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Pflichti II: OLG bejaht rückwirkende Bestellung, oder: Beiordnungsgrund „Gesamtstrafe“

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Und als zweite Entscheidung dann noch eine weitere OLG-Entscheidung, nämlich der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.09.2024 – 1 Ws 208/24 -, der sich noch einmal mit dem Beiordnungsgrund „Schwere der Rechtsfolge“ in den Gesamtstrafenfällen befasst und zur Zulässigkeit der Rückwirkung – ohne viel Worte 🙂 Stellung nimmt:

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Grundsätzlich ist eine rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers möglich (OLG Bamberg (1. Strafsenat), Beschluss vom 29.04.2021 – 1 Ws 260/21, OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20, Ws 963/20; MüKo-StPO § 142 Rn. 14). Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers (bezogen auf den Zeitpunkt der Antragsstellung) setzt jedoch voraus, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem Abschluss des Verfahrens erfolgte (OLG Bamberg aaO.).

Vorliegend wurde der Antrag auf Beiordnung durch den Angeklagten zeitlich vor der (vorläufigen) Einstellung durch das Landgericht gestellt; jedoch lagen die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach § 140 StPO nicht vor.

a) In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn 23a mwN). Gegenstand des Verfahrens ist eine Unterhaltspflichtverletzung. Der Angeklagte wurde deswegen erstinstanzlich durch das Amtsgericht Speyer zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt. Da gegen das Urteil lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt hatte, war eine härtere Strafe nach § 331 StPO ausgeschlossen.

b) Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem gesonderten Verfahren gegen den Angeklagten zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als 1 Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung i.S. von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.

Die Vorschriften der StPO über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 462/77 – juris Rn 31; Meyer-Goßner; StPO, § 140 Rn 1). Bei der Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, ist auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf. Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; KG, Beschluss vom 13.12.2018 – 3 Ws 290/18121 AR 260/18, KK-StPO/Willnow StPO § 140 Rn. 27, 27a).

Hierbei bedarf es allerdings einer gründlichen Prüfung des Einzelfalls, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 – 2 Ws 37/12).

Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Das vorliegende Verfahren selbst bietet – wie dargelegt – kein Anlass zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers. In dem weiteren Verfahren gegen den Angeklagten wird ihm der Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens gemacht, wofür § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren vorsieht. Selbst bei Annahme eines minder schweren Falles läge der Strafrahmen nicht unter 1 Jahr Freiheitsstrafe. Die Einstellung des vorliegenden Verfahrens lag daher nahe, was von dem Angeklagten auch beantragt wurde. Selbst im Falle einer Gesamtstrafenbildung wäre lediglich eine geringfügige – für den Angeklagten nicht wesentlich ins Gewicht fallende – Erhöhung der in dem gesonderten Verfahren zu erwartende Strafe anzunehmen gewesen.

Zudem lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch eine im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls zu verhängende Strafe im Rahmen einer späteren Gesamtstrafenbildung eine sonst mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gefährdet werden könnte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017, 4 Ws 212/16).“

Schön, dass sich das OLG zur Zulässigkeit der Rückwirkung äußert, obwohl es darauf ja gar nicht ankam.

Pflichti I: Bestellung bei „drohender Gesamtstrafe“, oder: KiPo? Nein, kannst selbst Akteneinsicht nehmen.

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Heute kommen dann ein paar Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfragen, alle Entscheidungen stammen „aus der Instanz“.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und twar:

Von einem Fall notwendiger Verteidigung ist regelmäßig ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen. Bei der Festsetzung der zu erwartenden Strafhöhe ist nicht auf Einzelstrafen, sondern auf die Gesamtstrafe abzustellen. Dies gilt auch für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung, soweit das anhängige Verfahren die Strafe nicht nur unwesentlich beeinflusst.

Das nur eingeschränkte Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten in bei der Akte befindliche Beweismittel mit kinderpornographischen Inhalten erfordert nicht die Bestellung eines Pflichtverteidigers, weil die Hauptakte auch für den Beschuldigten selbst einsehbar ist und die Beweismittelakte bei der Staatsanwaltschaft eingesehen werden kann.

Die Entscheidung des LG Frankfurt am Main ist zutreffend, sie entspricht der ständigen Rechtsprechung in der Frage.

Die Entscheidung des LG Hannover ist in meinen Augen falsch – und lebensfremd. Das LG setzt sich auch mit keinem Wort mit anders lautender Rechtsprechung zur Beiordnung in den KiPo-Fällen auseinander. Ich frage mich, wie das in der Praxis gehen soll. Der Beschuldigte erscheint bei der Geschäftsstelle der StA oder dem Gericht, um Einsicht in die Beweismittelakte zu nehmen. Er sitzt dann ggf. stundenlang dort herum, muss beaufsichtigt werden usw. Wenn er mit seinem Verteidiger kommt, müssen die beiden Gelegenheit haben, sich „unbelauscht“ zu den einzelnen Bildern austauschen zu können usw. Die Geschäftsstellen wird das freuen. Wie gesagt: Lebensfremd, aber „mia san mia“.

