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Schreibt nicht so viel – und wenn: Bitte das Richtige

Immer wieder schön, wenn der BGH den Tatgerichten sagt: Schreibt nicht so viel, wer soll das alles lesen. So auch im Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 353/10. Dort heißt es: Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise in jedem Detail zu dokumentieren. Sie sollen das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der Entscheidung ermöglichen. Die Beweiswürdigung soll belegen, warum bestimmte, bedeutsame tatsächliche Umstände so festgestellt sind. Hierzu sind Zeugenaussagen, Urkunden u.ä. heranzuziehen, soweit deren Inhalt für die Überzeugungsbildung wesentlich ist. Deshalb ist es regelmäßig verfehlt, etwa in einem gesonderten Abschnitt vor dem Abschnitt „Beweiswürdigung im engeren Sinne“ nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche Aussagen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen (BGH NStZ 1998, 51 m.w.N.).

In dem Zusammenhang kann ich mich noch gut an Urteile einer Strafkammervorsitzenden erinnern, die in einem Urteil auf mehreren Seiten die Örtlichkeiten beschrieb, auch wenn es nicht darauf ankam.Da frgat man sich dann schon. Und warum musste ich das jetzt alles lesen.

Ich mache es mir einfach, ich rücke im Urteil nur die Anklage ein – das ist gefährlich

Die tatsächlichen Feststellungen sind das „Herzstück“ des Urteils in Strafsachen. Aus ihnen müssen sich die den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllenden Tatsachen der Tat, wegen der der Angeklagte verurteilt worden ist ergeben; sie müssen in der Hauptverhandlung vollständig festgestellt werden, was durch die Urteilsgründe belegt wird. Darum ist man schon erstaunt, wenn in den Urteilsgründen auf den Anklagesatz Bezug genommen bwz. dieser „eingerückt“ wird. So hatte es das Landgericht in dem der Entscheidung des BGH v. 12.08.2010 – 3 StR 277/10 – zugrunde liegenden Urteil gemacht. Diese „Vereinfachung“ gefällt dem BGH ersichtlich nicht. Denn er führt aus:

Abschließend bemerkt der Senat, der die Anklageschrift im Revisionsver-fahren von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hatte: Die Feststellungen des Landgerichts zu den Taten entsprechen nahezu wortgleich dem konkreten An-klagesatz. Eine solche Verfahrensweise des „Einrückens“ birgt die Gefahr, auf die richterliche Prüfung zu verzichten, ob die den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllenden Tatsachen in der Hauptverhandlung vollständig festgestellt worden sind. Sie gefährdet den Bestand des Urteils jedenfalls dann, wenn dem Anklagesatz nicht alle diese Tatsachen zu entnehmen sind oder wenn – wie möglicherweise im vorliegenden Fall – die Anklage nicht vollständig „eingerückt“ wird. Das Revisionsgericht ist nicht berechtigt, die im Urteil fehlenden Feststellungen unter Rückgriff auf die Anklageschrift oder die übrigen Aktenbestandteile zu ergänzen.“

Und gefährlich für den Bestand des Urteils ist es auch.

Hat die Rechtsbeschwerde eine Chance? Bei diesem leicht „schlampigen“ Urteil schon…

Eine Kollegin, die vor einiger Zeit bei mir im Fachanwaltskurs war, hat mir ein Urteil des AG Köln geschickt mit der Frage, ob eine dagegen ein gelegte Rechtsbeschwerde eine Chance habe. Die Kollegin hält in dem Urteil v. 16.07.2010 – 814 OWI 147/10 die Beweiswürdigung für falsch.

Na ja, zu dem letzteren konnte ich, da ich die Sache nicht kenne nichts Konkretes sagen, sondern musset die Kollegin auf den allgemeinen Satz verweisen, dass die Beweiswürdigung ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist und sie mit der Rechtsbeschwerde/Revision nur angegriffen werden kann, wenn sie z.B. lückenhaft oder widersprüchlich ist. Dass der Tatrichter die Beweise anders als der Verteidiger würdigt, ist kein Fehler und da kommt man auch mit dem Rechtsmittel

Das Urteil des AG Köln bietet m.E. aber andere Angriffspunkte, die ein wenig zu dem Post vom 10.09.2010 – „Warum tun Tatrichter das, oder: Die geschriebene Lücke“ passen; mit lückenhaften Urteilsgründen befassen sich auch die Kollegen Siebers und Feltus

Ansatzpunkte in dem Urteil sind:

1. Wo liegt der Tatort = in welcher Stadt? Das teilt das Urteil nicht mit, was m.E. allein schon aus diesem Grund zur Aufhebung führen müsste. Auch der sog. Gesamtzusammenhang führt da nicht weiter.

