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Manchmal helfen OLGs auch…

So jetzt z.B. das OLG Bamberg in seinem Beschl. v. 30.06.2010 – 3 Ss OWi 854/10, wo der Verteidiger der Rechtsbeschwerde auch mal wieder (vgl. auch hier) „eine ausschließlich eine den gesetzlichen Begründungs­an­forderungen des § 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG nicht ge­nü­gende ‚Aufklärungsrüge’ erhoben“ hatte.

Das OLG hat seine Ausführungen nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und kommt dann zum Ergebnis:

„…, dass der Bf. neben der schon aus der Formulierung seines Rechtsbeschwerdeantrags ersichtlichen Rechtsmittelbeschrän­kung den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils mit der sog. ‚Feststellungs- bzw. Darstellungsrüge’, nämlich mit der Beanstandung angreift, dass die nach seiner Auffassung lückenhaften Urteilgründe des AG bereits keine trag­fähige Tatsachengrundlage für die Rechtsfolgenbemessung abgeben, namentlich keine hinreichenden Feststellungen zu den ‚bestimmenden’ Zumessungstatsachen iSv. § 267 III 1, 2. Hs. StPO (i.V.m. § 71 OWiG) für die Be­gründung der über dem an sich verwirk­ten Bußgeldregelsatz verhängten Geldbuße enthalten (vgl. hierzu u.a. Meyer-Goßner § 267 Rn. 18 ff. i.V.m. Rn. 42 f.; KK/Engelhardt § 267 Rn. 24 ff. i.V.m. Rn. 47; Göh­ler/Seitz § 71 Rn. 42; Göh­ler/Gürtler § 17 Rn. 34 f. und – im Überblick unter dem Ge­sichtspunkt der revisions­rechtlichen Behandlung – Burhoff, Hdb. für die strafrechtliche Hauptverhand­lung, 6. Aufl. Rn. 758p ff.; aus der im dogmatischen Ansatz unverändert ein­heitlichen obergerichtlichen Rspr. u.a. BGH NStZ-RR 1998, 17 f.: „Das Urteil muß in jedem Fall erkennen lassen, dass sich das Tatgericht für die Strafzumessung um die Aufklärung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten – wenn auch vergeblich – bemüht hat“; im gleichen Sinne z.B. auch BGHR StPO § 267 III 1 Strafzu­messung 8, 9, 10, 15, 17 und OLG Düsseldorf DAR 2002, 174 ff.). Nach alledem beanstandet der Bf. vorliegend die Verletzung sachli­chen Rechts. Der Betr. hat deshalb unbeschadet der anwaltlichen Abfassung seiner Rechtsbeschwerdebegründung und der ‚untechnisch’ zu verstehenden Ver­wendung des Begriffs der ‚Aufklärungsrüge’ gerade keine (unzuläs­sige) Verfahrens­rüge, sondern – zumindest auch – eine (zulässige) Sachrüge erhoben, weshalb die von der GenStA beantragte Verwer­fung der Rechtsbeschwerde als unzu­lässig (§ 349 I StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG) nicht in Betracht kommt.“

Damit war die Rechtsbeschwerde zumindest nicht unzulässig. Unbegründet war sie allerdings. Dazu hier mehr

Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg…

Vor einigen Tagen habe ich den Rechstprechungsüberblick von König/Seitz in DAR 2010, 361 ff. zu aktueller Rechtsprechung der OLG im Verkehrsstraf- und OWi-Recht ausgewertet. Ist immer eine ganz gute Messlatte, ob man selbst nicht etwas Wichtiges übersehen hat. Zum nachdenklichen Schmunzeln hat mich dann eine Passage in dem Beitrag gebracht. Da wird auf Seite 364 ausgeführt:

„In den Vorjahresberichten 2008 und 2009 wurden oberlandesgerichtliche Entscheidungen kritisiert, die den Fahrlässigkeitsvorwurf bei Drogenfahrten in Frage stellen, wenn sich der Betroffene darauf beruft, dass der Drogenkonsum bereits längere Zeit zurückgelegen habe. Dabei wurde beklagt, dass sich die einschlägigen Entscheidungen mit der gegen sie gerichteten Kritik nicht ansatzweise auseinandersetzen. Das hat sich nun geändert. Eingehend begründet wird diese Rechtsprechung nunmehr in einem Beschluss des KG.“

Zunächst: Schön für das KG, das nun ja zumindest teilweise wohl alles richtig macht und ein Lob bekommt. Über den Beschluss, der gemeint ist, haben wir hier übrigens auch schon berichtet. In der Sache folgen König/Seitz dem KG allerdings nicht.

