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Deutscher Richterbund kritisiert Gesetzentwurf gegen überlange Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren

Wir hatten hier ja auch schon über den Gesetzesentwurf gegen überlange Gerichtsverfahren berichtet (vgl. hier und hier)

Dazu hat jetzt der DRB Stellung genommen. Er meint: Für eine gesetzliche Regelung in Bezug auf überlange Gerichts- und Ermittlungsverfahren bestehe aufgrund ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) akuter Handlungsbedarf. Der Regierungsentwurf wähle vor diesem Hintergrund zu Recht den Weg einer Entschädigungslösung, die dort ansetze, wo die Verantwortlichkeit für überlange Verfahren in Deutschland primär liege: Ganz überwiegend nicht bei den seit vielen Jahren die Überlast der Verfahren tragenden Richtern und Staatsanwälten, sondern bei den für die Sach- und Personalausstattung zuständigen Rechtsträgern (überwiegend den Ländern). Die Konzeption der geplanten „Verzögerungsrüge“ hält der DRB seiner Stellungnahme zufolge allerdings für verfehlt. Kontraproduktiv wäre es auch, laufende gerichtliche Verfahren durch Einführung von zusätzlichen Rechtsbehelfen (wie z. B. einer Untätigkeitsbeschwerde) weiter zu belasten und zu verzögern. Die Prognose, dass die zusätzlich anfallenden Verfahren auf Entschädigung mit den vorhandenen Personalkapazitäten bewältigt werden könnten (so die Begründung zum Gesetzentwurf), sei zu optimistisch. Auch die Erwartung, dass es nach Einführung der Entschädigungsregelung weniger überlange Verfahren geben werde als bisher, könne angesichts der derzeitigen Personalausstattung der Justiz nicht geteilt werden.

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes (DRB) Nr. 34/10 vom September 2010 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, hier

Kommt bei überlangen/zu langen (Straf)Verfahren die Entschädigungslösung?

Wir hatten vor einiger Zeit hier über den Referentenentwurf aus dem BMJ berichtet. Nun berichtet gerade das BMJ in einer PM, dass heute im Bundeskabinett der Gesetzesentwurf beschlossen worden ist. Auf geht’s. Man darf auf den Entwurf und das Gesetzgebungsverfahren gespannt sein.

Kennen eigentlich AG und LG § 306 Abs. 2 StPO nicht? – oder: Bewegung/Eile tut Not, vor allem auch in Haft(beschwerde)sachen…

Da habe ich mal eine schöne Haftentscheidung, die einen Bericht lohnt, und zwar der Beschluss des OLG Naumburg vom 21.07.2010 – 1 Ws 398/10, den mir der Verteidiger gerade zugeschickt hat. Die Entscheidung – noch der Vorwurf des Diebstahl mit einem Beutewert von unter 200 € –  lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit in U-Haft-Sachen ist nur auf die Tat abzustellen, die Gegenstand des Haftbefehls ist.
  2. Je nach Sachlage kann in Haftsachen eine Verzögerung von drei Monaten zu beanstanden sein, wobei schon eine vermeidbare Verfahrensverzögerung von rund zwei Monaten mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar sein kann.
  3. Insbesondere in Haftsachen ist die Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO besonders zu beachten.

Bemerkenswert und von allgemeinem Interesse ist m.E der Punkt 3.  Dzu heißt es im Beschluss wörtlich:

Der Senat sieht sich ferner veranlasst, darauf hinzuweisen, dass auch im Beschwerdeverfah­ren Verfahrensverzögerungen verursacht worden sind. Zunächst ist auf § 306 Abs. 2 StPO hinzuweisen, wonach die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen dem Be­schwerdegericht vorzulegen ist. Vorliegend hat das Beschwerdegericht trotz des dortigen Akteneingangs am 25. März 2010 erst am 20. April 2010 über die Haftbeschwerde vom 17. März 2010 und trotz des Akteneingangs am 22. Juni 2010 erst am 01. Juli 2010 über die Haftbeschwerde vom 18. Juni 2010 entschieden, wodurch insgesamt eine vermeidbare Ver­fahrensverzögerung von mehr als 1 Monat verursacht worden ist.“

Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, außer: Das OLG Hamm hatte die Problematik der zögerlichen/verzögerten Vorlage der Akten beim Beschwerdegericht gerade auch für Haftsachen schon in der Vergangenheit mehrfach beanstandet (vgl. OLG Hamm StV 2000, 153; 2002, 492; 2006, 91) und darauf hingewiesen, dass eine Verletzung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes führen können. In die Richtung geht nun auch das OLG Naumburg.