2. Aufgehoben werden müsste das Urteil m.E. zumindest aber im Rechtsfolgenausspruch, da der nur wie folgt begründet wird:

„Die im Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen festgesetzten Maßnahmen waren zu bestätigen, da er bereits einige Eintragungen im Verkehrszentralregister aufweist. Diese lauten wie folgt: Es folgen sieben Kopien von Mitteilungen an das VRZ.
Das reicht zur Begründung der festgesetzten Rechtsfolgen nicht aus. Der Amtsrichter hat nicht die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu „bestätigen“, sondern er muss eine eigene Rechtsfolgenentscheidung treffen und begründen. Daran fehlt es hier völlig. Auch hinsichtlich der Bezugnahmen/an das Hineinkopieren der Eintragungen im VZR habe ich Bedenken, ob das ausreicht, ohne das jetzt aber vertifet geprüft zu haben (vgl. dazu BGH NStZ-RR 1996, 266 und OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 23). Es gibt eine Entscheidung des OLG Hamm, die ich aber im Moment nicht wiederfinde :-(, die das als unzulässig ansieht.

Also: Die Kollegin sollte Rechtsbeschwerde einlegen und die mit der Sachrüge begründen. Aussicht auf Erfolg besteht.

Abschließend: Wie man den Tatort vergessen kann, leuchtet mir nicht ein. 🙂 🙁

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Immer wieder derselbe schwere Verteidigerfehler in der Revision…

habe ich gedacht, als ich die bei „Mit Fug und Recht“ eingestellte und besprochene Entscheidung des OLG Brandenburg v. 24.03.2010 – (1) 53 Ss 42/10 (24/10) gelesen habe.

Immer wieder wird nämlich von Verteidigern übersehen, dass nur die Sachrüge dem Revisionsgericht den Blick in die Urteilsgründe erlaubt. Ist sie nicht erhoben, ist das nicht möglich und können die Urteilsgründe nicht ergänzend herangezogen werden, um zu prüfen, ob nicht ggf. eine Verfahrensrüge, bei der der Vortrag nicht so ganz ausreicht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) durch die Urteilsgründe und dort gewonnene Erkenntnisse ergänzt werden kann. Darauf wird von den Revisionsgerichten immer wieder hingewiesen.

Hier nur eine kleine Auswahl BGH, NStZ 1996, 145; StraFo 2008, 332; u.a. Beschl. v. 26.03.2008, 2 StR 61/08; OLG Brandenburg, StraFo 1997, 270 = NStZ 1997, 617; OLG Hamm, StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373; StRR 2008, 308; Rpfleger 2008, 531 = StRR 2008, 346.

Und die Begründung der Sachrüge macht ja nun wirklich nicht viel Arbeit. Den Satz: Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts, wird ja wohl noch jeder Verteidiger schreiben können. Er sollte es auf jeden Fall tun und ihn auf seine Revisionscheckliste nehmen. Schreibt er ihn nicht, ist es m.E. ein schwerer Verteidigerfehler.

Mal wieder ein Urteilskünstler des AG vom OLG gefangen

Manchmal könnte man schier verzweifeln, wenn man amtsgerichtliche Urteil liest (es gibt auch gute/tolle; das vorab und zur Vorbeugung von Kommentaren). Denn manchmal hat man wirklich den Eindruck, dass die obergerichtliche Rechtsprechung an manchem Amtsrichter ohne Beachtung vorbeizieht. So, wenn man den Beschl. des OLG Celle v. 10.06.2010 – 322 SsBs 161/10 sieht, an dem im Grunde gar nichts stimmt. Das OLG muss Stellung nehmen

  1. zur grundsätzlichen Frage, dass in die Urteilsgründe die Einlassung gehört (sollte man wissen), wobei es schon verwundert, dass der Amstrichter ausführt, die Verurteilung beruhe auf der (nicht mitgeteilten) Einlassung des Betroffenen, wenn nicht einmal sicher ist, ob der überhaupt in der HV anwesend war,
  2. zur Frage der Abweichung von obergerichtlich anerkannten Toleranzwerten,
  3. zur Frage des Vorsatzes,
  4. zur Frage der Tateinheit.

Und vorsorglich weist es dann darauf hin, dass ggf. das Verbot der reformatio in peius gilt und inzwischen so viel Zeit ins Land gegangen ist, dass im neuen Anlauf ein Fahrverbot möglicherweise nicht mehr verhängt werden kann. Das letztere wird den Betroffenen freuen.