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BVerfG I: Anlasslose Vorratsdatenspeicherung, oder: Nach sieben Jahren als unzulässig zurückgewiesen

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In die neue Woche starte ich mit zwei Postings zu BVerfG-Entscheidungen.

Zunächst hier die

– ja, richtig gelesen: Es sind Verfahren aus 2016 (!!).

Entschieden hat das BVerfG mit den Beschlüssen über Verfassungsbeschwerden gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Die waren erfolglos, das BVerfG hat sie nämlich als unzulässig zurückgewiesen.

Ich beschränke mich hier auf die Pressemitteilung des BVerfG Nr. 37/2023 vom 30.03.2023:

„Mit heute veröffentlichten Beschlüssen hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts drei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Diese richteten sich unmittelbar gegen Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und der Strafprozessordnung (StPO), die die anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf Vorrat (sogenannte anlasslose Vorratsdatenspeicherung) vorsahen.

Aus den Begründungen der Verfassungsbeschwerden geht nicht hervor, inwieweit nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 20. September 2022, SpaceNet AG u.a., C-793/19, C-794/19, EU:C:2022:702 noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts besteht. Der EuGH hatte darin die gesetzliche Pflicht von Telekommunikationsdienstleistern in Deutschland zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für unionsrechtswidrig erklärt.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführenden wenden sich gegen die gesetzlichen Vorschriften über die anlasslose Vorratsspeicherung, ursprünglich insbesondere geregelt in § 113b Abs. 1 bis 4 sowie § 113c Abs. 1 TKG und § 100g Abs. 2 sowie § 100g Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 100g Abs. 2 StPO. Zur Begründung machten sie geltend, die darin vorgesehene Speicherung ihrer Verkehrsdaten verstoße unter anderem gegen ihre Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 GG (Telekommunikationsfreiheit), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung der informationellen Selbstbestimmung) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Seit Juni 2021 finden sich die hier maßgeblichen Vorschriften ihrem Inhalt nach in § 176 Abs. 1 bis 4 sowie § 177 Abs. 1 TKG n. F. und § 100g Abs. 2 sowie § 100g Abs. 3 in Verbindung mit § 100g Abs. 2 StPO n. F.

Mit Beschluss vom 25. September 2019 ? 6 C 12.18 – setzte das Bundesverwaltungsgericht ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus, in dem sich Telekommunikationsdienstleister gegen ihre in § 113a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 113b TKG geregelte Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gewandt hatten. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei entscheidungserheblich und bedürfe der Klärung durch den EuGH, ob diese Pflicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Mit Urteil vom 20. September 2022 entschied der EuGH im Wesentlichen, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsähen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig und haben damit keine Aussicht auf Erfolg.

Beschwerdeführende sind angehalten, ihre Verfassungsbeschwerden bei entscheidungserheblicher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwerdebegründung gegebenenfalls auch nachträglich zu ergänzen. Sie trifft eine Begründungslast für das (Fort-)Bestehen der Annahme- und Zulässigkeitsvoraussetzungen.

Dieser Begründungslast sind die Beschwerdeführenden nicht nachgekommen, obschon Anlass dafür bestand, von einer entscheidungserheblichen Veränderung der Sach- und Rechtslage auszugehen. Sie waren jedenfalls nach dem Urteil des EuGH vom 20. September 2022 gehalten, ihren Vortrag substantiiert dahingehend zu ergänzen, ob und inwieweit ihr Rechtsschutzbedürfnis weiter fortbestand.

Grundsätzlich gibt es für eine Überprüfung einer nationalen Norm im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde kein Bedürfnis, wenn schon feststeht, dass die Norm dem Unionsrecht widerspricht und deshalb innerstaatlich nicht angewendet werden darf.

Jedenfalls nach dem Ergehen des Urteils des EuGH vom 20. September 2022 musste es sich den Beschwerdeführenden aufdrängen, zur Frage ihres fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses nachzutragen.

So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Vorlagebeschluss vom 25. September 2019 die Aussetzung des Verfahrens und die notwendige Vorlage an den EuGH ausdrücklich in Hinblick auf den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts mit einer möglichen Unanwendbarkeit der vorliegend angegriffenen Vorschriften begründet.