Warum nachdenkliches Schmunzeln? Ich weiß ja nicht, wer von den beiden Autoren für die Passage verantwortlich ist, wenn es aber Prof. König ist, der seit einiger Zeit ja Mitglied des 5. Strafsenats des BGH ist, dann werde ich doch an den Aufsatz von Fezer in HRRS erinnert, in dem dieser gerade erst dem BGH den Vorwurf gemacht hat, dass dieser auf Einwände aus der Wissenschaft in seinen Entscheidungen kaum noch eingeht. Da muss – zumindest ich – dann schmunzeln, wenn kurz darauf in einem Aufsatz, für den ein BGH-Richter zumindest mitverantwortlich zeichnet, beklagt wird, dass sich die OLG mit Kritik an ihrer Rechtsprechung „nicht ansatzweise auseinandersetzen“.

Da fällt einem nur ein: Was dem einen Recht ist, ist dem anderen billig.  Aber beim BGH wird ja nun sicherlich alles besser?…

Immer wieder derselbe schwere Verteidigerfehler in der Revision…

habe ich gedacht, als ich die bei „Mit Fug und Recht“ eingestellte und besprochene Entscheidung des OLG Brandenburg v. 24.03.2010 – (1) 53 Ss 42/10 (24/10) gelesen habe.

Immer wieder wird nämlich von Verteidigern übersehen, dass nur die Sachrüge dem Revisionsgericht den Blick in die Urteilsgründe erlaubt. Ist sie nicht erhoben, ist das nicht möglich und können die Urteilsgründe nicht ergänzend herangezogen werden, um zu prüfen, ob nicht ggf. eine Verfahrensrüge, bei der der Vortrag nicht so ganz ausreicht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) durch die Urteilsgründe und dort gewonnene Erkenntnisse ergänzt werden kann. Darauf wird von den Revisionsgerichten immer wieder hingewiesen.

Hier nur eine kleine Auswahl BGH, NStZ 1996, 145; StraFo 2008, 332; u.a. Beschl. v. 26.03.2008, 2 StR 61/08; OLG Brandenburg, StraFo 1997, 270 = NStZ 1997, 617; OLG Hamm, StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373; StRR 2008, 308; Rpfleger 2008, 531 = StRR 2008, 346.

Und die Begründung der Sachrüge macht ja nun wirklich nicht viel Arbeit. Den Satz: Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts, wird ja wohl noch jeder Verteidiger schreiben können. Er sollte es auf jeden Fall tun und ihn auf seine Revisionscheckliste nehmen. Schreibt er ihn nicht, ist es m.E. ein schwerer Verteidigerfehler.

Sind die Revisionsentscheidungen des BGH zu kurz und argumentativ zu einseitig?

Gestern hatte ich unter dem Tite: „Ich sage es ja immer, Revisionen werden in der Instanz gewonnen zu einem revisionsrechtlichen Beschluss des BGH gebloggt. Dazu war kommentiert worden, das der BGh die Geister, die er rief, nicht mehr los wird, sich aber im Grunde widersprüchlich verhält, wenn er einerseits immer höhere Hürden in der Instanz aufbaut, andererseits aber dann häufig beklagt, dass die Verfahren so lange dauern. Zu dem Thema passt ganz gut der Beitrag von Fezer, der auf HRRS veröffentlicht worden ist und der sich über „zu kurze“ Revisionsbegründungen beklagt, vor allem darüber, dass sich der BGH nicht mehr mit Einwänden der Wissenschaft auseinandersetzt. Die Redaktion von HRRS führt dazu aus:

„Das (gestörte?) Verhältnis Wissenschaft/Rechtsprechung ist vor allem auch im Bereich des Strafverfahrensrechts ein Modethema. Fezer hält dieses Thema für überflüssig und sogar in einer Hinsicht gefährlich. Er rügt, dass sich der BGH nicht hinter einer gewissen „Theorienlastigkeit“ der Wissenschaft verstecken könne, wenn er sich selbst in der Rechtsanwendung zurückhält. Davon betroffen ist – so betont Fezer zu Recht – vor allem die Frage, inwieweit ein Strafsenat verpflichtet ist, in seinen Entscheidungsgründen umfassend zu argumentieren, also auch auf Gegenargumente aus dem Schrifttum einzugehen.

