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Bewährung I: Erstverbüßer-2/3-Drittel-Aussetzung, oder: Regelfall, wenn alle ok

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Heute geht es dann auf in die 25. KW des Jahres 2024. Zum Wochenauftakt gibt es zwei Entscheidungen zu Bewährungsfragen, beide kommen aus dem Vollstreckungsbereich.

Zunächst kommt hier der OLG Naumburg, Beschl. v. 27.05.2024 – 1 Ws 214/24 B-Sonst. Der Verurteilte verbüßt seit dem 24.11.2023 eine Strafe wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung Freiheitsstrafe von acht Monaten. Zwei Drittel der Strafe waren am 03.05.2024 verbüßt. Das Strafende ist auf den 23.07.2024 notiert. Die Strafvollstreckungskammer hat die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln abgelehnt. Dagegen die soofortige Beschwerde, die beim OLG Erfolg hatte:

„Die nach § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Strafreste zur Bewährung und eine bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft nach § 57 Abs. 1 StGB liegen vor.

1. Die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe ist – nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe und bei Einwilligung der verurteilten Person, so wie hier – zur Bewährung auszusetzen, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Bei dieser Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, das Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 57 Abs. 1 S. 2 StGB). Entscheidend für die Prognose nach § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB ist eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Strafvollzugs für das künftige Leben der Verurteilten in Freiheit einerseits und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits. Isolierte Aussagen über die Wahrscheinlichkeit künftiger Straflosigkeit der Verurteilten sind wenig hilfreich. Vielmehr muss stets der Bezug zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Auge behalten werden. Dies bedeutet, dass je nach der Schwere der Straftaten, die von dem Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten sind, unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben der Verurteilten zu stellen sind. Das Gewicht der bei einem Rückfall drohenden Rechtsgutsverletzung wird im Regelfall wiederum nach Art und Schwere der Straftaten zu beurteilen sein, die der Verurteilte bereits begangen hat (BGH, Beschluss vom 25. April 2003, StB 4/03, Rn 5 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 10. März 2020, 3 Ws 67/20, Rn 8 m. w. N.; jeweils zitiert nach juris).

Verbüßt der Verurteilte – wie vorliegend – erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu gewichtigen Beanstandungen, so kann allerdings im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Strafe ihre spezialpräventiven Wirkungen entfaltet hat und es verantwortbar ist, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2003, StB 4/03, Rn 4, zitiert nach juris; Fischer, StGB, 71. Auflage, § 57 Rn. 14). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern erfährt wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung, wenn besondere Umstände – in Form von gewichtigen negativen Prognoseindizien – vorliegen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2022 – 1 Ws 19/22 –, Rn. 5, KG Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2021 – 5 Ws 88/21 –, Rn. 15, 16 m. w.N., zitiert nach juris). So kann eine Strafrestaussetzung trotz Erstverbüßung im Einzelfall ausscheiden, wenn die Umstände der Tatbegehung sowie das Umfeld des Verurteilten auf dessen nachhaltige Verstrickung in ein kriminogenes Milieu schließen lassen (beispielsweise beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln oder bei Taten der organisierten Kriminalität), in seiner Persönlichkeitsstruktur und seinen Lebensverhältnissen nach wie vor ernstzunehmende Rückfallrisiken angelegt sind (beispielsweise bei der wiederholten Begehung einschlägiger Straftaten, bei einer gravierenden, für wiederholte, erhebliche Straftaten ursächlichen Suchtproblematik oder mehrfachem Bewährungsversagen in Verbindung mit weiteren Umständen) oder wenn bei einem Rückfall Rechtsgüter von besonderem Gewicht bedroht sind, etwa bei schweren Gewalttaten oder bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (KG a. a. O.).