Verteidiger sollten die Einhaltung dieser Frist anmahnen und Verletzungen als rechtswidrig beanstanden. Im Übrigen: Ich habe während meiner richterlichen Tätigkeit nie verstanden, warum Informationen an Richter, wie z.B. über die Änderungen von Beihilfevorschriften, durch Sonderwachtmeister transportiert/zugetragen werden, Haftsachen aber auf „normalen Wegen“. Die Väter/Mütter der StPO sind jedenfalls – und das unter Berücksichtigung der Transportverhältnisse bei Erlass der StPO im Jahr 1870 (?)1877 – davon ausgegangen, dass die Akten in drei Tagen beim Beschwerdegericht sein können.

Der andauernde Schlaf der Beleidigten – er kann auch Vorteile haben…

Dre Kollege Nebgen beklagt sich gerade in seinem Blog unter dem Titel „Der Schlaf der Beleidigten“ über eine Strafkammer, die ein Verfahren nach Aufhebung jahrelang liegen lässt und nicht verhandelt. Er sieht darin ein Abstrafen des Verteidigers/Beschuldigten, der es gewagt hat, Revision einzulegen und die auch noch zu „gewinnen“.

Mag sein, dass das auch ein Grund für das Nichtverhandeln sein kann, aber: Es gibt auch noch einen anderen. Vielleicht ist die Kammer ja auch so mit Haftsachen überlastet, dass sie deshalb eine Nichthaftsache, um die es sich offensichtlich handelt, nicht verhandeln kann. Natürlich müssen auch die erledigt werden, nur…

Und: Natürlich sollte man nicht übersehen: Die Zeit spielt für den Mandanten. Er kann sich ggf. schon mal bewähren, Zeugen können sich vielleicht nicht mehr erinnern, wenn verhandelt wird und die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung rückt immer näher. Das muss man abwägen gegen das Interesse des Mandanten, die Sache vom Tisch zu haben, vor allem, wenn es eine Freispruchverteidigung ist.

Gut Ding will Weile haben

könnte man über den Beschluss des OLG Hamm vom 28.03.2010 – 3 RBs 28/09 schreiben, den mir heute ein Kollege hat zukommen lassen.

Nach der ersten Durchsicht dachte ich zunächst: Ei, ein Knaller, da schon wieder eine Messfahrzeugproblematik. Die war aber offenbar an mir vorbei gegangen bzw. mir aus letzter Zeit nicht bewusst. Bei näherem Hinsehen stellte ich dann fest, dass es sich  „nur“ um die alte, vom AG Lüdinghausen  „aufgedeckte“ 2007er CAN-Bus-Problematik handelt. Also kein Knaller. Aber dann: M.E. doch berichtenswert, weil man sich die Verfahrensdaten mal anschauen muss:

  • 31.01.2007: Tat
  • 06.11.2008: amtsgerichtliche Entscheidung
  • 27.01.2009: Verwerfungsantrag der GStA (= Verfahren ist beim OLG)
  • 28.03.2010: Entscheidung des OLG: Aufhebung und Zurückverweisung

Den Betroffenen wird dieser Zeitablauf freuen, denn das vom AG verhängte Fahrverbot wird wohl kaum noch einmal verhängt werden dürfen/können.

Die Frage, die sich im Übrigen stellt: Warum dauert das Verfahren so/zu lange; dass es zu lange gedauert hat, hat das OLG selbst erkannt, da es die Frage der Verfahrensverzögerung erörtert, aber noch nicht für kompensationswürdig hält, „wegen der zu entscheidenden Rechtsfragen“.  Aber, was war denn Dramatisches zu entscheiden?. Dass ein Beweisantrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nur wegen Verspätung abgelehnt werden darf, wenn die Aufklärungspflicht die Beweiserhebung nicht gebietet, hatte der Senat doch schon 2004 entschieden. Das ist also nichts Neues. Und sonst? Schwierige Rechtsfragen kann man dem Beschluss nicht entnehmen. Damit bleibt es für mich im Dunklen, warum es so lange gedauert hat.

Es kann natürlich sein – und das würde das OLG retten – wenn die Antwort auf die Anfrage an das IM NRW, die der Senat am 28.04.2009 gestellt hat – jedenfalls verstehe ich den Beschluss so – so/zu lange hat auf sich warten lassen, dass erst im März 2010 eine Entscheidung des OLG möglich war. Aber das hätte man wahrscheinlich geschrieben. :-). Nichts desto trotz: Den Betroffenen wird das alles freuen, weil: Gut Ding will (eben) Weile haben; oder: Das Fahrverbot dürfte sich durch Zeitablauf erledigt haben.