Auf diese Vorlage hin hat der EuGH mit Urteil vom 20. September 2022 im Wesentlichen entschieden, dass die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation im Lichte von Art. 7 (Achtung des Privatlebens), Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 11 (Freiheit der Meinungsäußerung) sowie von Art. 52 Abs. 1 (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsähen. Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten sei nur unter verschiedenen engen Voraussetzungen zulässig.

Um den Substantiierungsanforderungen zu genügen, hätten die Beschwerdeführenden vor diesem Hintergrund vortragen müssen, inwieweit noch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Prüfung der angegriffenen Vorschriften am Maßstab des Grundgesetzes fortbestehen sollte. Unerheblich ist dabei, dass die Regelungen zwischenzeitlich neugefasst wurden. Zum einen ging hiermit gerade keine inhaltliche Änderung einher, zum anderen erstreckte sich die Vorlagefrage auf das insoweit unverändert gebliebene Regelungskonzept der deutschen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung.

Die Relevanz weiteren Vortrags hätte sich aber umso mehr aufdrängen müssen, als die Beschwerdeführenden wegen bestehender Zweifel an der Unionsrechtskonformität mit ihren Verfassungsbeschwerden ursprünglich selbst angeregt hatten, dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit der angegriffenen Vorschriften mit dem Unionsrecht vorzulegen. Nachdem dieser die Frage der (Un)Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht geklärt hat, haben die Beschwerdeführenden sich jedoch nicht mehr verhalten.“

Na ja, schön, dass das BVerfG es dann nach sieben (!) Jahren geschafft hat. Man fasst es nicht.

OWi I: Verlesung des Messprotokolls in der HV, oder: Beschränkung des Einspruchs und Einspruch per Mail

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst hier drei verfahrensrechtliche Entscheidungen, und zwar jeweils nur die Leitsätze.

1. Unabhängig von einem in § 77a Abs. 1, 2 und 4 OWiG geregelten Zustimmungserfordernis kann das Messprotokoll auf Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden.

2. Denn das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 StPO, weil sie eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme ist und keine Vernehmung zum Gegenstand hat.

3. Das Messprotokoll gibt im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch Auskunft über repressives Handeln der Polizei. Denn die Geschwindigkeitsüberwachung dient auch der Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen.

1. Eine Beschränkung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch in seiner Gesamtheit ist möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Enthält der Bußgeldbescheid keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform, ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob sich dem Bußgeldbescheid die Schuldform entnehmen lässt. Dabei kann auch Beachtung finden, dass die Zentrale Bußgeldstelle im Bay. Polizeiverwaltungsamt in der Regel im Rahmen der Erhöhung der Regelgeldbuße auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweist.
2. Bei einem wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hat der Tatrichter den Schuldspruch so zu fassen, wie wenn er selbst entschieden hätte; die bloße Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid genügt nicht.

Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.

StPO III: Strafbare Verwendung des sog. „Z-Symbols“, oder: Verhandlung beim AG oder beim LG?

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Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG Hamburg, Beschl. v. 31.01.2023 – 5 Ws 5-6/23.

Das AG – Ermittlungsrichter – erließ am 03.08.2022 Haftbefehl gegen den Angeklagten zu 1), mit dem ihm zehn Fälle der öffentlichen Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) vorgeworfen wurden. Danach bestehe der dringende Verdacht, dass der Angeklagte zu 1) in zehn Postings in sozialen Medien das „Z“-Symbol verwendet und dadurch, wie sich aus dem jeweiligen Kontext ergebe, eine rechtswidrige Tat in Gestalt des Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine (§ 13 VStGB) befürwortet habe. Der Angeklagte zu 1) wurde aufgrund dieses Haftbefehls am 04.08.2022 festgenommen und in Untersuchungshaft genommen.

Mit Beschluss vom 31.08.2022 erweiterte das AG den Haftbefehl dahingehend, dass der Angeklagte zu 1) zusätzlich dringend verdächtig sei, am 04.08.2022 in seiner Wohnung zwei nach dem WaffG verbotene Einhandmesser verwahrt zu haben (§ 52 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 WaffG).

Unter dem 22.09.2022 erhob der Angeklagte zu 1) Haftbeschwerde, mit der er unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des AG Bautzen geltend machte, das „Z“-Symbol habe eine vielschichtige Bedeutung und sei infolgedessen nicht eindeutig als Befürwortung des russischen Angriffskriegs zu verstehen. Das LG Hamburg verwarf die Haftbeschwerde mit Beschluss vom 10.10.2022 als unbegründet.