Die Vermutung, dass der erstmalige Strafvollzug bei dem Verurteilten einen deutlichen Eindruck hinterlassen hat und seine Entlassung verantwortet werden kann, ist in der Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Umstände nicht entkräftet. Ihre gegenteilige Einschätzung, trotz des Status des Verurteilten als Erstverbüßer, seiner Mitarbeitsbereitschaft und seines beanstandungslosen Verhaltens im Vollzug sei der Strafzweck sei noch nicht erfüllt, hat die Leiterin der Jugendanstalt Raßnitz in ihrer Stellungnahme vom 14. März 2024 nicht weiter begründet. Die Vermutung ist insbesondere nicht schon allein deswegen widerlegt, weil der Verurteilte Bewährungsversager ist (siehe BGH a. a. O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Juni 2023 – 2 Ws 62/23 (S) –, Rn. 7; OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Januar 2021 – 1 Ws 32/21 –, Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. November 2007 – 2 Ws 308/07 –, Rn. 11; jeweils zitiert nach juris). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte ausschließlich die der Ausgangsverurteilung zugrundeliegende Tat innerhalb der Bewährungszeit nach der Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe durch das Amtsgericht Wittenberg vom 10. November 2020 begangen hat. Alle weiteren Straftaten, aufgrund derer er verurteilt wurde, lagen vor dieser Verurteilung. Auch stand er zum Zeitpunkt der der Ausgangsverurteilung zugrundeliegenden Tat entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft nicht zweifach unter Bewährung, sondern lediglich aufgrund des genannten Urteils des Amtsgericht Wittenberg vom 10. November 2020. Auch wenn der Verurteilte wegen einer schwerwiegenden Tat unter Bewährung stand, lässt sich doch aus dem – auch nicht mit einer hohen Rückfallgeschwindigkeit verbundenen – einmaligen Bewährungsbruch mit einer nicht einschlägigen Straftat keine besondere Unbelehrbarkeit des Verurteilten ableiten, die ausnahmsweise zu der Annahme berechtigt, dass die erstmalige Verbüßung von Strafhaft den Verurteilten nicht ausreichend beeindruckt hätte. Dies gilt nach Ansicht des Senats hier auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Verurteilte sich in dem Verfahren, das zu dem Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 10. November 2020 geführt hat, von Oktober 2019 bis Februar 2020 für etwa drei Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Denn diese erfolgte noch deutlich vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Wittenberg vom 10. November 2020 und mehr als anderthalb Jahre vor Begehung der nicht einschlägigen Anlasstat und kann im Hinblick auf die nachhaltige und spezialpräventive Wirkung auf den Gefangenen auch nicht mit Strafhaft verglichen werden (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Juni 2023 – 2 Ws 62/23 (S) –, Rn. 5, zitiert nach juris). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte nach einer Haftentlassung voraussichtlich keine Position als Geschäftsführer oder in ähnlicher Verantwortung innehaben wird, die zuvor zu der dem Freiheitsentzug zugrundeliegenden Tat geführt hat. Vielmehr strebt er ausweislich der bei der mündlichen Anhörung vorgelegten Bescheinigung eine Anstellung als Servicetechniker an. Berücksichtigt man ferner, dass der Verurteilte nach der Haftentlassung in ein stabiles soziales Umfeld zurückkehrt und bei einem Rückfall in Ansehung der Anlasstat kein besonders schwerwiegendes Rechtsgut bedroht ist, lässt sich die vorzeitige Entlassung des Verurteilten auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantworten.“

Nichts weltbewegend Neues, aber immerhin…. 🙂 .

VR III: Nochmals unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, oder: Unfall mit dem rollenden Einkaufswagen?

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Und dann noch etwas vom OLG Naumburg. Das hat im OLG Naumburg, Beschl. v. 06.05.2024 – 1 ORs 38/24 – zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) Stellung genommen.

Zugrunde liegt ein „Klassiker“, nämlich ein „Unfall“ auf einem Supermarktparkplatz, an dem ein rollender Einkaufwagen „beteiligt“ war.

AG und LG haben den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG im Berufungsurteil stellte der Angeklagte am Tattag seinen Pkw auf dem Parkplatz eines Supermarktes ab. Anschließend holte er einen Einkaufswagen und begab sich zurück zu seinem Fahrzeug. Da sich dort der Hund des Angeklagten losmachte, ließ der Angeklagte den Griff des Einkaufswagens los, um den Hund wieder anzuleinen. Der Einkaufswagen geriet daraufhin auf dem leicht abschüssigen Parkplatz ins Rollen, drehte sich einmal um die Achse und stieß mit dem Griff voran gegen den Pkw des Geschädigten, an dem eine Schramme und eine deutlich sichtbare Eindellung entstanden. Obwohl der Angeklagte den Anstoß bemerkte, begab er sich den Markt, um einzukaufen.

Gegen dieses Urteil wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision, die mit der Verfahrensrüge hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte. Im Übrigen hat das OLG die Revision als unbegründet verworfen.

