandlung voraus; zu der besteht aber im Revisionsverfahren nach § 350 Abs. 1 StPO, den das BVerfG schon geprüft und für verfassungsgemäß befunden hat, keine Anwesenheitpflicht. Die „Ausladung“ hat m.E. damit zu tun hat, dass der Senat die Revision der StA verwerfen will so ein Kommentar bei der Kollegin Rueber. Ich kann es nicht sicher sagen, halte es aber nicht für wahrscheinlich, dass es beim BGH einen solchen Usus gibt, denn dann könnte man ja aus der Ladung immer schon ersehen, ob die Revision Erfolg hat oder nicht. Im Übrigen wird im Revisionsverfahren der Verteidiger auch nicht zur HV geladen, sondern ihm wird nach § 350 Abs. 1 StPO der Termin auch nur „mitgeteilt“.

Ob die Kollegin zur „Fortbildung“ hinfährt, ist sicherlich eine Frage des Einzelfalls. Beim Freispruch wird es im Zweifel nicht um Rechtsfragen gehen 🙂

OLG Koblenz: Keine Aufhebung der Sicherungsverwahrung aufgrund EGMR-Urteil

Nach einer Pressemitteilung des OLG Koblenz, über die LNCA berichtet, hat der 1. Strafsenat des OLG Koblenz jetzt zur Sicherungsverwahrung Stellung genommen. Es heißt dort:

„Das Kammerurteil des EGMR vom 17.12.2009 führt in gleich gelagerten Fällen nicht zwangsläufig zur Aufhebung der Sicherungsverwahrung. Darauf hat das OLG Koblenz mit einem Beschluss hingewiesen.

In seinem Beschluss vom 07.06.2010 hatte der 1. Strafsenat des OLG Koblenz über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in einem Fall zu entscheiden, in dem die Sicherungsverwahrung bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1984 angeordnet worden war. Zu dieser Zeit war die Sicherungsverwahrung selbst bei Fortbestehen der Gefährlichkeit des Untergebrachten auf 10 Jahre begrenzt (§ 67d Abs. 1 StGB alter Fassung). Die Zehnjahresgrenze ist erst mit der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB durch Gesetz vom 26.01.1998 weggefallen. Aus diesem Grund hatte der EGMR in einem gleich gelagerten Fall, in dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung und die Anlasstat ebenfalls vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über 10 Jahre hinaus als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und damit als unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK angesehen.

Der zuständige Strafsenat des OLG Koblenz hat in seinem Beschluss festgestellt, dass das Urteil des EGMR keine Bindungswirkung über den konkret entschiedenen Fall hinaus entfaltet. Zwar folge aus Art. 1 EMRK eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats, eine durch den Gerichtshof festgestellte Konventionsverletzung auch in parallelen Fällen zu beenden. Urteile des EGMR hätten jedoch keine Gesetzeskraft. Sie wirkten nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hinein und könnten damit eine konventionskonforme innerstaatliche Rechtslage nicht erzeugen. Die Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt hätten die Europäische Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den EGMR lediglich im Wege der Gesetzesauslegung zu beachten.

Schon der Wortlaut der §§ 67d Abs. 3, 2 Abs. 6 StGB, der die Grenze jeder Gesetzesauslegung bilde, lasse aber eine Ausnahme für Altfälle nicht zu. Es sei der erklärte Wille des Gesetzgebers gewesen, dass der Wegfall der Zehnjahresdauer gemäß § 67d Abs. 1 StGB alter Fassung nicht nur für künftige Anordnungen der Sicherungsverwahrung, sondern auch für „Altfälle“ gelte. Da die Gesetzesänderung nicht die Anordnung, sondern lediglich die Dauer der Sicherungsverwahrung betrifft, habe der Gesetzgeber darin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gesehen. Dessen Ziel sei es gewesen, mit der Neuregelung einen möglichst umfassenden Schutz der Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten. Auch das BVerfG habe in seinem Urteil vom 05.02.2004 (Az.: 2 BvR 2029/01) die Geltung des § 67d Abs. 3 StGB für Altfälle für verfassungsgemäß erklärt. Die Umsetzung des Urteils des EGMR in das innerstaatliche Recht sei letztlich dem Gesetzgeber vorbehalten.

Der Senat sah daher in dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 keinen Anlass, die angeordnete Sicherungsverwahrung im konkreten Fall zu beenden. Vor einer Entscheidung über eine Erledigung der Sicherungsverwahrung hielt er vielmehr die Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen gem. § 463 Abs. 3 S. 4 StPO für erforderlich.

Beschluss des OLG Koblenz vom 07.06.2010

Az.: 1 Ws 108/10

Quelle: Pressemitteilung des OLG Koblenz vom 09.06.2010