Nach Verbindung mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten zu 2) erhob die Generalstaatsanwaltschaft am 3.11.2022 Anklage gegen die Angeklagten zu 1) und 2). Gegenstand der Anklage sind die haftbefehlsgegenständlichen Tatvorwürfe gegen den Angeklagten zu 1) einschließlich des Verstoßes gegen das Waffengesetz, sowie 34 weitere als Billigen von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) gewertete Fälle der Verwendung des „Z“-Symbols in verschiedenen Kanälen der sozialen Medien. Dem Angeklagten zu 2) wird vorgeworfen, in drei Fällen zu den Taten des Angeklagten Beihilfe geleistet zu haben, indem er dem Angeklagten zu 1) jeweils Grafikdateien zur Verfügung stellte, die das „Z“-Symbol zeigen, damit dieser die Dateien für seine Postings verwenden kann. Zugleich beantragte die Generalstaatsanwaltschaft die Eröffnung des Verfahrens vor der Großen Strafkammer des LG sowie die Aufrechterhaltung des Haftbefehls nach Maßgabe der Anklageschrift. Die Eröffnung vor der Großen Strafkammer des LG sei im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Falles (§ 24 Nr. 3, 3. Var. i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 GVG) geboten, weil die Frage, ob die Verwendung des „Z“-Symbols auch ohne einen damit verbundenen ausdrücklichen Hinweis auf den russischen Angriffskrieg als dessen „Billigung“ im Sinne des § 140 Nr. 2 StGB gewertet werden könne, höchstrichterlich ungeklärt sei, so dass es angesichts der Vielzahl ähnlich gelagerter Ermittlungsverfahren zu öffentlichen Verwendungen des „Z“-Symbols ein Bedürfnis nach rascher höchstrichterlicher Klärung gebe.

Mit Beschluss vom 14.12.2022 ließ das LG Hamburg die Anklage zur Hauptverhandlung zu, eröffnete die Hauptverfahren jedoch in Abweichung vom Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vor dem AG – Strafrichter –, weil die begehrte Klärung der aufgeworfenen Frage keine besondere Bedeutung des Falles i.S.d. § 24 Nr. 3 i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 GVG begründe; auch die Straferwartung begründe keine Zuständigkeit des LG. Zugleich hob es den Haftbefehl gegen den Angeklagten zu 1) auf, weil die Fortdauer der Untersuchungshaft mit Blick auf die Rechtsfolgenerwartung nicht mehr verhältnismäßig sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat gegen den Beschluss des LG Hamburg am 19.12.2022 Beschwerde eingelegt, mit der sie die Eröffnung des Verfahrens beim LG – Große Strafkammer – sowie die Inkraftsetzung des Haftbefehls und dessen Ergänzung nach Maßgabe der Anklage begehrt. Die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Das OLG meint u.a., das müsse am LG verhandelt werden:

    1. Die Frage, ob sich eine auf Symbole zurückgreifende Äußerung als „Billigung einer Straftat“ i.S.d. § 140 Nr. 2 StGB darstellt (hier: Verwendung des „Z“-Symbols als Billigung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine), ist keine der höchstrichterlichen Klärung zugängliche und damit ggf. die „besondere Bedeutung des Falles“ i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG begründende Rechtsfrage, sondern eine Frage der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, bei der sowohl der jeweilige Äußerungskontext als auch etwaige weitere, innerhalb der Äußerung liegende Umstände in den Blick zu nehmen sind.
    2. Die in § 140 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Eignung der billigenden Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens liegt in Fällen, in denen die gebilligte Katalogtat im Ausland begangen wurde, nicht nur dann vor, wenn die billigende Äußerung geeignet ist, die allgemeine Bereitschaft zur Begehung ähnlicher Delikte im Inland zu fördern („kriminogene Inlandswirkung“); jedenfalls bei Katalogtaten, die ein kollektives und supranationales Rechtsgut schützen (hier: Aggressionsverbrechen, § 13 VStGB), kann es ausreichen, wenn die kriminogene Wirkung im Ausland eintritt oder die Billigung der Tat in der Bevölkerung die Besorgnis begründen kann, dass in Zukunft vermehrt mit der Begehung entsprechender Auslandstaten zu rechnen ist (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 3 StR 435/16).