Im Rahmen der Verfahrensrüge beanstandet das OLG, dass nicht ersichtlich, sei worauf das LG seine Überzeugung hinsichtlich der Höhe der durch die verursachten Beschädigungen am Pkw des Geschädigten Reparaturkosten in Höhe von 1.041,89 EUR stütze. Die Angabe eines bis auf den Cent exakten Betrags legt nahe, dass dieser einer Reparaturkostenrechnung, einem Kostenvoranschlag oder einer ähnlichen Urkunde entnommen worden sei. Derartiges ist in der Hauptverhandlung jedoch nicht verlesen worden. Die entsprechende Angabe kann auch nicht im Wege eines Vorhalts durch die Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein, da weder Zeugen noch Sachverständige vernommen worden seien. Nach den Umständen des Falls erscheine es auch ausgeschlossen, dass die Angabe zur Höhe der Reparaturkosten im Wege eines Vorhaltes an den insoweit nicht sachkundigen und in keinem näheren Verhältnis zum Geschädigten stehenden Angeklagten eingeführt worden sei. Die in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden verhielten sich ebenfalls nicht zu der Höhe der Reparaturkosten. Auch das in der Berufungshauptverhandlung verlesene Urteil des AG könne die getroffenen Feststellungen nicht begründen, weil dessen Verlesung nicht Teil der Beweisaufnahme, sondern wesentlicher Bestandteil der Berichterstattung nach § 324 StPO sei – dazu vgl. KG, Beschl. v. 4.3.2020 – (2) 121 Ss 32/20 (10/20).

Im Übrigen hat das OLG die Revision verworfen. Insoweit stelle ich hier nur die Leitsätze ein, da die Fragen m.E. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, die das OLg auch zitiert, ausreichend ausgekaut sind. Also:

  1. Ein allgemein zugänglicher privater Parkplatz gehört zum räumlichen Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs.
  2. Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem „Verkehrsunfall” müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben.
  3. Der erforderliche straßenverkehrsspezifische Zusammenhang isz auch dann gegeben ist, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat, die dadurch entsteht, dass sich ein Fußgänger auf einem Supermarktparkplatz im räumlichen Bereich der dort abgestellten Kraftfahrzeuge bewegt, etwa um zu seinem Fahrzeug zu gelangen.

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie fasst die ständige Rechtsprechung der Obergerichte zum Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“ in § 142 StGB zutreffend zusammen. Man fragt sich allerdings, was das OLG bewogen hat, so ausführlich dazu auszuführen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind in der Rechtsprechung zwar vor einigen Jahren kontrovers diskutiert worden, der Streit dürfte sich inzwischen aber erledigt haben, da von der h.M. abweichende Rechtsprechung in den letzten Jahren nicht mehr bekannt geworden ist. Aber vielleicht wollte das OLD zu der Frage auch mal etwas gesagt haben, nachdem der Verteidiger die Frage noch einmal thematisiert hatte. Jedenfalls wird der Stand der Rechtsprechung schön dargestellt, so dass die Entscheidung für die Praxis brauchbar ist, auch wenn das OLG zum Schuldspruch für den Angeklagten nachteilig entschieden hat.

BtM III: Unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Positiver Schnelltest reicht nicht für Nachweis

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Und zum Tagesausklang dann noch der schon etwas ältere OLG Naumburg, Beschl. v. 26.10.2023 – 1 ORs 144/23.

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe. Dagegen die Revision, die Erfolg hat:

„Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 3, 33 BtMG nicht.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der Angeklagte am 30. September 2021 eine Klemmtüte mit 1,6 g netto Heroin mit sich, als er gegen 14.15 Uhr im Hauptbahnhof Halle von den Zeugen PHM pp. und PMin pp. einer Personenkontrolle unterzogen wurde.

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zu dem Tatvorwurf eingelassen.

Das Amtsgericht hat seine Feststellung, der Angeklagte habe zur Tatzeit Heroin besessen, auf die glaubhaften Aussagen des Zeugen W., die Inaugenscheinnahme des Bildberichts, BI. 9/10 d.A., sowie auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Vermerk zum Schnelltest von BtM-verdächtigen Substanzen vom 13. Oktober 2021, BI. 13/14 d. A., gestützt.

Diese Feststellungen sind indes nicht ausreichend, um mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Angeklagte zur Tatzeit tatsächlich Heroin besessen hat.

