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Sonntags zur Post, wenn Montags die Frist abläuft, ist zu spät…

Allgemein wird für die Einlegung eines Rechtsmittels davon ausgegangen, dass bei Aufgabe der inländischen Sendung an einem Werktag auf Zugang bereits am nächsten Tag vertraut werden kann (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 17.02.2009 – 3 Ws 37 u. 38/09).

Davon hat das OLG Hamm jetzt in einem Beschl. 19.04.2010 – III 3 Ws 179 u. 180/10 eine Ausnahme gemacht, wenn die Sendung am Sonntag zur Post gegeben wird. Dann kann nicht damit gerechnet werden, dass sie montags bereits ihr Ziel erreicht. Die Fristversäumung am Montag ist dann verschuldet: Ergebnis: Keine Wiedereinsetzung.

Manchmal kann eine gewisse Unschärfe auch gut sein

An den Spruch: Manchmal ist weniger mehr, habe ich mich erinnert, als ich den Beschl. des BGH v. 11.05.2010 – 1 StR 210/10 – gelesen habe. Es geht um die Frage, ob der Eingang der Revisionsbegründung verspätet war oder nicht, wofür der Zeitpunkt der Zustellung der Urteils von Bedeutung ist. Dazu heißt es dann:

Die Frist für die Begründung der rechtzeitig eingelegten Revision ist nicht versäumt worden, weil sie bisher noch nicht in Lauf gesetzt worden ist. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO die wirksame Zustellung des Urteils. Hieran fehlt es, wie der Generalbundesanwalt unter Hinweis auf BGHR StPO § 37 Abs. 1 Wirksamkeit 3 zutreffend ausgeführt hat. Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 23. November 2004 – 5 StR 429/04) kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, da das Schreiben vom 12. Januar 2010 nur mitteilt, „dass das Urteil am 23.12.2009 in der Kanzlei eingegangen ist“. Dem lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass das Urteil der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war (Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. ), tatsächlich zugegangen ist. Die ordnungsgemäße Zustellung ist deshalb nachzuholen.“

Tja, manchmal ist eine gewisse „Unschärfe“ eben von Vorteil, aber eben nur manchmal.

OLG Düsseldorf: Erstes Obergericht zu den neuen §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 142 Abs. 1 StPO: Wenn Vorschrift nicht beachtet, ist Pflichtverteidiger auszuwechseln

Durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.07.2009 ist § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO neu eingeführt worden. Nach der Neuregelung ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn gegen ihn U-Haft nach den §§ 112, 112a StPO oder einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO oder nach § 275a Abs. 5 StPO vollstreckt wird.

Zu dieser für die Praxis wesentlichen Änderung liegt jetzt erste obergerichtliche Rechtsprechung vor.  Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.04.2010 – III-4 Ws 163/10) und das LG Frankfurt/Oder (StV 2010, 235) haben zum Beiordnungsverfahren Stellung genommen. Das OLG Düsseldorf weist insbesondere darauf hin, dass auch im Beiordnungsverfahren nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO zu beachten sei, also eine ordnungsgemäße Fristsetzung i.S. des § 142 Abs.1 StPO erfolgen müsse, wobei das OLG die Frage, wie lang die Frist sein kann bzw. muss, allerdings offen gelassen hat. Das LG Frankfurt/Oder (a.a.O.) verlangt die Belehrung des Beschuldigten darüber, dass er innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger benennen kann.

Schön das weitere Vorgehen: Ist eine ordnungsgemäße Fristsetzung bzw. Belehrung nicht erfolgt, ist die Beiordnung eines vom Beschuldigten nicht gewünschten Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger auf die Beschwerde hin aufzuheben. Das nimmt m.E. der in Verteidigerkreisen immer wieder zu hörende Befürchtung, die neue Vorschrift könne dazu missbraucht werden, nicht beliebte Verteidiger aus den Verfahren heraus zu halten, zumindest teilweise die Relevanz.