 

StPO I: Vollzug des strafprozessualen Arrestes, oder: Ein bisschen Eile tut schon not

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Heute eine StPO-Tag.

Den beginne ich mit einer Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth u.a. zur zulässigen Dauer der Vollziehungsfrist eines strafprozessualen Arrestbeschlusses.

Folgender Sachverhalt: Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen einen Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Dem liegt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft A (Italien) führt gegen den Bf. ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Am 19.05.2017 wurde der Bf. von Beamten des Zollfahndungsamtes M. einer Kontrolle unterzogen. Dabei wurden bei ihm Geldpakete gefunden, zu denen er aussagte, sie enthielten insgesamt 249.050 EUR, die aus dem Verkauf von Goldschmuck stammen sollten. Die Geldpakete wurden vorläufig sichergestellt. Am 17.05.2018 erließ das Amtsgericht Nürnberg in Erfüllung des italienischen Rechtshilfeersuchens einen Arrestbeschluss gegen den Bf. über 249.050 EUR. Am 09.07.2018 brachte das Zollfahndungsamt M. einen Vermerk zur Akte, wonach die Öffnung der in der Zollzahlstelle eingelieferten Geldpakete und die Zählung des Geldes lediglich einen Betrag von 200.000 EUR erbracht habe. Die 200.000 EUR wurden am 03.07.2018 gepfändet.

Der Bf. macht vor dem LG Nürnberg-Fürth gegen den Freistaat Bayern nunmehr im Klagewege einen Schadenersatzanspruch geltend, der darauf gestützt wird, dass 49.050 EUR aus seinem mitgeführten und dann sichergestellten Bargeld vor der Einlieferung in der Zollzahlstelle abhanden gekommen seien. In dem Zivilprozess ist unstreitig, dass von den 21 sichergestellten Geldpaketen nur 16 bei der Zollzahlstelle eingeliefert wurden. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erließ am 07.09.2022 einen Pfändungsbeschluss über 49.050 EUR, mit dem der etwaige Schadenersatzanspruch des Bf. gegen den Freistaat Bayern gepfändet werden sollte.

Gegen diesen Pfändungsbeschluss wandte sich die Verteidigerin des Bf. Das AG Nürnberg hat das Beschwerdeschreiben als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 111k Abs. 3 StPO ausgelegt und ihn als unbegründet abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Verteidigerin mit der Beschwerde. Das Amtsgericht half nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.

Das LG hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.02.2023 – 12 Qs 75/22 – die Beschwerde als begründet angesehen:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 07.09.2022 erweist sich als unwirksam, weil er erst vier Jahre und über drei Monate nach Erlass des zugrundeliegenden Arrestbeschlusses beauftragt und vollzogen worden ist.

1. Nach § 111k Abs. 3 StPO kann gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, gerichtliche Entscheidung beantragt werden.

Die Unwirksamkeit der angegriffenen Pfändung folgt aus dem Ablauf der konkret zulässigen Vollziehungsfrist. § 111f StPO nennt allerdings keine Frist für den Vollzug des Arrestes. § 111f Abs. 1 Satz 2 StPO verweist auch nicht auf § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO und die dortige Monatsfrist (OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 17 ff.). Gleichwohl besteht im Grundsatz Einigkeit darüber – und die Kammer schließt sich dem an –, dass ein Arrestbeschluss nach seinem Erlass zeitlich nicht unbegrenzt vollzogen werden darf. So wird vorgeschlagen, die Vollziehungsfrist bei strafprozessualen Arresten entsprechend § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf einen Monat zu begrenzen (Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, 308; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 14; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl., Rn. 207). Nach anderer Auffassung soll in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vollstreckung von Durchsuchungsanordnungen der Vollzug nach sechs Monaten unzulässig sein (Johann in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 111f Rn. 3; Cordes, NZWiSt 2021, 45, 50; Kempf/Schilling, StraFo 2006, 180, 187). Die Rechtsprechung vermeidet demgegenüber, soweit erkennbar, starre Festlegungen, sondern wägt einzelfallbezogen ab (anders wohl AG Kiel, Beschluss vom 11.03.2020 – 43 Gs 516/20 [n.v., zitiert von Cordes, aaO Fn. 91]: sechs Monate). Je länger eine Arrestanordnung nicht vollzogen wird, umso mehr nimmt die Rechtfertigung für die Annahme einer Gefährdung des gesicherten Anspruchs und damit für den Arrestgrund ab (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.04.2009 – 1 Ws 339/08, juris Rn. 37; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 20). Mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme wachsen zudem die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Dauer eines Arrestes OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.08.2021 – Ws 718/21, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2022 – III-5 Ws 94/22, juris Rn. 33). Auch wenn die Rechtsprechung damit teilweise nicht die Vollziehungsfrist zum Ausgangspunkt ihrer Erwägungen macht, müssen sich die weichen Argumentationstopoi des Sicherungsbedürfnisses oder der Verhältnismäßigkeit bei der Beurteilung eines Falles konkret in Bewertungen von Fristen umformulieren lassen: Die Pfändung konnte bei einem Zeitablauf von x Monaten/Jahren noch oder nicht mehr vollzogen werden.

