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Auch wenn der Verteidiger stumm bleibt, spricht das allein nicht gegen seinen Vertretungswillen…

Wir hatten vor einigen Tagen über die Vertretung des ausgebliebenen Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung im  Strafbefehlverfahren und die dafür erforderliche Vertretungsvollmacht des (Pflicht)Verteidigers berichtet (vgl. hier und hier).

Dazu passt ganz gut die mir jetzt übersandte Entscheidung des KG vom 07.07.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), in der das KG zur Art und Weise der Vertretung des Angeklagten Stellung genommen hat. Danach reicht zur Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin die Anwesenheit des bevollmächtigten Verteidigers aus. Aus dessen bloßem Schweigen und dem Absehen von einer Antragstellung darf nicht geschlossen werden, er sei vertretungsunwillig. Hierfür bedarf es vielmehr eindeutiger Indizien.

Was häufig übersehen wird, ist…

…dass auch der Pflichtverteidiger für die Vertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung (des Strafbefehlsverfahren) eine besondere Vertretungsvollmacht benötigt, wenn er den Angeklagten verteidigen will. Die dem Verteidiger ggf. zuvor als Wahlanwalt erteilte Vertretungsvollmacht ist durch die Pflichtverteidigerbestellung erloschen. Das hatte das OLG Hamm im Verfahren 2 Ss 427/95 schon 1995 entschieden und dazu hat gerade das OLG München in seinem Beschluss v. 14.07.2010 – 4 StRR 93/10 Stellung genommen.

Nach dem Sachverhalt hatte das AG gegen die Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Erschlei­chens eines Aufenthaltstitels Strafbefehl erlassen. Die Angeklagte war anwaltlich verteidigt; die dem Wahlverteidiger erteilte Vollmacht er­mächtigte diesen für den Fall der Abwesenheit zur Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO mit der ausdrücklichen Ermächtigung auch nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Auf Ein­spruch der Angeklagten ermäßigte das Amtsgericht den Tagessatz. In der Hauptver­handlung vor dem Amtsgericht wurde der Wahlverteidiger der Angeklagten am Sit­zungstag als Pflichtverteidiger beigeordnet. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte die Angeklagte Berufung ein. Die Berufungshauptverhandlung fand in Abwesenheit der Angeklagten statt. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Tagessatzhöhe ermäßigt wurde. Hiergegen hat die Angeklagte Revision eingelegt und neben anderen Verfahrens- und Sachrügen mit der Verfahrensrüge die Verletzung der §§ 411 Abs. 2, 230 Abs. 1 StPO vorgetragen, weil rechtsfehlerhaft in ihrer Abwesenheit verhandelt worden sei und sich hieraus der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ergäbe. Die Die Revision hatte Erfolg.

Immer wieder derselbe schwere Verteidigerfehler in der Revision…

habe ich gedacht, als ich die bei „Mit Fug und Recht“ eingestellte und besprochene Entscheidung des OLG Brandenburg v. 24.03.2010 – (1) 53 Ss 42/10 (24/10) gelesen habe.

Immer wieder wird nämlich von Verteidigern übersehen, dass nur die Sachrüge dem Revisionsgericht den Blick in die Urteilsgründe erlaubt. Ist sie nicht erhoben, ist das nicht möglich und können die Urteilsgründe nicht ergänzend herangezogen werden, um zu prüfen, ob nicht ggf. eine Verfahrensrüge, bei der der Vortrag nicht so ganz ausreicht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) durch die Urteilsgründe und dort gewonnene Erkenntnisse ergänzt werden kann. Darauf wird von den Revisionsgerichten immer wieder hingewiesen.

Hier nur eine kleine Auswahl BGH, NStZ 1996, 145; StraFo 2008, 332; u.a. Beschl. v. 26.03.2008, 2 StR 61/08; OLG Brandenburg, StraFo 1997, 270 = NStZ 1997, 617; OLG Hamm, StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373; StRR 2008, 308; Rpfleger 2008, 531 = StRR 2008, 346.

Und die Begründung der Sachrüge macht ja nun wirklich nicht viel Arbeit. Den Satz: Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts, wird ja wohl noch jeder Verteidiger schreiben können. Er sollte es auf jeden Fall tun und ihn auf seine Revisionscheckliste nehmen. Schreibt er ihn nicht, ist es m.E. ein schwerer Verteidigerfehler.

Au Backe :-), in die Falle wäre ich – glaube ich – auch getappt, oder: Hätten Sie es gewusst?

Ein im Grunde ganz einfacher Fall, der in der Praxis gar nicht selten sein dürfte, führt m.E. zu einer Falle, in die ein Gericht schnell tappt. Jedenfalls war das mein Eindruck, als ich die Entscheidung des BGH v. 13.04.2010 – 3 StR 24/10 gelesen habe.

Sachverhalt wie folgt: Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Rechtsanwälte A. und S. zu Verteidigern des Angeklagten bestellt. In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten A. hat das LG für die Schlussvorträge der Verteidiger Fortsetzungstermin auf den 09.06.2009 bestimmt. In diesem Termin blieb sowohl Rechtsanwalt A. als auch Rechtsanwalt S. aus. Stattdessen erschien Rechtsanwalt Sch. und erklärte, er komme als „Vertreter“ für den erkrankten Rechtsanwalt A., könne aber nicht als Verteidiger des Angeklagten auftreten, da er mit dem Verfahrensstoff nicht vertraut sei. Auf Anregung des Verteidigers des Mitangeklagten beschloss das LG hierauf die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten und bestimmte insoweit Fortsetzungstermin auf den 22.06.2009. Der Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten wurde sodann mit dem Schlussvortrag des Verteidigers und der Verkündung des Urteils gegen diesen fortgesetzt. Gegen den Angeklagten wurde am 22.06.2009 fortgesetzt und das ihn verurteilende Urteil am 26. 6. 2009 verkündet.

Der BGH sagt: Die Verfahrensrüge (§ 338 Nr. 5 StPO) hat Erfolg, weil während der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung (09.06.2009) entgegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO kein Verteidiger des Angeklagten anwesend war. Der Sch. war nicht Verteidiger und die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten ist wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung. Hätte ich – glaube ich – auch übersehen. Was kann die Strafkammer tun? M.E. hat sie nur die Möglichkeit nicht in der HV abzutrennen.

Im Übrigen: Hut ab vor dem Revisionsverteidiger, der das „Loch“ entdeckt hat. Findet man auch nicht jeden Tag.

Wochenspiegel für die 23 KW. – oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Zu berichten ist über:

  1. Die Sicherstellung von Fixie-Fahrrädern.
  2. Über eine Verkehrstragödie berichtet der Kollege Nebgen.
  3. Die Frage der sog. staatsanwaltschaftlichen Sperrberufungen beschäftigt noch einmal den Kollegen Feltus.
  4. Hier ist dann noch einmal über eine Entscheidung des AG Zerbst mit ESO ES 3.0 und veralteter Software berichtet worden.
  5. Der Kollege Hoenig berichtet unter dem schönen Titel „Eure Durchlaucht im Wespennest“ über sein „Zusammentreffen“ mit dem neu gegründeten Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V., der mit seiner Werbung schon ein wenig nervt; vgl. dazu auch hier.
  6. Und immer wieder schön: Vollmachtsfragen, so wie dieser Dauerbrenner.