Archiv für den Monat: Oktober 2009

Mündliche Verhandlung in Sachen „Vorratsdatenspeicherung“

Die mündliche Verhandlung in Sachen „Vorratsdatenspeicherung“ findet am 15.12.2009 beim BVerfG in Karslruhe statt. Man darf gespannt sein, was Karlsruhe nun endgültig aus der Regelung macht. Quelle PM Nr. 124/2009 vom 27. Oktober 2009

Europaweite Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren

Das BMJ „meldet“: Der Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) hat sich am 23.10.2009 auf einen Fahrplan geeinigt, mit dem europaweit Mindeststandards für Beschuldigtenrechte in Strafverfahren eingeführt werden sollen. Zugleich haben die Justizminister und -ministerinnen sich politisch auf einen Rahmenbeschluss geeinigt, der das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren garantiert. In der PM des BMJ heißt es:

„Auf europäischer Ebene stand bei der strafrechtlichen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren vor allem die Optimierung der Ermittlungstätigkeit durch Verbesserung staatlicher Eingriffsrechte sowie die Sicherung des Verfahrens und seiner Ergebnisse im Vordergrund. Grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit auf Basis gegenseitiger Anerkennung setzt aber nicht zuletzt Vertrauen in die Rechtssysteme der anderen Mitliedstaaten voraus.

(Ex-; Ergänzung vom Verfasser)Bundesjustizministerin Brigitte Zypries machte deutlich, dass Grundlage dieses Vertrauens gemeinsame Mindestgarantien seien, die den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Gewissheit geben, dass in allen Mitgliedstaaten die gleichen hohen rechtlichen Standards gelten. Deshalb sei es notwendig, dass die Europäische Union mit denselben rechtlichen Instrumenten, mit denen sie Eingriffsbefugnisse regele, auch die Schutzrechte der Betroffenen festlege. Dabei könne die Frage, welche Rechte man in einem Strafverfahren habe, für jede und jeden ganz schnell sehr konkrete praktische Bedeutung erlangen, unterstrich die Ministerin weiter. Bisher gab es je nach Mitgliedstaat Unterschiede, wie mit Verdächtigen oder Beschuldigten umgegangen wurde, die die Sprache des Mitgliedstaats nicht oder nur unzureichend sprechen. Zukünftig werden die Bürgerinnen und Bürger in Europa darauf vertrauen können, in allen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Mindestmaß an Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen gewährleistet zu bekommen, erläuterte Zypries abschließend.

Die Regelungen des am 23.10.2009 getroffenen Rahmenbeschlusses Übersetzung und Verdolmetschung sehen EU-einheitliche Mindeststandards für die Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren vor. Um eigene Rechte wahrnehmen und sich sachgerecht verteidigen zu können, muss man in der Lage sein zu verstehen, mit welchen Vorwürfen und Maßnahmen man konfrontiert wird. Zudem muss man sich verständlich machen und die eigene Sicht der Dinge schildern können. Damit dies möglich ist, verpflichten sich die Mitgliedstaaten, zukünftig bei allen Vernehmungen, z. B. auf der Polizeiwache oder vor einem Staatsanwalt oder Richter, einen Dolmetscher auf Kosten des Staates zur Verfügung zu stellen; auch entsprechende Verteidigergespräche werden gedolmetscht. Darüber hinaus erhält der Beschuldigte eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen, wie z. B. des Haftbefehls oder der Anklageschrift.