Die Überschreitung der noch angemessenen Vollziehungsfrist – wie lang sie auch konkret bemessen sein mag – führt dazu, dass die Vollstreckung aus dem Arrestbeschluss unzulässig wird, wenn sie nicht vorher eingeleitet wurde; Vollstreckungsmaßnahmen nach Ablauf der Frist sind unwirksam (BGH, Urteil vom 10.06.1999 – VII ZR 157/98, juris Rn. 8 f.; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 15 f., § 111k Rn. 37).

2. Hier führt der große zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des Arrestbeschlusses am 17.05.2018 und dem Vollstreckungsauftrag der Staatsanwaltschaft vom 07.09.2022 jedenfalls dazu, dass die Pfändung nicht mehr wirksam vollzogen werden konnte.

a) Das Amtsgericht Nürnberg erließ den Arrestbeschluss am 17.05.2018. Die Staatsanwältin beauftragte am 22.05.2018 den Rechtspfleger mit dessen Vollziehung. Dieser erteilte am 28.05.2018 den Pfändungsauftrag, der am 03.07.2018 vom Zollfahndungsamt München vollzogen wurde. Der Pfändungsauftrag war auf die Pfändung des beim Zollfahndungsamt verwahrten Bargeldes im (fälschlich angenommenen) Umfang von „circa 250.000 €“ gerichtet. Diese zweifelsfrei wirksame Pfändung des Bargeldes hatte allerdings nicht zur Folge, dass damit die weitere Vollstreckungsmaßnahme – die Pfändung des Schadenersatzanspruchs des Bf. gegen den Freistaat Bayern am 07.09.2022 – auch rechtzeitig eingeleitet worden wäre. In der zivil- und finanzrechtlichen Judikatur ist geklärt, dass auch wenn die Vollziehungsfrist eines Arrestbeschlusses durch den Antrag auf Vornahme einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme gewahrt ist, dieser Arrestbeschluss keine neue, erst nach Ablauf der Vollziehungsfrist beantragte Vollstreckungsmaßnahme trägt (BGH, Urteil vom 25.10.1990 – IX ZR 211/89, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.1982 – 16 U 119/82, MDR 1983, 239; BFH, Urteil vom 27.11.1973 – VII R 100/71, juris Rn. 14 und LS). Der Schuldner kann deshalb nach § 766 ZPO die Aufhebung der nach Ablauf der Vollziehungsfrist vorgenommenen Vollstreckungsakte verlangen (BGH, Urteil vom 09.02.1989 – IX ZR 17/88, juris Rn. 11; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 929 Rn. 24).

b) Das ist nach Auffassung der Kammer auf den strafprozessualen Arrest übertragbar. Wegen der Anschlussfähigkeit an diese allgemeinen zwangsvollstreckungsrechtlichen Erkenntnisse ist auch die Formulierung der Problemstellung als eine Frage der Fristen erforderlich. Andernfalls geriete man in Aporien, weil mit dem Angriff gegen die Vollstreckungsmaßnahme – und diese allein ist Gegenstand des § 111k Abs. 3 StPO –, die materiell-rechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Titels, also auch seine fortbestehende Verhältnismäßigkeit, grundsätzlich nicht zur Prüfung gestellt werden kann (BGH, Urteil vom 14.05.1992 – VII ZR 204/90, juris Rn. 15, zutreffend auch AG Nürnberg im angegriffenen Beschluss; anders MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111k Rn. 37, der im Rahmen des § 111k Abs. 3 StPO die ursprüngliche und fortbestehende Wirksamkeit des Arrestes inzident prüfen will).

