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Pflichti III: Einhaltung einer Stellungnahmefrist, oder: Verlängerung der Zustellzeiten durch „4-Tagesfiktion“

Frist Termin

Und dann habe ich noch den LG Braunschweig, Beschl. v. 24.02.2025 – 1 Qs 46/25. Es geht um eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellungmit folgendem Sachverhalt:

Gegen den (ehemaligen) Angeklagten wurde durch die Staatsanwaltschaft am 28.08.2024 Anklage erhoben. Mit Beschluss des AG vom 30.10.2024 wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hauptverhandlungstermin wurde bestimmt auf den 19.12.2024. Die Ladung wurde dem Angeklagaten laut Postzustellungsurkunde am 07.11.2024 zugestellt.

Da der Angeklagte der Hauptverhandlung fernblieb, beantragte die Staatsanwaltschaft nach Aussetzung der Hauptverhandlung gegen den ihn wegen der in der Anklageschrift vom 28.08.2024 bezeichneten Tat einen Strafbefehl nach § 408a StPO zu erlassen. Das Gericht teilte dem Angeklagten mit Schreiben vom 19.12.2024, abgesandt am 02.01.2025, mit, dass es erwäge, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben. Gemäß § 408b StPO sei dem ihm daher für das Strafbefehlsverfahren ein Verteidiger zu bestellen. Der Angeklagte wurde aufgefordert innerhalb einer Woche mitzuteilen, ob er bereits einen Rechtsanwalt beauftragt habe bzw. welcher Rechtsanwalt bestellt werden solle. Falls kein Rechtsanwalt beauftragt oder bezeichnet werde, solle Herr Rechtsanwalt R 1 beauftragt werden.

Mangels Rückmeldung des Angeklagten wurde seitens des AG vom 10.01.2025 Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger bestellt. Der Beschluss wurde am 15.01.2025 an den Angeklagten und Rechtsanwalt R 1 versandt.

Mit Schreiben vom 13.01.2025, beim AG am 14.01.2025 eingegangen, gab der Angeklagte an, sich von Rechtsanwalt R 2 vertreten lassen zu wollen. Mit Schreiben vom 14.01.2025, am selben Tag beim AG eingegangen, versicherte Rechtsanwalt R 2 von dem Angeklagten beauftragt worden zu sein und beantragte die Beiordnung seiner Person.

Der Beschluss zur Pflichtverteidigerbestellung vom 10.01.2025 wurde Rechtsanwalt R 1 laut Empfangsbekenntnis am 16.01.2025 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.01.2025, beim AG am 22.01.2025 eingegangen, beantragte Rechtsanwalt R 1 daraufhin Akteneinsicht.

Mit Schreiben vom 26.01.2025, beim AG am selben Tag eingegangen, legte Rechtsanwalt R 2 namens und in Vollmacht des Angeklagten gegen die Beiordnung von Rechtsanwalt R 1 und die faktische Ablehnung der Beiordnung seiner Person sofortige Beschwerde ein. Er habe sich am 14.01.2025 rechtszeitig legitimiert und die Beiordnung seiner Person beantragt. Aus völlig unklaren Gründen habe das Gericht einen Tag später jedoch Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Staatsanwaltschaft hat dann die Akten an das LG mit dem Antrag übersandt, der sofortigen Beschwerde vom 26.01.2025 stattzugeben, den Beschluss des AG vom 10.01.2025 aufzuheben, mit dem Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger bestellt wurde und stattdessen zu beschließen, Rechtsanwalt R 2 als Pflichtverteidiger zu bestellen.

Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass gem. § 37 Abs. 1 StPO für das Verfahren bei Zustellungen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten. Der Lauf einer richterlichen Frist beginne gem. § 221 ZPO, sofern nicht bei ihrer Fristsetzung ein anderes bestimmt wird, mit der Zustellung des Dokuments, in dem die Frist festgesetzt ist. Da das Anhörungsschreiben zur Verteidigerbestellung nach § 408b StPO vom 19.12.2024 als einfaches Schreiben – ohne Zustellungsnachweis – verfügt worden sei, könne die tatsächliche Zustellung des Schreibens nicht festgestellt werden. Der „Abvermerk“ lasse jedoch erkennen, dass das Schreiben erst am 02.01.2025 von der Geschäftsstelle des AG bearbeitet und in den Postausgang gelegt worden sei. Es sei folglich von einer Aufgabe zur Post frühestens am 03.01.2025 zu rechnen. Nach der seit dem 01.01.2025 geltenden 4-Tagesfiktion (durch die Verlängerung der Zustellzeiten durch das bereits am 23.07.2024 beschlossene Postrechtsmodernisierungsgesetz) habe mit einer Zustellung somit nicht vor dem 07.01.2025 gerechnet werden können. Am 10.01.2025 sei die Wochenfrist folglich noch nicht abgelaufen gewesen und die rechtzeitige Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung mit Schreiben vom 14.01.2024 sei folglich nicht zu widerlegen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das LG hat keine eigene Begründung angeführt, sondern hat „auf die zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig Bezug genommen, welche sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen [ge]macht“ hat.

Die Ausführungen des LG 🙂 muss man sich merken. Sie haben nicht nur in Fällen, die mit dem vorliegenden vergleichbar sind, Bedeutung, sondern immer, wenn es um die Einhaltung einer Stellungnahmefrist geht.

Das BVerfG und Fristende bei „Faxrechtsmittel“, oder: Fristgemäß nach drei Jahren

Heute stelle ich dann drei „Rechtsmittelentscheidungen“ vor. Den Anfang mache ich mit dem BVerfG, Beschl. v.  23.12.2016 – 1 BvR 3511/13, ergangen in einem Zivilverfahren, aber m.E. mit darüber hinausgehender Bedeutung. Der Beschluss enthält auch nichts Neues, ruft aber noch einmal den BVerfG, Beschl. v. 15.01.2014 – 1 BvR 1656/09 – dazu Beim Faxen keine Faxen machen, sondern: Sicherheitspolster einkalkulieren – in Erinnerung. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG bekräftigt:

Also: Fristende ist quasi 20 Minuten vor Fristablauf. Darauf sollte man nicht nur bei der Verfassungsbeschwerde achten, sondern in allen Rechtsmittelverfahren, eben auch im Straf- und Bußgeldverfahren. Sonst kann es ggf. schwierig(er) mit einer erforderlichen Wiedereinsetzung werden.

Was fällt an dem Beschluss noch auf? Nun, das BVerfG braucht mehr als drei Jahre für die ein paar Zeilen lange Entscheidung. Das nenne ich dann mal „fristgemäß“ 🙂 .

Aufgepasst: Fristen am Rosenmontag :-)

Schon etwas älter ist der BGH, Beschl. v. 25.06.1980 – VIII ZB 9/80 in dem es um die Wahrung von Fristen an den Karnevalstagen im OLG-Bezirk Düsseldorf ging. Das OLG hatte eine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen der Wiedereinsetzungsantrag.

Dazu der BGH:

Die Beklagten legten gegen das am 17. Januar 1980 zugestellte Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 10. Januar 1980 am 19. Februar 1980 Berufung ein. Am 3. März 1980 beantragten sie, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Zur Begründung dieses Antrags machten sie glaubhaft, daß sie weder am 16. noch am 17. noch am 18. Februar 1980 (Rosenmontag) einen ihrer Prozeßbevollmächtigten oder auch nur deren Kanzlei hätten erreichen können. …..

2. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, weil in jedem Falle die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden trifft.

a) Hätten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten erst mit Schreiben vom 15. Februar 1980 den Lauf der Berufungsfrist mitgeteilt, so träfe sie schon deshalb ein Verschulden, weil sie verpflichtet waren, die Beklagten alsbald von der Zustellung des Urteils zu unterrichten. Zudem hätten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, wenn sie den Lauf der Berufungsfrist erst mit Schreiben vom 15. Februar 1980 mitgeteilt hätten, den Beklagten angesichts der durch die Karnevalstage bedingten Verbindungsschwierigkeiten einen Besprechungstermin vorschlagen müssen, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat.

b) Das letztere gilt auch dann, wenn die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten diese alsbald nach der Zustellung des Urteils über den Lauf der Rechtsmittelfrist unterrichtet und im Schreiben vom 15. Februar 1980 lediglich nochmals auf den Fristablauf hingewiesen hätten. In diesem Falle träfe allerdings auch die Beklagten ein Verschulden. Da sie in N wohnen, waren ihnen die Verhältnisse im R bekannt. Sie mußten daher damit rechnen, daß es in den Karnevalstagen nicht möglich sein werde, mit ihren Prozeßbevollmächtigten Verbindung zu bekommen.“

Manchmal ist zu schnell auch nicht gut….

Manchmal sind zu schnelle/kurzfristige Entscheidungen auch nicht gut bzw. führen zur Aufhebung. So im OLG Celle, Beschl.. v. 18.11.2011 – 1 Ws 453/11. Da hatte das LG dem Angeklagten eine Frist zur Benennung eines Pflichtverteidigers gesetzt und dann später in der Annahme, diese sei abgelaufen, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Frist war aber (noch) nicht abgelaufen, da der Angeklagte das Aufforderungsschreiben wohl erst später erhalten hatte. Das OLG sagt zu der Beschwerde:

Kündigt das Gericht die Beiordnung eines von ihm gewählten Verteidigers an, falls der Angeklagte nicht innerhalb der Frist einen Verteidiger selbst wählt, und ordnet dem Angeklagten in der fehlerhaften Annahme, die Frist sei abgelaufen, sodann einen Verteidiger bei, hat eine Beschwerde des Angeklagten, der nach erfolgter Beiordnung, aber vor Ablauf der Frist einen Verteidiger benennt, Erfolg“.

 

LG Braunschweig: Nicht aus dem Haus, nicht in der Welt – auch „nachträgliche“ Pflichtverteidigerbenennung hat der Amtsrichter zu berücksichtigen

Manchmal ist man nicht nur erstaunt, sondern „sehr erstaunt“, wenn man Fallgestaltungen sieht/liest. So erging es mir bei einem Beschluss des LG Braunschweig vom 21.09.2009 – 7 Qs 280/09. Es handelt sich zwar noch um einen Fall nach „altem Recht“, die Problematik bleibt aber auch nach den Änderungen des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. OpferRRG aktuell.

Das AG hatte dem Angeschuldigten mit Schreiben vom 10.7.2009 die Anklageschrift förmlich zugestellt und dem Ange­schuldigten Gelegenheit gegeben binnen einer Woche einen Pflichtverteidiger zu benennen. Am 3.8.2009 beschloss das Amtsgericht, dem Angeschuldigten, der sich bis dahin nicht anderweitig geäußert hatte, eine Pflichtverteidigerin beizuordnen. Ausgefertigt wurde der Beschluss am 6.8.2009. Bereits einen Tag zuvor – nämlich am 5.8.2009 um 12.40 Uhr (Eingang bei Gericht) – hatte der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwalt X als Pflichtverteidiger beizuordnen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 26.8.2009 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das LG führt kurz und zackig aus:

Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Zwar hat der Angeschul­digte nicht innerhalb der ihm gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StPO gesetzten Frist einen Verteidiger seiner Wahl benannt. Dies ist aber nachfolgend geschehen und zwar bevor der Beschluss des Vorsitzenden Außenwirkung erlangen konnte. Die Sache hätte mithin dem Vorsitzenden noch einmal vorgelegt werden müssen, damit dieser den Wunsch des Angeschuldigten bei seiner Auswahlentscheidung hätte berücksich­tigen können.“

Dem kann man sich nur anschließen und sagen: Recht so, denn noch war der Beschluss nicht „in der Welt“ und die Frist des § 142 Abs. 1 StPO ist keine Ausschlussfrist. Das weiß jetzt auch das AG.