Deutschland hatte bereits während seiner Ratspräsidentschaft 2007 den Vorstoß unternommen, europaweit Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren einzuführen. Damals waren die Bemühungen für einen umfassenden Rahmenbeschluss noch an wenigen Mitgliedsstaaten gescheitert. Auf Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft ist es nun im Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) gelungen, sich auf eine schrittweise Einführung EU-weiter Mindestgarantien in Strafverfahren zu verständigen. Zur stufenweisen Implementierung von Einzelmaßnahmen hat der Rat einen Fahrplan beschlossen. Dieser Fahrplan trifft politische Festlegungen und legt folgende konkrete Bereiche für die europaweite Vereinheitlichung und Verbesserung von Rechten fest:

Übersetzung und Dolmetschung,

Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung,

Rechtsbeistand und die Prozesskostenhilfe,

die Benachrichtigung von Verwandten, dem Arbeitgeber und Konsularbehörden,

besondere Schutzmaßnahmen für Beschuldigte, die z. B. aufgrund von Erkrankung einer besonderen Fürsorge bedürfen sowie

Diskussionspapier („Grünbuch“) zur Untersuchungshaft.

Für die ebenfalls im Fahrplan vorgesehene Maßnahme der Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung hat das Bundesministerium der Justiz ein Forschungsprojekt zur europaweiten Einführung einer einheitlichen schriftlichen Beschuldigtenbelehrung („Letter of Rights“) in Auftrag gegeben, das von der Europäischen Kommission gefördert und wissenschaftlich von der Universität Maastricht geleitet wird. Die Ergebnisse dieser Studie, die für das Jahr 2010 zu erwarten sind, sollen zügig zu einer EU-weiten Verständigung über die Notwendigkeit und die Inhalte eines solchen Informationsblattes führen. Deutschland wird auch die folgenden Präsidentschaften dabei unterstützen, weitere Verfahrensrechte europaweit zu verankern.

Der Rahmenbeschluss wird durch eine Entschließung des Rates begleitet, die Qualitätsstandards für die Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen festschreibt. Ein hohes Niveau auf diesem Gebiet ist unerlässlich, damit das Recht auf Übersetzung und Dolmetschung in Strafverfahren zugunsten von Beschuldigten seine volle Wirkung entfalten kann und der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, seine Verteidigungsrechte effektiv ausüben zu können.“

Na, da darf man gespannt sein, was Schwarz/Gelb daraus macht.

OLG Oldenburg: Änderung der Rechtsprechung zur nachträglichen Entziehung der Fahrerlaubnis

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass das AG den Angeklagten wegen einer Verkehrsdelikts verurteilt, immer aber trotz eines Regelfalls die Fahrerlaubnis nicht vorläufig entzieht, obwohl ein entsprechender Antrag der StA vorgelegen hat. Dann stellt sich die Frage, ob das Berufungsgericht vor der Berufungshautpverhandlung auch ohne Vorliegen neuer Umstände die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen darf. Das ist in der Rechtsprechung nicht ganz unbestritten, die Frage wird aber von der wohl h.M. bejaht.

Der hat sich jetzt auch das OLG Oldenburg in einem Beschl. v. 30.09.2009 – 1 Ws 522/09, und damit seine frühere anders lautende Rechtsprechung aufgegeben.

Der Leitsatz lautet:

„Hat das Amtsgericht den Angeklagten wegen einer Straßenverkehrsgefährdung verurteilt, aber keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO angeordnet, sondern einen darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft nicht beschieden, so kann das Berufungsgericht vor der Berufungsverhandlung auch ohne Vorliegen neuer Umstände und auch noch 9 Monate nach dem Vorfall jedenfalls dann die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn es sich dabei die Würdigung der Tat im amtsgerichtlichen Urteil zu eigen macht.“

Biene Maja/Schwarz/Gelb: Was ist denn nun an dem Vorhaben liberal? Aussagepflicht vor der Polizei?