 

Pflichti II: Nochmals „Schwere der Rechtsfolge“, oder: „Drohende“ Gesamtstrafenbildung

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Im zweiten Posting dann etwas aus der Instanz zur Pflichtverteidigung. So ganz viel ist es aber nicht. Es handelt sich nur um eine LG-Entscheidung. Ich habe in meinem Ordner zwar noch eine zweite LG-Entscheidung hängern, die stelle ich aber dann erst demnächst vor, da wir die Problematik „Rückwirkung“ schon recht oft in der Berichterstattung hatten.

Hier stelle ich vor den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 04.09.2024 – 18 Qs 34/24. In ihm geht es – auch noch einmal – um die „Schwere der Rechtsfolge“. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Vergehens nach dem Gewaltschutzgesetz. Sein Verteidiger hat seine Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Verweis auf ein weiteres gegen den Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft geführtes Ermittlungsverfahren beantragt. In diesem Verfahren liegen dem Beschuldigten gefährliche Körperverletzung, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung zur Last.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 19.07.2024 wurde der Antrag von Rechtsanwalt pp., ihn zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten im Verfahren Az.: 951 Js 163055/24 zu bestellen, abgelehnt. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1, 2 StPO nicht vorliege. Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 24.07.2024 und dem Beschuldigten am 25.07.2024 zugestellt.

Das AG hat die Bestellung abgelehnt. Dagegen legte der Beschuldigte  Beschwerde ein und begründete diese damit, dass aufgrund der notwendigen Verteidigung in dem anderen Verfahren auch im hiesigen Verfahren ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben sei. Das Rechtsmittel hatte beim LG Erfolg:

„1. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist ein Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Nach herrschender Meinung ist die Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Grenze, ab der aufgrund der Schwere der Tat, bzw. der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist. Die Schwelle von einem Jahr Freiheitsstrafe gilt auch bei Gesamtstrafenbildung, denn maßgeblich ist der Umfang der Rechtsfolgen, die insgesamt an den Verfahrensgegenstand geknüpft sind, nicht die Höhe der Einzelstrafen. Dies gilt auch, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird (BeckOK StPO/Krawczyk, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 140 Rn. 24 m.w.N). Die Notwendigkeit der Beiordnung eines Verteidigers hinge sonst von bloßen Zufälligkeiten, nämlich von der Frage ab, ob die Verfahren verbunden werden oder nicht (LG Magdeburg, Beschl. v. 01.06.2022, 21 Qs 23/22 m.w.N.). Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt hingegen nicht vor, wenn die verfahrensgegenständliche Verurteilung voraussichtlich geringfügig ausfallen und die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen wird (OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.03.2012, 2 Ws 37/12 m.w.N.).

2. Unter Würdigung dieser Vorgaben ist ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben.

a) Dem Beschuldigten droht bei Bildung einer Gesamtstrafe mit der im Verfahren Az.: 951 Js 161267/24 zu erwartenden Verurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat gegen den Beschuldigten im Verfahren Az.: 951 Js 161267/24 Anklage zum Schöffengericht erhoben. Dies bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass gegen den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt werden wird, vgl. § 28 i.V.m. § 25 Nr. 2 GVG.

Das Gesetz sieht für Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor, § 4 GewSchG. Im vorliegenden Verfahren liegen dem Beschuldigten zwei derartige Verstöße zur Last. Im Falle einer Verurteilung wäre mit einer Strafe aus dem Verfahren Az.: 951 Js 161267/24 eine (nachträgliche) Gesamtstrafe zu bilden. Unter Zugrundelegung der Straferwartung, welche die Anklage zum Schöffengericht impliziert, ist davon auszugehen, dass gegen den Beschuldigten eine (nachträgliche) Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt würde.

Es kommt dabei nicht darauf an, dass der Beschuldigte im vorliegenden Strafverfahren isoliert betrachtet keine Freiheitsstrafe von einem Jahr zu erwarten hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass allein wegen der Taten im hiesigen Verfahren gegen den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt würde. Denn die Verstöße gegen den Beschluss gem. § 1 GewSchG stellen sich jeweils nicht besonders gravierend dar. Der Beschuldigte hat die Geschädigte nicht angesprochen oder gar körperlich angegangen. Zudem liegt die Verurteilung des Beschuldigten wegen Nachstellung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen mit Strafbefehl des Amtsgerichts Fürth vom 08.11.2019 fast fünf Jahre zurück.

b) Es ist ohne Belang, dass gegen den Beschuldigten im hiesigen Verfahren noch keine Anklage erhoben wurde.

Denn aus § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO folgt, dass die Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich zu erfolgen hat, wenn dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet worden ist. Vorliegend wurde dem Beschuldigten der Tatvorwurf mit seiner Ladung zur Beschuldigtenvernehmung am 08.04.2024 eröffnet, sodass auf den entsprechenden Antrag des Verteidigers vom 16.04.2024 hin dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger angezeigt gewesen wäre.

c) Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die verfahrensgegenständliche Tat im Falle ihrer Anklage und Verurteilung die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen würde.

Vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte nur zwei Wochen nach der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil seiner ehemaligen Lebensgefährtin gegen den im Nachgang hierzu erwirkten Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 19.03.2024 verstieß, ist davon auszugehen, dass dem Beschuldigten im hiesigen Verfahren eine nicht nur unerhebliche Strafe, möglicherweise eine Freiheitsstrafe droht. Diese würde dann auch im Rahmen einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung mit einer Strafe aus dem Verfahren Az.: 951 Js 161267/24 nicht nur unerheblich ins Gewicht fallen. Andererseits liegt in dem Verfahren Az.: 951 Js 161267/24 kein bereits für sich genommen so gewichtiger Tatvorwurf vor, dass der Unrechtsgehalt der vorliegenden Straftaten dem gegenüber gänzlich in den Hintergrund treten würde.“

Pflichti I: Vier Beiordnungsgrund-Entscheidungen, oder: Gesamtstrafe, Beweisverwertung und Waffengleichheit

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Und heute ist es dann mal wieder so weit, es ist „Pflichti-Tag“, den ich hier mit Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen eröffne. Dazu stelle ich vor:

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge erfordert eine Pflichtverteidigerbestellung dann, wenn eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und darüber hinaus zu erwarten ist.

Eine Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO kann auch vorliegen, wenn das Gebot der „Waffengleichheit“ im Verhältnis mehrerer Angeklagter verletzt ist. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich anhand einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall. Dabei begründet der Umstand, dass ein Angeklagter durch einen Verteidiger vertreten wird, ein anderer hingegen nicht, für sich allein noch nicht eine notwendige Verteidigung. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die im konkreten Fall eine Beiordnung als geboten erscheinen lassen.

Die analoge Anwendung des § 140 Abs. Nr. 9 StPO auf die Pflichtverteidigerbestellung für den Angeklagte, wenn dem Nebenkläger kein Rechtsanwalt beigeordnet wurde, kommt nicht in Betracht.

Von einer Schwierigkeit der Rechtslage ist bereits dann auszugehen, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.

Pflichti I: Beiordnung bei psychischer Beeinträchtigung, oder: Drohender Bewährungswiderruf/Gesamtstrafe

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Und heute dann „Pflichti“, es hält sich dieses mal aber in Grenzen.

Zunächst hier drei LG-Entscheidungen zum Beiordnungsgrund, und zwar:

Der LG Berlin, Beschl. v. 21.09.2023 – 517 Qs 33/23 – nimmt noch einmal Stellung zur Erforderlichkeit der Beiordnung in den Fällen der psychischen Beeinträchtigung des Beschuldigten:

„1. Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO wird in den Fällen der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt.

Ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung liegt hier gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, weil ersichtlich ist, dass sich die Beschwerdeführerin, der auch der Tatvorwurf eröffnet worden ist und die noch keinen Verteidiger hatte, aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht selbst verteidigen kann. Denn ausweislich des aufgrund der Betreuerbestellung eingeholten psychiatrischen Gutachtens leidet die krankheits- und behandlungsuneinsichtige Beschwerdeführerin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie, kann weder lesen noch schreiben, ist in ihrem Gedankengang assoziativ gelockert bis zerfahren und wahnhaft. Sie sei, so die psychiatrische Sachverständige, krankheitsbedingt nicht in der Lage, im Hinblick auf eine Betreuung einen freien Willen zu bilden, sondern ganz in ihrem eigenen Erleben gefangen. Die Unfähigkeit der Beschwerdeführerin zur Selbstverteidigung wird darüber hinaus dadurch belegt, dass sie vom Amtsgericht Mitte aufgrund ihrer psychischen Erkrankung unter Betreuung gestellt worden ist, wobei zum Aufgabenkreis des Betreuers unter anderem die Vertretung gegenüber Behörden zählt.

Ein Absehen von der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO kommt nicht in Betracht, da dies ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts sich lediglich auf Beiordnungen bezieht, die von Amts wegen erwogen werden (vgl. nur Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 141 Rn. 17).“

Und die zweite Entscheidung. der LG Oldenburg, Beschl. v. 17.08.2023 – 4 Qs 252/23 -, nimmt noch einmal zur „Schwere der Rechtsfolge“ Stellung, und zwar wie folgt:

Die Schwere der drohenden Rechtsfolge i.S. des § 140 Abs. 2 StPO bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.

Und dann noch der LG Münster, Beschl. 22.08.2022 – 11 Qs 27/23:

Die Schwelle von zu erwartender Freiheitsstrafe von einem Jahr für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gilt auch bei der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung. Das gilt auch, wenn die verfahrensgegenständliche Verurteilung voraussichtlich geringfügig ausfallen und die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen wird, jedoch neben der zu erwartenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung auch noch ein Bewährungswiderruf  droht.