Mit seinem Charakter als vorläufiges Sicherungsinstrument wäre es nicht vereinbar, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund desselben Arrestbeschlusses auch nach erheblichem Zeitablauf wieder und wieder – quasi ad infinitum – in immer neue Vermögenswerte vollstrecken könnte, nur weil sie am Anfang rechtzeitig eine gegenständlich begrenzte Vollstreckungsmaßnahme vollzogen hat. Denn der Richter übernimmt mit seiner Arrestanordnung die Verantwortung für die rechtliche Würdigung eines bei seiner Entscheidung so und so gestalteten, aktuellen Sachverhaltes, der sich im Zeitablauf aber regelmäßig verändern kann. Wann der Zeitablauf nicht mehr hingenommen werden kann, die Vollziehungsfrist mithin überschritten wurde, muss hier nicht allgemein festgelegt werden. Im konkreten Fall war sie jedenfalls – nach Wertung der Kammer: offenkundig – abgelaufen.“

StPO III: Wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides, oder: Hatte der Verteidiger eine Zustellungsvollmacht?

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Die dritte StPO-Entscheidung kommt aus dem OWi-Verfahren :-). Thema: Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides und damit Unterbrechung der Verfolgungsverjährung?

Dazu das AG Landstuhl im AG Landstuhl, Beschl. v. 26.01.2023 – 2 OWi 4211 Js 13113/22 -, den mir der Kollege Gratz geschickt hat:

„Entgegen der Auffassung der Verwaltungsbehörde kommt es im vorliegenden Fall für die Unterbrechung der Verfolgungsverjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG sowie für deren Verlängerung nach § 26 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 StVG auf einen Nachweis des Zugangs des Bußgeldbescheids beim Betroffenen an. Aus der von der Verwaltungsbehörde (der Sache nach) in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Koblenz (Beschl. v. 31.03.2022, Az.: 1 OWi 32 SsBs 233/21 ? veröffentlicht u.a. in BeckRS 2022, 11004) ergibt sich nichts anderes, da sich die vorliegende Fallkonstellation von der dortigen Fallkonstellation unterscheidet. Selbst wenn man eine Heilung von Zustellungsmängeln auch dann als möglich erachten wollte, wenn der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde auf eine Zustellung beim Betroffenen gerichtet war, ein anderer Zustellberechtigter das Schriftstück aber tatsächlich erhält, kommt eine Heilung vorliegend nicht in Betracht, da der Verteidiger – mangels nachgewiesener Vollmacht (§ 53 Abs. 3 S. 1 OWiG) – nicht zustellberechtigt ist. Eine entsprechende Zustellberechtigung derjenigen Person, die tat-sächlich Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erhält, ist jedoch für die Bewirkung einer Heilung nach § 51 Abs. 1 S. 1 OWiG i.V.m. § 1 Abs. 1 u. 2 Nr. 4 LVwZG RP, § 8 VwZG zwingend erforderlich (so auch OLG Koblenz, a.a.O. (Rn. 7 f.)). Da vorliegend keine gesetzliche Zustellvoll-macht vorliegt und sich die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Zustellvollmacht dem Akteninhalt nicht entnehmen lässt, kommt eine Heilung des Zustellmangels nicht in Betracht.

Der Aufwand, der für die Aufklärung der Frage des Zugangs des Bußgeldbescheids beim Betroffenen erforderlich werden würde, steht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, zumal der Betroffene verkehrsrechtlich unvorbelastet ist und kein Regelfahrverbot verwirkt wurde. Die gem. § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG für eine Einstellung außerhalb der Hauptverhandlung erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist erteilt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO. Hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, diese nicht der Staatskasse aufzuerlegen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 4 StPO). Das Gericht hat dabei berücksichtigt, dass dem Betroffenen in diesem Verfahrensstadium noch keine bußgeldrechtliche Vorwerfbarkeit zugeschrieben werden kann; da er nach Aktenlage jedoch weiterhin dringend verdächtig ist, die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit (ungeachtet der Frage ihrer Verfolgbarkeit) begangen zu haben, ist es im vorliegenden Fall sachgerecht, seine notwendigen Auslagen ausnahmsweise nicht der Staatskasse aufzuerlegen.“