LG Braunschweig: Nicht aus dem Haus, nicht in der Welt – auch „nachträgliche“ Pflichtverteidigerbenennung hat der Amtsrichter zu berücksichtigen

Manchmal ist man nicht nur erstaunt, sondern „sehr erstaunt“, wenn man Fallgestaltungen sieht/liest. So erging es mir bei einem Beschluss des LG Braunschweig vom 21.09.2009 – 7 Qs 280/09. Es handelt sich zwar noch um einen Fall nach „altem Recht“, die Problematik bleibt aber auch nach den Änderungen des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. OpferRRG aktuell.

Das AG hatte dem Angeschuldigten mit Schreiben vom 10.7.2009 die Anklageschrift förmlich zugestellt und dem Ange­schuldigten Gelegenheit gegeben binnen einer Woche einen Pflichtverteidiger zu benennen. Am 3.8.2009 beschloss das Amtsgericht, dem Angeschuldigten, der sich bis dahin nicht anderweitig geäußert hatte, eine Pflichtverteidigerin beizuordnen. Ausgefertigt wurde der Beschluss am 6.8.2009. Bereits einen Tag zuvor – nämlich am 5.8.2009 um 12.40 Uhr (Eingang bei Gericht) – hatte der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwalt X als Pflichtverteidiger beizuordnen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 26.8.2009 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das LG führt kurz und zackig aus:

Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Zwar hat der Angeschul­digte nicht innerhalb der ihm gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StPO gesetzten Frist einen Verteidiger seiner Wahl benannt. Dies ist aber nachfolgend geschehen und zwar bevor der Beschluss des Vorsitzenden Außenwirkung erlangen konnte. Die Sache hätte mithin dem Vorsitzenden noch einmal vorgelegt werden müssen, damit dieser den Wunsch des Angeschuldigten bei seiner Auswahlentscheidung hätte berücksich­tigen können.“

Dem kann man sich nur anschließen und sagen: Recht so, denn noch war der Beschluss nicht „in der Welt“ und die Frist des § 142 Abs. 1 StPO ist keine Ausschlussfrist. Das weiß jetzt auch das AG.

5. Strafsenat des BGH: So geht es nicht. Gott sei Dank

Der 5. Strafsenat des BGH warnt bzw. schert aus aus der „obiter-dictum-Rechtsprechung“ des BGH, die vor allem der 1. Strafsenat verfolgt. Den Schluss kann man wohl aus dem Beschl. v. 09.07.2009 – 5 StR 263/08 ziehen. In dem hat – bisher wenig beachtet – der 5. Strafsenat die Stühle ein wenig zurecht gerückt und darauf hingewiesen, dass die von der Rechtsprechung entwickelte Verfahrensweise zur Ablehnung von Beweisanträgen (BGHSt 51, 333; 52, 355) nach Ablauf einer hierzu gesetzten Frist, selbstverständlich vorsichtiger und zurückhaltender Handhabung bedürfe. Sie werde regelmäßig erst nach zehn Hauptverhandlungstagen und nicht vor Erledigung des gerichtlichen Beweisprogramms in Betracht zu ziehen sein. Voraussetzung für eine Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen seien auch bestimmte Anzeichen für Verschleppungsabsicht im bisherigen Verteidigungsverhalten; solche hat der Vorsitzende im Zusammenhang mit der fristsetzenden Anordnung im Protokoll ausdrücklich zu bezeichnen (§ 273 Abs. 3 StPO). Man darf allerdings auch nicht übersehen, dass es gerade der 5. Strafsenat war, der die „Fristsetzungsrechtsprechung“ losgetreten hatte. In der Sache ganz interessant zu lesen: Denn der Vorsitzende beim LG hatte dem Verteidiger gerade mal einen Tag als Frist für weitere Beweisanträge gegeben. Das hat der 5. Senat als unangemessen angesehen. Für die Besorgnis der Befangenheit hat es aber noch nicht gereicht.

Sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Die Fragen wird der Gesetzgeber lösen müssen und nicht die Rechtsprechung.