Die allein aufgrund des positiven Ergebnisses eines Schnelltests gestützte Annahme, bei dem sichergestellten Stoff handele es sich um Betäubungsmittel, ist rechtsfehlerhaft, wenn nicht in den Urteilsgründen dargelegt wird, dass es sich bei beim angewendeten Schnelltest um ein wissenschaftlich abgesichertes und zuverlässiges Standardtestverfahren handelt (OLG Hamm, Beschluss vom 4. März 1999, 5 Ss 136/99; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2013, 32 Ss 94/14; OLG Gelle, Beschluss vom 25. Juni 2014, 32 Ss 94/14; zitiert nach juris). Im angefochtenen Urteil fehlen aber bereits Angaben zu der Qualität des ausweislich des Vermerks vom 13. Oktober 2021 zur Feststellung des Heroins verwendeten Schnelltests M.M.C. Heroin. Auch fehlen Feststellungen zu der Methode, die zur Feststellung des Heroins angewendet worden ist. Ob es sich bei dem verwendeten Test um ein wissenschaftlich abgesichertes und auch in der Praxis als zuverlässig anerkannten Standartverfahren zum sicheren Nachweis von Heroin handelt, hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil nicht dargelegt. Anhand der Urteilsgründe ist dem Senat demnach die gebotene Prüfung nicht möglich.

Insofern kann – unabhängig davon, dass es auch an Angaben zum Wirkstoffgehalt mangelt -, nicht zuverlässig festgestellt werden, ob das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei der bei dem Angeklagten sichergestellten Substanz um Heroin gehandelt hat.

Aufgrund dieser unzureichenden Feststellungen und unzureichenden Beweiswürdigung war das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben.“

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).“

Pflichti II: Neues zu den Beiordnungsgründen, oder: Strafvollstreckung, Betreuerbestellung, Jugendlicher

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Und dann drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Folge einer nicht erfolgten, aber möglichen Gesamtstrafenbildung ist, dass bis zur Rechtskraft eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses die Vollstreckung der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen zulässig ist.
2. Dem Verurteilten ist im Strafvollstreckungsverfahren bei einer schwierigen Gesamstrafenbildung ein Pflichtverteidiger in analoger Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen.

Der Angeklagte kann sich nicht selbst verteidigen kann, wenn gegenüber Behörden und somit auch in einem Strafverfahren die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung gegeben sind.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist geboten bei einem gerade 15 Jahre alten Angeklagte, bei dem eine psychische Erkrankung/Verhaltensstörung vorliegt, weswegen er in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht ist.

OWi I: Entbindung von der Anwesenheitspflicht, oder: Antragstellung auch noch zu Beginn der HV möglich

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Und dann vor Weihnachten auch noch einmal ein OWi-Tag.

Zum Warmwerden hier zunächst etwas zum Warmwerden, und zwar der OLG Naumburg, Beschl. v. 06.03.2023 – 1 ORbs 63/23, also schon etwas älter. Die Problematik ist bekannt und schon häufig(er) entschieden worden, nämlich: Zeitpunkt zur Stellung des sog. Entbindungsantrags. Das geht – sagt das OLG wie die h.M. – auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung:

„Die Rüge ist auch begründet, wobei der Senat vollumfänglich auf die Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Februar 2023 Bezug nimmt. Diese hat wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Wernigerode hätte dem Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen stattgeben müssen. Ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann, wie hier geschehen, noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden (OLG Celle VRS 116, 451; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258). Dass der Betroffene die Ladung des Gerichts nicht befolgt hat, führt nicht zu einem unentschuldigten Ausbleiben im Termin der Hauptverhandlung. Da mit der Erklärung des Verteidigers, die Fahrereigenschaft werde eingeräumt, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen, auch wenn eine Erklärung zum Schweigerecht des Betroffenen fehlt, war die Anordnung des persönlichen Erscheinens unter keinem Gesichtspunkt mehr erforderlich, zumal der Verteidiger eine Gehaltsabrechnung des Betroffenen mit sich führte und insoweit die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten aufgeklärt werden können. Hinzu tritt, dass der Verteidiger über eine Vollmacht verfügte, die ihn ermächtigte, den Betroffenen in dessen Abwesenheit in der Hauptverhandlung zu vertreten und Erklärungen für seinen Mandanten abzugeben. Vom Erscheinen des Betroffenen war eine nähere Aufklärung der entscheidungserheblichen Umstände nicht zu erwarten. Bei der gegebenen Sachlage kommt es auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen nicht an (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 273). Weitere Auskünfte hätte der Verteidiger als Vertreter des Betroffenen i. S. d. § 73 Abs. 3 OWiG ohne Weiteres erteilen können.

Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler. Es ist deshalb mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen.“

Wenn das AG das bisher noch nicht wusste, jetzt sollte es – hoffentlich – bekannt sein.