Liest man den Koalitionsvertrag – Überschrift „Wachstum.Bildung.Zusammenhalt – dann ist man, wenn sich dem Bereich der Rechtspolitik nähert, schon erstaunt. Da hat man doch zwischen Änderungen im Wiederaufnahmerecht (zu Lasten des Angeklagten/Verurteilten) und Änderungen im Transsexuellenrecht eine m.E. weit reichende Änderung „versteckt“. Lapidar heißt es dort: „Wir werden eine gesetzliche Verpflichtung schaffen, wonach Zeugen im Ermittlungsverfahren nicht nur vor dem Richter und dem Staatsanwalt, sondern auch vor der Polizei erscheinen und – unbeschadet gesetzlicher Zeugenrechte – zur Sache aussagen müssen.“ Da kann man Frau Leutheuser-Schnarrenberger ja gleich mal fragen, was das soll und wie man das regeln will? Mit einer vorherigen Ladung oder sollen die Zeugen auch ohne Ladung – „vor Ort/auf Zuruf“ zur Aussage verpflichtet sein. Und was ist, wenn sich der Zeuge weigert. Kann die Polizei dann Zwangsmittel festsetzen? Oder soll das so laufen wie bei der Beiordnung des Vernehmungsbeistandes, dass darüber dann die StA oder der Ermittlungsrichter entscheidet? Können die Polizeibeamten überhaupt die Frage eines Zeugnisverweigerungsrechts oder – noch besser – eines Auskunftsverweigerungsrechts abschätzen/beurteilen. Es werden sicherlich wunderbare Vernehmungen bei der Polizei werden, wenn man das wirklich umsetzt.

Das Ganze ist allerdings übrigens nicht so ganz neu. Denn ein entsprechender Vorschlag war schon im Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Strafverfahrens“ (BR-Drucks. 660/06) als Ergänzung zu § 163a Abs. 6 StPO-E enthalten; übrigens ein wunderbarer Name für ein Gesetz, das ua. Rechte abbaut. Gegen dieses Gesetz hat sich das BMJ allerdings als nicht genügend „rechtsstaatlich“ ausgesprochen (vgl. BT-Drucks. 16/3659).

Jetzt sind wir aber „liberal“ .

zu allem auch: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/10/25/von-der-polizeiwache-in-die-ordnungshaft/

LG Braunschweig: Nicht aus dem Haus, nicht in der Welt – auch „nachträgliche“ Pflichtverteidigerbenennung hat der Amtsrichter zu berücksichtigen

Manchmal ist man nicht nur erstaunt, sondern „sehr erstaunt“, wenn man Fallgestaltungen sieht/liest. So erging es mir bei einem Beschluss des LG Braunschweig vom 21.09.2009 – 7 Qs 280/09. Es handelt sich zwar noch um einen Fall nach „altem Recht“, die Problematik bleibt aber auch nach den Änderungen des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. OpferRRG aktuell.

Das AG hatte dem Angeschuldigten mit Schreiben vom 10.7.2009 die Anklageschrift förmlich zugestellt und dem Ange­schuldigten Gelegenheit gegeben binnen einer Woche einen Pflichtverteidiger zu benennen. Am 3.8.2009 beschloss das Amtsgericht, dem Angeschuldigten, der sich bis dahin nicht anderweitig geäußert hatte, eine Pflichtverteidigerin beizuordnen. Ausgefertigt wurde der Beschluss am 6.8.2009. Bereits einen Tag zuvor – nämlich am 5.8.2009 um 12.40 Uhr (Eingang bei Gericht) – hatte der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwalt X als Pflichtverteidiger beizuordnen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 26.8.2009 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das LG führt kurz und zackig aus:

Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Zwar hat der Angeschul­digte nicht innerhalb der ihm gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StPO gesetzten Frist einen Verteidiger seiner Wahl benannt. Dies ist aber nachfolgend geschehen und zwar bevor der Beschluss des Vorsitzenden Außenwirkung erlangen konnte. Die Sache hätte mithin dem Vorsitzenden noch einmal vorgelegt werden müssen, damit dieser den Wunsch des Angeschuldigten bei seiner Auswahlentscheidung hätte berücksich­tigen können.“

Dem kann man sich nur anschließen und sagen: Recht so, denn noch war der Beschluss nicht „in der Welt“ und die Frist des § 142 Abs. 1 StPO ist keine Ausschlussfrist. Das weiß jetzt auch das AG.