 Fezer zeigt anhand mehrerer Beispiele aus der jüngsten BGH-Rechtsprechung auf, dass die Strafsenate in ihren Begründungen einseitig geblieben sind: Sie erwähnen Gegenargumente aus dem wissenschaftlichen Schrifttum entweder gar nicht oder umgehen eine Auseinandersetzung mit ihnen. Demgegenüber sieht Fezer das Revisionsgericht verpflichtet, sich in seiner Entscheidungsbegründung mit allen wesentlichen Argumenten zu befassen, also auch Gegenargumente zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung ergibt sich nach der Ausarbeitung Fezers zunächst einmal aus rechtstheoretischen Erkenntnissen (z.B. aus der juristischen Argumentationslehre), nämlich aus der Notwendigkeit zur vollständigen, rational nachvollziehbaren Argumentation. Ob sich eine solche Argumentationsverpflichtung auch aus dem Grundgesetz ableiten lässt (Art. 97 I und Art. 20 III GG) sieht Fezer derzeit noch als eine ungeklärte Frage. Ergänzend nimmt er auf Art. 103 I GG Bezug.

 Fezer fordert den BGH dazu auf, seine Begründungsarbeit zu verbessern. Beachtet das Revisionsgericht die argumentativen Strukturen nicht, dann bestehe die Gefahr, Ergebnisse zu erzielen, die letztlich nicht begründbar sind und reine „Machtsprüche“ ausmachen. Um die Erfüllung der Begründungspflicht realisierbar zu gestalten, schwächt Fezer diese Verpflichtung auf die jeweils wesentlichen Argumente und Gegenargumente ab. Um die Begründungspflicht zu aktualisieren, rät Fezer den Revisionsführern, Angriffe aus dem wissenschaftlichen Schrifttum auf einschlägige BGH-Entscheidungen vorzutragen. Insoweit hätten die Strafverteidiger vielfältige Möglichkeiten, den BGH fortwährend auf seine Argumentationsverpflichtungen hinzuweisen.“

Ich kann nur jedem (Revisions)Verteidiger empfehlen, den Beitrag mal zu lesen und umzusetzen. Der BGH wird sich freuen 🙂 (?)

Das BVerfG zum dritten Mal zu § 81a Abs. 2 StPO: Verschont mich zur Begründung von „Gefahr im Verzug“ mit Allgemeinplätzen

Da kommt doch mal wieder Bewegung ins Spiel :-). Gerade hat das BVerfG in einem Beschluss v. 11.06.2010 –  2 BvR 1046/08 – erneut zum Richtervorbehalt bei § 81a Abs. 1 StPO und zur Annahme von „Gefahr im Verzug“ Stellung genommen. Das heißt es u.a.

Die Fachgerichte haben den Prüfungsauftrag nicht in einer diesen Anforderungen gerecht werdenden Weise wahrgenommen. Insbesondere das Landgericht erschöpft die Prüfung im Wesentlichen mit der Darlegung seiner generalisierenden Rechtsauffassung zur Gefährdung der Beweissicherung bei der Feststellung der Blutalkoholkonzentration. Die weitere Annahme des Landgerichts, dass richterliche Eilentscheidungen generell nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen getroffen werden könnten und dass diese wegen des zur Prüfung des Sachverhalts sowie zur Erstellung des Beschlusses notwendigen Zeitraums zwangsläufig mit der Gefährdung des Untersuchungszwecks einhergingen, würde dazu führen, dass Entscheidungen des Ermittlungsrichters zur Blutentnahme bei Verdacht auf Trunkenheit im Verkehr in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr erholt werden würden. Der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO würde bei rein abstrakter Bestimmung der Gefährdungslage im Regelfall bedeutungslos werden. Dies wird weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht…“

Und weiter:

Die Annahme des Landgerichts, dass sich die Notwendigkeit der Blutentnahme erst nach der Zeugenaussage des Ehemannes und dem Eintreffen auf der Polizeiinspektion gegen 18.15 Uhr gezeigt habe, lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Das Gericht prüft nicht, ob von dem Ermittlungsrichter eine kurze schriftliche Entscheidung unter Einschaltung der Staatsanwaltschaft auch ohne schriftliche Antragsunterlagen in einem angemessenen Zeitraum hätte erwartet werden können und abgewartet werden müssen. Die Erforderlichkeit der Blutentnahme stellte sich bereits unmittelbar nach dem Atemalkoholtest gegen 17.55 Uhr heraus. Auf die Zeugenvernehmung des Ehemanns kam es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entscheidend an, da sich der Tatverdacht bereits aus dessen Anruf bei der Polizeiinspektion und dem Atemalkoholtest ergeben hatte. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Anordnung der Blutentnahme gegen 18.30 Uhr und deren Durchführung gegen 18.40 Uhr hätte ausreichend Zeit für den Versuch bestanden, eine richterliche Anordnung oder zumindest eine staatsanwaltschaftliche Weisung zu erhalten, ohne den Ermittlungserfolg zu gefährden.

Das Gericht prüft auch nicht, ob der Zeitraum zwischen 17.55 Uhr und 18.30 Uhr für den Ermittlungsrichter ausgereicht hätte, um eine eigenständige rüfung des Sachverhalts durchzuführen, einen kurzen Beschluss zu verfassen und diesen zu übermitteln. Im Gegensatz zu einer Durchsuchung sind die zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bei § 81a StPO beim Verdacht einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit in der Regel weniger komplex. Im vorliegenden Fall gilt dies insbesondere für die Beurteilung des Tatverdachts, nachdem bereits ein Atemalkoholwert und ein klares Ermittlungsbild vorlag, aber auch für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. In Ausnahmefällen kann die Anordnung durch den Richter auch lediglich mündlich erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 2267/06 -, juris). Ferner dürfte davon auszugehen sein, dass an einem Werktag zur Tagzeit noch ein Ermittlungsrichter, zumindest aber noch ein richterlicher Eil- oder Notdienst im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth zu erreichen gewesen sein wäre (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>; BVerfGK 9, 287 <290>). Ob in diesem Einzelfall gleichwohl eine erhebliche Verzögerung durch die Einholung einer richterlichen Anordnung hätte eintreten können (z.B. wegen vorrangiger Eilentscheidungen), kann nicht beurteilt werden, da die Beamten schon keinen Versuch unternommen haben, einen richterlichen Beschluss zu erholen.

In den Entscheidungen wird auch nicht thematisiert, ob die Ermittlungsbehörden sich zunächst um eine richterliche Entscheidung und nachrangig um eine staatsanwaltschaftliche Weisung bemühen mussten. In den Ermittlungsakten, insbesondere in dem Vermerk des Polizeibeamten zur Blutentnahme vom 11. Januar 2008, aber auch in den Vermerken vom 21. und 22. Dezember 2007 finden sich keine Hinweise darauf, dass solche Versuche unternommen worden sind. Von der Evidenz der Gefährdungslage und damit der Entbehrlichkeit der Dokumentation kann anbetracht des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens und des ermittelten Atemalkoholwerts, der nicht in der Nähe eines „Grenzwerts“ lag, nicht ausgegangen werden. Ein Nachtrunk war zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet und auch nicht mehr zu befürchten, da sich die Beschwerdeführerin bis zur Blutentnahme in der Kontrolle der Ermittlungsbehörden befand (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 – 2 BvR 2307/07 -, juris Rn. 6).
 
Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen, dass die Fachgerichte den ihnen vorliegenden Einzelfall prüfen und nicht aus generellen Erwägungen den Richtervorbehalt „leer laufen“ lassen. Die Gerichte haben mit der Weigerung, die Anordnungskompetenz der Ermittlungspersonen konkret zu überprüfen, der Beschwerdeführerin den effektiven Rechtsschutz durch eine eigene Sachprüfung versagt. Es kann wegen diesem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen, ob die Fachgerichte daneben die Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkannt haben (vgl. BVerfGK 10, 270 <274>).“
Also nach em ersten Lesen: Allgemeinplätze reichen nicht, sondern Einzelffalprüfung ist angesagt. Aber das hatte das BVerfG ja auch schon früher betont. Zum Beweisverwertungsverbot allerdings kein Hinweis